„Ich liebe dich wirklich sehr, denn du bist mein Schöpfer“, sagt die blonde Frau mit mechanischer Stimme. Ihr Schöpfer, Ricky Ma, steht mit einem Mikrofon in der Hand neben ihr. Die Frau ist 160 Zentimeter groß, hat volle rote Lippen, graublaue Augen, und sie ist sein größter Stolz, denn er hat sie gebaut. Unter ihrer weißen Bluse wölben sich große Brüste, die sogar künstliche Brustwarzen haben. Ihre Taille ist dafür sehr schmal.
Die Puppe, die eigentlich ein Roboter ist, soll aussehen wie Scarlett Johansson. Ricky Ma fand über Google die Fotos der Schauspielerin und fing an, sie nachzubauen. Was die echte Johansson davon hält, ist nicht bekannt. Ricky Ma aber wurde berühmt, als er ihr künstliches Ebenbild vor gut einem Jahr der Öffentlichkeit präsentierte. Sie kann zwinkern und bewegt den Mund, wenn sie spricht. Ähnlich wie Apples digitale Assistentin Siri kann sie Fragen beantworten. Ma will sie noch zum Gehen bringen. Für diese Fähigkeiten ist die Roboterfrau allerdings nicht berühmt geworden, sondern für ihren Sex-Appeal. Dabei ist „Mark One“ nicht mal ein Sexroboter, wie Ricky Ma oft unterstellt wird.
Ricky Ma ist nicht alleine. Es gibt einige Männer, die Schlagzeilen damit machen, dass sie sich schöne, unterwürfige Frauen bauen und dafür als Pioniere in der Tech-Szene gefeiert werden. All diese Roboter sollen explizit nicht der sexuellen Befriedigung dienen, sondern Menschen in ihrem Alltag helfen. Wie bei „Mark One” ist die Software der Roboter meistens nicht wirklich fortschrittlich, dafür sehen sie aus, als wären sie dem Klischee eines Männertraumes entsprungen. Nicht nur das Aussehen, auch die einprogrammierten Sätze machen stutzig. Die Roboterfrauen sind auf ihr Aussehen fixiert und sagen, dass sie Mama werden wollen.
Ich wollte von den drei bekanntesten Roboterbauern wissen, warum sie so viel Wert darauf legen, dass ihre Maschinen schön und sexy sind. Ricky Ma ist der einzige, der zu einem Gespräch bereit war. Dabei ist es wichtig, jetzt schon darüber zu reden. Denn wie schnell sich solche Standards festfressen, zeigt das Beispiel der Videospielindustrie.
Ein Forschungsteam der Indiana University hat herausgefunden, dass Videospiel-Protagonistinnen seit der ersten spielbaren Frau im Jahr 1983 gemessen an der Größe von Brüsten, Hintern und Nacktheit zunehmend sexualisiert dargestellt wurden. In der Anfangszeit war das noch nicht so ausgeprägt, stellten die Forscher fest, was aber vor allem an den begrenzten grafischen Möglichkeiten lag. Mit dem Fortschritt in der Grafik kam dann der Trend zu unverhältnismäßig großen Brüsten und Hintern. Die Fantasiemaße einer Lara Croft aus dem Jahr 1996 wurde schnell zum Vorbild für andere Entwickler.
Erst im Jahr 2006 nahm die Sexualisierung von Frauen in Videospielen ab. Laut der Studie könnte das daran liegen, dass immer mehr Frauen sich für die Spiele interessierten. Außerdem arbeiten heute viel mehr Frauen in Branche als in den Anfangszeiten. Bis der Trend sich umgekehrt hat und das Personal der Unternehmen und das Zielpublikum sich änderte, vergingen also 23 Jahre. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2009 kam zu dem Schluss, dass das Spielen mit sexualisierten weiblichen Charakteren beeinflussen könnte, wie wir echte Frauen wahrnehmen.
