Schnell unterwegs, aber schlecht bezahlt
Geld und Wirtschaft

Schnell unterwegs, aber schlecht bezahlt

Nach dem Krautreporter-Bericht über die Arbeitsbedingungen der Foodora-Fahrer stellt das Start-up konkrete Verbesserungen in Aussicht. Die hätte auch die Konkurrenz dringend nötig: Wettbewerber Deliveroo überprüft nicht mal, ob seine freiberuflichen Kuriere für den Job angemessen versichert sind.

Profilbild von Peer Schader

„Wir liefern. Du genießt“, lautet das Versprechen des Berliner Start-ups Foodora. Vor zwei Wochen berichtete Krautreporter über die Arbeitsbedingungen der Fahrer des Restaurant-Bringdiensts. Und die sind bislang eher kein Genuss. Mitarbeiter warten auch im Winter draußen auf den nächsten Auftrag; viele verdienen wegen der neuen Schichtzuteilung weniger als eingeplant; in Berlin ist zudem der Stundenlohn gesenkt worden.

Foodora hat Verbesserungen in Aussicht gestellt. Foodora-Marketingchef David Brunier erklärte gegenüber Krautreporter, man nehme die angesprochenen Themen „sehr ernst“.

Auch die Konkurrenz hat Verbesserungen nötig

Dabei ist Foodora nicht das einzige Liefer-Start-up, das erhebliche Verbesserungen im Arbeitsablauf nötig hat. Wenige Tage nach dem Krautreporter-Text publizierte tagesspiegel.de ein Interview mit einem Berliner Fahrer des Wettbewerbers Deliveroo. Dieser ist derzeit in sechs deutschen Städten aktiv und bietet den gleichen Service: Die Lieferung frisch zubereiteter Gerichte aus Restaurants, die keinen eigenen Bringdienst haben.

Anders als Foodora beschäftigt Deliveroo einen wesentlichen Teil seiner bundesweit 900 Fahrer auch freiberuflich. Diese Mitarbeiter müssen ein Gewerbe beantragen und arbeiten auf eigene Rechnung. Deliveroo zahlt einen festen Stundenlohn zwischen 7,50 und 8,50 Euro, dazu kommen ein bis drei Euro pro ausgefahrenem Auftrag.

"Von Profis zubereitet, in 32 Minuten geliefert", verspricht Deliveroo seinen Kunden.

“Von Profis zubereitet, in 32 Minuten geliefert”, verspricht Deliveroo seinen Kunden. Screenshot: psr/Deliveroo

Der bisherige Zuschlag von wöchentlich 50 Euro, der gezahlt wurde, wenn ein Fahrer an den Hauptbestelltagen von Freitag bis Sonntag im Einsatz war, sei gerade massiv gesenkt worden, erklärte der Mitarbeiter. Das ist problematisch, weil die Freiberufler nicht nur Ausgaben für Reparaturen, sondern auch für Krankenversicherung und Berufsgenossenschaft selbst tragen müssen. Eine Absicherung gegen Unfälle ist bei einem Job, in dem man sich regelmäßig auf dem Rad durch den Stadtverkehr schlängelt, mindestens ebenso wichtig. „Eigentlich sollte ich auch eine Haftpflichtversicherung haben, habe ich aber nicht“, sagte der Restaurant-Kurier im Interview.

Auf Anfrage von Krautreporter erklärt eine Deliveroo-Sprecherin: „Selbstverständlich empfehlen wir [unseren Freiberuflern] im Rahmen von Informationsveranstaltungen, sich gegen Unfälle, Verletzungen, Diebstahl oder Beschädigung zu versichern. Momentan arbeiten wir mit Hochdruck daran, allen unseren Fahrern zukünftig Versicherungen zu speziellen Tarifen anbieten zu können.“

Das heißt aber auch: Deliveroo kontrolliert nicht, ob die freien Fahrer – zu ihrem eigenen Schutz – die wichtigsten Versicherungen abgeschlossen haben. Dabei ließe sich das gemeinsam mit der Gewerbeanmeldung zur Einstellungsvoraussetzung machen. (Was jedoch den niedrigen Lohn weiter schmälern würde.)

