Im Kampf um die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta steht Thilo Bode weit vorne an der Front. Er hat einen Besteller über das Thema geschrieben, ist unablässig durch die Talkshows der Republik getigert, hat zusammen mit der von ihm gegründeten NGO Foodwatch und den Organisationen Campact und „Mehr Demokratie“ Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen Ceta eingereicht. Und war durchaus erfolgreich. Das Gericht folgte seiner Argumentation in einigen wichtigen Punkten. Als das Magazin Politico ihn porträtierte, nannte es Bode den Mann, „der TTIP erledigt“ hat.
Herr Bode, Sie sind Deutschlands berühmtester TTIP-Kritiker, aber betonen gleichzeitig oft, dass Sie nicht grundsätzlich gegen freien Handel seien. Warum finden Sie Handel denn gut?
Nehmen wir die Lebensmittelversorgung der Welt. Die könnte man sich ohne internationalen Handel gar nicht mehr vorstellen. Länder können nicht selbst alle Nahrungsmittel produzieren. Oder sie könnten es, aber es macht keinen Sinn, etwa wenn das trockene Tunesien Weizen anbaut, der sehr viel Wasser braucht. Es wäre doch besser, wenn das Land Oliven anbaut, um diese anschließend zu exportieren und dann von den Exporterlösen Weizen zu importieren. Internationaler Handel kann nachweislich die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern fördern.
Hat der Handel nicht auch zu sehr großen Ungleichgewichten geführt? Die Probleme, die afrikanische Bauern haben, weil die EU ihre Märkte mit billigen Lebensmitteln flutet, sind ein Beispiel. Auch pfälzische Textilarbeiter, die genauso ihren Arbeitsplatz verloren haben wie US-Amerikaner in den alten Industrieregionen des Landes.
Erstens: Handel bedeutet Wettbewerb und Veränderung der Produktionsstrukturen. Und da gibt es Gewinner und Verlierer. Die Theorie des internationalen Handels geht davon aus, dass die Verlierer entschädigt werden. Weil der Gesamtgewinn durch die Spezialisierung größer wird, könne man einen Teil des Überschusses benutzen, um den Verlierern zu helfen. Das ist aber in vielen Fällen nicht geschehen. Zweitens kann man, gerade in der Dritten Welt, nicht einfach den Freihandel den Ländern überstülpen, ohne den dortigen Industrien überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich in der Aufbauphase gegen überlegene Konkurrenz zu behaupten. Drittens ist es verlogen, wenn die EU den Freihandel predigt, aber durch ihre Landwirtschaftspolitik den Entwicklungsländern nicht die Möglichkeit gibt, ihre Erzeugnisse ungehindert in die EU zu exportieren.
„Es wird immer so getan als wäre die Globalisierung etwas Unabwendbares, das wir nicht gestalten können. Das ist falsch.”
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir beobachten können, wie sich die Debatte über die Verlierer der Globalisierung verändert hat. In den 80er und 90er Jahren stand der globale Süden als ein Opfer des entfesselten Handels im Mittelpunkt. Heute kann man eine direkte Linie vom chinesischen Aufschwung zu Jobverlusten in den USA ziehen. Die Reichen in Europa und Nordamerika werden auch durch den Freihandel immer reicher. Die Ungleichheit steigt. Im Grunde sind es heute auch die ganz normalen Menschen des Nordens, die leiden. Müssen wir da nicht einfach konstatieren: Handel als Idee ist gescheitert.
Das finde ich gar nicht. Nehmen wir die USA, wo es dramatische Jobverluste durch Billigimporte gegeben hat. So etwas muss die nationale Wirtschaftspolitik abfedern.
Es wird immer so getan, als wäre die Globalisierung etwas Unabwendbares, das wir nicht gestalten können. Das ist falsch. Wir können sie natürlich gestalten, und wenn sie bestimmten Interessen dient, wird das auch getan, ganz aktiv. Allerdings primär dort, wo die Gestaltung den Konzernen dient. Zum Beispiel bei den Handelsverträgen der neuen Generation wie TTIP. Zollsenkungen stehen nicht mehr im Mittelpunkt. Ziel ist es vielmehr, „unnötige nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ zu beseitigen. Dazu gehören auch Standards im Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltschutz. Wenn wir heute über internationalen Handel reden, geht es also im Prinzip um den Handel mit Gesellschaftspolitik. Das ist eine völlig neue Ära des internationalen Handels, die erhebliche Risiken für die Menschen und die Demokratie birgt. Darüber muss diskutiert werden. Doch die Befürworter dieser Abkommen weichen dieser Diskussion aus und diskreditieren lieber pauschal alle Kritiker als Freihandelsgegner und Protektionisten.