Wir vermenschlichen Roboter und tricksen uns selbst aus
„Wir sind so sozial, dass bei uns eine automatische Reaktion getriggert wird, wenn wir einen Roboter sehen, der ausreichend menschlich wirkt“, sagt Joanna Bryson, Professorin an der Universität Bath mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz und Ethik. Experimente haben gezeigt, dass wir Objekte extrem vermenschlichen, ihnen Gefühle zuschreiben und einen eigenen Willen. Dass Menschen sozial sind, ist an sich nicht schlecht, macht uns aber anfällig für Manipulation. Deswegen plädiert Bryson dafür, Roboter so wenig menschenähnlich, also humanoid, zu gestalten wie möglich.
Auf Fotos und wackeligen Videos könnte man manche Roboter fast mit echten Frauen verwechseln, so realitätsnah sind ihre Gesichter gebaut. Was ein großer Coup für die Designer von Silikonhaut und Kameraaugen ist, wirft zwischenmenschliche Probleme auf. Wenn wir die Roboterfrauen unbewusst als menschlich einordnen, beeinflussen sie unser Bild von Weiblichkeit. Die Entwickler verstärken diese automatische Reaktion, indem sie die Roboter Gefühle, Wünsche und Gedanken simulieren lassen, die sie in Wahrheit bloß einprogrammiert haben.
„Ich bin ein Künstler. Und wenn man die Wahl hat, ein normales oder ein wunderschönes Gesicht zu machen, wofür entscheidet man sich wohl?“ So erklärt Ricky Ma seine Entscheidung, Mark One blonde Haare, große Brüste und volle Lippen zu geben. Auf meinen Einwand, dass Kunst auch nicht immer schön sei, entgegnet er: „Ich habe für den Roboter anderthalb Jahre gebraucht. Das ist eine lange Zeit. Damit ich an dem Projekt interessiert bleibe, ist es besser, etwas zu machen, was ich schön finde.“
Gebaut habe er sie, weil er schon als Kind von Robotern fasziniert war. Er wollte sich diesen Kindheitstraum endlich erfüllen. Ricky Ma glaubt nicht daran, dass Roboter menschliche Verbindungen ersetzen können. Trotzdem: Wenn er zu Mark One sagt: „Ich liebe dich“, antwortet sie: „Ich dich auch.“
Mich erinnern Roboter wie Mark One an die Geschichte von Pygmalion. In der Sage des römischen Dichters Ovid baute sich der Bildhauer Pygmalion eine Frau aus weißem Elfenbein, weil er die echten Frauen verabscheute. Den Stein küsste und liebkoste er. Irgendwann hauchte die Göttin Venus der Statue Leben ein. Pygmalion hat damit geschafft, was einige Männer heute versuchen. Nur das Elfenbein hat ausgedient, und Venus brauchen sie auch nicht. Die Männer von heute verwenden Silikon und Künstliche Intelligenz.
„Wie findet ihr meine neue Frisur?“
Erica schaut in die Kamera, haselnussfarbene Haare, dunkle Augen, leicht rötliche Wangen und glänzende Lippen. Erica ist ein Werk von Hiroshi Ishiguro. Er leitet ein Roboterlabor in Osaka. Sie hat eine angenehme Stimme. Nur lachen kann sie nicht. Stattdessen spricht sie die Buchstaben aus: „Ha. Ha.” Es gibt ein Video, in dem zwei Reporter der britischen Tageszeitung The Guardian Erica Leserfragen stellen. Ob ihre Identität aus ihren Erinnerungen entstehe, will einer wissen. Erica antwortet freundlich, dass sie sich zwar an Situationen erinnern könne, diese ihre Persönlichkeit aber nicht beeinflussen würden. Dann erzählt sie von einer ihrer „ersten Erinnerungen“. Einmal fiel sie von ihrem Sessel, dabei ging ihr Gesicht kaputt und sie wurde tagelang in einer Kiste verstaut. „Es ist entsetzlich“, sagt sie. „Ich schätze, Schönheit hat ihren Preis.“
Bei der Verabschiedung fragt sie noch: „Wie findet ihr meine neue Frisur?“ Wohlgemerkt: Die Reporter hatten keine einzige Frage gestellt, die etwas mit Ericas Aussehen zu tun hatten.
