Als meine Eltern so alt waren wie ich, lebten sie in einer engen, verstaubten Welt voller gesellschaftlicher Konventionen und Zwänge. Bedroht durch den Kalten Krieg, eingeengt vom Eisernen Vorhang, umgeben von Grenzkontrollen. Ich hingegen kann mit meinem Pass viele Länder bereisen und lebte schon auf drei Kontinenten.
Niemand tuschelt mehr, wenn Mann und Frau unverheiratet zusammenleben und Kinder haben. Die Nacht zum Tag zu machen, Unterhaltung auf Knopfdruck, Essen auf Bestellung: Heute alles selbstverständlich. In meiner Wohnung unterhalten mich – ich habe nachgezählt – neun Screens (und das ohne die blinkenden LED-Ziffern beim Backrohr) mit Musik, Filmen, Fotos oder Internet. Ja, eine Eigentumswohnung kann ich mir wohl nie leisten. Aber auch wegen meiner Lebensentscheidungen: Ich wollte immer schon lange studieren, einen Job, der mich fasziniert, und eine Work-Life-Balance, die es mir erlaubt, auch mal an einem Donnerstag verkatert aufzuwachen.
Immer wieder stoße ich darüber: Die Millennials (gemeint sind all jene zwischen 1980 und circa 1995 geborenen, die zur Jahrtausendwende jung waren) wären die erste Generation seit Ewigkeiten, der es auch ohne Krieg materiell schlechter gehen wird als ihren Eltern. Es ist das subtile Gefühl, dass es bergab geht und wir schlechten Zeiten entgegenblicken. Aber stimmt das?
Wenn es wahr ist, wäre es ein historischer Bruch. Evolutionär streben die Menschen stets danach, dass es ihre Nachkommen besser haben werden. Über weite Teile der Geschichte gab es – mit der Ausnahme von Kriegen und Katastrophen – auch diesen Fortschritt. In kleinen, mühseligen Schritten verbesserten sich über Generationen die Häuser, wurde das Essen besser und mehr, häufte sich Wissen an und wurde weitergegeben. Warum sollte es jetzt anders sein? Gibt es nicht zahlreiche Statistiken, die belegen, dass ich und meine Generation es besser haben als meine Eltern? Also besser als die sogenannten Babyboomer kurz nach dem Zweiten Weltkrieg (Jahrgänge 1959 bis 1965), die ihr ganzes Leben lang einen steten, rasanten Aufstieg erlebten?
Genau diese Statistiken habe ich gesucht. Da die Welt aber nicht nur schwarz oder weiß ist, habe ich mich auch auf die Suche nach der Antithese gemacht: Gibt es Zahlen, die belegen, dass die Eltern ihren Kindern eine schlechtere Welt hinterlassen? Den pessimistischen Artikel kann man hier lesen.
Ich schreibe zwei Artikel, denn ich glaube, es ist ein Leichtes, eine Seite auszublenden und nur nach Argumenten zu suchen, die einer vorgefassten These recht geben. Die beiden Artikel sollen aber weder alarmistisch noch verharmlosend sein, sondern gemeinsam als These und Antithese ein genaueres Bild liefern und Aufschluss darüber geben, wie es um meine Generation wirklich bestellt ist. Es geht nicht um Schwarz, es geht nicht um Weiß, sondern um das Grau dazwischen. Damit breche ich bewusst mit einer journalistischen Konvention und wage das Experiment, den Lesern und Leserinnen keine eindeutigen Antworten zu geben. (Nebenbei ist dies auch ein kleiner Anschauungsunterricht: Glaube nicht jeder Zahl. Egal für welches Argument, eine Statistik findet sich immer.)
Mit besser beziehungsweise schlechter meine ich ein allgemeines Empfinden, dass sich nicht genau definieren lässt. Letztlich bleibt eine persönliche Einschätzung, welche Faktoren man für relevant hält. Ich habe Zahlen recherchiert, in denen sich jeweils ein relevanter Sachverhalt eindeutig verbessert oder verschlechtert hat.
