Abstrampeln für Foodora
Geld und Wirtschaft

Abstrampeln für Foodora

1.600 Radler fahren in deutschen Städten Essen für Foodora aus. Das Liefer-Start-up verspricht gutes Honorar, freie Zeiteinteilung, lockeres Teamwork – und hält sich nicht daran. Im harten Wettbewerb geraten die Fahrer zunehmend unter Druck.

Profilbild von Peer Schader

Klingt doch super: Leckeres Essen mit frischen Zutaten in nur 30 Minuten umweltfreundlich per Fahrrad an die Haustür geliefert. Genau das versprechen die Zustelldienste Foodora und Deliveroo ihren Kunden in deutschen Großstädten, wenn die den Lieblingsburger vom kleinen Laden um die Ecke oder eine Pizza vom Edelitaliener auf dem Sofa essen wollen.

Foodora gehört zum Berliner Lieferplattformen-Konglomerat Delivery Hero, an dem Rocket Internet beteiligt ist (siehe Krautreporter. Deliveroo kommt aus Großbritannien. Anders als die etablierten Anbieter arbeiten beide mit Restaurants zusammen, die keinen eigenen Bringdienst haben, und organisieren Abholung und Zustellung mit eigenen Fahrern, die unterwegs per App Aufträge entgegennehmen. Die Radler mit den türkis- oder magentafarbenen Styroporboxen sind im Stadtbild von Berlin, München oder Frankfurt kaum zu übersehen. Foodora wirbt nicht nur mit den „besten Restaurants“, sondern versichert auch: „Wir haben die freundlichsten Fahrer der Stadt.“

Das Besondere ist weniger das gelieferte Essen. Sondern eher das Job-Modell, das zum Beispiel Newcomer Foodora etabliert: eine Kombination aus Festanstellung und Elementen von Freelancing – nicht immer zugunsten der Fahrer.

Die haben zwar alle einen festen Vertrag, sind sozialversichert und kriegen feste Stundenlöhne. Wer krank wird und ein Attest vorlegt, bekommt die ausgefallenen Stunden bezahlt. Das macht den Job attraktiv. Studenten können sich als Mini- oder Midi-Jobber einen Teil des Studiums finanzieren. Wer Vollzeit radelt, muss keinen Ärger wegen Scheinselbstständigkeit fürchten. Zugleich erwartet das Start-up aber, dass Mitarbeiter ihre Arbeitsausrüstung selbst mitbringen: ihr Fahrrad, ihr Smartphone, ihre Datenflatrate. „Bei mehr als 4.500 Fahrern weltweit wäre der finanzielle Aufwand [sonst] zu hoch“, erklärt Foodora.

Foodora sucht laufend nach neuen Mitarbeitern und lockt mit guten Arbeitsbedingungen.

Foodora sucht laufend nach neuen Mitarbeitern und lockt mit guten Arbeitsbedingungen. Screenshot: psr

Angesichts der komfortablen Einstellungsbedingungen, mit denen Foodora lockt hört sich das verschmerzbar an:

“Bis zu 13€ pro Stunde
100% Deines Trinkgeldes
Flexible Arbeitszeiten”

Im Interview mit deutsche-startups.de erklärte Foodora-Gründer Emanuel Pallua im März: „Unsere Fahrer sind unsere wichtigsten Mitarbeiter und es ist uns deshalb sehr wichtig, dass sie voll eingebunden werden.“ Man lege „viel Wert auf eine langfristige Zusammenarbeit“. Wer sich mit Fahrern unterhält, die regelmäßig für Foodora unterwegs sind, merkt jedoch: Viele Versprechen kann das Unternehmen nicht mehr einhalten.

Problem 1: Lohn

Die „bis zu 13 € pro Stunde“ klingen im Vergleich zu anderen Nebenjobs fantastisch. In den meisten Städten zahlt Foodora aber nur 9 Euro selbst. München, Frankfurt, Hamburg und Stuttgart sind Ausnahmen: Dort gibt es 10 Euro. Den Rest sollen sich die Fahrer mit Trinkgeld dazuverdienen.

Aber nicht einmal dieser Status quo ist sicher: Das Honorar für alle Berliner Fahrer wurde inzwischen auf 8,50 Euro herabgesetzt. In allen Städten ist der 1-Euro-Zuschlag fürs Radeln an Regentagen weggefallen.

Auf Krautreporter-Anfrage erklärt Foodora: „Wir möchten unser junges Unternehmen nachhaltig aufbauen und vor allem nachhaltige Arbeitsplätze schaffen. Damit wir gleichzeitig profitabel arbeiten können, haben wir uns entschlossen, unseren Fahrern in Berlin 8,50 €/h zu zahlen, also den gesetzlichen Mindestlohn.“ Den Regenzuschlag gebe es nicht mehr, weil man den Fahrern „wetterfeste Regenkleidung zur Verfügung“ stelle.

