Vor dem Möbelkauf kommt die Mittagspause, und den Weg dorthin finden die meisten Kunden des schwedischen Einrichtungskonzerns Ikea notfalls auch im Schlaf: durch die große Drehtür, mit der Rolltreppe in den ersten Stock, vorbei am Eingang zur „Markthalle“, Tablett schnappen und anstellen zum Fleischbällchenfassen. Weil Ikea eben nicht nur für Billy, Pax und Lack steht. Sondern auch für Köttbullar, Lachs und Mandeltorte.
Jeder fünfte Kunde, der bei Ikea Möbel kauft, geht nach Angaben des Unternehmens auch bei Ikea essen. Die Restaurants sind essentieller Bestandteil des Konzepts: Wer satt und zufrieden zur Kasse schlurft, kommt gerne wieder. Und die niedrigen Preise für die Mahlzeiten sorgen dafür, dass die Kunden auch das übrige Angebot als günstig wahrnehmen.
Mehr Umsatz als Vapiano und Starbucks
Längst funktioniert die Gastronomie nicht mehr nur als Lockmittel. Sie sorgt auch für wachsende Umsätze. Im Geschäftsjahr 2014/2015 erwirtschaftete Ikea Deutschland in seinen 49 Restaurants und Shops 204 Millionen Euro, 7,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Möbelhauskonzern gehört damit zu den 10 größten Systemgastronomie-Anbietern des Landes – vor Unternehmen wie Vapiano, Starbucks, der Steakhauskette Block und Pizzalieferant Joey’s. Weltweit kommen 160 Millionen Besucher pro Jahr in die Restaurants.
Manche pilgern regelmäßig an den Stadtrand, nur um bei Ikea zu frühstücken. Die City-Filiale im Zentrum von Hamburg-Altona ist inzwischen zur Kiezkantine geworden. In Bremerhaven hat Ikea sein Restaurant erstmals eine Etage tiefer gelegt, sodass Kunden nicht mehr in den ersten Stock fahren müssen. Und in einigen Filialen gibt es separate Cafés in den Möbelhallen.
Dazu sollen bis 2017 sämtliche deutschen Restaurants umgebaut und modernisiert werden. Eine Viertelmillion Euro pro Filiale will sich der Konzern das „typisch schwedische Ambiente“ kosten lassen. Mit Raumteilern, Stehtischen und Lounge-Ecken sollen die Restaurants weniger nach Kantine aussehen. Dazu wolle Ikea „traditionelle und neue schwedische Gerichte zu erschwinglichen Preisen servieren und [Kunden] einen Ort bieten, an dem sie gern verweilen, sich regenerieren und ein Stück ‘Swedishness’ tanken“, erklärt Stavroula Ekoutsidou, Food Managerin bei Ikea Deutschland im Ikea-Unternehmensblog.
Neben „Swedishness“ tanken Ikea-Restaurantkunden aber auch: Zucker, Zusatzstoffe und Kalorien.
Die Anziehungskraft des Billigessens
Anders als Fastfood-Riesen wie McDonald’s oder Burger King muss Ikea nur fast nie erklären, was es seinen Kunden alles auftischt. Dass vor drei Jahren Pferdefleisch in Köttbullar und Schweinefleisch in der Elchlasagne entdeckt wurden, ist längst wieder vergessen. Das mag daran liegen, dass Ikea sein positives Image über die Werbung sehr genau zu steuern weiß. In Broschüren wie dieser (pdf) wirbt der Konzern mit „Lebensmitteln, denen du vertrauen kannst“, verspricht „die Einhaltung besonderer Qualitätskriterien“ und erklärt: „Wenn wir bei Ikea Lebensmittel entwickeln, versuchen wir die Zugabe von künstlichen Zusatzstoffen (…) zu minimieren.“
Auch die Medien helfen kräftig mit, das Ikea-Gefühl zu transportieren. Vor drei Wochen zeigte Sat.1 eine nach Werbesendung aussehende Doku über die Möbelhauskette, in der Prominente erklärten, gegen die Anziehungskraft des Billigessens genauso wenig immun zu sein wie Normalsterbliche. Als Ikea vor knapp einem Jahr Gemüsebällchen („Grönsaksbullar“) in sein Angebot aufnahm, war das vielen Zeitungen eigene Berichte wert. Und kaum ein Artikel erscheint ohne den Verweis, dass weltweit pro Jahr rekordverdächtige 150 Millionen Köttbullar verkauft werden.
