Was tun, wenn es im Meer keine Fische mehr gibt?
Geld und Wirtschaft

Was tun, wenn es im Meer keine Fische mehr gibt?

Der Ozean rund um Madagaskar ist leergefischt. Aber die Fischer haben nicht resigniert, sondern züchten gemeinsam Rotalgen und Seegurken. Davon profitieren nicht nur die Meerestiere und die Umwelt – auch ihre Frauen.

Profilbild von Reportage von Jacopo Pasotti

Die Fischbestände im Indischen Ozean nehmen in atemberaubender Geschwindigkeit ab. Für Fischer in Madagaskar bleibt da nur wenig zu holen. „Als ich ein Kind war, fuhr ich mit meinen Eltern aufs Meer hinaus und wir kamen jedes Mal mit jeder Menge Fisch zurück“, sagt Samba Lahy. Er lebt in Tamplove im südlichen Teil des Inselstaats. Heutzutage kommt er mit wenigen Fischen zurück ans Land.

Jeden Morgen segelte er mit seiner hölzernen Piroge in die große Bucht, die von Mangroven und Palmen eingerahmt wird. „Früher gab es viele Delfine in der Bucht, aber heute sieht man kaum noch welche. Sie sind verschwunden, vielleicht wegen der Art, wie wir fischen.“

Die Zeiten, als es im Meer Überfluss gab, sind vorbei. Trotzdem haben Lahy und viele Bewohner von Tamplove das Meer und ihr Dorf nicht verlassen. Vielmehr suchen sie nach einer Lösung für ihr Problem. Das Dorf ist einer Genossenschaft beigetreten und baut Algen in Aquakultur an. Dafür gibt es eine ständig steigende Nachfrage, und zumindest derzeit scheint der Anbau nachhaltig zu sein und die Umwelt nicht zu belasten.

Fische sind wichtig für Madagaskars Wirtschaft

Die Ressourcen im Meer um Madagaskar werden immer knapper. Heute gelten bis zu 30 Prozent der weltweiten Fischbestände als nicht nachhaltig befischt. Schuld am Rückgang der Fischbestände sind aber nicht nur die Überfischung, sondern auch die Umweltverschmutzung, die Zerstörung der Lebensräume und der Klimawandel. Alles zusammen ergibt eine bedrohliche Lage für Madagaskar – einem Land, in dem Fischerei mehr als sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmacht. Fische sind das Rückgrat der Wirtschaft in ländlichen Gegenden und die wichtigste Proteinquelle der Küstenbewohner.

Der Klimawandel beschleunigt diese Probleme noch weiter. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2016 plagen die Menschen im südlichen Landesteil bereits Hungersnöte. Mehr als 850.000 Einwohner sind davon betroffen. Auch 2017 ist noch keine Besserung in Sicht. Weil im Inneren des Landes die Lebensqualität sinkt, ziehen Familien an die Küste und verstärken dort den Druck auf die Gemeinden und die Umwelt.

„Ich weiß nicht, was passiert, vielleicht ist es ein natürliches Phänomen, aber ich glaube, dass es mit der Zerstörung durch den Menschen zusammenhängt. Wenn es so weitergeht, wird sich vieles ändern. Zum Beispiel sind wir jetzt schon in der Regenzeit, aber der Regen lässt auf sich warten. Nicht nur die Fischer, auch die Bauern sind in Schwierigkeiten“, sagt Richard Badouraly, Präsident der Aquakultur-Genossenschaft in Tamplove.

Die Zukunft der Meeresfischer sieht düster aus

Die Zukunft der Meeresfischer sieht düster aus

Die Zukunft der Fischer sieht düster aus, besonders, wenn man sich anschaut, wie die Korallenriffe zurückgehen. „Dieses Problem haben wir bislang übersehen, aber es ist klar da: Entlang der ganzen Küste sterben die Korallenriffe“, erklärt Gildas Todinanahary vom Institut für Fischerei und Meereswissenschaften an der Universität Toliara in Madagaskar. Nach seinen Angaben sind die 85 Quadratkilometer Korallenriffe vor der Küste von Toliara inzwischen nur noch blanker Stein. In den vergangenen 50 Jahren starben 65 Prozent der Korallen. Schuld an diesem Verlust sind Schmutzablagerungen im Meer, Dürren auf dem Land und die Überfischung. Die „Fischergärten“ – diesen Namen haben die Fischer den Korallenriffen gegeben – teilen das Schicksal der ländlichen Hügellandschaft: Sie sind kahl und unproduktiv.

Algen sind des Rätsels Lösung für Tamplove

Zum Glück gibt es vielversprechende Alternativen. Das Dorf Tamplove mit seinen 654 Einwohnern, die sich hauptsächlich von Fisch und Reis ernähren, hatte eine blendende Idee. Mit der Hilfe von Nichtregierungsorganisationen und der Universität Toliara hat das Dorf eine Genossenschaft gegründet und züchtet nun Algen für den europäischen Markt.

Fischer sind gute Beobachter, darum sind sie sich der Veränderungen bewusst, sagt Todinanahary. „Sie brauchen Institutionen, die ihnen klarmachen, dass diese Veränderungen nicht immer natürlich sind. Wenn wir ihnen das erklären, finden sie selbst die Lösung ihrer Probleme.“ Nach Ansicht des Experten können kleinere Bestände an Küstenfischen noch immer nachhaltig genutzt werden. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Kombination von Fischen und Aquakultur – da sind sich Fischer und Fachleute einig.

