Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie beim Bäcker bloß zwei Brötchen bezahlen wollen, im Supermarkt die Banane und den Joghurt, am Kiosk das Wegbier, im Taxi die kurze Fahrt nach Hause – und dann feststellen, dass im Portemonnaie nur noch ein Fünfzig-Euro-Schein steckt? Dieses Gefühl, dass es mit der Freundlichkeit gleich ganz schnell vorbei sein wird, wenn Sie für den kleinen Einkauf den großen Schein über die Theke (oder den Sitz) reichen? In der Hoffnung, dafür allenfalls ein bisschen beschimpft oder angeächzt zu werden?
„Bargeld lacht“, behauptet eine bekannte Redensart. Aber nicht, wenn es braun-orange ist und 48 Euro Rückgeld erfordert. Dann macht es schlechte Laune.
Seit mehreren Monaten diskutieren die Deutschen hitzig darüber, ob das Bargeld abgeschafft werden darf. Die Europäische Zentralbank hat entschieden, keine 500-Euro-Scheine mehr zu drucken, um Kriminalität einzudämmen. Im nordrhein-westfälischen Städtchen Kleve verzichten Händler auf Ein- und Zwei-Cent-Münzen und runden die Einkaufsbeträge der Kunden an der Kasse auf oder ab. Aber niemand stellt die verflixten Fünfziger in Frage, die Geldautomaten in einer Tour ausspucken, obwohl Händler es hassen, sie wechseln zu müssen – weil ein Naturgesetz es so will dass man immer schon der dritte Kunde ist, der heute damit zahlt. Die Läden haben den Ärger, der Kunde das schlechte Gewissen – und der Geldautomat beim nächsten Mal trotzdem wieder: neue Fünfziger.
Warum ist das so?
Ist gar nicht so, sagen Leute, die es wissen müssen. „Derzeit können wir nicht beobachten, dass Händler vor der Annahme von 50-Euro-Scheinen zurückschrecken“, sagt Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland. „In der Regel kennen Händler ihren durchschnittlichen Wechselgeldbedarf und sorgen dementsprechend vor.“ Ein Sprecher der Supermarktkette Rewe meint: „Im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland bezahlen die Kunden weiterhin mehrheitlich bar. Darüber hinaus sind Einkäufe eines oder weniger Artikel gang und gäbe. Vor diesem Hintergrund wird bei Rewe selbstverständlich ein 50-Euro-Schein angenommen, auch wenn die Bonsumme sehr klein ist.“ Und Frank Horst vom EHI Retail Insitute, der im Auftrage der Deutschen Bundesbank die „Münzgeldstudie“ verfasst hat, sagt: „Meiner Wahrnehmung zufolge wird der 50-Euro-Schein im Handel nicht als störend empfunden.“
Mein Bäcker, mein Späti und die Dame an der Supermarktkasse sehen das leider etwas anders.
Zahlen, bitte!
Die Deutschen lieben Bargeld. Dem EHI Retail Institute zufolge (das im Auftrag des Handels forscht) wurden im vergangenen Jahr 52,4 Prozent aller Umsätze im stationären Einzelhandel in Deutschland bar bezahlt. Das ist zwar der niedrigste Wert seit Jahren. Und die übrigen Zahlungsarten gewinnen stetig an Bedeutung. Zum Beispiel, weil seit wenigen Monaten auch Discounter wie Aldi und Lidl Kreditkarten akzeptieren, nachdem die EU niedrigere Gebühren vorgeschrieben hat. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist Deutschland jedoch ein Sonderfall.
Die Schweden haben nach Angaben der schwedischen Riksbank schon 2010 nur noch 35 bis 40 Prozent aller Zahlungen in Geschäften und Restaurants bar beglichen. Bis 2014 soll der Anteil auf ein Viertel zurückgegangen sein. Simpel zu bedienende Apps sorgen dafür, dass immer mehr Konsumenten mit dem Smartphone zahlen. Erste Restaurants nehmen gar keine Münzen oder Scheine mehr.
In Großbritannien prognostiziert das Payments Council, dass Debitkarten bis zum Jahr 2021 Scheinen und Münzen den ersten Rang der Zahlungsmittel streitig gemacht haben. 2015 wurden von den Briten noch 45,1 Prozent aller Transaktionen bar getätigt. In den kommenden neun Jahren soll der Anteil voraussichtlich auf 27 Prozent sinken, vor allem weil kontaktlose Zahlungen zunehmen.
