Jeden Monat genügend Geld zum Leben, ohne Bedingung und Prüfung. Ein wunderbarer Gedanke! Aber auch ein bisschen utopisch, nicht? Ist das Grundeinkommen denn finanzierbar? Denn wenn es nicht finanzierbar wäre, bräuchten wir gar nicht weiterreden.
Es ist finanzierbar. Die deutschen Bürger, die hiesigen Firmen und der Staat erwirtschaften pro Jahr 3.600 Milliarden Euro. Ein Grundeinkommen von, sagen wir einmal, 850 Euro für jeden Bewohner Deutschlands würde 836 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das Geld ist also da. Eine andere Frage ist, wie realistisch es ist.
Wo ist da der Unterschied?
Nur weil das Geld grundsätzlich da ist, heißt das nicht, dass auch der politische und gesellschaftliche Wille existiert, es einzuführen. Das meinte ich mit „realistisch“.
Aha.
Aber zuerst die Frage nach Geld und Umsetzung zu stellen, ist nicht geschickt. So zerstört man doch jede gute Idee, bevor man überhaupt merkt, dass sie gut ist! Lass uns das „Aber“ für später aufheben – auch wenn ich diesen Absatz genau damit begonnen habe.
Denn es ist so: Das Grundeinkommen hat das Potenzial, unsere komplette Gesellschaft zu verändern.
So etwas wird ja immer leichtfertig lockend dahingesagt: „die komplette Gesellschaft ändern“. Das wird noch den popeligsten Ideen zugesprochen, der tausendsten Networking-App, dem millionsten Online-Bestelldienst. Doch das Grundeinkommen – das habe ich in den vergangenen Recherchewochen gelernt – ist eine Idee, die verändern kann, wie wir den Montagmorgen finden, wohin wir zur Arbeit gehen, ob wir zur Arbeit gehen, wie wir uns dort fühlen, ob es jemals wieder so etwas wie Freizeit geben wird oder dieser Begriff im Duden nach hinten rückt, um bald durch das Adjektiv „veraltet“ dem Vergessen anheimzufallen.
Eine Idee, die so viel ändern kann, können wir nicht nur auf ihre Finanzier- und Umsetzbarkeit reduzieren. Über das Grundeinkommen nachzudenken, heißt über das eigene Leben nachzudenken, darüber, welchen Stellenwert Arbeit und Lohn eigentlich haben, ja, was das eigentlich ist: diese „Arbeit“, von der die Deutschen so besessen sind. Eine Besessenheit, die sich nicht in den Statistiken offenbart, denn andere in Europa arbeiten mehr (darunter die Griechen), sondern in unseren Gesprächseröffnungen.
Trifft ein Deutscher einen anderen Deutschen, fragt er: „Und was machst du so?“ und meint damit immer die Arbeit. Eine saublöde Angewohnheit in einer Welt, in der nicht jeder Arbeit hat oder eine Arbeit, die als „sozialversicherungspflichtige Beschäftigung“ gilt, oder nicht jeder seine Arbeit so sehr liebt, dass er unablässig über sie reden will.
Vielleicht ist das Grundeinkommen als Idee genauso saublöd wie diese Angewohnheit. Aber wenn es dieser Idee gelingen würde, uns nicht nur über unsere „Arbeit“ zu definieren, wäre das Leben schon ein bisschen kurzweiliger. Oder etwa nicht?
Schöne Ansprache. Aber um ehrlich zu sein, interessiert mich immer noch, wie genau das Grundeinkommen finanziert werden kann. Das, was du da oben berechnest hast … nun ja, sieht wie eine Milchmädchenrechnung aus.
Wir müssen uns eines klarmachen: Wenn das Grundeinkommen nicht gewollt ist, wird es nicht kommen. Egal, wie gut durchgerechnet es ist. Die Idee muss stimmen, nicht die zwölfte Zahl hinter dem Komma in der Kostenprognose für den März 2031.
(Und wenn du es noch immer ganz genau wissen willst: Hier entlang
Das hört sich so an, als hättest du dich schon entschieden: Du willst ein Grundeinkommen.
Wenn wir grundlegend ändern wollen, wie unsere Gesellschaft funktioniert, müssen wir sehr tief eingreifen in die Mechanik unserer Gesetze, unserer Institutionen, unseres Zusammenlebens. Jeder dieser Eingriffe ist schmerzhaft, anstrengend und lässt Verlierer zurück. So gesehen ist es immer eine ziemlich schlechte Idee, etwas grundlegend ändern zu wollen. So gesehen ist das Grundeinkommen eine ziemlich schlechte Idee. Aber von allen schlechten Ideen ist es die beste.
Warum überhaupt ein Grundeinkommen?
Es gibt unzählige Argumente für ein Grundeinkommen. Die stärksten will ich jetzt erklären. Dazu muss ich etwas ausholen. Ich hoffe, du bleibst mir und diesem Text trotzdem treu.
(Lesezeit bis zum Ende noch ca. 30 Minuten)
Aber klar!
Zuerst der Arbeitsmarkt. Über wenige Dinge fachsimpeln Experten so ausführlich wie über die Zukunft der Arbeit. Die einen sagen, dass wir immer arbeiten werden, auch in 100 Jahren noch. Die anderen warnen vor der sogenannten Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, und dann gibt es einen Herrn, der hat in den 1990er Jahren gleich mal „Das Ende der Arbeit“ ausgerufen: Jeremy Rifkin.
Das Ende der Arbeit? Kann er ja mal meinem Chef erzählen, der gute Herr Rifkin.
Rifkin argumentiert, dass fast alle Berufe in Gefahr sind, weil bestimmte Aufgaben einfach wegfallen, wenn Menschen mehr Computer einsetzen. Oder weil gleich Roboter die Aufgaben übernehmen können. Rifkin sagt, dass nicht nur jene Jobs gefährdet sind, für die man nicht sehr qualifiziert sein muss, sondern auch jene, für die man eine Fachausbildung oder einen Uni-Abschluss braucht. Will heißen: vom Mindestlohn-Angestellten, der bei McDonalds Burger brät bis hin zum Anwalt, der für die Firma die Verträge prüft – kein Job ist sicher.