Aussuchen, online bezahlen, abwarten: Für die hungrigen Kunden funktioniert Foodora denkbar einfach.

Aussuchen, online bezahlen, abwarten: Für die hungrigen Kunden funktioniert Foodora denkbar einfach. Screenshots: psr

Wer seinen Stundenlohn zu erhöhen versucht, indem er Lieferungen besonders schnell ausfährt, um mehr Aufträge und Trinkgeld abzukriegen, dem macht Foodora einen Strich durch die Rechnung. Viele Fahrer berichten, sie bekämen vom System zunehmend die anstrengenden Lieferungen zugeteilt: „Wenn du richtig Gas gibst, werden die Strecken immer länger. Ich werde dafür bestraft, dass ich schnell bin, verbrauche mein Material viel schneller, es gibt aber keine Belohnung.“

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Stattdessen erwarte Foodora, dass ein platter Reifen oder ein gebrochener Rahmen auf eigene Kosten ersetzt werden. Passiere die Panne während der Schicht, bedeute das im Zweifel: Verdienstausfall. „Dann bin ich raus“, sagt einer der Essenskuriere. Ein anderer erklärt, in Berlin könne man sein Rad in der Foodora-Zentrale reparieren und danach weiterarbeiten. Einige berichten von Werkstatt-Kooperationen, meinen jedoch: „Das ist ja wunderbar, wenn ich 10 Prozent kriege – aber die Kosten bleiben immer noch an mir hängen.“

Das Unternehmen widerspricht: „Sollte der Schaden an einem Rad auf die Arbeit bei Foodora zurückzuführen sein, übernehmen wir selbstverständlich die Reparatur.“ Das werde vorher geprüft. Wie genau, kann die Sprecherin nicht sagen. Auch nicht, wie oft Fahrer davon Gebrauch machen. Die meisten scheinen von dieser Regelung gar nichts zu wissen.

Ein weiteres Problem sind Telefon- und Internetgebühren, die Foodora nicht erstattet – selbst wenn Fahrer von unterwegs Kunden zu erreichen versuchen, die ihre Adresse ungenau angegeben haben. Oder wenn die Datenflat schlappmacht. Das Start-up erklärt, eine Übernahme sei „sehr schwierig, da unsere Fahrer alle unterschiedliche Provider nutzen“. Man arbeite stattdessen daran, die Fahrer-App so wenig Daten wie möglich verbrauchen zu lassen. Aber das hilft erstmal wenig. „Mein Trinkgeld geht für die zusätzlichen Kosten drauf“, ärgert sich ein Fahrer aus Berlin.

Problem 2: Zeiteinteilung

Foodora verspricht seinen 1.600 Fahrern in Deutschland „flexible Arbeitszeiten“. Die müssen sie sich aber zunehmend erkämpfen. „Bislang haben wir uns unsere Stunden aussuchen können, wie es uns am besten gepasst hat: mal zwei Stunden pro Woche, mal sechs Stunden, und den jeweiligen Kiez dazu“, sagt ein Fahrer. Die Wünsche werden in ein Online-System eingetragen, inzwischen aber regelmäßig über den Haufen geworfen. Schichten würden ohne Rücksprache zugeteilt, oft auch kurzfristig am Vortag.

„Seit März wurden außerdem so viele neue Fahrer eingestellt, dass nicht mehr genügend Schichten zu vergeben sind“, sagt einer der 450 Foodora-Radler in Berlin. In Köln scheint die Zahl der Fahrer aufgestockt worden zu sein, als Konkurrent Deliveroo überall in der Stadt Plakate aufhängte. Offensichtlich wollte Foodora keinen Anlass geben, zur Konkurrenz zu wechseln, und unbedingt die versprochenen Lieferzeiten einhalten.

Auf die Dauer haben viele Essenskuriere Mühe, überhaupt die vereinbarte Stundenzahl zu erreichen: „Obwohl 20 Stunden Arbeit pro Woche abgesprochen sind, bekomme ich derzeit nur zehn.“ Am Monatsende fehlt im Zweifel die Hälfte des einkalkulierten Honorars. Foodora hingegen profitiert: Wenn mehr Fahrer im Einsatz sind, stehen alle stärker unter Druck, auch unliebsame Schichten zu übernehmen. Etwa an Feiertagen oder Wochenenden, wenn viele studentische Mitarbeiter lieber ausgehen wollen, zugleich aber die Zahl der Essensbestellungen rapide ansteigt.