Aber was steckt wirklich drin im Essen von Ikea?
Die Grundlage
Um einordnen zu können, ob das Unternehmen seinem positiven Image und der Werbung für sein Essen gerecht wird, habe ich mich mit Ernährungsexperten darüber unterhalten, was ihnen an den Ikea-Gerichten auffällt.
Beim Verkauf von Lebensmitteln müssen seit Ende 2014 Zutaten und Nährwerte angegeben werden. Das gilt laut Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) allerdings nur für vorverpackte, nicht für „lose Ware“, etwa in Großküchen und Restaurants. Ikea ist per Gesetz lediglich verpflichtet, über Zusatzstoffe und Allergene zu informieren.
Manche Unternehmen veröffentlichen trotzdem sämtliche Angaben auf freiwilliger Basis. Wenige Stunden nach meiner Anfrage hat mir etwa McDonald’s eine Auflistung der Zusatzstoffe per Mail zugeschickt; Nährwertdaten und Allergene sind dort online einsehbar.
Eine solche Auflistung stellt Ikea derzeit online nicht zur Verfügung. In den Restaurants weist Ikea seine Kunden darauf hin, die Daten an einem „Infoboard“-Touchscreen vor der Kasse einsehen zu können („Food Facts“). Auf diese Angaben beziehen sich die folgenden Punkte.
Im Detail
1. Unklares Nachfüllgetränke-Versprechen
„Bubbelvaten med Fruktsmak hat 50% weniger Zucker als unsere übrigen Erfrischungsgetränke“: So wirbt Ikea derzeit für seine neuen Getränke, die das bisherige Limonadenangebot (Cola, Zitronenlimo, Orangenlimo) an den Nachfüllautomaten ersetzen. Der Geschmack (Himbeer, Birne, Holunderblüte) kommt per Konzentrat ins Getränk, gesüßt wird mit Fructosesirup. Auffällig sind die hohen Kalorien- und Zuckerwerte in den „Food Facts“-Angaben. Der Nährwert des „Erfrischungsgetränks mit Birnengeschmack“ pro 100 Gramm wird mit 145 Kilokalorien (610 kJ) und 35,8 Gramm Kohlenhydrate (hauptsächlich Zucker) angegeben. Freiwillig würden Sie das nicht trinken wollen. Die Werte beziehen sich vermutlich auf den Sirup, der in der Zapfanlage mit Wasser verdünnt wird. Nur ist das Mischverhältnis dabei völlig unklar.
Ähnlich wie die Werbung: Die Redaktion von Lebensmittelklarheit.de, einem Projekt der Verbraucherzentralen, sagt Krautreporter, dass es sich bei Ikeas Werbeversprechen zum Zuckergehalt um eine nährwertbezogene Angabe handele, für deren Nachprüfbarkeit das Vergleichsprodukt angegeben sein müsste. Ikea sagt aber lediglich: „Der Vergleich bezieht sich auf unser vorheriges Softdrink-Angebot.“
Auf Anfrage nennt das Unternehmen immerhin die korrekten Werte: In 100 Millilitern sind 11,1 Milliliter Sirup drin, das entspricht 19 Kilokalorien (78 kJ) und 4,6 Gramm Kohlenhydraten (4,5 Gramm Zucker). Ins Glas passen 250 Milliliter. (Der Wert muss also nochmal mit 2,5 multipliziert werden.) Das 50-Prozent-Versprechen kommt also hin, wenn die bisherigen Limonaden rund zehn Gramm Zucker beinhalteten. Für Kunden ist das in den Restaurants bislang bloß unmöglich nachzuvollziehen, weil die in den „Food Facts“ genannten Angaben unbrauchbar sind.