Kein Vergleich mit der Situation an deutschen Kassen: Die Deutsche Bundesbank ließ für ihre Studie „Zahlungsverhalten in Deutschland 2014“ über 2000 „Zahlungstagebücher“ der Teilnehmer auswerten und kam zu dem Schluss, dass 79,1 Prozent der Transaktionen im Laden bar getätigt wurden. Vor allem kleinere Beträge zahlen die Deutschen immer noch am liebsten aus der Geldbörse. Bei Summen zwischen fünf und 20 Euro hat die Barzahlung einen Anteil von 89,9 Prozent, bei Summen unter fünf Euro sogar 96,4 Prozent. (Ja, da sind Sie und ich eingerechnet, die wir beim Bäcker schuldbewusst den Fünfziger aus der Geldbörse ziehen.)
Wenn die gegebene Summe nicht in Relation zum Kaufbetrag stehe, sei das natürlich schon problematisch, meint auch EHI-Experte Horst: „Weil der Händler dann sehr viel Kleingeld herausgeben muss.“ Und Kleingeld ist ziemlich teuer geworden.
Erklärungsversuch 1: Teures Kleingeld
Für seine „Münzgeldstudie“ hat Horst unter anderem ausgewertet, welche Kosten den Händlern dadurch entstehen, dass sie ihr Kassen regelmäßig mit ausreichend Kleingeld bestücken, um Kunden wechseln zu können, und kommt zu dem Schluss: „Die Kosten für den Bezug von Münzen haben sich (…) seit 2010 deutlich erhöht.“ Das liegt unter anderem daran, dass die Löhne im Geldtransportgewerbe gestiegen. Außerdem hat die EU vorgeschrieben, dass Banken Münzgeld seit 2015 auf Echtheit prüfen müssen, um Falschgeld zu minimieren. Dafür wird zusätzlich Personal gebraucht. (Das ist auch der Grund, warum Banken kein gerolltes Kleingeld mehr annehmen.)
Ulrich Binnebößel vom HDE wird auf Krautreporter-Anfrage noch konkreter: „Insbesondere mittelständische Händler müssen bei ihren Banken immer mehr für eine Münzrolle bezahlen – sofern sie überhaupt noch welche bekommen. Wir hören tatsächlich von einigen Häusern, die ihren Geschäftskunden keine Angebote mehr machen. Auch Kosten von bis zu 50 bis 100 Cent für eine Münzrolle sind durchaus nicht mehr selten.“ Das sei aber nicht nur bei der Bezahlung mit großen Scheinen relevant, weil Kleinmünzen ja fast jedes Mal herausgegeben werden müssten.
Erklärungsversuch 2: Risiko Wechselgeld
Im Taxi kann der Fünfzig-Euro-Schein schnell zum Problem werden. Die Fahrer sind zwar verpflichtet, auf 50 oder 100 Euro herausgeben zu können – in der Regel aber nur ein einziges Mal. Und kein Fahrer hat Lust, als rollende Bank unterwegs zu sein, um damit Raubüberfälle zu provozieren. Michael Müller, Präsident des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbands (BZP), sagt: „Angriffe auf Taxifahrer mehren sich, zum Teil mit einer ausufernden Brutalität. Deswegen haben viele Fahrer per se wenig Wechselgeld dabei. Wenn dann der dritte Fahrgast mit einem Fünfziger seine Elf-Euro-Fahrt zahlen will, wird es ganz schnell eng.“
Bei 1,1 Millionen Beförderungen pro Tag sei das aber nach BZP-Erfahrungen „kein Riesenproblem“. Im Zweifel helfen Kollegen beim Wechseln.
Die alternative Zahlung per Karte setzt sich im Taxi erst langsam durch. Darüber, ob das an den Fahrern oder an den Kunden liegt, gehen die Meinungen auseinander. Müller erklärt aus Sicht des BZP: „Wir stellen nur eine sehr schwach steigende Akzeptanz von unbaren Zahlungswünschen der Kunden fest, und wenn, dann auch nur in größeren Städten.“ In Mittelstädten wolle fast niemand mit der Karte im Taxi zahlen. „Grundsätzlich ist der BZP schon der Meinung, dass Taxis auch mit unbaren Zahlungsmöglichkeiten ausgestattet sein sollen, schon aus Sicherheitsgründen für die Fahrer.“ In der Berliner Taxiordnung ist bereits verpflichtend festgeschrieben, dass auch mit Karte bezahlt werden können muss.
Bitte stückeln Sie selbst: Die Lösung?
Welche Scheine aus dem Automaten kommen, ist eine kleine Wissenschaft für sich und zum Beispiel vom Ort abhängig, an dem der Automat aufgestellt ist. „In einem Einkaufsviertel werden zum Beispiel die Kassetten eher mit 100-Euro-Scheinen befüllt, in einem Schulviertel, in dem viele Jugendliche ihr Taschengeld abheben, eher mit Fünf-Euro-Scheinen“, erklärte ein Mitarbeiter des Automatenherstellers Wincor-Nixdorf der „Süddeutschen Zeitung“.
