Und plötzlich war der österreichische Bundeskanzler Christian Kern ein Kommunist. Das warf ihm ausgerechnet sein Koalitionspartner und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vor. Der konservative Politiker hatte gesagt: „Ich erkenne hier Tendenzen eines realen Sozialismus mit menschlichem Antlitz.” Was dem Sozialdemokraten Kern diesen Vorwurf eingebracht hatte? Eine alte Idee.
Der frischgebackene Bundeskanzler fordert die Einführung einer Maschinensteuer – je nach politischer Gesinnung auch Wertschöpfungsabgabe oder Digitalisierungsdividende genannt. „Heute finanzieren wir unseren gesamten Sozialstaat über Lohnnebenkosten”, sagt Kern. „Die digitale Disruption führt aber dazu, dass – überspitzt gesagt – jeder, der heute einen Schreibtisch vor sich hat, zu einer gefährdeten Spezies gehört.” Die Abgabe auf die Arbeit von Maschinen soll gleichzeitig die Lohnnebenkosten senken und den Sozialstaat retten.
Seit den 1970er Jahren wird eine Steuer auf Maschinen immer wieder diskutiert, aber nie im großen Rahmen umgesetzt. Die prinzipielle Überlegung dahinter ist schnell erklärt: Wenn ein Angestellter in einem Betrieb arbeitet, muss er von seinem Lohn Steuern und Sozialabgaben bezahlen. Auch der Arbeitgeber liefert einen Anteil für Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung ab. Wenn aber Menschen in Fabriken und Büros zunehmend durch Maschinen ersetzt werden – so die Befürchtung hinter der digitalen Disruption – sinken die Einnahmen und steigen die Kosten des Sozialstaats. Gleichzeitig gehen die Profite und der Wert der Unternehmen in die Höhe. Ein Beispiel dafür: Das wertvollste Unternehmen war 1996 General Electric mit 239.000 Mitarbeiter und einem Börsenwert von 209 Milliarden Dollar (inflationsbereinigt). 2016 ist Apple das wertvollste Unternehmen mit 606 Milliarden Dollar (Stand: 4.10.2016) Marktkapitalisierung und nur rund 100.000 Mitarbeitern. Während das Topunternehmen heute mehr als dreimal so viel wert ist wie General Electric vor 20 Jahren, beschäftigt es weniger als halb so viele Menschen. Es gibt viele Gründe für den Erfolg von Apple, aber dennoch zeigt dieser Vergleich, dass heute viel weniger Menschen viel mehr Kapital erwirtschaften können.
Zwar zapft die Körperschaftsteuer auch die Gewinne an, doch immer öfter entziehen sich die internationalen Konzerne ihrer Steuerpflicht. Dagegen könnte eine Maschinensteuer helfen: Je nach Modell sollen Maschinen bzw. der von ihnen erwirtschaftete Ertrag taxiert werden.
„Industrie 4.0“ – die vernetzte, halbintelligente Produktion von Gütern kommt
Heute schon ist jeder zehnte Arbeiter in der deutschen Automobilindustrie ein Roboter. Digitalisierung, Deep Learning, künstliche Intelligenz und Big Data verheißen der Industrie eine vierte Revolution.
In zehn bis 20 Jahren könnten laut einer Studie der Wissenschaftler Frey und Osborne schon 47 Prozent der Jobs in den USA von Maschinen erledigt werden. Die Studie hat medial für großes Aufsehen gesorgt, ist aber in Wissenschaftskreisen umstritten (mehr dazu hier). Nur weil Maschinen potentiell eine Aufgabe erledigen können, heißt das noch lange nicht, dass wir Menschen das wollen und dass dies auch passieren wird. So könnten wohl heute schon Maschinen statt Kellner unsere Bestellung im Restaurant korrekt aufnehmen, dennoch bevorzugen wohl die meisten einen Mensch gegenüber einem Automaten. Doch niemand kann die Zukunft vorhersagen.
Oliver Bendel ist einer der glaubt, dass uns ein großer Umbruch bevorsteht. Statt Angst zu haben, sieht er die Robotisierung als Chance. Der Schweizer Wirtschaftsinformatiker beschäftigt sich hauptsächlich mit ethischen Fragen, mit denen Roboter konfrontiert sind und wurde schon vom Bundestag zur Auswirkung von Industrie 4.0 befragt. Bendel ist sich sicher: In den nächsten 20 Jahren steht ein großer Umbruch bevor. Roboter, Softwareagenten und intelligente Systeme werden eine Vielzahl von Tätigkeiten übernehmen.