Abgesehen davon wird Fructosesirup zur Süßung von Experten teilweise kritisch bewertet, weil beim Konsum in großen Mengen die Regulierung des Sättigungsgefühls beeinträchtigt werden kann. Ökotrophologin Stefanie Himmerich sagt: „Besser wäre es, einfach weniger Zucker für die Getränke zu verwenden.“ Ernährungsexpertin Julia Zichner von Fooducation empfiehlt als Alternative Saft als Schorle mit viel Wasser zu verdünnen, sagt aber auch: „Das wird vermutlich nicht mehr den Massengeschmack treffen.“ Auf die Frage, warum man keine Schorlen an den Automaten anbiete, erklärt Ikea, man habe „alternative Flaschengetränke“ wie Lemonaid, Bionade und Charitea im Sortiment.
2. Warum der Zucker im Essen steckt
„Zugegeben, süß macht glücklich“, schreibt Ikea auf seiner Website und mahnt: „Zu viel Zucker ist allerdings ziemlich ungesund. Trotzdem nehmen wir immer mehr davon zu uns – manchmal sogar ohne es zu wissen.“
Stimmt. Zum Beispiel in vielen Ikea-Gerichten: in Gemüsebällchen, im Kartoffelpüree und im Couscous, in den Gemüsemedaillons, im Apfelrotkohl, in den Tortelloni, der „gewürzt angebratenen“ Gänsekeule, selbst im „Hirschedelgulasch“ und der Rinderroulade. Das kann mehrere Gründe haben:
Zucker trifft den Massengeschmack. Und genau auf den zielt Ikea, damit die Restaurants funktionieren. Als Geschmackszutat ist Zucker auch okay, zum Beispiel um in der Tomatensoße die Säure der Tomaten auszugleichen. Wenn es Ikea aber wirklich ernst damit wäre, uns weniger versteckten Zucker zuzumuten („Wir wollen was dagegen tun!“, heißt es online), könnte der Konzern damit sofort bei seinen Gerichten anfangen.
Zucker ist Ersatz für teurere Rohstoffe. „In der Industrie wird Zucker oftmals als billiges Füllmittel verwendet“, sagt einer der Ernährungswissenschaftler, mit denen ich gesprochen habe. Schon mit drei bis fünf Gramm pro Gericht kommen bei mehreren tausend Mahlzeiten pro Tag relevante Einsparnisse zusammen. „Es ist aber schwierig abzuschätzen, wann Zucker Füllmittel ist und wann tatsächlich Geschmackszutat.“ Ikea erklärt auf KR-Anfrage, es werde kein Zucker eingesetzt, um Kosten zu sparen.
Dabei verfährt der Konzern bei der Produktion seiner Möbel im Grunde genommen nach einem ähnlichen Prinzip: Verpackungen werden verkleinert, um Platz zu sparen (wie beim Ektorp-Sofa); Metallteile werden durch billigeres Plastik ersetzt, um Kosten zu sparen (wie beim Billy-Regal); Tischbeine werden hohl produziert, um Material und Transportgewicht zu sparen (wie bei Bjursta-Esstisch). 2013 zitierte das „Wall Street Journal“ Michael La Cour, den Chef der Ikea-Food-Sparte mit den Worten: „Wir entwickeln die Speisekarte genauso, wie wir das mit Möbeln tun. Wir fangen mit dem Endpreis an.“
3. Bio und Veggie – „ein breites Angebot“?
„Ein breites Angebot an vegetarischen und Bio-Gerichten“ verspricht Ikea den Kunden seiner Restaurants. Ein Großteil der Gerichte, unter anderem der Nummer-eins-Verkaufshit Kötbullar und die neuen Gemüsebällchen Grönsaksbullar verzichten jedoch auf Bio-Zutaten. Ikea erklärt Krautreporter, dass es „aktuell“ drei Gerichte (von über 25) gebe, die vollständig aus Bio-Zutaten bestehen: Pasta mit Tomatensoße, Bio-Hähnchengeschnetzeltes mit Bio-Wildreis und Bio-Kartoffelstück mit Bio-Sauerrahm.