Das mag Absicht sein – oder schlechte Organisation. Einige Fahrer berichten von technischen Problemen, etwa wenn das System eingeloggten Mitarbeitern keine Aufträge zuweist, obwohl gerade die Hütte brennt. Andere sagen, sie würden die Personalverantwortlichen so lange bequatschen, bis sie ihre gewünschten Schichten kriegen. Foodora erklärt gegenüber Krautreporter: „Von einem Mangel an Schichten kann nicht die Rede sein.“ Dazu bestehe je nach Vertragsart für Fahrer „durchaus die Möglichkeit, feste Schichten zu buchen“. Keiner der Fahrer, mit denen ich gesprochen habe, kennt eine solche Regelung.

Problem 3: Druck

In zahlreichen Städten definiert Foodora sogenannte Meeting Points, an denen die Fahrer sich sammeln sollen, wenn ihre Schicht beginnt oder gerade kein Essen auszufahren ist. Dabei handelt es sich um zentrale Plätze, von denen der komplette Lieferbereich gut zu erreichen ist: der Willy-Brandt-Platz in Frankfurt am Main, der Rudolfplatz in Köln. Dort müssen die Fahrer warten, und zwar: draußen. Auch im Januar oder Februar. Eine Sprecherin erklärt dazu: „Im Winter stellen wir unseren Fahrern warme Winterkleidung zur Verfügung.“

Kommen hingegen besonders viele Bestellungen rein, ohne dass genügend Mitarbeiter eingeplant sind, werden die Fahrer von Auftrag zu Auftrag gehetzt. Pausen sind dann nicht drin: „Du hast dann die Möglichkeit, mal kurz zu verschnaufen, wenn ein Restaurant mit der Zubereitung länger braucht als die Erfahrungswerte sagen.“ Das eigene Mittagessen fällt flach, wenn sofort der nächste Liefer-Push aufs Smartphone kommt.

Auf Pausen scheint Foodora ohnehin wenig Rücksicht zu nehmen. Ein Vollzeit-Fahrer erklärt, er bekomme seine 40 Pflichtstunden pro Woche auch über sieben Tage verteilt. Ob das die Regel ist, sagt das Unternehmen nicht direkt, erklärt nur: „Wir versuchen immer den individuellen Wünschen von allen Ridern nachzukommen. Man muss aber auch bedenken, dass unser Geschäft, ähnlich wie beim Einzelhandel, hauptsächlich am Wochenende stattfindet.“ Wer seinen kompletten Lebensunterhalt mit Foodora verdient, ist allerdings vorsichtig damit, „individuelle Wünsche“ einzufordern: „Bei zwei Wochen Kündigungsfrist bin ich schnell raus“, sagt ein Fahrer.

Problem 4: Organisation

Wenn ein Restaurant die bestellten Gerichte nicht in der üblichen Zeit schafft oder eine Lieferadresse nicht auffindbar ist, haben die Fahrer bisher in den Stadtbüros angerufen, um Hilfe zu kriegen und die wartenden Kunden informieren zu lassen. Seit einiger Zeit ist die Kommunikation in eine App verlagert worden. Foodora zufolge ist das „in den meisten Fällen wesentlich effektiver“. Das empfinden viele Fahrer anders, zumal die Probleme nun zentral in Berlin auflaufen: bei Mitarbeitern, die sich kein bisschen in Wiesbaden, Nürnberg oder Bonn auskennen. Dazu scheinen viele Kuriere zu spät oder gar nicht über die Umstellung informiert worden zu sein.

Einer ärgert sich: „Ich bin der einzige direkte Kontakt zu den Kunden. Und muss ihnen erklären, warum ich 20 Minuten zu spät bin, auch wenn es gar nicht an mir liegt, sondern am Restaurant oder weil ich keinen Supervisor erreicht habe.“ Trinkgeld gibt’s dann eher keins.

Die Ansprechpartner in den Büros gäben sich größte Mühe, alles zu regeln, sagen die meisten Fahrer. Oft müssten sich jedoch sehr wenige Leute um viele hundert Kuriere kümmern: „Die Supervisor sind auch unter Druck.“ Von regelmäßigen Team-Meetings, die in Aussicht gestellt wurden, ist keine Rede mehr: „Es gab mal die Absicht, sich regelmäßig auszutauschen. Aber irgendwie wurde daraus nichts.“

Wie kann das passieren?

Es sieht ganz so aus, als hätte Foodora ein klassisches Rocket-Internet-Problem: Das Start-up scheint zu schnell zu groß geworden zu sein, vielleicht um dem Konkurrenten Deliveroo nicht das Feld zu überlassen. Das verursacht Probleme, die die Mitarbeiter zu spüren bekommen.