Auf Plakaten wirbt das Start-up großflächig mit dem Spruch „Dein Essen ist in guten Händen“.

Günstiges Fitnessstudio statt höherem Lohn

Zur Kürzung der Provision erklärt das Unternehmen: „Es gibt keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, da es sich beim Wochenendbonus um ein temporäres Entgegenkommen unsererseits handelte.“ Dieser sei dazu gedacht gewesen, „die erschwerten Witterungsbedingungen während der Spitzenzeiten im Winter zu kompensieren“. (Dass es im Sommer einfacher ist, neue Fahrer zu gewinnen und andere zu ersetzen, dürfte wohl auch eine Rolle gespielt haben.) Sonntags würden die Fahrer weiterhin einen Bonus erhalten.

Mehr von Krautreporter

Das ändert freilich nichts am niedrigen Basislohn. Bei tagesspiegel.de berichtete der befragte Deliveroo-Kurier, er habe mit 60 Kollegen einen Brief an das Start-up aufgesetzt, um eine Erhöhung zu erreichen. Die Diskussion dazu sei aber ohne konkretes Ergebnis verlaufen. Gegenüber Krautreporter erklärt Deliveroo: „[Wir vertreten] den Standpunkt, dass unser Angebot mehr beinhaltet als nur monetäre Aspekte. Sicherheit, Gemeinschaftssinn, Unterstützung und Flexibilität bilden den Kern unseres Handelns, und genau diese Aspekte schätzen unsere Kuriere an Deliveroo auch am meisten, wie sie stets betonen.“ Das ist, freundlich formuliert, mutig – angesichts der sehr detaillierten Kritik der eigenen Fahrer.

Online wirbt Deliveroo mit „großartigen Vergünstigungen“ um neue Kuriere und verspricht: „Flexible Arbeitszeiten, großartiges Equipment und eine bezuschusste Fitnessstudio Mitgliedschaft [sic!]. Das Essen trainiert sich nicht von selbst ab.“

Dass die Arbeitsbedingungen in der Branche zunehmend öffentlich diskutiert werden, scheint jedoch auch Deliveroo mitbekommen zu haben. Man wolle „einen zusätzlichen Regen- und Feiertagsbonus“ einführen, erklärt eine Sprecherin gegenüber Krautreporter. Der sei „ab sofort gültig“, „soll unsere Kuriere für die erschwerten Bedingungen entschädigen“ und richte sich „nach den tatsächlichen Regenstunden“.

Foodora und die Gewerkschaft

Foodora wiederum versichert, „dass wir derzeit zusätzlich Gespräche mit ver.di haben, um unsere Fahrerverträge noch vorteilhafter und arbeitnehmerfreundlicher zu gestalten“. Brunier sagt: „Zweck dieser Gespräche ist, Verbesserungspotenziale im Sinne der Fahrer auszuloten.“

Verdi gibt sich auf Krautreporter-Rückfrage erstaunt: „Foodora führt mit uns keine Gespräche über die Gestaltung der Verträge – weder mit den Tariffachleuten auf Bundesebene noch der regionalen ver.di-Gliederung in Berlin“, erklärt Sprecher Jan Jurczyk. Wenn Foodora aber Interesse habe, die Arbeitsbedingungen einheitlich besser zu gestalten, stehe dem absolut nichts entgegen. Jurczyk: „Der tarifvertragliche und institutionelle Rahmen existiert bereits. Handlungsbedarf gibt es allemal.“

(Bitte auch den Nachtrag zu dieser Passage am Ende des Texts beachten.)

Kaltes Essen wegen fixer Abholzeit?