Wer bei seiner Ernährung komplett auf tierische Zutaten verzichtet, wird so manche Zutatenliste kritisch sehen: Die vermeintlich vegetarischen „Kartoffel-Gnocchi mit knackigem Gemüse“ enthalten den „Food Facts“ zufolge eine Gewürzmischung unter anderem aus Hühnerbrühe sowie „natürliches Aroma“ aus pochiertem Huhn. Auf die Frage, ob das für weitere „vegetarische“ Angebote gelte, erklärt Ikea, das Gericht aus dem Sortiment genommen zu haben. „In anderen Gerichten wird gegebenenfalls Gemüsebrühe verwendet.“
Die Bio- und Veggie-Auswahl ist also eher überschaubar. Eine Sprecherin sagt: „Das Angebot an Bio-Gerichten wird im nächsten Geschäftsjahr sukzessive erweitert: So arbeiten wir gerade an der Umstellung aller Pastagerichte.“
4. Zusatzstoffe für Aussehen und Geschmack
Fast alle Gerichte, die ich mir mit den Experten angesehen habe, enthalten Aromen und Zusatzstoffe. Ernährungswissenschaftlerin Zichner sagt: „Fragen Sie sich einfach mal, wenn Sie die Titel der Gerichte hören: Mit welchen Grundnahrungsmitteln würden sie die zu Hause zubereiten? Die Zutatenliste würde garantiert deutlich kürzer ausfallen.“
Warum macht es Ikea dann nicht genauso? Produkte, die in der Systemgastronomie verwendet werden, müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, erklärt Christian Niemeyer, Leiter des Deutschen Zusatzstoffmuseums in Hamburg: „Wenn Sie in einem klassischen Restaurant Fleisch bestellen, wird das angebraten, dadurch entstehen Röstaromen, das Fleisch schmeckt und sieht gut aus. In der Schnellgastronomie ist dafür keine Zeit. Die Kunden erwarten aber trotzdem, dass ihr Gulasch dunkel ist und schmeckt, wie sie es gewöhnt sind. Deshalb wird mit Farb- und Geschmacksstoffen nachgeholfen.“
Schauen wir uns das mal genauer an:
„Hirschedelgulasch mit Rotkohl und Semmelknödeln“:
Die Hauptzutaten dieses Ikea-Gerichts sind „Hirschfleisch gegart 42%, Trinkwasser, Champignons 15%“ und „Würzmischung“. Letztere sorgt dafür, dass das gegarte Fleisch „überhaupt schmeckt“, sagt Niemeyer. „Gewisse Duftstoffe, die Bratkartoffel- oder Fleischgeruch simulieren, lassen sich mit Eiweißen und Zuckern gezielt nachbauen. Aber das funktioniert beim Erhitzen in der Mikrowelle oder im Wasserbad nicht mit allen. Deshalb sind Geschmacksverstärker nötig.“ Maltodextrin sorgt für die Soßenbindung, Karamellpulver für die gewünschte Farbe, Tomatenpulver und „natürliches Aroma“ sind Geschmacksverstärker. Lediglich ein Prozent des Gerichts machen Austernseitlinge und chinesische Stockschwämmchen aus. Damit die Soße auch nach Pilz schmeckt, wird „Mischpilzpulver“ zugesetzt.
Das enthaltene „Rotweinpulver“ enthält getrockneten Wein und Maltodextrin, das Alkohol mikroverkapselt einschließen und wieder freisetzen kann. Zur Wachsmaisstärke erklärt Niemeyer: „Stärken haben je nach Zusammensetzung unterschiedliche Eigenschaften, zum Beispiel Einfluss auf die Verdickung oder Anhaftung einzelner Stoffe. Die Komponenten dürfen sich ja während des Warmhalteprozesses nicht voneinander trennen.“ Dem Apfelmus im Apfelrotkohl ist Glucosesirup beigesetzt, der die gewünschte Konsistenz steuert.