„Erstmals sind von der Automatisierungswelle auch Bürojobs betroffen“, sagt Bendel. „Auch die kreativen Berufe sind nicht mehr sicher. Mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz sollen beispielsweise Autos designt werden.“ Fabriken mit Hardwarerobotern sind nach wie vor teuer zu bauen. Aber Software-Roboter, die zum Beispiel redaktionelle Artikel an Stelle von Journalisten schreiben könnten, sind vergleichsweise billig und lassen sich auch leicht reproduzieren.
In der Finanzindustrie sieht man schon die Vorboten, wie uns der Krautreporter-Leser und ehemalige Banker Sebastian geschildert hat: Die Schweizer Investmentbank UBS ersetzte schon 2012 gut bezahlte Trader durch Software. Davor handelten Menschen mit dem Finanzprodukt Credit Default Swaps. Doch dann entschied die Bank, dass Algorithmen Positionen bis etwa fünf Millionen Euro abzusicherndem Ausfallrisiko alleine handeln dürfen. Der Grund: Da der Handel zu kleinteilig ist, sind die Kosten für gut bezahlte menschliche Trader zu hoch.
Bendel, der sich selbst als robo-links bezeichnet und ein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens ist, sieht den Wandel als Chance. „Mir ist das Wichtigste, dass die Gewinne der Roboterfabriken gerecht verteilt werden“, sagt der Wirtschaftsinformatiker. „Warum sollten wir nicht die Hälfte arbeiten und die andere Hälfte erledigt der Roboter?“ Man sollte sich aber nie ganz auf die Maschinen verlassen, da sonst Fertigkeiten und Kenntnisse verloren zu gehen drohen. „Wir sollten immer neben dem Lift auch die Treppe haben, um auf die Kompetenzen der Menschen zurückgreifen zu können“, sagt Bendel.
1978 vs. 2016
Die Angst, dass die Maschinen die Menschen arbeitslos machen, ist nicht neu, wie die Titelseiten des Nachrichtenmagazins Der Spiegel von 1978 und 2016 zeigen. Schon zu Beginn der Industrialisierung, als sich viele europäische Länder von Agrar- zu Industriegesellschaften veränderten, stemmten sich Menschen gegen die Maschinen. Die Textilbranche wandelte sich als eine der ersten radikal vom Handwerks- zum Industriezweig. Der elektrische Webstuhl raubte Webern und Spinnern Status und Einkommen. Diese organisierten sich, stürmten die Fabriken, um mit der Maschine ihren Feind zu zerstören. Die verzweifelten Maschinenstürmer waren aber nur ein kurzer Stolperstein für die unaufhaltsame Innovationswelle.
Ich frage mich: „Wenn uns schon lange all diese Maschinen die Arbeit wegnehmen, wieso sind wir dann noch immer nicht arbeitslos?“ Alle Wirtschaftsforscher, denen ich diese Frage stelle, geben mir ungefähr die gleiche Antwort: Durch Innovationen würden zwar kurzfristig Arbeitsplätze verloren gehen, langfristig entstehen aber neue Jobs mit höherer Produktivität. Diese verlangen zwar bessere Qualifikationen, werfen aber auch mehr Lohn ab. So gibt es beispielsweise seit der Einführung des Computers kaum mehr Schreibkräfte, dafür sind unzählige höher qualifizierte Bürojobs entstanden.
In der Wirtschaftswissenschaft heißt es, dass vor allem der Einsatz von Kapital – also neuen Maschinen – Wohlstand schafft. „Wachstum ist in erster Linie über Kapital möglich,“ sagt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. „Früher waren es der Pflug, der Traktor, die Webstühle, das Fließband, der Computer und jetzt eben Roboter.“ Politiker links wie rechts sind sich einig, dass die Wirtschaft mehr Investitionen braucht. „Das künstlich zu unterdrücken, wäre gegen jede Vernunft,“ sagt Heinemann. Wenn Maschinen stärker besteuert werden, könnte das den Einsatz neuer Technologien hemmen. „Eine solche Steuer, die auf Maschinen oder Anlagen abzielt, konserviert Strukturen, weil es Investitionen in Innovationen bestraft,“ sagt Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört.
Nicht nur Arbeit sollte besteuert werden, meinen Experten
Niemand kann heute seriös prognostizieren, wie sehr die neuen Roboter unsere Arbeitswelt verändern werden. Doch die meisten Forscher glauben nicht an das Extremszenario. Der Wirtschaftssoziologe Hartmut Hirsch-Kreinsen von der Technischen Universität Dortmund vermutet lediglich einen moderaten Wandel, der zum langfristigen Trend von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft passt. Für den Wirtschaftsforscher Walwei ist das viel größere Risiko, dass unser Bildungssystem nicht mithalten könne, wenn die offenen Stellen nicht zu den Qualifikationen passen. „Wir werden keine gewaltigen Einbrüche in der Lohnsumme haben,“ legt Walwei sich fest.