Nach Erscheinen des Krautreporter-Texts konkretisieren weitere Foodora-Mitarbeiter die Probleme bei der computergesteuerten Auftragsvergabe an die Fahrer.

„Wir müssen immer häufiger mehrere Lieferungen gleichzeitig mitnehmen“, sagt einer. An sich sei das kein Problem. „Allerdings passiert es dann häufig, dass ein Restaurant länger braucht und das andere Essen [in dieser Zeit] kalt wird.“ Das Problem scheint hausgemacht zu sein: „Früher hatten die Restaurants die Möglichkeit, Zeiten selber festzulegen, um flexibel darauf reagieren zu können, wie viel im Laden los ist. Mittlerweile ist es so, dass Foodora die Zeit vorgibt und die Bestellung bis dahin fertig sein muss, was aber leider nicht immer klappt.“

Das sorge für Frust auf allen Seiten, weil sich die Beschwerden häuften. „Und wir fühlen uns natürlich auch nicht besonders gut, den Kunden unverschuldet kaltes Essen überreichen zu müssen.“

Foodora sagt, Fahrer erhielten nur mehrere Bestellungen gleichzeitig zugeteilt, wenn der Algorithmus ausrechne, dass das Essen so schneller bei den Kunden ankomme. „Um unseren Kunden eine optimale Erfahrung zu bieten, kommunizieren wir unseren Partner-Restaurants mittlerweile eine fixe Abholzeit, die anhand verschiedener Faktoren dynamisch angepasst wird.“ Damit sollten Situationen vermieden werden, „in denen schneller gekocht wird, als wir unsere Fahrer zu dem Restaurant schicken können und das Essen potenziell kalt wird“. In manchen Fällen wird aber offensichtlich das Gegenteil erreicht.

Foodora verspricht feste Pausen

Darüber hinaus erklärt das Unternehmen, es hetze seine Mitarbeiter – anders als von mir geschrieben – nicht durch die Stadt. Grundsätzlich stehe „all unseren Fahrern natürlich eine Pause zu“, sagt Foodora-Marketingchef David Brunier. Die Auftragsvergabe solle so gestaltet sein, dass Verschnaufpausen möglich sind. „Eine längere Pause von 30 Minuten sieht unsere aktuelle Pausenregelung nach sechs Arbeitsstunden vor. Hierfür ist es lediglich wichtig, dass unsere Fahrer diese Pause mit uns absprechen, damit wir ihnen in dieser Zeit keine Bestellungen zuweisen.“

Diese Regelung greift vor allem für Vollzeitfahrer. Alle anderen arbeiten in der Regel in Zwei- oder Vier-Stunden-Schichten. Ein Vollzeitfahrer reagiert überrascht: „Auf eine offizielle Pausenregelung wurde ich nie hingewiesen, ich habe das auch nicht bei anderen mitbekommen.“ Offensichtlich hat Foodora ein Problem damit, Regeln an seine Mitarbeiter zu kommunizieren.

Das soll sich ändern. Brunier verspricht gegenüber Krautreporter nach nochmaliger Rückfrage: „Wir haben uns das Feedback unserer Fahrer zu Herzen genommen und sind aktuell dabei, sämtliche Schichtplanungen unserer Vollzeitfahrer in allen Städten zu standardisieren und ihre Pausen fest in ihrem Schichtplan zu integrieren.“

Wettbewerber Deliveroo erklärt lediglich: „Unsere Fahrer können zu jeder Zeit eine Pause beantragen oder sich durch die App ausloggen.“ Ob feste Zeiträume dafür vorgesehen sind, sagt das Unternehmen nicht.