Das ist Ihr Hauptkritikpunkt an TTIP: Dass das Freihandels-Abkommen benutzt wird, um Ziele zu erreichen, die nur am Rande mit mehr Wohlstand zu tun haben.
Es klingt wie aus der Mottenkiste: Im Grunde ist TTIP ein weiterer Schritt, um den enorm gewachsenen Einfluss internationaler Konzerne noch weiter zu festigen. Die Macht der Konzerne definiert sich heute dadurch, dass sie selbst aktiv die staatlichen Regeln schreiben, die sie binden sollen. TTIP ist der Versuch, diesen ohnehin zu starken Einfluss zu zementieren.
Klassischer Lobbyismus – wir sind ja auch Lobbyisten, für das Allgemeinwohl – das war einmal. Im klassischen Lobbyismus versuchen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, Unternehmerverbände, Gewerkschaften, gemeinnützige Nichtregierungsorganisationen etc. Einfluss auf Regierungsentscheidungen zu nehmen. Das war und ist ein wichtiges Element einer repräsentativen Demokratie, weil es der Regierung ermöglicht, informierte Entscheidungen zu treffen, die dem Allgemeinwohl und nicht einseitig bestimmten Interessengruppen dienen.
Heute ist dieser Prozess pervertiert. Die Regierungen fragen erst einmal bei den Industrievertretern nach, welche Regeln diese akzeptieren würden oder setzen unmittelbar die Gesetzentwürfe um, die ihr von den Anwaltskanzleien der Industrieverbände aufgeschrieben werden. Es gibt ein interessantes Beispiel aus dem Skandal um die Diesel-Abgase. Der Verkehrsminister Alexander Dobrindt legt einen Untersuchungsbericht, den er über die Abgasmanipulationen der Autokonzerne veröffentlichen will, diesen vorher zur Abstimmung vor. Er rechtfertigt dies damit, dass es demokratische Praxis sei, bei derartigen Maßnahmen die Betroffenen vorher anzuhören. Aber warum legt er dann diesen Bericht nicht auch den Umwelt- und Verbraucherverbänden vor, die diejenigen Menschen repräsentieren, deren Gesundheit die Autohersteller mit überhöhten Abgaswerten massiv schädigen?
Immer wieder beklagen Sie den gesonderten Zugang von Konzernlobbyisten und fordern im gleichen Atemzug, dass auch andere Gruppen mehr Zugang bekommen. Mal aus der Sicht der Bürger gesprochen: Was ist denn gewonnen, wenn noch zehn Akteure mehr informellen Zugang bekommen? Unkontrolliert, intransparent?
Lobbyismus muss transparent sein. Aber dies ist nur eine notwendige Bedingung, keine hinreichende. Lobbyregister und ein erleichterter Zugang für NGOs zu den politischen Entscheidern ändert nichts an den grundsätzlichen Machtverhältnissen. Und die sind so, dass die Konzerne im Vergleich zu früher über deutlich mehr Macht verfügen. Ihr gewachsener Einfluss auf die Wissenschaft, die Medien, ihre pure wirtschaftliche Potenz, ihre Möglichkeiten, mit den teuersten Anwälten alle Regulierungsaktivitäten des Staates zu verwässern, hat ihre Position gegenüber der Politik dramatisch gestärkt. Dazu kommt, dass die Konzerne über ihre ganz legale Macht hinaus schamlos Regeln verletzen, wenn es ihnen nützt. Eklatante Beispiele sind Finanzkrise und Dieselgate. Milliarden-Bußgelder bezahlen Konzerne mittlerweile aus der Portokasse. Und warum landet eigentlich keiner dieser Wirtschaftskriminellen im Gefängnis? Es stellt sich die fundamentale Frage für unsere Demokratie: Wollen und können wir diese Machtverhältnisse ändern?
