Was schätzt Du, wie viel diese griechischen Kellnerinnen verdienen?
Geld und Wirtschaft

Was schätzt Du, wie viel diese griechischen Kellnerinnen verdienen?

In Griechenland bedienen Dich wahrscheinlich Journalisten und Doktoranden – für Hungerlöhne. Ich bin Reporterin beim griechischen Magazin AthensLive und habe meine Bekannten gefragt, wieso sie statt in ihrem Beruf in diesem Sommer am Strand arbeiten.

Profilbild von Reportage von Elvira Krithari

Vassilis trägt ein weißes Designerhemd von Ralph Lauren aus schwerem Stoff, eine schlanke Seidenkrawatte und Hosen mit Bügelfalte. Feine schwarze Lederschuhe. Er ist ein Mann in den frühen Dreißigern, hat einen Master in Wirtschaft und ist neuerdings Doktorand.

Alles scheint in Ordnung in dieser warmen Nacht, in einem Restaurant in einem bei Touristen beliebten Badeort in Nordgriechenland. Man hört nur Gesprächsfetzen vom Nachbartisch und das laute Zirpen der Grillen, während man unter offenem Himmel speist. Vassilis achtet nicht auf den glitzernden Sternenhimmel – die Nacht ist noch jung, und er muss bis spät arbeiten. Er ist hier Kellner.

Griechenlands Tourismusbranche boomt, nicht zuletzt dank deutscher Touristen. Vor allem die Inseln Korfu, Kreta und Rhodos sind beliebt wie nie. Das liegt zum einen daran, dass nach mehreren Terroranschlägen in Folge die Nachfrage nach Erholung in der Türkei und Ägypten deutlich abgenommen hat.

Zum anderen gibt es seit der Grexit-Debatte über den Austritt Griechenlands aus der Europäischen Union vor zwei Jahren auch so etwas wie einen Trend zum solidarischen Urlaub, nach dem Motto: Kein Urlaub in Griechenland ist auch keine Lösung.

Nach einem Bericht des World Travel and Tourism Council (WTTC) über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismus in Griechenland belaufen sich die erwarteten Einnahmen für 2017 auf 35 Milliarden Euro und machen damit 19,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Vom Wachstum des Tourismus geht ein Beschäftigungsschub aus – es werden 30 Millionen Gäste erwartet, die von 914.000 Angestellten betreut werden müssen.

Die Saisonarbeiter schuften für kleines Geld

Vassilis ist einer dieser Arbeiter, aber nicht das ganze Jahr über. Wie 80 Prozent der Hotelangestellten in Griechenland ist er Saisonarbeiter, also nur ein halbes Jahr während der Touristensaison angestellt. Zwar werden diese Jobs für die Vielzahl an arbeitslosen Griechen dringend benötigt, aber in den Erfolgsgeschichten über den boomenden Sektor fehlen oft wichtige Informationen über die Arbeitsbedingungen in der Tourismusbranche.

Thanos, 28, verdingt sich seit sechs Jahren als Saisonarbeiter. Er ist gelernter Koch, hat aber in griechischen Hotels in verschiedenen Jobs gearbeitet. „In meinem ersten Saisonjob habe ich nur 300 Euro pro Monat bekommen, aber ich war erst mal da, um praktische Erfahrung zu sammeln. Ich arbeitete zwölf Stunden am Tag, hatte zwei freie Tage pro Monat“, erzählt er.

“Das Jahr darauf erhielt ich 600 und später dann 900 Euro bezahlt, als ich in die Küche befördert wurde. In anderen Jahren betrug mein Gehalt 1.000 bis 1.300 Euro, abhängig von der Position. Abgesehen von einem Job in Santorin, wo ich eine normale Acht-Stunden-Schicht hatte, gab es in allen anderen Fällen keine festen Arbeitszeiten. Auf Kreta habe ich 16 Stunden am Tag gearbeitet. Es gibt keine freien Tage, bis die Saison endet.“

Die Arbeitgeber streichen einfach die freien Tage

Sechs aufeinander folgende Monate ohne freie Tage ist für Saisonarbeiter im griechischen Tourismussektor üblich. Trotzdem ist es illegal, betont Panagiotis Prountzos, Präsident des Verbands, in dem sich Arbeiter aus dem Lebensmittelsektor und der Tourismusbranche zusammengeschlossen haben.

“Die gesetzliche Norm für Hotelangestellte beträgt acht Stunden pro Tag, fünf Tage pro Woche, mit Ausnahmen für kleine Hotels, wo sie sechs Tage mit kürzeren Schichten arbeiten können. Allerdings werden die Verträge unter der Hand gemacht – und die Mitarbeiter sind einverstanden, sechs Monate lang nonstop zu arbeiten.”

Der Köder für solche Vereinbarungen ist das gute Geld, das verdient werden kann. Vor allem der Vergleich mit Gehältern aus anderen Sektoren macht das Geld „gut“. In den immer noch andauernden Jahren der Finanzkrise gilt ein Verdienst von 1.000 Euro pro Monat schon als Privileg.