Fahrer arbeiten gerne für das Start-up

Zugleich betonen die Fahrer immer wieder, dass sie gerne für das Start-up arbeiten: „Auch wenn der Job bei Foodora noch starkes Verbesserungspotenzial hat, ist er immer noch besser als viele andere, die ich während meines Studiums gemacht habe. Letztendlich kümmern sich die Jungs im Office im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeit sehr gut um uns.“

Genau diese begrenzten Möglichkeiten sind aber der Knackpunkt, wenn die Foodora-Muttergesellschaft Delivery Hero demnächst an die Börse gebracht werden soll. Für den Berliner Start-up-Investor Rocket Internet, der sich an Delivery Hero beteiligt hat, ist das wichtig, um nach Zalando einen neuen Erfolg vorweisen zu können. Künftige Anteilseigner dürften jedoch die berechtigte Frage stellen, warum sie die Expansion eines Start-ups mitbezahlen sollen, das – wie im Falle von Foodora – schon jetzt an seine organisatorischen Grenzen zu kommen scheint.

Verbesserungen im eigenen Interesse

Dass sich Foodora tatsächlich für Verbesserungen einsetzen will, ist dabei durchaus glaubwürdig. Weil das Unternehmen überhaupt nichts davon hat, die über Anzeigen und Gutscheine teuer angeworbenen Kunden gleich wieder zu verlieren, wenn sie negative Erfahrungen machen.

Das gilt auch für Deliveroo. Zumal „Gemeinschaftssinn“ und vergünstigte Fitnessstudio-Mitgliedschaften auf Dauer keinen angemessenen Lohn ersetzen, bei dem sich die Frage erübrigt, ob man sich davon die nötigen Versicherungen leisten kann.

Die jungen Liefer-Start-ups haben gute Ideen und arbeiten ehrgeizig an der Umsetzung. Im besten Fall profitieren die Kunden vom leckeren Essen, das sie nach Hause gebracht bekommen, und die Restaurants machen zusätzlichen Umsatz. Aber um aus den Fahrrad-Bringdiensten Geschäftsmodelle zu machen, die dauerhaft funktionieren, ohne die Schwächen von den Mitarbeitern schultern zu lassen, ist es noch ein hartes Stück Arbeit.


Nachtrag (vom 2. und 7 Juni 2016): Foodora widerspricht nach Erscheinen des Texts, der Darstellung, man rede nicht mit Verdi: Es habe ein „erstes Gespräch mit dem Fachbereich 13 (Besondere Dienstleistung)“ bei Verdi gegeben. Auf meine vorherige Rückfrage („Mit wem bzw. auf welcher Ebene kommuniziert Foodora bei Verdi?“) hatte das Unternehmen zuvor nicht antworten wollen.

Verdi bleibt bei seiner Darstellung und erklärt: „ver.di führt üblicherweise Tarifverhandlungen, um die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen angestellter Arbeitnehmer festzulegen. Es gibt mit Foodora keine Verhandlungen oder Gespräche, die die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen bei dem Unternehmen zum Ziel hätten. Das betrifft sowohl den eigentlich aufgrund der ver.di-internen Branchenaufteilung ohnehin nicht zuständigen Fachbereich 13, der dazu auch weder auf Bundes- noch auf Regionalebene eine Tarifvollmacht ausgestellt hat, als auch den formal zuständigen ver.di-Fachbereich 10 (Postdienste/Spedition/Logistik). Auch dort gibt es weder auf Bundes- noch auf Landesebene Verhandlungen mit Foodora. Mit wem das Unternehmen also worüber spricht, können wir von hier nicht nachvollziehen. Da es aber einen tariffähigen Arbeitgeberverband (AGV) für das Speditions- und Logistikgewerbe (mit Regelungsinhalten auch für Kurier-/Express-/Paketdienste) in Berlin-Brandenburg gibt, kann Foodora dem AGV jederzeit beitreten, sich dem mit uns abgeschlossenen Tarifvertrag anschließen - und alle Diskussionen um willkürliche Arbeitsbedingungen haben sich erledigt.“

Aufmacherfoto: Peer Schader.

Der erste Text über Foodora und die Arbeitsbedingungen: Abstrampeln für Foodora.