Was würde denn anders werden, wenn beispielsweise auch Greenpeace oder der Naturschutzbund konsultiert würden?
Naja, wir werden ja schon angehört. Im Bundestag zum Beispiel. Aber diese Anhörungen sind in vielerlei Hinsicht eine Farce. Wo werden denn die Entscheidungen gefällt? Woanders. So, wie es jetzt ist, will man den Zustand verwalten, aber nicht an die Machtfrage ran.
Wenn die Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und mit Kanada (Ceta) der Versuch sind, Konzerninteressen festzuschreiben und sie deswegen abgelehnt werden müssen, wie kann eine Alternative aussehen?
Daran arbeiten gerade alle Verbände und Organisationen. Wir haben die Aufgabe, auch etwas Positives vorzulegen. Die Richtung ist klar: Wenn Konzerne Rechte bekommen, muss dies auch mit Pflichten verbunden sein. Außerdem sollten Abkommen dem Allgemeinwohl dienen. Sie müssen das Ziel haben, Verbraucher- oder Umweltstandards global zu verbessern– darüber sprechen bei TTIP oder CETA noch nicht einmal die Befürworter.
Befassen Sie sich denn eingehend mit solchen Alternativen zu den gängigen Handelskonzepten?
Daran arbeiten nicht nur die meisten Organisationen, sondern mittlerweile auch Juristen und Ökonomen, also die Wissenschaft, die diese Diskussion völlig verpennt hat und erst durch die massive Kritik an den Handelsverträgen aufgeweckt worden ist.
„Wir sind uns bewusst, dass wir es nicht bei Kritik belassen können, sondern auch Lösungen vorlegen müssen.”
Woher wissen Sie, dass sich die meisten Organisationen mit alternativen Handelskonzepten befassen?
Wir sind Teil größerer Netzwerke, denen auch Organisationen wie Mehr Demokratie, Campact, Powershift, die Umweltverbände oder auf EU-Ebene die Organisation CEO angehören. Wir sind uns bewusst, dass wir es nicht bei Kritik belassen können, sondern auch Lösungen vorlegen müssen. Die Kernfrage ist: Wie müssen Handelsabkommen der Zukunft aussehen?
Gibt es feste Treffen?
Diese Diskussionen sind nicht formalisiert. Sie entsprechen der Vielfalt der Organisationen und der Vielfalt der Thematik. Im Wesentlichen werden diese Diskussionen innerhalb der Bündnisse Stopp TTIP und Unfairhandelbar in unterschiedlicher Zusammensetzung geführt. Das Komplizierte dabei ist, dass man gleichzeitig über die Rolle von Europa reden muss. Freihandel und die Europa-Frage hängen zusammen, denn mit dem Lissabon-Vertrag wurde die Zuständigkeit für die Handels- und Investitionspolitik an die EU übertragen. Aber kaum jemandem war bewusst, dass damit viel mehr als Zölle gemeint sind. Es ist schon sinnvoll, dass sich die EU um Außengrenzen und um Zölle kümmert. Wenn es um den Rest geht, um Entscheidungen, die tief ins tägliche Leben der Menschen eingreifen, muss man über die Aufteilung der Zuständigkeiten reden. Das kann nicht so beiläufig in die Kompetenz der EU übergehen. Da nehmen Sie die Leute nicht mit.
Die EU ist ja aber gar nicht Ihr Kernbereich bei Foodwatch. Sie sind keine EU-Organisation. Wie wollen Sie denn die Aufgabe angehen, Europa in diesen Zeiten zu verändern?
Es ist absolut unser Kernbereich. Vielleicht sogar mehr als jeder andere. Es gibt keinen anderen Wirtschaftssektor in der EU, der derartig harmonisiert ist, wie der Lebensmittelbereich. Praktisch alles wird in Brüssel entschieden, selbst die Schriftgröße auf den Etiketten.
Sehen Sie eine Chance, dass Sie sich als TTIP-Bündnis wandeln können in ein Bündnis, das für eine große Reform der EU streitet?