„Köttbullar mit Kartoffelpüree, Preiselbeeren und Rahmsoße“:
Die Ikea-Fleischbällchen werden von den Experten mehrheitlich okay bewertet. Sie bestehen aus Rind (56 Prozent) und Schwein (28 Prozent), Zwiebeln, Paniermehl, Eiern, Salz, Eiweiß, Pfefferextrakt (gleich mehr dazu) und Eiweiß. Im Püree steckt Molkenpulver für die Milchnote und Aroma; Farbstoff (Beta-Carotin, E160a) sorgt dafür, dass das Püree trotz unterschiedlicher Kartoffeln immer gleich aussieht. „Schwankungen bei Produkten sehen die Verbraucher gar nicht gerne“, erklärt Niemeyer.
„Gemüsebällchen mit Couscous und Tomatensoße“:
Damit das Gemüse (Kichererbsen, grüne Bohnen, Karotten, rote Paprika, Mais, Kohl usw.) tatsächlich zum Bällchen wird, kommt „Erbsenprotein“ für Festigkeit zum Einsatz. Niemeyer: „Die Kunden wollen ja keinen Gemüsebrei auf dem Teller haben.“ Verdickungsmittel (Methylcellulose, E461) hilft wahrscheinlich dabei, die gefrorenen Bällchen beim Auftauen zu stabilisieren.
„Caesar’s Salad mit Hähnchenbrust“:
Hier sorgen Verdickungsmittel (E407, E508) und Stabilisatoren (E451i, E450i) unter anderem dafür, dass die Marinade am Hähnchen haftet. Salat und Hähnchen sind heikle Produkte für die Systemgastronomie: Hähnchen muss immer gut durchgegart sein, Salat keimfrei sein. (Was sonst passiert, erlebt derzeit die amerikanischen Fastfoodkette Chipotle: ein Desaster.)
„Lachsfilet mit Spinat-Kartoffelgratin und Sauce Hollandaise“:
Der Ikea-Beschreibung zufolge „ein modernes Lachsgericht“ – mit einem „Gewürzextrakt [Thymian, Lorbeer, Nelke]“. Zusatzstoff-Experte Niemeyer erklärt, was das ist: „Die Industrie will Aroma als Begriff vermeiden, stattdessen kommen Gewürzextrakte zum Einsatz. Das klingt gut – aber es ist nicht klar, was genau aus den Stoffen rausgezogen wurde.“ Rosmarinextrakt kann zum Beispiel als Antioxidationsmittel eingesetzt werden – und hat keinerlei Rosmaringeruch mehr. „In diesem Fall könnte der Hersteller [für das Gericht] ja auch einfach Thymian nehmen. Macht er aber nicht. Weil das Gewürzextrakt gezielter funktioniert.“
„Kinderfrühstück mit fettarmem Kakaogetränk“:
Zum Frühstück für die kleinen Kunden gehört ein „Milchbrötchen“. „Die schmecken furchtbar süß, fast nur nach Aroma – und kommen bei Kindern total gut an“, sagt Ökotrophologin und Köchin Stefanie Himmerich. Im Brötchen steckt (neben Zucker) unter anderem Backmittel, in dem Emulgatoren (E481, E472e, E322) enthalten sind. Die machen es luftiger, damit aus möglichst wenig Teig möglichst viel Brötchen wird, und sorgen dafür, dass der Teig über Maschinen verarbeitbar ist. „Gewürzstoffe: Kurkuma klingt gut, ist aber nur dazu da, dass das Ergebnis schön ausgebacken-gelblich nach Brötchen aussieht. Andernfalls wäre es vermutlich weiß“, sagt Niemeyer.
Der fettarme Kakao enthält neben entrahmter Milch auch Molkenerzeugnis: Eiweiße, die in der Käseproduktion anfallen. Niemeyer: „Die lassen sich so verändern, dass sie sich wie ganz kleine Fettkügelchen auf der Zunge bewegen. Das schafft den Eindruck von Sahnigkeit.“ Carragen dient als Stabilisator, sonst setzt sich das Pulver ohne Schütteln von der rosagefärbten Milch ab. Aroma sorgt für den Geschmack, den 1,2 Prozent Kakaopulver alleine nicht schaffen.
