Die deutschen Autobahnen werden privatisiert. Dafür soll kurz vor der Bundestagswahl die größte Verfassungsänderung seit einem Jahrzehnt durch das Parlament gepaukt werden. Als ich den ersten, sehr langen Artikel zu dem Thema geschrieben hatte, wünschten sich viele eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte. Diese jetzt zu veröffentlichen, ist ein guter Zeitpunkt. Denn die Kritik an dem Vorhaben reißt nicht ab. Am Dienstag hatte selbst der hauseigene wissenschaftliche Beirat des Verkehrsministeriums das Projekt kritisiert.
Deswegen beantworte ich hier prägnant die wichtigsten Fragen.
Warum ist das Thema wichtig für mich?
Wenn die Autobahnen privatisiert werden, können Reisen in Deutschland sehr teuer werden. In Frankreich zum Beispiel sind die Autobahnen in privater Verwaltung. Dort müssen die Bürger für die Nutzung der Straßen zahlen. Wenn man die Preise aus unserem Nachbarland als Anhaltspunkt nimmt, könnte nach der Privatisierung eine Fahrt von Hamburg nach München pro Auto 60 Euro kosten, zusätzlich zu den Kosten für Benzin, versteht sich. Wie viel es genau kosten wird, würde nach der Privatisierung ein Unternehmen im Alleingang entscheiden. Die Bürger und ihre Volksvertreter hätten dann kein Einfluss mehr darauf.
Was genau ist eine Privatisierung?
Es gibt Dinge, die gehören dem Staat, also uns allen gemeinsam. Wenn der Staat diese Dinge an private Firmen verkauft, spricht man von einer „Privatisierung“. In Deutschland gibt es ein sehr bekanntes Beispiel: das der Deutschen Bahn. Die war ein Staatsunternehmen, ist aber seit Mitte der 1990er Jahre eine privat geführte Firma im Besitz von Deutschland.
Was heißt das im Fall der Autobahnen?
Wie bei der Bahn möchte der deutsche Staat alle Autobahnen in einer privaten Firma bündeln. Diesem Unternehmen würde dann jeder einzelne der 13.000 Autobahn-Kilometer im Land gehören. Es darf, wenn das Gesetz beschlossen wird, andere private Firmen beauftragen, sich um die Autobahnen zu kümmern, sie also auszubauen, zu warten und zu betreiben. Diese Firmen erhalten im Gegenzug das Recht, für eine bestimmte Zeit (meist 30 Jahre) Mautgebühren zu kassieren. Das nennt man öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP). Für die Bundesregierung ist das offiziell keine Privatisierung, weil die Autobahnen ja im Bundesbesitz verbleiben. Aber Gegner sagen, dass die Pläne so weitreichend sind, dass sie einer Privatisierung gleichkommen.
Was spricht für die Pläne der Bundesregierung?
- Bisher herrschte bei der Planung der deutschen Autobahnen oft Stillstand und Chaos, weil da 16 Bundesländer meist gegeneinander statt miteinander arbeiteten.
- Durch die Gesetzesänderung kann die Bundesregierung schneller mehr Geld mobilisieren, um die Autobahnen auszubauen und zu sanieren.
- Private Firmen bauen schneller auf den Autobahnen, weil jeder Tag Baustelle sehr teuer ist. Allerdings dauert dafür die Planung länger.
Was spricht gegen diese Pläne?
- Die Autofahrer müssten sehr wahrscheinlich mehr zahlen.
- Bei der Vergabe der Autobahnnetze gibt es keine Beschränkung von Laufzeit oder Umfang. Es ist theoretisch möglich, alle Autobahnen Baden-Württembergs auf 40 Jahre hinaus abzugeben.
- ÖPP-Projekte sind oft teurer als herkömmliche: In fünf von sechs Fällen hat der bundeseigene Rechnungshof beobachtet, dass die Kosten höher waren.
- ÖPP-Projekte sind oft teurer als herkömmliche: In fünf von sechs Fällen hat der bundeseigene Rechnungshof beobachtet, dass die Kosten höher waren.
- Die Geheimhaltung bei ÖPP-Projekten ist sehr hoch; selbst Abgeordnete erhalten nur mit viel Druck Zugang zu einigen Dokumenten (nicht unbedingt den Verträgen). Die Situation ist wie bei den berüchtigten TTIP-Leseräumen.
- Die entstehende Firma bleibt zwar in Bundeshand, unterliegt aber Privatrecht. Wenn die Firma eine GmbH würde hätte der Staat begrenzten Einfluss. Wenn sie eine AG werden würde, hätte der Staat so gut wie keinen Einfluss.
Wer würde von der Privatisierung profitieren?
Vor allem die großen Bau- und Versicherungskonzerne in Deutschland werben für die Privatisierung im Rahmen von ÖPP. Für sie ist das Modell sehr attraktiv, da sie auf Jahre hinaus mit sicheren, möglicherweise sogar steigenden Einnahmen rechnen können. Dabei kommt die Bewirtschaftung einer Autobahn einer Lizenz zum Gelddrucken gleich, das zeigt das Beispiel Frankreich. Dort kommen die Autobahn-Firmen auf eine Umsatzrendite von 20 bis 24 Prozent, was bedeutet, dass sie von jedem Euro, den sie umsetzen, zum Beispiel als Maut einnehmen, 24 Eurocent als Reingewinn behalten dürfen. Ein so hoher Gewinn ist nur möglich, weil es keinen Wettbewerb gibt; es ist unverdienter Gewinn. Es ist ein Monopol.
Wann wird diese Privatisierung beschlossen?
Gerade verhandeln Bundestag und Bundesrat darüber. Eine Sache ist wichtig: Das ist die größte Infrastrukturreform seit Jahrzehnten – und sie wurde vom Kanzleramt und den Ministerpräsidenten ausgekungelt, ohne vorher Bundestags-Abgeordnete mit einzubeziehen. Da diese Reform Teil eines größeren Gesetzespakets von insgesamt 13 (!) Grundgesetz-Änderungen ist, haben die Volksvertreter eigentlich kaum Zeit, sich ausführlich mit der Materie zu beschäftigen. Das ist deswegen verheerend, weil hier Rechte auf Dauer an eine private Firma abgegeben werden, deren Geschäftsführung wiederum weitgehend autonom arbeitet und so gut wie keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Oder mit anderen Worten: Die Parlamentarier sollen sich selbst entmachten und ihnen wird kaum Zeit gelassen, einen effektiven Widerstand dagegen zu organisieren.
Hat diese Privatisierung Gegner?
Ja, im Bundestag selbst gibt es sehr kritische Stimmen. Der Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler bekämpft das neue Gesetz. Aber auch Mitglieder der regierenden Parteien sind skeptisch. Zum Beispiel Bettina Hagedorn, die für die SPD im Verkehrsausschuss sitzt. Oder auch Swen Schulz, ebenfalls SPD. Außerdem organisieren sich die Gegner auch außerhalb des Parlaments. Die kleine Nichtregierungsorganisation „Gemeingut“ bekämpft die Privatisierung seit Jahren. Gerade versucht sie, die SPD-Basis zu mobilisieren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat eine Petition gestartet.
Kann der Widerstand Erfolg haben?
Ja! Denn zu Beginn gingen die Pläne der Bundesregierung noch viel weiter. Am liebsten hätte Finanzminister Wolfgang Schäuble Teile der neuen Firma direkt an private Firmen verkauft. Dagegen aber stellten sich die SPD und die Bundesländer. Nun ist dieser Plan vom Tisch.
Bildredaktion: Martin Gommel; Produktion: Vera Fröhlich