Damit übernehmen wir uns. Wir können aber wichtige Impulse geben. Wir müssen ehrlich darüber reden, was die EU kann und was sie nicht kann, wo sie im Sinne des Allgemeinwohls funktioniert und wo nicht. Die Zivilgesellschaft kann die Bereitschaft für Veränderung erhöhen. Das haben wir mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada erreicht, deren indirekte Wirkungen viel wichtiger waren als das, was tatsächlich entschieden worden ist. Denn plötzlich haben uns die Leute ernst genommen. Vorher haben wir gesagt: TTIP gefährdet die Demokratie und alle haben uns als Panikmacher hingestellt. Doch wie ernst das Verfassungsgericht diese Verhandlungen geführt hat, das hat uns mehr Reputation gegeben. Aber es ist auch bitter, dass man bis zum Verfassungsgericht gehen muss, um überhaupt ernst genommen zu werden.
Von wem fühlten Sie sich nicht ernst genommen?
Von unseren Kritikern, von der Regierung, aber auch von einigen Medien. Muss ich leider sagen. Das hat manche gar nicht richtig interessiert, dass es so etwas wie Kontrollgremien gibt, die überhaupt nicht angebunden sind an unsere demokratischen Prozesse, dass es eine regulatorische Kooperation gibt.
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben keine Macht, wir haben bestenfalls so viel Einfluss, dass wir Diskussionsprozesse anstoßen. Dafür brauchen wir die Medien. Andere sitzen am längeren Hebel. Wenn ich mir nur mal jene Gesetze anschaue, die wir zur Verbesserung der Zustände durchgebracht haben – das ist nicht nur eine Erfolgsstory. Wichtig ist es, dass wir Schlimmeres verhindert haben – aber es ist schwer, Ihnen das als Erfolgsstory zu verkaufen.
Glauben Sie, dass den 340.000 Menschen, die ihre Facebook-Seite geliket haben oder gegen TTIP auf der Straße waren, bewusst ist, dass ihre Bewegung im nächsten Schritt nach Brüssel gehen müsste, dass sie sich wandeln müsste, in eine Bewegung, die die EU verändern will?
Das wird nicht passieren, weil Änderungen in Europa immer noch durch nationale Öffentlichkeiten befördert werden. Es gibt ja keine europäischen Medien, und wir als NGOs können nur über die Medien agieren. Wenn wir in Brüssel beim Kommissar vorstellig werden, dann erzählen wir dem etwas, und nachher kommen die Vertreter von Unilever, Nestle und Dr. Oetker anmarschiert und machen den Deal. Da haben wir wenig Einfluss.
„Ich würde es natürlich begrüßen, wenn wir unsere Stimme noch einflussreicher zur Geltung bringen könnten, auch bei der Frage, wie Europa aussehen muss.”
Dabei sind Sie gegen TTIP schon geschickt vorgegangen und haben ein Büro in Paris aufgemacht. Ihnen war klar, wenn es Ihnen auch gelingen würde, die Stimmung in Frankreich zu drehen, dann kann TTIP wirklich nicht mehr kommen. Ist nicht auch das Gleiche jetzt denkbar? Sie nutzen ihre Ressourcen und gehen nach Frankreich, in die Niederlande, nach Polen, nach Italien, in die großen Kernstaaten und schieben etwas an, um die EU zu verändern.
Viele NGOs haben sehr viele Ressourcen in Brüssel konzentriert, und da spielen sie im allgemeinen Lobbyzirkus mit. Das ist mit Sicherheit wichtig, aber die Frage ist, ob man als kleine Organisation wie Foodwatch nicht lieber einen Campaigner mehr in Frankreich hat als ein Büro in Brüssel. In Frankreich können wir die Öffentlichkeit mobilisieren, die Parlamentarier mit Informationen ausstatten, die diese dann in die EU tragen.
Für uns ist es wichtig, in Frankreich zu sein und dort die Stimmung zu drehen, auch wenn uns das noch nicht einmal im Ansatz gelungen ist. Das Land ist stark polarisiert, in Links und Rechts. Das macht es schwerer für uns. In Deutschland ist der Protest aus der bürgerlichen Mitte gekommen. Unsere Umfragen zeigen: Auch als die Unterstützung für TTIP in den Keller rauschte, blieb die generelle Unterstützung für internationalen Handel bei 80 Prozent. Die Menschen hatten also verstanden.