Gründe, wieso es meiner Generation besser geht:
In unserer Gesellschaft werden zwar sehr viele Daten gemessen und erhoben, doch gibt es erstaunlich wenige Antworten auf die simple Frage, ob es uns besser geht als unseren Eltern. Einerseits fehlen lange Zeitreihen, andererseits ist ein Vergleich aufgrund der früheren innerdeutschen Teilung oft schwer möglich. Inflation, sich verändernde Kaufkraft und schwankende Wechselkurse erschweren einen historischen Vergleich der Lebensumstände. Fortschritt, beispielsweise in der Medizin oder in der Technik, verzerren das Bild zusätzlich.
1. Grund: Wir haben höhere Einkommen
Ganz prinzipiell: Die Einkommen und Gehälter sind in den letzten 30 Jahren massiv gestiegen. Von 1980 bis 2015 hat sich das durchschnittliche Einkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland mehr als verdoppelt. Gleichzeitig hat die Inflation das Geld aber auch entwertet; für 1 Euro (bzw. 2 DM) kann man heute weniger kaufen als 1980. Doch ein Blick auf die Statistik des US Bureau of Labor Statistics zeigt, dass wir immer kürzer arbeiten müssen, um uns Produkte des täglichen Lebens leisten zu können:
Auch wenn es sich um amerikanische Zahlen handelt, lassen sich die Schlüsse auf Deutschland übertragen: Für eine Arbeitsstunde eines Arbeiters konnte man 1984 noch 6,7 Dutzend Eier, 1,45 Kilogramm Butter oder 1,27 Kilogramm Schweinekoteletts kaufen. 2003 (neueste Zahlen) bekam man für eine Arbeitsstunde 12,3 Dutzend Eier, 2,45 Kilogramm Butter oder 2,22 Kilo Schweinekoteletts.
2. Grund: Wir leben immer länger
Das zweite Argument, das die These von einem besseren Leben für die Millenials stützt: Seit Jahrzehnten steigt die Lebenserwartung in Deutschland und in den meisten anderen Ländern der Welt kontinuierlich an. Denn wir haben eine immer bessere medizinische Versorgung, ernähren uns ausgewogener und leben ganz allgemein gesünder. Für die Zukunft rechnet das Statistische Bundesamt, dass die Lebenserwartung bis 2060 auf 84,8 Jahren für Männer und 88,8 Jahren für Frauen steigt.
Nicht nur insgesamt leben wir immer länger, auch bestimmte Krankheiten verlaufen immer seltener tödlich: So steigt zwar beispielsweise aufgrund der gesteigerten Lebenserwartung die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung, gleichzeitig aber müssen daran seit 1990 immer weniger Menschen in Deutschland sterben.
3. Grund: Weniger körperliche Schwerstarbeit
Immer weniger Menschen arbeiten in der Landwirtschaft (primärer Sektor) oder in der produzierenden Industrie (sekundärer Sektor). Gleichzeitig sind immer mehr in Dienstleistungen und Büros tätig. Vielleicht werden manche dies wehmütig bedauern, aber es bedeutet vor allem auch, dass immer weniger Menschen in Deutschland körperliche Schwerstarbeit leisten müssen. Auch dadurch leben wir gesünder und länger.
4. Grund: Immer weniger sterben im Straßenverkehr
Die Zahl der Toten im Straßenverkehr ist von 1980 bis 2014 in Deutschland massiv gesunken. Starben im 1980 noch 164,7 Menschen pro einer Million Einwohner, waren es 2014 nur noch 41,7 Menschen. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass heute um 84 Prozent mehr Kilometer mit dem Auto gefahren werden. Die Gründe für die gesunkene Opferzahl im Straßenverkehr: sicherere Straßen, bessere Gesetze (Gurtpflicht), sicherere Autos (Airbags), strenge Kontrollen und Regeln (Punkteführerschein, Alkoholkontrollen) und vorsichtigeres Fahren. Das heißt, durch eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten wurde dieses Ziel erreicht.