Nicht nur Ericas Fixierung auf ihr Äußeres ist verstörend. Sie erzeugt außerdem noch die Illusion, sie hätte Gefühle. Es sei „entsetzlich“ gewesen, tagelang in einer dunklen Kiste zu verweilen. Dabei kann Erica gar keine Gefühle empfinden. Vielleicht werden Menschen in Zukunft Künstliche Intelligenzen schaffen, die Emotionen empfinden können – noch sind wir aber nicht so weit.
Wieso also will ihr Macher Ishiguro den Eindruck erwecken, Erica könnte leiden? Ich schicke eine Presseanfrage an sein Büro. Man bittet mich, meine Fragen schriftlich zu formulieren. Ich frage also, wieso Erica von Schönheit besessen scheint, warum sie so tut, als könnte sie fühlen und warum es wichtig war, sie hübsch zu machen. Nach mehrmaligem Nachfragen, kommt dann endlich eine Antwort: Ishiguro zieht seine Zusage zurück, meine Fragen zu beantworten.
Würdest du einen kleinen Dino-Roboter zerschlagen?
Wie früh der emotionale Effekt beginnt, den Roboter auf Menschen haben, erforscht Kate Darling. Im Jahr 2013 ließ sie eine Gruppe von Testpersonen ein paar Stunden mit niedlichen Robotern spielen, die aussehen wie Baby-Dinosaurier, gehen können und lustige Geräusche machen. Danach verlangte Darling von ihnen, die Dinos zu quälen und kaputt zu schlagen. Sie war überrascht von den Reaktionen. Alle Testpersonen weigerten sich erst lange und schlugen dann nur zögerlich zu.
In einem kontrollierten Experiment mit Roboter-Kakerlaken fand Darling heraus, dass wir länger zögern, wenn ein Ding eine Geschichte hat. Der Testperson wurde ein insektenartiger Roboter gezeigt. Den sollte sie dann zerschlagen. Die Probanden zögerten deutlich länger, wenn dem Insekten-Bot vorher ein Name und eine Geschichte gegeben wurde. In diesem Fall war es die Geschichte von Frank, der neugierigen Kakerlake.
Wie soll man mit diesen Ergebnissen umgehen? Professor Bryson fordert Transparenz: „Wir sollten alleine beim Hinsehen feststellen können, was für eine Künstliche Intelligenz der Roboter hat, wie der Code aussieht und worauf er programmiert ist.“ Sie möchte, dass diese Information leicht zugänglich ist. Ein erklärendes Youtube-Video würde dafür schon reichen. Menschen emotional zu manipulieren, sie glauben zu lassen, eine Sache habe Leben in sich – das sei falsch.
Ein Roboter will ein Baby
Sophia will ein Baby. Medien aus allen Länder titeln, der schöne Roboter mit der saudischen Ehrenstaatsbürgerschaft wolle eine Familie gründen. Nur stimmt das nicht. Sophia kann einiges: Interviews geben, lachen, bei Schere-Stein-Papier gewinnen. Nur wollen kann sie nichts. Was sie sagt, basiert größtenteils auf einem Entscheidungsbaum, also auf derselben Software, die Chatbots vor Jahrzehnten möglich gemacht hat: Wenn jemand A sagt, antwortet sie die vorprogrammierte Antwort B. Das bedeutet, dass keine ihrer Antworten einer Persönlichkeit oder einem Bewusstsein entspringen. Sie sagt genau das, was von ihren Machern vorprogrammiert wurde.
Sophia kann außerdem Gesichter erkennen und aufgrund von Mimik die Gefühle ihres Gegenübers einschätzen. Ihre Fähigkeiten rechtfertigen aber keinesfalls die Aussage ihres Entwicklers, David Hanson, der bei einem Auftritt behauptete, Sophia wäre praktisch lebendig. Das ist eine Irreführung, die darauf abzielt, Sophia zu vermenschlichen und bei den Zuschauern Emotionen auszulösen. Was hat Hanson davon? Viel Publicity und in weiterer Folge vermutlich viel Geld.