Allerdings wird es Jobs geben, die überleben: um die Automatisierung zu steuern und zu kontrollieren. Es wird sich eine Informations-Elite bilden, die von der Entwicklung stark profitiert. Aber diese Gruppe wird nicht mehr als 20 Prozent der Arbeitskräfte umfassen. Die anderen 80 Prozent werden keine Jobs mehr finden. Rifkin nannte das die 20:80-Gesellschaft.
Stimmt das denn: Übernehmen immer mehr Roboter unsere Aufgaben?
Ich würde sagen: ja. Mehrere Sachen haben mich davon überzeugt. Nehmen wir mal den Sportschuhhersteller Adidas. Der verkündete kürzlich, dass er eine neue Schuhproduktion in Deutschland aufbauen werde.
Eine fantastische Nachricht!
Absolut. Aber nicht für jene, die hoffen, dass dadurch mehr Arbeitsplätze in Deutschland entstehen. Denn Maschinen nähen die Schuhe zusammen, komplett.
Zweites Beispiel: Foxconn, die Firma, die Apples I-Phone zusammenschraubt, hat gerade laut der lokalen chinesischen Regierung in einer Fabrik 60.000 Arbeiter durch Roboter ersetzt. Statt 110.000 Menschen würden nur noch 50.000 Menschen in der Anlage arbeiten. Die Lokalregierung wisse von 600 weiteren Firmen, die ebenso vorhaben, mehr Maschinen einzusetzen. 2014 hat China 57.000 Industrieroboter eingekauft, 56 Prozent mehr als im Vorjahr.
Auch in den USA, in Südkorea, in Japan und in Deutschland arbeiten immer mehr Roboter. Vor zwei Jahren gingen mehr als zwei Drittel aller Industrieroboter in eines dieser fünf Länder. Und der Trend beschleunigt sich.
Drittes Beispiel: Der Frachtverkehr auf den Straßen dieser Welt. Sowohl in den USA als auch in Europa testet Daimler, einer der größten LKW-Hersteller der Welt, ob und wie Lastwagen autonom fahren können. Noch müssen immer Fahrer hinter dem Steuer sitzen – die Gesetze schreiben das vor und auch die Technik ist noch nicht ausgereift genug. Aber irgendwann, da muss man kein Prognoseguru á la Rifkin sein, wird es keinen menschlichen Fahrer mehr brauchen. 2014 fuhren 1,7 Millionen US-Amerikaner einen großen Lkw. So als Hausnummer, wie viele Menschen allein dadurch arbeitslos werden.
Okay, aber Schuhe nähen, Handy zusammenschrauben und Lkw fahren. Das sind alles keine Aufgaben, für die man besonders qualifiziert sein muss. Schon vor mehr als 150 Jahren gab es technischen Fortschritt und die Angst, dass er Arbeitsplätze zerstört. Die Weber in Schlesien, in Augsburg und Köln revoltierten und zerstörten dabei sogar mechanische Webstühle. Letztlich aber kann niemand ernsthaft behaupten, dass 1850 die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland einsetzte. Der technische Fortschritt brachte besser bezahlte, weil produktivere Jobs, er brachte mehr Wachstum, mehr Wohlstand.
Wohoo! Jetzt befinden wir uns mitten in einer der spannendsten Debatten, die die Wirtschaftswissenschaften gerade zu bieten haben. Die Experten diskutieren: Schafft der technische Fortschritt mehr Wachstum? Und die Stimmen sind vielseitig. Da ist etwa Robert Gordon, eine Ikone, ein Altmeister unter den US-Ökonomen. Er sagt: Nee, die Jobs bleiben weg, die Wirtschaft wird nicht mehr wachsen. Aber wiederum Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee wenden ein, dass wir das noch nicht mit Sicherheit sagen können. Schließlich werden Computer erst seit 30 Jahren von vielen Unternehmen genutzt. Das Internet erst seit 20 Jahren. Was diese Technologien wirklich leisten können, sagen die beiden, wisse die Menschheit noch nicht. Erst wenn wir beginnen, all die neuen Technologien zu kombinieren, werden wir die Früchte ernten können: mehr Wachstum. Daraus könnten neue Jobs entstehen. Aber auch Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee beschreiben ein Grundeinkommen als etwas, das nötig sein könnte.
Doch wir müssen nochmal zwei, drei Schritte zurücktreten und unser Verhältnis zu Werkzeugen – nichts anderes sind Roboter – in den Blick nehmen. Denn Jahrtausende lang haben wir versucht, immer bessere Werkzeuge herzustellen, die uns das Leben erleichtern. Heute haben wir aber Angst vor unseren eigenen Werkzeugen. Sie können uns Arbeit abnehmen. „Aus Furcht, entlassen zu werden oder keine existenzsichernde Arbeit zu finden, verlieren wir aus dem Blick, dass die Menschen sich jahrhundertelang danach gesehnt haben, von der Fron der Arbeit befreit zu werden“, schreiben Götz Werner und Adrienne Goehler in ihrem Grundeinkommens-Buch „1000 Euro für jeden“.