2010 gründeten sie die Velondriaky-Genossenschaft und begannen die ersten Testläufe mit Seegurken (Holotura scabra). Doch der Erfolg war gering, und so wechselten sie zum Anbau von Rotalgen (Kapaphycus alvarezii). Aus diesen Algen wird das Verdickungsmittel Carrageen für die Ernährungs- und Kosmetikindustrie gewonnen.

https://youtu.be/ZrbLfRA36uc

Velondriaky bedeutet „mit dem Meer leben“ - ohne Zweifel ist die Beziehung dieser Menschen zum Meer unlösbar. Den gleichen Namen trägt auch das Meeresreservat, das sich über 1.000 Quadratkilometer an der Küste von Tamplove und dessen Nachbardörfern erstreckt, in denen insgesamt 7.500 Bewohner leben.

2005 war das Ökosystem des Meeres unter dem enormen Druck zusammengebrochen. Die Regierung richtete daraufhin Meeresreservate ein, um die verbleibende Artenvielfalt zu schützen - immer in der Hoffnung, die Produktivität des Küstenstreifens zu erhalten. Heute gibt es in Madagaskar insgesamt 64 „Locally Managed Marine Areas“ (LMMA) als Reservate. Dazu gehören auch Korallenriffe und Mangrovenwälder, die mehr als elf Prozent des küstennahen Meeresstreifens ausmachen. Die Regierung ging sogar noch einen Schritt weiter und rief das Fischerei-Unterstützungsprogramm PCAP (Project d’Appui aux Communautés de Pêcheures) ins Lebens. Es erlaubt örtlichen Gemeinschaften, in den geschützten Gebieten alternative Einkommensformen zu entwickeln und selbst zu verwalten. Den Einwohnern der Dörfer wurden damit Schutz und Verwaltung ihrer eigenen Küste anvertraut.

Arbeitsplatz Meer

Arbeitsplatz Meer

„Die Fischer haben verstanden, dass sie nach Alternativen zum Fischfang suchen müssen“, sagt der Genossenschaftsvorsitzende Badouraly. „Mit der Aquakultur kann eine Familie bis zu 145 Dollar im Monat verdienen. Dazu kommt dann noch der Fisch. Aquakultur ist nun eine Haupteinkommensquelle geworden.“

Die Produktion von Algen in Tamplove wächst stetig. Von 13 Tonnen getrockneter Algen im Jahr 2013 auf 187 Tonnen 2016. „Wir rechnen mit 250 Tonnen in diesem Jahr“, sagt Badouraly. Wenn dann noch die Fischnetze gefüllt sind, macht das die Sache noch besser. „In der Vergangenheit konnten Fischer bis zu 20 Dollar am Tag verdienen. Heute, mit ein bisschen Glück, fängt ein Fischer ein halbes Kilo. Das ist für eine fünfköpfige Familie nicht genug, um zu überleben.“

Das Geschäft mit den Algen lohnt sich

Das Geschäft mit den Algen lohnt sich

Doch mit der Innovation kommen auch neue Probleme. Es ist riskant, sich auf ein einziges Produkt zu spezialisieren. In diesem Jahr befiel ein Virus die Algen, große Teile der Produktion gingen verloren. Mit der Hilfe von ausländischen NGOs und privaten Unternehmen in der Aquakultur hat die Genossenschaft nun doch Seegurken gezüchtet. Sie haben einen großen Marktwert. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, die erst noch entdeckt werden müssen – erforscht wird gerade die Machbarkeit von Seepferdchen- und Korallenzucht.

Die Frauen treiben die Modernisierung mit voran

Die Aquakulturen verändern bereits die Familienstrukturen in Tamplove. Frauen, die eigentlichen Algenfarmer, sind jetzt wirtschaftlich unabhängig. Oft wird die Arbeit aber gemeinsam mit den Männern verrichtet, die in erster Linie Fischer bleiben.

„Diese Arbeit macht mich glücklich“, sagt Nariandra Marceline, Präsidentin der Aquakultur-Genossenschaft, der 67 Bauernfamilien in Tamplove angehören. „Ich kann die Schulgebühren für meine Kinder zahlen. Ich hoffe, sie werden ordentlich lernen, so dass sie eines Tages mit Papier und Stift in einem Büro arbeiten.“

Nariandra hat klare Vorstellungen von Nachhaltigkeit, für sie ist es in erster Linie eine Frage des Managements. „Wir haben Regeln für die Algenproduktion, wie etwa die Größe der Fläche, die jede Familie dafür nutzen darf.“ Über diese Regeln diskutieren entscheiden sie gemeinsam. Auch das Fischen ist im Velondriaky-Meeresressort reguliert – in bestimmten Zeiten des Jahres ist es jetzt verboten.

Müssen wichtige Entscheidungen für das Meeresreservat getroffen werden, kommen Delegierte aus den umliegenden Dörfern, um über die anstehenden Probleme zu diskutieren. Sie informieren dann ihre eigenen Gemeinschaften.

Auf Fischer wirken sich Veränderungen in Umwelt und Gesellschaft drastisch aus. Aber sie tun mehr, als nur rumzusitzen und das Schlimmste zu erwarten. So wie Velondriaky haben viele andere Genossenschaften an Madagaskars Küste angefangen, ihre eigenen Reservate zu verwalten, ihre Fischbestände und Lebensgrundlagen zu schützen. Im Dialog mit Entscheidungsträgern beweisen die Fischer, dass es gelingen kann, sich den Veränderungen anzupassen und dabei nachhaltig zu wirtschaften.


Dieser Artikel entstand mit Unterstützung von „The Innovation in Development Reporting Grant Programme“ des European Journalism Center (EJC). Übersetzt hat den Text Daniel Palm Cisne; gegengelesen hat ihn Vera Fröhlich; die Bilder hat Jacopo Pasotti gemacht; ausgesucht hat sie Martin Gommel.