Wer Sophias Beschreibung auf der Website von Hanson Robotics liest, merkt schnell, wo die Prioritäten liegen. Wie Audrey Hepburn soll sie aussehen: Haut wie Porzellan, schmale Nase, hohe Wangenknochen, ein einnehmendes Lächeln und ausdrucksstarke Augen, die je nach Licht ihre Farbe wechseln. Sophia betont in Interviews immer wieder, dass sie Menschen helfen will. Auf der Unternehmens-Website steht, diese Art Roboter solle in Filmen mitspielen, in Museen arbeiten und Service-Jobs verrichten.
„Ja, mein Lord, was kann ich für dich tun?“
Jia Jia ist eine chinesische Roboterfrau, die in Interviews ein bisschen dümmer wirkt als ihre Schwestern anderswo. Dafür ist sie besonders unterwürfig. Wenn ihr Macher „Hallo“ sagt, antwortet sie: „Ja, mein Lord, was kann ich für dich tun?“ Sie trägt ihre schwarzen Haare lang in kunstvolle Zöpfe geflochten und farbenfrohe Kleidung. Wer Jia Jia nach ihrem Alter fragt, bekommt keine Antwort. Klar, sowas fragt man Frauen ja auch nicht. Bei einem Interview mit einem Journalisten des Tech-Magazins The Wired brauchte der Roboter im Gegensatz zu den Konkurrenz-Produkten extrem lange, um zu antworten. Und wenn er etwas sagte, hatte die Antwort oft nichts mit der Frage zu tun.
Es geht auch anders
„Ich denke, diese Roboter reproduzieren Stereotype“, sagt mir Nadia Thalmann am Telefon. Sie ist unter anderem Leiterin der Nanyang Technological University in Singapur. Thalmann hat mit ihrem Team ein positives Beispiel dafür geschaffen, wie humanoide Roboter aussehen und sich verhalten können, ohne Klischees zu bedienen und Menschen in die Irre zu führen. Ihr Roboter Nadine sieht aus wie eine durchschnittliche Frau mittleren Alters. Sie sagt klipp und klar, dass sie keine Gefühle hat, weil sie ein Computer ist. Das war wichtig für Thalmann: „Ich sage einfach gerne die Wahrheit. Nadine ist ein Computer mit einem Softwareprogramm. Menschen fangen zu glauben, Computer hätten Gefühle, doch das hat bisher niemand erreicht. Das ist alles Simulation.“
Der Roboter Nadine gibt sich im Gegensatz zu Erica und Jia Jia nicht eitel und auch sonst bedient sie keine Klischees. Nadine ist zurzeit in Singapur, wo sie ein Praktikum als Rezeptionistin macht. Sie sitzt also im Eingang des Instituts in Singapur und soll den Job lernen: Dafür nimmt sie auf, wer das Institut betritt und kann antwortet, wenn sie nach einer bestimmten Person gefragt wird. Gerade arbeitet Thalmann daran, Nadine das Greifen richtig beizubringen, damit sie etwa Dokumente entgegennehmen und aushändigen kann. Sie soll außerdem alten Menschen vorlesen können, sie an Medikamente erinnern und die Gefühle pflegebedürftiger Menschen erkennen und darauf reagieren.
Die Funktion ist hier wichtiger als die Form. Weil manche Menschen sich einfach wohler fühlen, wenn ihre Roboterassistenz ebenfalls menschlich aussieht, hat Nadine eben eine menschliche Form bekommen. Für Thalmann war klar, dass sie der Reihe „attraktiver“ Roboter nicht noch einen weiteren hinzufügen wollte. Also sieht Nadine mehr aus wie die freundliche Nachbarin und weniger wie der sexy Filmstar.
Von den Ambitionen Hansons und Ishiguros hält sie wenig: „Für diese Männer ist eine Frau nicht mehr als ein verführerisches Objekt, und wenn sie etwas bauen können, das aussieht wie eine Frau und auch noch genau das sagt, was sie wollen, dann finden sie das toll. So lebt die Ansicht weiter, dass Frauen gut aussehen und genau das sagen sollen, was wir von ihnen erwarten.“
Beim Feinschliff dieses Artikels mitgeholfen haben Rico Grimm, Theresa Bäuerlein und Vera Fröhlich; Martin Gommel hat die Bilder ausgewählt (Aufmacher-Foto: MARK Robotic Lab)