Diese Angst speist sich nicht daraus, dass Roboter uns Arbeit abnehmen, sondern daraus, dass Roboter uns genau jene Arbeit abnehmen, die wir brauchen, um unsere Kinder zu ernähren, die Wohnung abzuzahlen und das eigene eigentlich zu teure, aber gleichzeitig auch zu schöne Hobby zu pflegen. Roboter gefährden unseren Wohlstand, weil unser Wohlstand von unserer Arbeit abhängt. Es entsteht eine Konkurrenzsituation, die aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive …
„Gesamtwirtschaftlich“…
Zugegeben, das ist Ökonomensprech. Kein schönes Wort. Es hilft aber den Blick auf die großen Zusammenhänge zu lenken. Denn von oben betrachtet, stehen Roboter für durchaus gutes Wirtschaften. Sie nehmen uns Arbeiten ab, die für Menschen zu monoton, zu gefährlich, ja auch unmöglich sind. Sie erledigen diese Aufgaben schneller und produzieren so mehr Wohlstand als ein Mensch es in der gleichen Zeit könnte.
Ja, aber von diesem Wohlstand bekomme ich nichts ab!
„Stimmt genau!“, würden die Grundeinkommensbefürworter jetzt rufen. Daniel Häni, der Initiator der Schweizer Volkabstimmung über das Grundeinkommen, und Philip Kovce, ein deutscher Philosoph, schreiben in ihrem Buch „Was fehlt, wenn alles da ist?“: „[Mit dem Grundeinkommen] belohnen wir uns selbst dafür, Roboter erfunden zu haben. Es beteiligt jeden Bürger an den Gewinnen des technischen Fortschritts, indem es ihm subjektiv die Freiheit ermöglicht, die der technische Fortschritt für uns alle längst objektiv verwirklicht.“
„Uns selbst dafür belohnen, Roboter erfunden zu haben?“ – Charmante Sichtweise!
Und eine, die laut Häni und Kovce noch mehr Vorteile bietet: „Das bedingungslose Grundeinkommen unterbindet, dass wir das Erfinden arbeitssparender Maschinen bremsen, nur weil eine Aufgabe einen Arbeitsplatz garantiert, der Einkommen generiert.“ Mit einem Grundeinkommen könnten wir den ganzen technischen Revolutionen, die von Jahr zu Jahr mit immer größerer Macht unser Leben umkrempeln zu scheinen, gelassener entgegenblicken. Mit einem Grundeinkommen könnten wir sogar Teil dieser Revolutionen werden. Dazu später mehr.
Wie tiefgreifend etwa die Digitalisierung die Wirtschaft verändert hat, macht diese Zahl sehr deutlich. Ich habe ausgerechnet, wie viel Umsatz ein Angestellter der fünf wertvollsten Internet-Unternehmen der USA im Schnitt erwirtschaftet und wie viel ein Angestellter der fünf wertvollsten deutschen Industrieunternehmen. Der Unterschied ist eklatant:
Aber selbst bei den wenigen Angestellten bei den Internet-Unternehmen muss es nicht bleiben. Es können noch weniger werden. Die Zeitschrift WIRED hat gerade „Das Ende des Codes“ ausgerufen und sagt voraus: „Bald werden wir Computer nicht mehr programmieren, sondern sie wie Hunde trainieren.“ Dann werden wir auch keine Programmierer mehr brauchen.
Und in der sächsischen Kleinstadt Mittweida haben zwei Studenten gerade eine Firma gegründet, die es so noch nie auf der Welt gegeben hat: Denn sie hat keine Angestellten mehr, nur noch Investoren.
Gerade kamen doch Arbeitslosenzahlen raus. Und wenn ich mir die anschaue, muss ich sagen: Rifkin hat nicht recht. Es gibt nur 2,66 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt. Vor 20 Jahren waren es kaum 38 Millionen. Heute sind es 43 Millionen. Fünf Millionen mehr!
Stimmt natürlich. Aber die Befürworter eines Grundeinkommens würden einwenden, dass diese Zahlen nicht die Realität abbilden und verschleiern, was wirklich am Arbeitsmarkt passiert. Es gebe viel mehr Menschen, die nicht von ihrer Arbeit leben können, als die Arbeitslosenzahl oder die Zahl der Erwerbstätigen suggeriert. Zudem sind sehr viele Jobs, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, keine unbefristeten. Deren Anteil liegt bei acht Prozent. Vor 20 Jahren waren es noch zwei Prozentpunkte weniger.
Hier habe ich einmal die Arbeitsmarktdaten vom 31. Mai 2016 aufgeschlüsselt. Die Zahlen geben immer noch kein voll repräsentatives Bild, da Menschen fehlen, die sich gar nicht erst beim Arbeitsamt melden, wenn sie nach einem neuen Job suchen, z. B. Elternteile, die aus einer langen Kinderzeit kommen. Außerdem, das hat der US-Journalist Steven Hill bei seinen Recherchen in Deutschland erstaunt festgestellt, hat die Bundesregierung keine Ahnung, wie viele Menschen eigentlich prekär arbeiten. Auf die knapp 6 Millionen, die da am rechten Rand stehen, müssen wir noch mindestens ein paar Hunderttausend aufschlagen, um ein einigermaßen realistisches Bild der Arbeitsmarktsituation in Deutschland zu bekommen.
Aber Deutschland hat den Mindestlohn eingeführt. Das lief doch super. Anders als befürchtet, hat er keine Jobs vernichtet.
Nur: Wer in Deutschland Mindestlohn bekommt, ist arm.
Mmh.
Es gibt also viele Menschen, die nicht von ihrer Arbeit leben können, und viele Menschen, die keine Arbeit mehr finden. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dieser Trend immer schlimmer wurde. Nur Anfang der 1960er Jahre herrschte so etwas wie Vollbeschäftigung und nach jeder neuen Krise entstanden weniger neue Jobs und mehr Menschen blieben arbeitslos. Nach der letzten 2008 waren es übrigens so viele, dass Ökonomen schon vom „Wachstum ohne Arbeit“ sprachen.
CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag auf ein Ziel: Vollbeschäftigung. Ganz so, als hätte sich die Welt in den vergangenen 50 Jahren nicht geändert. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Das ist ein ehrenwertes Ziel, und in Bayern wird es sogar erreicht und in den USA und in Prag und Schottland. Aber diese Vollbeschäftigung unterscheidet sich von der Anfang der 1960er Jahre. Denn die Menschen werden eben immer häufiger nicht voll beschäftigt, obwohl sie Arbeit haben.