Dabei sind viele Kurierradler hochmotiviert. „Ich hab mir gedacht: Ich sitz nach dem Studium noch lange genug im Büro“, sagt eine, die in Hamburg für Deliveroo unterwegs ist. Ein Foodora-Fahrer erklärt: „Ich mache gerade ein Urlaubssemester, um so viel Geld wie möglich zu verdienen und was zur Seite zu legen.“ Die meisten haben Spaß an ihren Jobs. Weil sie wissen, dass sie nicht als Essenslieferanten in Rente gehen werden, machen ihnen auch die Bedingungen nichts aus. Eine Fahrerin sagt: „Ich fahr supergerne sonntags: Da ist das Trinkgeld gut und ich guck eh nie ‘Tatort’.“

Wer länger dabei ist, äußert Zweifel. „Ich hab das Gefühl, dass Foodora einen großen Teil des Risikos seines Geschäftsmodells auf die Fahrer überträgt“, sagt ein Mitarbeiter aus Berlin. Viele haben es satt, um ihre Stunden zu kämpfen. Andere glauben, dass es besser wird: „Ich traue Foodora zu, dass sie auf Dauer eine fairere Verteilung der Aufträge hinbekommen.“

Foodora liefert sich mit Deliveroo eine wahre Plakatschlacht und mietet dafür auch mal sämtliche Flächen in U-Bahn-Stationen (z.B. in Berlin).

Foodora liefert sich mit Deliveroo eine wahre Plakatschlacht und mietet dafür auch mal sämtliche Flächen in U-Bahn-Stationen (z.B. in Berlin). Foto: psr

Vielleicht hat das derzeit aber gar keine Priorität. Wenn die Foodora-Mutter Delivery Hero demnächst – wie angekündigt – an die Börse geht, muss sie gute Zahlen vorlegen. An den Investitionen in Werbung wird sie kaum sparen, wenn der Kampf gegen die Konkurrenz gewonnen werden soll. Und der ist hart. „Hat sich ein Kunde einmal für einen Anbieter [von Lieferessen] entschieden, dessen App heruntergeladen, so bleibt er meist auch treu. Unsere Studien zeigen, dass drei von vier Kunden bei ihrer Erstwahl bleiben“, zitiert das Werbefachmagazin „Horizont“ Thomas Schumacher von der Unternehmensberatung McKinsey. Das erklärt die teure Plakatschlacht.

Womöglich fehlt deshalb das Geld, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. Vorerst „belohnt“ Foodora seine Fahrer nur mit Newslettern, die Rabatte bei anderen Online-Start-ups von Rocket Internet versprechen („Foodora-Mitarbeiterangebote“). Die „wichtigsten Mitarbeiter“ sind für das Start-up offensichtlich vor allem: Neukunden. Damit schadet es sich in erster Linie selbst: weil niemand lange in einem Job bleiben mag, dessen Bedingungen sich verschlechtern.

Gegenüber Krautreporter stellt Foodora Verbesserungen in Aussicht: Der Algorithmus sei angepasst worden, um Aufträge fairer zu verteilen. „Rider Captains“ arbeiteten „auf Hochtouren“ daran, wieder monatliche Treffen zu organisieren. Wenn sich Lieferprobleme nicht per App klären ließen, könnten die „Dispatchingteams“ weiterhin angerufen werden. Die Mitarbeiter des Berliner Büros würden derzeit selbst aufs Rad steigen, um Liefertouren zu übernehmen und die Probleme der Fahrer besser nachvollziehen zu können. Außerdem wolle man mit Verdi über die Gestaltung der Verträge sprechen.

Aber das reicht den Fahrern nicht. Einer fordert: „Auf Dauer müssten wir mehr verdienen, wenn wir unser eigenes Equipment einsetzen.“ Zum Beispiel mit Stundenzuschlägen. Ein Kollege, der bereits gekündigt hat, ist zwiegespalten: „Das sind keine schlechten Leute [bei Foodora]. Aber es gibt viele Probleme, die einfach nicht gelöst werden. Ich will nicht derjenige sein, der es am Ende ausbadet und draufzahlt.“

_Nachtrag vom 2. Juni: Hier ist ein Update zu diesem Text erschienen.*


Alle Mitarbeiter, mit denen ich mich für diesen Text unterhalten habe, wollen anonym bleiben.

Aufmacherfoto: Foodora


Wie die Foodora-Mutter Delivery Hero die Gastronomie verändert, habe ich schon im Dezember für Krautreporter aufgeschrieben (mit einem Klick aufs Bild geht's zum Text).

Wie die Foodora-Mutter Delivery Hero die Gastronomie verändert, habe ich schon im Dezember für Krautreporter aufgeschrieben (mit einem Klick aufs Bild geht’s zum Text).