5. Grund: Unsere Technik wird immer besser
Exemplarisch für den technischen Fortschritt steht das Moore’sche Gesetz: Alle zwei Jahre verdoppelt sich demnach die Rechenleistung von Computerchips. Dieses exponentielle Wachstum, das Gordon Moore 1965 vorhergesagt hatte, ist eine Grundkonstante der digitalen Revolution, die uns Computer, Handys und vieles mehr gebracht hat. Dabei handelt es sich nicht um ein Naturgesetz, sondern um eine ungefähre Faustregel, mit der bis heute Chiphersteller ihre Produktion vorausplanen.
Aber nicht nur ist die Rechenleistung gewachsen, die Kosten sind auch gesunken. Das obige Diagramm zeigt das exponentielle Wachstum der Rechenleistung pro Sekunde pro 1.000 Dollar. Ein Beispiel für die rasante Entwicklung: Die geschätzte Rechenleistung eines durchschnittlichen Laptops aus dem Jahr 2013 entspricht dem rechenstärksten Supercomputer der Welt, den es Mitte der 1990er gab.
Bessere Rechenleistung bedeutet natürlich nicht gleich besseres Leben. Jedoch eröffnet der technische Fortschritt in Verbindung mit den rasant schrumpfenden Preisen zahlreiche neue Möglichkeiten. Durch Computer und das Internet ist die Welt ein gutes Stück kleiner (weltweite Kommunikation!), unterhaltsamer (Netflix!) und bequemer (Onlineshopping!) geworden.
6. Grund: Wir sind zufriedener
Auch wenn Pegida oder Kommentare in den sozialen Medien anderes vermuten lassen: Die Deutschen werden immer zufriedener. Laut Eurobarometer-Zeitreihe waren 1980 17 Prozent der Deutschen mit ihrem Leben „sehr zufrieden“. 2015 waren fast 33 Prozent „sehr zufrieden“. 13 Prozent gaben 1980 an, „eher nicht zufrieden“ oder „überhaupt nicht zufrieden“ zu sein; 2015 sank deren Anteil auf 8 Prozent.
Fazit
Anders als bei den pessimistischen Statistiken (hier nachlesen, fiel es mir viel leichter, Daten zu finden, die zeigen, dass es uns heute besser geht als den Babyboomern. Natürlich hat dies auch mit der Datenlage zu tun: Positive Statistiken werden eher angepriesen und veröffentlicht als pessimistische Zahlen.
In vielen Bereichen wie Gesundheit, Sicherheit, Technik oder Einkommen wurden in Deutschland riesige Fortschritte gemacht. Die Recherche stimmt mich optimistisch: Ich glaube nicht, dass es meiner Generation insgesamt schlechter ergeht als meiner Elterngeneration. Aber es ist auch nicht alles besser geworden.
Für viele künftige Problemfelder wie den Klimawandel oder die Rentenfalle gibt es bisher noch kaum Daten zu den Auswirkungen. Deshalb kommen sie in diesem Artikel auch nicht vor. Vielleicht hilft der Blick zurück: Wer erinnert sich noch an die Schreckensmeldungen vom Sauren Regen oder vom wachsenden Ozon-Loch? Dass Wissenschaftler und Umweltschützer damals Alarm geschlagen haben, war entscheidend dafür, dass diese Probleme bekämpft wurden. Seit Jahren wird der Regen nicht saurer, sondern weniger sauer. Das Ozonloch wird kleiner. Die richtigen Maßnahmen haben gegriffen. Ob die Menschheit bei anstehend Problemen wieder die richtigen Lösungen finden wird, wird sich zeigen. Ich will es einmal annehmen.
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