Was könnte ein Grundeinkommen daran ändern?
Direkt daran? Nichts. Aber es könnte die Folgen dieser Veränderungen lindern, weil es die Existenzsicherung vom Arbeitsplatz löst. Es ist ja auch eigenartig: Die westlichen Gesellschaften produzieren genug Wohlstand, um jeden ihrer Bürger mit dem Nötigsten zu versorgen, und trotzdem gibt es arme Kinder, Obdachlose, Menschen, die zur Tiertafel müssen, weil sie plötzlich nicht mehr genug Geld haben, um ihren Hund zu ernähren. Es ist eine Frage der Verteilung.
Wir verteilen schon mehr als genug in diesem Land! Hunderte Milliarden für Hartz-IV, Sozialhilfe, Wohngeld, Schulgeld und was weiß ich alles. Kann die Lösung wirklich sein, noch mehr umzuverteilen?
Die Grundeinkommensbefürworter würden sagen: Das ist die falsche Frage. Die richtige Frage ist: Wie verteilen wir um? Unter welchen Bedingungen? Das aktuelle System kranke daran, dass es die Empfänger von Leistungen herabwürdige und entmündige. Die Empfänger müssten ihr ganzes Leben offenlegen, fremde Leute schnüffeln in ihren Wohnungen herum, um herauszufinden, mit wem sie schlafen, und den Wohnort darf man nur nach Erlaubnis verlassen: Götz Werner, Gründer der Drogeriekette DM und Befürworter eines Grundeinkommens, nannte Hartz IV deswegen ganz lapidar „offenen Strafvollzug“.
Das Hartz-IV-System ist so streng, weil es auf zwei Prinzipien fußt. Das eine ist so alt wie der deutsche Sozialstaat, das andere so alt wie die Hartz-Reformen. Das eine geht so: Jeder soll nur die Hilfe bekommen, die er benötigt. Das andere so: fördern und fordern. In der Praxis führt das zu einem Drei-Schritt-System: 1. Feststellen, welche Hilfe für den Bedürftigen infrage kommt. Dafür komplette Durchleuchtung der Lebensumstände. 2. Zahlung, verbunden mit der Aufforderung, sich auf Jobs zu bewerben, an einer „Maßnahme“ teilzunehmen oder vielleicht auch umzuziehen. 3. Weiterzahlung nur, wenn die Bedingungen erfüllt werden. Der Empfänger der Leistungen muss sich bereithalten für einen Arbeitsplatz, auch wenn der niemals kommen wird, weil der Empfänger zu alt/falsch ausgebildet/zu immobil ist. Wenn der Empfänger sich weigert: Strafe. Entzug der Leistungen. Selbst wenn weder die Erfinder, noch die überforderten Angestellten der Arbeitsagenturen es wollen. Am Ende steht: Erniedrigung.
Dagegen die Hoffnung von Häni und Kovce: „Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen werden die Selbstverwahrlosten nicht aufgegeben. Vielmehr wird aufgegeben, sie zu erziehen und umzuerziehen. Es wird aufgegeben, sie zu etwas anderem zu machen, als sie selbst aus sich machen wollen. Sie werden heute abgestempelt, weil sie nicht tun, was wir wollen“, schreiben Häni und Kovce. Bei einem Grundeinkommen sei die Bedürftigkeit „nicht mehr zu demonstrieren.
Mit guten Grund: Wem man sich als Bedürftiger vorstellt, dem muss man sich fast unweigerlich auch unterstellen. Man wird zum Bittsteller. Das ist keine souveräne Position. Das ist moderne Bettelei. Warum sitzen Bettler auf dem Boden? Weil man nicht auf gleicher Augenhöhe mit dem Mildtätigen betteln kann. Die Bedürftigkeit wäre von der Geste her ansonsten nicht glaubwürdig. Wer eine andere Person auf gleicher Augenhöhe anspricht, bettelt nicht, sondern verhandelt. Der Bettler lebt von fehlender Augenhöhe – ebenso wie der Spender.
Das Grundeinkommen ist deshalb unattraktiv für jene, die gerne die Guten sind und den anderen etwas gönnen. Das Grundeinkommen beendet die Kultur der Almosen. Almosen gründen auf Mitleid. Und Mitleid kann man nicht mit jemandem haben, dem es gut geht. Die Konstellation, dass die einen die Gebenden und die anderen die Nehmenden sind, darf man sozial nicht unterschätzen. Wer verteilt, hat Macht. Wer empfängt, fühlt sich verpflichtet. Damit räumt das Grundeinkommen auf. Ich muss nicht mehr danken und gehorchen. Ich werde souverän. Ich erhalte das Grundeinkommen nicht, weil ich es brauche, sondern weil ich Mensch bin. Ich bin der Grund für das Grundeinkommen. Nicht meine Bedürftigkeit. Wir gestatten uns gegenseitig zu existieren. Bedingungslos. Das ist Emanzipation in höchster Form.“
Puuh. Ein jüngst verstorbener deutscher Bundeskanzler würde die beiden wohl wegen dringenden Visionsverdachts gern zum Arzt schicken. Zu recht! Hinter diesen Ansprüchen muss das Grundeinkommen zurückfallen. Die Praxis wird der Theorie Tod sein.