Trotzdem hat man uns immer vorgeworfen, dass wir doch gegen Handel seien. Wir müssen uns aber nicht nur gegen diese Diskreditierungen wehren, sondern auch gegen Vereinnahmungen von der falschen Seite. Wenn wir sagen, wir sind gegen TTIP, dann sagt einer von der AfD: „Foodwatch ist genau der Meinung wie wir.“ Das darf uns jedoch nicht davon abhalten, trotzdem unsere Meinung zu sagen.
Es ist ja überhaupt erst möglich, Sie in die Ecke der neuen Rechten zu schieben, weil Sie das gleiche Ziel haben wie sie: TTIP zu verhindern. Aber sie haben unterschiedliche Motivationen…
… wenn ich widersprechen darf: Wir haben auch unterschiedliche Ziele, denn wir sind nicht für Nationalstaaterei, sondern für gerechte Globalisierung. Das wollen manche offenbar nicht verstehen. Selbst in der Süddeutschen Zeitung wurde argumentiert: Ziele gleich, Akteure gleich.
Ich habe mir die Kommunikation von Campact, von Foodwatch angeschaut und habe vergleichsweise wenig von den größeren gesellschaftlichen Werten, für die diese Organisationen stehen, gesehen – und die Sie von den neuen Rechten unterscheidet. Mir ist klar, dass der Schlachtruf „Stopp TTIP“ mehr Emotionen rauskitzeln kann. Aber haben Sie es versäumt, sich der großen gesellschaftspolitischen Herausforderung zu stellen?
Das machen wir auf unsere Weise. Die Kampagnen selbst müssen immer mit verkürzten Botschaften auskommen, sie müssen auch Emotionen wecken. Das ist in dieser Zeit besonders schwierig, denn, wenn man sagt, man sei gegen die Politik oder kritisiert, wie unsere Demokratie gerade funktioniert, bekommt man den Vorwurf zu hören, dass man „in das Horn der Populisten blasen“ würde.
Aber die Kampagnen müssen natürlich empirisch und wissenschaftlich solide unterlegt sein. Wenn Sie mal auf unsere Website schauen, dann finden Sie dort unsere zum Teil sehr theoretischen Auslassungen zum Thema. Ich würde es natürlich begrüßen, wenn wir unsere Stimme noch einflussreicher zur Geltung bringen könnten, auch bei der Frage, wie Europa aussehen muss. Allerdings, das muss ich zugeben, müssen wir uns selbst auch noch fitter machen. Und wir sind halt nicht diejenigen, die gefragt werden, wenn es um eine Reform der EU geht.
Seit ein paar Jahren nehmen, in relativen Zahlen, die globalen Warenströme ab. Einige Stimmen sagen schon, dass wir in der Post-Globalisierungs-Ära ankommen. Ist der Freihandel am Ende?
Nein, gar nicht. Der Handel zwischen den USA und der EU hat sich konstant entwickelt. Ich glaube aber auch nicht, dass wir wieder zu einer protektionistischen Welt zurückkommen. Ich glaube auch hier – konsequenterweise - an den Einfluss der Konzerne. Sie wollen den Freihandel und werden für ihn kämpfen, nach ihren Regeln.
Aber welche anderen, lauten Stimmen gibt es denn zurzeit, die sagen: Wir brauchen Handel.
Ich kann Ihnen nur sagen: 85 Prozent der Organisationen, die gerade unterwegs sind, sind für Handel, nur für einen anderen Handel. Diese Stimme dringt aber nicht durch. Und die Industrie hat kein Interesse an einer offenen Debatte. Die hat eine andere Agenda. Die Medien wiederum greifen unsere Forderungen nicht auf: Wo werden denn diese Debatten geführt, über alternative Handelsabkommen oder ein neues Europa?
Würden Sie dafür vors Kanzleramt ziehen?
(lacht) Ich glaube, es gäbe keine weniger erfolgreiche Aktion, als mich ans Kanzleramt zu ketten und auf einem riesigen Banner zu fordern: „Debatte bitte!“ Jedes Ziel braucht seine eigenen, passenden Mittel. Wenn es nicht passt, dann muss ich es anders machen.
Fotos: Martin Gommel; Redaktion: Esther Göbel; Produktion: Vera Fröhlich.