Die meisten Banken bieten ihren Kunden inzwischen an, die Stückelung ihres Auszahlungsbetrags selbst zu bestimmen. Manchmal muss man sich dafür den Umweg durch das Touchscreen-Menü gut merken, so wie bei der Sparkasse Berlin.
Die Deutsche Bank lässt Kunden darüber hinaus eine „Fix-Auszahlung“ speichern, mit der deutschlandweit immer dieselbe Summe in der festgelegten Stückelung aus dem Automaten kommt (sofern vorrätig). „Anhand der örtlichen Kriterien entscheidet die Bank geräteindividuell, ob ein Geldautomat zum Beispiel ohne 100er-Banknoten bestückt wird und dafür etwa mit mehr 10er- und 20er- Banknoten ausgestattet wird“, erklärt ein Sprecher.
Die Direktbank ING Diba, die deutschlandweit etwa 1.200 eigene Geldautomaten betreibt, ist auf eine andere Idee gekommen: Statt der üblichen runden Auszahlungsbeträge wird dem Kunden, wenn er seine Karte eingeschoben hat, eine Auswahl ungerader Summen angeboten: 60 Euro, 110 Euro, 160 Euro. „Die Beträge sind Vorschläge für den Kunden mit dem Ziel, dass dieser mit diesem gewählten Auszahlungsbetrag immer mindestens einen kleinen Schein bekommt“, erklärt ein Sprecher. Die Stückelung können Kunden an den ING-Diba-Automaten bislang noch nicht wählen. „Wir sind allerdings in der Planung, diesen Service (…) zukünftig anzubieten.“
Und warum legen die Banken stattdessen nicht von vornherein mehr Zehner und Zwanziger in die Automaten ein?
Weil sich dann im Zweifel Kunden beschweren, die 300 Euro in kleinen Scheinen ausgezahlt bekommen, die nicht ins Portemonnaie passen. Und weil der Platz in den Geldkassetten begrenzt ist: Viele kleine Scheine führen dazu, dass Automaten öfter befüllt werden müssen. Das kostet mehr Geld. Und die Kunden ärgern sich, weil Automaten bis dahin außer Betrieb sind.
Der ING-Diba-Sprecher erklärt: „Mit dem 50 EUR-Schein lässt sich sowohl eine niedrige Auszahlung von Beträgen ab 50 bis hin zu Beträgen von mehreren Hundert Euro darstellen. Mit ihm lassen sich besonders viele Ausgabebeträge darstellen, auch dann, wenn andere Geldkassetten bereits leer sind.“
Das Problem: So viele Fünfziger
Das ist letztlich auch der Grund für den ganzen Schlamassel: Der Fünfziger ist für die Banken wahnsinnig praktisch, weil er Platz im Automaten spart, und Kunden ziemlich viel damit bezahlen können. (Außer halt die ganz kleinen Beträge.) Deshalb gibt es ihn auch so oft. Den Statistiken der Europäischen Zentralbank zufolge waren im Mai 2016 etwa 18,8 Milliarden Euro-Scheine im Umlauf, 45,1 Prozent davon im Wert von 50 Euro. Das heißt: Fast die Hälfte aller Euro-Noten ist braun-orange. 20-Euro-Noten machen nur 17,8 Prozent aus, 10-Euro-Noten 12,0 Prozent, Fünf-Euro-Noten 9,2 Prozent.
Wie der Bedarf für diese Zusammensetzung ermittelt wird, erklärt die Europäische Zentralbank auf Anfrage leider nicht.
Ist ja kein Wunder, dass beim Bäcker, am Kiosk und im Supermarkt ständig kleine Scheine fehlen: Es gibt schlicht und einfach nicht so viele davon. Kann ja bei der EZB auch keiner ahnen, dass Sie und ich unser Brötchen und den Kaffee mit einem verflixten Fünfziger bezahlen wollen.
Quellen: Sveriges Riksbank (2014): Economic Commentaries – Does cash have any future as legal tender? (PDF); Deutsche Bundesbank (2015): Zahlungsverhalten in Deutschland 2014 (PDF); Frank Horst, EHI Retail Institute/Deutsche Bundesbank (2015): Münzgeldstudie (PDF); Payments UK (2016): Debit cards to overtake cash payments by 2012; Horst Rüter, EHI Retail Institute (2016): Kartengestützte Zahlungssysteme im Einzelhandel 2016 (Zusammenfassung); ECB (Mai 2016): Euro banknotes and coins statistics Online (PDF).
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