Da es noch niemand ausprobiert hat, kann man das schlicht nicht so absolut sagen. Das macht auch die ganze Diskussion über das Grundeinkommen schwierig. Jeder bewegt sich notgedrungen im Ungefähren, die Optimisten treffen auf die Träumer, die Skeptiker tun sich mit den Pessimisten zusammen. Wer über diese Idee diskutiert, wird darüber nachdenken müssen, wie er sich selbst sieht und wie er seine Nachbarn sieht. „Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?“, fragen die Initiatoren der Schweizer Initiative, und eigentlich fragen sie noch mehr: Was glaubst du, was deine Mitmenschen machen würden? Würdest du ihnen das Geld ganz bedingungslos gönnen können? Auch wenn sie damit Dinge finanzieren, die du für verrückt, unverantwortlich, egoistisch, narzisstisch, sinnlos, abenteuerlich oder respektlos hältst? Was glaubst du, was treibt den Menschen an? Der Wunsch nach anstrengungslosem Wohlstand oder Selbstverwirklichung im Tun, auch wenn ihn niemand dazu auffordert? Hat der Mensch die Ozeane erkundet, den Eiffelturm gebaut und den Mond bereist, weil er es musste?
Oder weil er es wollte?
Die Frage nach dem Grundeinkommen ist eine Sinnfrage.
Sinn! Darüber zu reden, ist schwierig, wirkt immer ein bisschen blasiert und abgehoben, wenn man es so nebenbei macht. Deswegen ist es nichts, was ich in diesem Format abhandeln kann. Die Fragen oben: Mit denen muss ich dich allein lassen.
Nur eine will ich noch hinzufügen: Ist das Leben mehr als ein Popsong?
Oh, ein Witz. „Quelle: Internet“ nehme ich an?
Korrekt.
Du hast oben beschrieben, dass die Schweizer Befürworter eines Grundeinkommens es gerne „bedingungslos“ zahlen würden. Aber ganz ohne jede Bedingung kann es nicht sein. Sonst könnte jeder Mensch der Welt es bekommen. Ich kenne die Schweizer als großzügige Menschen, aber so großzügig?
Stimmt.
Jetzt haben wir ein Problem. Denn du willst über Details sprechen, doch wenn wir es tun, betreten wir den Bereich des Ungefähren. Es gibt sehr viele verschiedene Modelle eines Grundeinkommens, die nicht nur in Details abweichen, sondern grundlegend unterschiedliche Philosophien verkörpern. Das sieht man schon daran, welche Parteien und Institutionen bereits Ideen für ein Grundeinkommen entwickelt haben, Modellprojekte durchführen wollen oder sich dafür aussprechen:
· Die Piratenpartei
· Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom
· Attac (Globalisierungskritisches Netzwerk)
· Y-Combinator, einer der erfolgreichsten Start-up-Inkubatoren der Welt
· Die Grüne Jugend
· Dieter Althaus, ehemaliger CDU-Ministerpräsident von Thüringen
· SPD Rhein-Erft
· Bernd Leukert, Vorstand der Software-Firma SAP
· Teile der Linkspartei
· Alanis Morrisette
· Teile der FDP
Wenn so viele, sehr unterschiedliche Leute dafür sind, werde ich ja sofort misstrauisch.
Solltest du auch. Wenn die Schweiz oder Deutschland oder Österreich beschließen sollten, ein Grundeinkommen einzuführen, wird der große politische Kampf um die Feinheiten beginnen. Und die sind letztlich entscheidend.
Welche verschiedenen Modelle gibt es denn?
Sehr, sehr viele verschiedene. Ich konzentriere mich hier einmal auf zwei sehr grundsätzliche, die beide zu dem gleichen Ergebnis führen: den Menschen bedingungslos die Existenz zu sichern. Wer tiefer einsteigen will, sollte in diese Tabelle schauen.
· Eine negative Einkommenssteuer – Zurzeit bezahlen wir einen bestimmen Prozentsatz an Einkommenssteuer. In diesem Modell würden wir einen bestimmten Prozentsatz unseres Einkommens bekommen, wenn es unter einer vorher festgelegten Grenze liegt. Wer über dieser Grenze liegt, bekommt kein Geld.
· Sozialdividende – Jeder Berechtigte bekommt jeden Monat einen bestimmten, vorher festgelegten Betrag überwiesen, egal wie viel er verdient.
Außerdem lassen sich die Grundeinkommensideen nochmals unterteilen: In eine humanistische Variante und eine neoliberale. In der humanistischen soll den Menschen genug gezahlt werden, damit sie nicht mehr arbeiten müssen, nur um ihren Unterhalt zu sichern. Es wäre vergleichsweise hoch. Die neoliberale Variante wäre vergleichsweise niedrig und würde – bei Streichung aller Sozialleistungen – nur das Existenzminimum abdecken.
Wie hoch wäre es denn?
Da gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Es reicht von 600 bis 1500 Euro. Wenn man aber wirklich das Existenzminimum nicht unterschreiten will, sollten es circa 800 Euro sein. So hoch ist aktuell der Hart-IV-Satz inklusive Mietzuschuss. Wenn man denn akzeptiert, dass der ausreicht, um ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten.
Und dieses Grundeinkommen würde wirklich jeder bekommen, von der Wiege bis zur Bahre?
Zumindest sollte es so gestaltet werden, dass jeder von der Geburt bis zum Tod versorgt ist. Ob das nun jedes Mal Grundeinkommen heißen muss, ist eine andere Frage. Der Jurist Stefan Bergmann zum Beispiel plädiert dafür, das jetzige Rentensystem grundsätzlich beizubehalten, es aber anzupassen. Er meint, dass das nötig sei, weil die Umstellung des Rentensystems ungerecht und vielleicht sogar nicht verfassungsgemäß wäre.
Würden denn Kinder das Grundeinkommen bekommen wie ihre Eltern?
Da sind sich ausnahmsweise alle einig: Kinder würden weniger Grundeinkommen bekommen. Die meisten plädieren dafür, ungefähr die Hälfte der Erwachsenen-Summe an Kinder zu zahlen.
Okay. Jetzt aber habe ich mal eine Frage an dich: Kennst du Florida-Rolf?
Ich erinnere mich dunkel. War das nicht der Herr, der staatliche Unterstützung bekam und gleichzeitig in Florida lebte?