Das trifft aber nicht zu, erklärt Prountzos:

“In Wahrheit werden sie nicht für die Überstunden bezahlt. In diesem Jahr beträgt das Gehalt für ein Zimmermädchen 700 Euro, 800 für einen Kellner und 900 für einen Mitarbeiter an der Rezeption. Aber wenn man die tatsächlichen Arbeitszeiten zählt, ohne freie Tage, Sonntagsarbeit und Nachtschichten, sollte auch das Gehalt eines Zimmermädchens bei 1.500 Euro liegen. Die Hälfte davon bleibt in den Taschen der Arbeitgeber, aber wir können nicht viel dagegen tun, da die Mitarbeiter ja zugestimmt haben.“

Journalistin Karolina verdient im Sommer ihr Geld als Kellnerin

Karolina Niamonitaki, 25, arbeitet im Winter als Journalistin. In diesem Sommer wird sie auch als Kellnerin auf Koufonisia arbeiten, einer Inselgruppe der Kleinen Kykladen. Sie war mit 45 Euro pro Tag einverstanden, plus Trinkgeld. Der Rest der Vereinbarung scheint legal zu sein. Sie macht das wegen des Geldes.

“Ich glaube nicht, dass dieses Gehalt mit dem aktuellen Gehalt eines jungen Journalisten in Griechenland verglichen werden kann. Nur so kann ich schnell Geld verdienen.”

Sie verdingt sich zum zweiten Mal als Saisonarbeiterin, und ihre erste Erfahrung war nicht so schlimm. “Am Anfang kann es hart sein und man braucht Selbstdisziplin. Du darfst nicht krank werden. Jeder im Job nahm den ganzen Sommer lang Vitaminpräparate“, sagt sie.

“Vielleicht ist es für dich frustrierend zu sehen, wie alle anderen ihren Urlaub genießen”, räumt sie ein. Aber sie fügt auch hinzu, sie sei noch niemals so oft schwimmen gewesen wie in diesem Sommer.

“Man muss schon lange suchen, um einen Job mit anständigem Lohn und guten Bedingungen zu finden”, sagt sie.

Saisonarbeiter haben auch keine richtige Privatsphäre

Das andere große Problem im Leben eines Saisonarbeiters sind die Lebensbedingungen. Die Angestellten wohnen in der Regel in kleinen, alten Räumen, die sie sich mit anderen teilen. Zu dem Mangel an Freizeit kommt auch noch der Mangel an Privatsphäre. Thanos wohnte einmal in einem Häuserblock mit nur einem Badezimmer für 25 Personen.

“In 90 Prozent der Fälle erwarten sie Lebensbedingungen wie in der Dritten Welt. Ich habe wirklich keinen Palast erwartet. Aber ich fordere einen zivilisierten Ort zum Wohnen.“

Deswegen entschied sich Thanos zu kündigen.

Eine Klage war erfolgreich, das Hotel wurde dichtgemacht

Die Saisonarbeiter können oft Geschichten über die Grausamkeit der Arbeitgeber erzählen. Der psychologische Druck einer Arbeit ohne Freizeit, kombiniert mit dem Problem, es mit Arbeitgebern zu tun zu haben, die nicht mit dem Gesetz belästigt werden wollen. Thanos hat uns erzählt, dass er einmal mit seinen Kollegen einen Hotelbesitzer auf Kreta verklagte, weil der sich nicht an die Vorschriften hielt. Sie hatten Glück, der Fall kam vor Gericht, und als Strafe musste der Besitzer das Hotel für mehrere Monate schließen.

Aber in anderen Fällen brechen die Arbeitgeber in der Tourismus-Branche nicht das Gesetz, sondern umgehen es einfach. Prountzos erinnert daran, dass die größte Vereinigung der Hotelbesitzer in Griechenland, die von Heraklion auf der Insel Kreta, beschlossen hat, sich selbst aufzulösen. So umging sie die gesetzlichen Löhne, die sie mit den Gewerkschaften vereinbart hatte. Durch die Auflösung ihrer Vereinigung vermied sie es, ihren Arbeitnehmern branchenübliche Löhne zu zahlen.

“All das Wachstum im Tourismussektor, all diese Rekorde an Besuchern und Einnahmen, scheinen keine positiven Auswirkungen auf die Arbeit zu haben. Tatsächlich schwächt der Mangel an Arbeiterrechten den Beitrag des Tourismus zur Entwicklung. Tourismus könnte und sollte der Katalysator für den Wiederaufbau der Wirtschaft sein”, erklärt Prountzos.

Im selben Nobelrestaurant, in dem Vassilis arbeitete, traf er Michael und Monika, ein frisch verheiratetes Paar aus der Schweiz. Sie sind ebenfalls in den Dreißigern, auch sie haben Master-Abschlüsse, allerdings im Marketing. Im Restaurant musste er seine Kollegen in der gleichen höflichen und förmlichen Weise wie alle anderen Gäste ansprechen und bedienen.

Dann aber, nach Ende seiner Schicht, unternahmen die drei etwas zusammen in einem nahegelegenen Dorf. Sie hatten wirklich viel gemeinsam – Ausbildung, Interessen, Erwartungen an das Leben. Aber eines trennt sie: Sie kommen aus Ländern mit sehr unterschiedlichen Wirtschaftssystemen.


Unser Partnerunternehmen AthensLive ist ein unabhängiges Magazin, das Reportagen, Nachrichten und Bilder aus Athen und ganz Griechenland liefert. Auf Englisch. Die Themen? Das Leben in Griechenland heute. Thanos und Vassilis wollten nicht, dass ihre Familiennamen genannt werden.
Den Text übersetzt hat Vera Fröhlich, gegengelesen hat Christian Gesellmann. Die Fotos hat Gerasimos Domenikos von FOS FOTOS gemacht. Das Aufmacherbild zeigt junge Kellnerinnen in einer Strandbar in Mykonos.