Ob Extremszenario oder moderater Wandel, auf die Gesellschaft kommen in jedem Fall Probleme zu, meint der österreichische Kanzler. „Roboter und Sensorkassen werden dazu führen, dass es von 300.000 Jobs im Einzelhandel eine sechsstellige Zahl sehr bald nicht mehr geben wird”, sagt Kern. „Aus diesen 40- bis 50-jährigen Supermarktkassiererinnen werden wir keine Raketenwissenschaftler oder Computeringenieure machen können.”
Auch wenn wir Menschen in Zukunft weiter roboten gehen müssen, begrüßen alle meine Gesprächspartner die Debatte über eine alternative Besteuerung. „Die fast ausschließliche Finanzierung des Sozialsystems über den Faktor Arbeit reicht nicht aus; es wird neue Instrumente brauchen“, sagt Hartmut Hirsch-Kreinsen, der zu Industrie 4.0 forscht. „Grund- und Erbschaftssteuern wären ökonomisch sinnvollere Instrumente zur Entlastung des Faktors Arbeit als die Maschinensteuer,“ schlägt Heinemann vor. Denn anders als bei Investitionen ist dort die Bemessungsgrundlage nicht flüchtig. „Man versucht ja Steuern dorthin umzuschichten, wo sie ökonomisch keinen Schaden anrichten können“, sagt er.
Eine Maschinensteuer „light“ könnte ein tragfähiger Kompromiss sein
Derweil hat in Österreich ein unbekannter Parlamentsmitarbeiter ein Modell einer Wertschöpfungsabgabe ausgetüftelt, das sogar den Wirtschaftswissenschaftlern gefallen könnte. Pate stand dafür das europaweit bisher einzige Modell einer Wertschöpfungsabgabe, die regionale IRAP-Steuer in Italien (hier Informationen auf Deutsch von der italienischen Provinz Südtirol).
Die Finanzierung der Familienbeihilfe – dem österreichischen Äquivalent zum Kindergeld – will das Modell von Fraktionssekretär Georg Ortner auf eine breitere Basis stellen und nicht nur Arbeit besteuern. Insgesamt soll der Fiskus nicht mehr oder weniger einnehmen, aber durch die Senkung von Lohnnebenkosten würden beschäftigungsintensive Branchen wie der Handel entlastet werden, während andere Sektoren mehr zahlen müssten. Heute überweisen die österreichischen Arbeitgeber 4,5 Prozent der Summe der ausbezahlten Gehälter als Abgabe an den Staat. Das SPÖ-Modell sieht vor, die Beiträge auf drei Prozent zu senken, aber dafür in die Bemessungsgrundlagen neben den Personalkosten auch Gewinn und Fremdkapitalzinsen mit einzubeziehen. So würden sich die viel diskutierten „Lohn-Nebenkosten” zu Nebenkosten des Wertschöpfungsprozesses wandeln. Wer also mit wenig Mitarbeitern und viel Kapitaleinsatz einen hohen Gewinn erwirtschaftet, würde draufzahlen.
Für den Staat sollen die Einnahmen gleich bleiben, während das Modell einzelne Unternehmer belastet und andere entlastet. Mit anonymisierten Daten aus Steuererklärungen hat Ortner nachgerechnet, welche Branchen betroffen sind: Die Industrie, das metallverarbeitende Gewerbe, der Handel und das Bauwesen hätten geringere Kosten. Höhere Kosten hätten dagegen Anwälte, Steuerberater, Banken oder der Großhandel – also kapitalintensive Branchen mit relativ hohem Gewinn bei wenigen, hochqualifizierten Mitarbeitern. Für Ein-Personen-Unternehmen sollte es einen Freibetrag geben.
Insgesamt also eine Gleichung, die perfekt zu einer sozialdemokratischen Partei passt. Auch könnte das relativ kleine Segment der Finanzierung ein Experimentierfeld sein, um neue zukunftsfitte Wege des Steuer-und-Abgaben-Mixes zu testen. Doch jeder Kenner der österreichischen Politik weiß, dass diese Idee eine politische Totgeburt ist. Niemals würde der konservative Koalitionspartner den Sozialdemokraten einen solchen Erfolg gönnen. Eher dreht sich noch Karl Marx im Grab um, ob des falschen Vorwurfs, Christian Kern sei Kommunist.
Illustration: Sibylle Jazra, Redaktion: Esther Göbel und Rico Grimm, Produktion: Rico Grimm.