Genau. Ich frage mich: Sind wir nicht alle ein bisschen wie Rolf? Würden wir nicht aufhören zu arbeiten, wenn das Grundeinkommen kommt?
Das ist eine sehr gute Frage, die mir im Vorfeld dieses Textes viele Menschen gestellt haben. Aus ihr spricht Misstrauen gegenüber den Mitmenschen oder zumindest Skepsis. Schließlich scheinen wir alle schon einmal von jemandem gehört zu haben, der sich in der als Sprachbild völlig ausgeleierten sogenannten sozialen Hängematte ausruht. Aber lehne dich zurück. Stelle dir selbst einmal die Frage, die die Initiatoren der Schweizer Initiative gerade der ganzen Welt stellen: Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?
** … **
Und jetzt stellt dir mal die Frage, was deine besten Freunde tun würden? Was deine Eltern und deine Geschwister? Würden die alle sofort kündigen und aufhören zu arbeiten?
Repräsentativ ist das nicht.
Stimmt. Aber eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ist repräsentativ. Nur jeder zehnte Befragte sagt, dass er aufhören würde zu arbeiten, wenn das Arbeitslosengeld sehr hoch wäre. Dabei gilt: Je besser gebildet jemand ist, desto eher wird er weiterarbeiten wollen. Die Befragten sagten übrigens auch, was sie machen würden, wenn sie Geld in einem Gewinnspiel bekommen würden, wenn sie also auf einen Schlag deutlich mehr Geld zu erwarten hätten als das monatliche Arbeitslosengeld.
Und?
Selbst dann wollte nur jeder Fünfte nicht mehr weiterarbeiten.
Das ist eine Selbstauskunft. Woher wollen die Menschen denn wissen, was sie wirklich machen würden, wenn sie im Lotto gewinnen.
2006 ist eine kleine Studie erschienen, in dem Lottomillionäre porträtiert und befragt wurden. 14 tauchten in dem Buch auf und 12 haben einfach weitergearbeitet. Die Frage, ob die Menschen weiterarbeiten würden, ist in ihrem Kern eine Frage nach der Motivation der Menschen, überhaupt zu arbeiten. Wenn wir annehmen, dass sie es allein des Geldes wegen tun, nehmen wir auch an, dass sehr viele ihre Arbeit komplett aufgeben würden.
Dabei würde Geld natürlich auch noch in einer Grundeinkommens-Welt eine Rolle spielen. Denn ein Einkommen, das dir die Existenz und kulturelle Teilhabe sichert, wäre wunderbar, aber nicht ausreichend, um die Brasilien-Reise, die neue Vollformat-Kamera, den BMW zu finanzieren. Nichts davon wirst du dir mit einem Grundeinkommen kaufen können. Dafür musst du schon arbeiten. Einer der zentralen Anreize, auf Arbeit zu gehen, bleibt also bestehen.
Aber an anderer Stelle würde ein Grundeinkommen unser Verhältnis zu Arbeit entscheidend ändern: Wir müssten eben nicht mehr jede mögliche Arbeit annehmen, selbst wenn sie uns keinen Spaß macht oder mittelmäßig bezahlt wird. Wir könnten uns solche Aufgaben suchen, die uns ausfüllen. Das könnte sogar für alle besser sein. Denn Menschen, die einer Aufgabe nachgehen, weil sie dieser Aufgabe nachgehen wollen, erzielen meistens bessere Resultate. Eine israelische Studie, die Häni und Kovce zitieren, untersuchte drei Gruppen von Kindern, die losgeschickt wurden, um Spenden für wohltätige Zwecke zu sammeln. Die eine Gruppe durfte zehn Prozent der eingeworbenen Spenden behalten, die zweite ein Prozent und die dritte erhielt gar keine Bezahlung. Am schlechtesten schnitt die Gruppe ab, die ein Prozent bekam; auf dem zweiten Platz landeten jene Kinder, die zehn Prozent einstreichen durften; aber ganz vorne – da war ausgerechnet die Gruppe, die auf den ersten Blick „leer ausging“. Aber das ist noch nicht einmal der Knaller.
Was ist denn der „Knaller“?
Die israelischen Forscher fragten die Teilnehmer ihres Experiments auch, wie sie selbst die Gruppen vergüten würden: Fast alle würden ein Prozent zahlen, also ausgerechnet jene Summe, die zu den schlechtesten Ergebnissen führt.
Die Wirtschaftszeitschrift Brand Eins hat dieses Dilemma mal in einem sehr prägnanten Zahlenpaar zusammengeführt:
Weiter oben hattest du gesagt, dass Menschen, die das Grundeinkommen bekommen, ein Teil der Revolutionen werden könnten, die gerade unser Leben umwälzen. Wie meintest du das?
Nachdem 1978 das erste Anti-Blockier-System der Welt serienmäßig in einem Fahrzeug eingesetzt wurde, überprüften Wissenschaftler, ob die Technik die Sicherheit erhöht. Denn dazu war sie gedacht: zu verhindern, dass die Bremsen bei einem abrupten Anhalten blockieren und das Auto deswegen nicht mehr kontrollierbar ist. Aber die Forscher fanden heraus, dass die Fahrer von ABS-Wagen schneller fuhren und weniger Sicherheitsabstand zum Vordermann einhielten. Skifahrer, die einen Helm tragen, verursachen mehr Unfälle. Und obwohl ihre Ausrüstung immer besser wurde, stirbt Jahr für Jahr ungefähr die gleiche Zahl an Fallschirmspringern. Menschen, die sich sicher fühlen, gehen mehr Risiko ein. Sie wissen, dass sie besser geschützt sind und sich deswegen mehr trauen können. Der Effekt heißt wie der Forscher, der ihn zuerst beschrieben hat: der Peltzman-Effekt.
Der US-Wirtschaftsjournalist Martin Ford behauptet, dass dieser Effekt auch bei Menschen zu beobachten sein wird, die ein Grundeinkommen bekommen. „Wer ein Sicherheitsnetz hat, ist bereit, ein größeres wirtschaftliches Risiko einzugehen“, schreibt er in „Aufstieg der Roboter“. „Wenn sie eine gute Geschäftsidee haben, scheint es sehr wahrscheinlich zu sein, dass sie eher bereit wären, ihren sicheren Job zu kündigen und ein Unternehmen zu gründen, wenn sie wissen, dass ihnen garantiert ein Einkommen gewährt wird.“ Außerdem dürfte es den Gründern helfen, ihre Unternehmen auch durch schwere Phasen zu steuern. „Ein gut ausgestaltetes Grundeinkommen hat das Potential, die Wirtschaft dynamischer und unternehmerischer zu machen.“
Super. Dann sind alle Start-Up-Gründer in Berlin-Mitte, aber niemand mehr Müllmann in Duisburg-Marxloh, Pflegekraft in Apolda oder Kanalreiniger in Pforzheim. Wer macht mit einem Grundeinkommen noch unattraktive Arbeiten?
Götz Werner hat das auf den Punkt gebracht: „Es gibt drei Möglichkeiten, mit ungeliebten Arbeiten umzugehen: sie besser bezahlen, sie selber machen, sie automatisieren.“ Das Grundeinkommen böte so die Chance, wichtige soziale Berufe, die bisher unterbezahlt sind, aufzuwerten. Pflegekräfte werden für schwere Arbeit zu schlecht bezahlt. Auch Kindergärtner, Sozialarbeiter oder Lehrer sollten ein Gehalt bekommen, das ihre gesellschaftliche Bedeutung widerspiegelt.
Leuchtet im Grunde ein.
Kritiker setzen aber genau an dieser Antwort an. Etwa die bessere Bezahlung.
Zwar wird das Grundeinkommen bedingungslos, also ohne Prüfung der Bedürftigkeit, gewährt. Aber eine Prüfung findet natürlich trotzdem statt: Ob jemand überhaupt berechtigt ist, ein Grundeinkommen zu bekommen. Manche wollen Grundeinkommen allen Deutschen zahlen, andere nur jenen Menschen, die in Deutschland schon länger als fünf Jahre ihren Wohnsitz haben. Sie haben jeweils sehr gute Begründungen dafür. (Obwohl ich persönlich glaube, dass es besser ist, es an den Wohnsitz zu koppeln. Schließlich wäre sonst der Anreiz, es sich in billigen Ländern gut gehen zu lassen, zu hoch.)
Aber in allen Modellen wird es Menschen in dem jeweiligen Land geben, die das Grundeinkommen nicht bekommen, entweder, weil sie die Staatsbürgerschaft nicht haben, oder noch nicht lange genug dort leben. Die Bevölkerung wird formal in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine kann alle Vorteile des sicheren Geldes genießen, die andere steckt in der gleichen Zwickmühle wie jeder Arbeiter heute auch. Mit allen beschriebenen Nachteilen. Die Existenz der zweiten Gruppe ist weiterhin an Lohnarbeit gekoppelt. Die Kritiker sagen: Wenn ein Grundeinkommen eingeführt wird, werden die Bezugsberechtigten die unattraktiven Jobs verlassen, und anstatt Arbeitgeber dadurch gezwungen werden, sie mit höheren Löhnen oder besseren Bedingungen attraktiver zu machen, stellen sie einfach Menschen ein, die arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das werden vor allem Einwanderer sein. Oder aktuell in Deutschland: Flüchtlinge. Es entsteht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Dagegen könnte man einwenden, dass es diese Zwei-Klassen-Gesellschaft jetzt sowieso schon gibt. Denn bereits heute ist es für Migranten in Deutschland schwerer, einen Job, eine neue Wohnung, einen Studienplatz zu finden.
Wie könnten wir darauf reagieren?
In dem wir die Situation für diese Menschen verbessern, wenn ein Grundeinkommen eingeführt wird. Beispielhaft: Deutschland könnte den Mindestlohn anheben. Dafür muss Deutschland aber nicht auf ein Grundeinkommen warten. Das könnte es eigentlich heute schon tun.
Aber ich will das nochmal klarstellen: Nicht nur Einwanderer wären davon betroffen. In all jenen Modellen, die das Grundeinkommen an einen Wohnort koppeln, müssten auch Deutsche, die lange im Ausland waren, erst einmal eine bestimmte Zeit wieder im Land leben, ehe sie das Geld bekommen könnten.
Würde das Grundeinkommen zu mehr Migration führen?
Die Initiatoren der Schweizer Volkabstimmung schreiben:„Die Befürchtung, mit einem Grundeinkommen würde die Migration zunehmen, ist unbegründet. Das Grundeinkommen wirkt migrationsneutral. Migrationsfragen regelt das Einwanderungsgesetz. Es wird durch das Grundeinkommen weder verschärft noch gelockert.“
Ich verstehe das nicht ganz.
Die Schweizer wollen das Grundeinkommen an die Staatsbürgerschaft koppeln. Deswegen verweisen sie auf das Einwanderungsgesetz. Wer die Bedingungen erfüllt, Schweizer zu werden, der erfüllt auch die Bedingungen, ein Grundeinkommen zu erhalten.
Dann werden eben mehr Menschen versuchen, Schweizer zu werden.
Vielleicht. Aber was wäre schlimm daran, wenn sie auch die Bedingungen für die Staatsbürgerschaft erfüllen?Die Schweizer schreiben: „Der Anreiz, für Sozialleistungen nach Europa zu kommen, besteht bereits heute. Nur: Darum geht es gar nicht. Das Hauptmotiv der Migration ist die Existenzbedrohung in der Heimat.“
Mmh, so richtig überzeugt mich das nicht. Ich habe einfach die Sorge, dass diese an sich wunderbare Idee an so etwas zerbricht.
Wer das bedingungslose Grundeinkommen wann bekommt, muss die Gesellschaft aushandeln, im Bundestag, in Parteitreffen, in Diskussionsrunden. Ich bin mir sicher: Am Ende dieses Prozesses wird keine Regelung stehen, die das Grundeinkommen in seiner Substanz gefährdet. Im Gegenteil: Insbesondere Deutschland könnte diesen Prozess nutzen, um endlich ein Einwanderungsgesetz zu beschließen.
Wird durch ein Grundeinkommen eigentlich das Geld entwertet?
Es gilt auch hier wieder: Es kommt auf die Umsetzung an. Wenn viel Geld von oben nach unten umverteilt wird, wird das dazu führen, dass der sogenannte private Konsum steigt, also die Bürger zusammen mehr einkaufen. Denn die Erfahrung zeigt, dass ärmere Menschen tendenziell einen größeren Anteil ihres Einkommens ausgeben, nicht etwa, weil sie nicht mit Geld umgehen könnten, sondern weil sie einfach mehr ausgeben müssen. Aber selbst, wenn dieser Effekt wirklich spürbar wäre, wäre das nicht allzu schlecht. Denn aktuell liegt die Inflationsrate in der Eurozone unter null Prozent. Ziel der Notenbanker ist aber zwei Prozent.
Wurde das Grundeinkommen eigentlich irgendwo schon einmal ausprobiert?
Es gibt einen Versuch in Otjivero, einem Dorf in Namibia. Der nach den Maßstäben der Entwicklungspolitik auch sehr erfolgreich war. Aber die Erkenntnisse aus einem afrikanischen Dorf ohne Strom sollten wir eher nicht auf die Schweiz oder Deutschland übertragen. Das Einzige, was vielleicht interessant ist: Die Menschen dort haben das Geld nicht verschleudert, sondern genutzt, um sich kleine Geschäfte aufzubauen.
Interessanter ist das Projekt des Start-up-Inkubators Y-Combinator aus San Francisco. Die Firma, die Unternehmen wie Air BnB großgemacht hat, hat eine Forschungsdirektorin eingestellt, die ein Langzeit-Experiment zum Grundeinkommen vorbereiten und durchführen soll. Noch gibt es wenige Details – aber, was in einem Experiment in den USA passiert, dürfte schon eher vergleichbar mit Europa sein. Aber auch in den Niederlanden hat ein kleiner Modellversuch begonnen, der sehr detailliert die Anreize testet, die ein Grundeinkommen setzen könnte.
Für so ein Experiment sprechen sich übrigens auch viele Befürworter hierzulande aus. Klarer Vorteil: Die ganzen Sorgen und Ängste und Befürchtungen, über die wir gerade lange geredet haben, könnten durch so einen Feldversuch entkräftet, relativiert und präzisiert werden. Aus der theoretischen Diskussion würde endlich eine praktische werden.
Wiederum andere würden gerne über einen mehrstufigen, mehrjährigen Prozess schrittweise in ein Grundeinkommenssystem einsteigen und es während dieses Prozesse verbessern. Was wirklich niemand will: Das Grundeinkommen zusammen mit den vielen steuerrechtlichen Änderungen auf einen Schlag einführen. Dann würde das System zusammenbrechen.
Du hast oben die ganzen Gründe für das Grundeinkommen beschrieben. Gibt es da nicht irgendwelche Alternativen?
Natürlich. Die einfachste Alternative: Das jetzige System so reformieren, dass es mit der Digitalisierung und der Automatisierung Schritt halten kann. In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Freitag formuliert etwa der Armutsforscher Christoph Butterwegge eine geharnischte Kritik am Grundeinkommen: „Wenn nicht alles täuscht, avanciert das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zur Herrschaftsideologie der Internet-Bourgeoisie und zur Sozialphilosophie des Digitalprekariats, das seine Scheinselbstständigkeit mit einer pauschalen Geldleistung absichern zu können hofft.“ Er glaubt, dass das Grundeinkommen nichts an den echten Problemen unserer Gesellschaft ändern werde. Mit ihr bliebe die Ungleichheit gleich groß, die relative Armut bliebe bestehen. Besser wäre es, eine Maschinensteuer einzuführen, die Vermögenssteuer wiederzubeleben, Finanztransaktionen zu besteuern und auch Beamte, Selbständige, Abgeordnete und Freiberufler in unser Sozialsystem einzubeziehen. Gewerkschaftler und linke Ökonomen wie Heiner Flassbeck blasen in das gleiche Horn.
Aber Butterwegge hat ja auch recht: Das Grundeinkommen ändert eigentlich nichts am gegenwärtigen System. Der Kapitalismus bleibt bestehen, nur in einem anderen Gewand.
Absolut. Das Grundeinkommen wird das System nicht zerstören. Da sind sich alle einig.
Im Vorfeld meiner Recherche hatte mir eine Leserin, Sigrid Wübker, dazu einen interessanten Gedanken geschickt: „Wenn durch Algorithmen/Roboter wirklich so riesige Produktivitätsgewinne möglich sind, fällt dann die Teilung der Produktivitätsgewinne zwischen Kapitel und Arbeit nicht sehr dürftig aus, wenn Nichteigentümer nur das BGE bekommen? Sollten die Algorithmenbesitzer nicht enteignet werden und ihr ‚Eigentum‘, das erst durch die Abschöpfung bei den Vielen entstanden ist, in Gemeinschaftsgüter überführt werden, um sie gemeinschaftlich zu nutzen?“ Was Sigrid hier formuliert, das wäre eine echte Revolution.
Eine letzte Frage: Ich bin Schweizer. Wie soll ich abstimmen?
Das musst du entscheiden. Meine Meinung kennst du ja.
Es ist die beste Idee …
…unter all den schlechten.
Eine Bitte vom Autor dieses Textes
Illustration: Sibylle Jazra für Krautreporter.