„Viele dieser Beobachtungen werden sich auf zahlreiche andere Möbelhäuser [mit Gastro-Angebot] übertragen lassen“, meint Christian Niemeyer. „Schwierig ist es nur, wenn der Verbraucher nicht mehr unterscheiden kann, ob er gerade in einem ‘Restaurant’ sitzt oder in einem Instant-Imbiss.“ Genau das sei inzwischen aber oft der Fall, weil die Zusatzstoffe-Industrie gezielt Gastronomen bediene, die ein vielfältiges Angebot auf der Karte haben wollen, aber nicht die Ressourcen, um die Gerichte tatsächlich zuzubereiten.
„Vor zwanzig Jahren hätten Sie ohne die heutige Optimierung von Aussehen und Geschmack im Möbelhaus kein Hirschedelgulasch gekauft.“
5. Wie viele Burger sind eine Portion Köttbullar?
2.300 Kilokalorien für Männer, 1.800 Kilokalorien für Frauen (jeweils zw. 25 und 51 Jahren) – so lauten die aktuellen Richtwerte für die tägliche Energiezufuhr der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Auf den ersten Blick schneidet Ikea mit seinen Mahlzeiten da gar nicht so schlecht ab, sagt einer der Ernährungsexperten: „Die Tortelloni mit Lachs und Gemüse entsprechen ziemlich genau einem Drittel des Energiebedarfs eines erwachsenen Mannes.“
Mit 828 Kilokalorien ist das nach Köttbullar in Deutschland zweitbeliebteste Ikea-Essen aber auch kein besonders leichtes, wie es der Lachs und das Gemüse suggerieren. Schuld dürfte die „Gemüse-Sahne-Soße“ sein, die nicht direkt im Namen auftaucht, in der Produktabbildung auch nicht besonders auffällt, aber für Geschmack sorgen soll. Das Soßen-Problem haben mehrere Lachs- und Gemüse-Gerichte. Ähnlich ist es beim Salat: Kleine Schüsseln führen dazu, dass wir mehr Soße aus dem Spender nehmen, um den Salat nicht umrühren zu müssen (weil er dann womöglich auf dem Tisch landet).
Für Verkaufshits wie die Köttbullar- und Grönsaksbullar-Gerichte gibt Ikea derzeit im Restaurant keine Nährwertdaten an und begründet das gegenüber Krautreporter mit „Rezepturanpassungen und Lieferantenwechsel“. Die Werte würden derzeit „neu ermittelt“. Dennoch kommuniziert Ikea die von mir angefragten Werte: Eine 15er-Portion Köttbullar mit Kartoffelpüree, Preiselbeeren und Rahmsoße kommt demnach auf 974 Kilokalorien (4.074 kJ). Zum Vergleich: Wer bei McDonald’s zwei Hamburger, eine kleine Pommes und eine Sechser-Portion Chicken McNuggets verdrückt, erreicht 1.005 Kilokalorien (4.205 kJ). Mit zwei Big Mac liegt man leicht darüber (1.018 Kilokalorien, 4.259 kJ).
Mit 774 Kilokalorien (3.234 kJ) sind die Zehner-Portion Köttbullar mit Püree und Soße beziehungsweise die Zehner-Portion Gemüsebällchen mit Kartoffelbrei und Tomatensoße (454 Kilokalorien, 1.900 kJ) eine bessere Alternative für alle, die ohne Überschreitung der DGE-Werte durch den Tag kommen wollen.
Ikea zielt mit seiner Restaurant-Strategie freilich aufs Gegenteil: „Die meisten kommen bei uns ja nur rein, um Köttbullar zu essen. Und was wir versuchen: den Leuten noch Salat oder ein Dessert und ein Getränk mit auf den Weg zu geben“, erklärte der Leiter des Ikea-Restaurants in Hamburg-Altona in der oben genannten Sat.1-Doku. Wer dem nachgibt, macht die Möbelhaus-Mittagspause jedoch endgültig zum Fastfood-Gelage.
Über die Desserts sagt Ökotrophologin Julia Zichner: „45 Gramm Zucker pro Waldfruchtjoghurt mit Mousse [von Ikea] übertrumpfen den ‘Großen Bauer’ aus dem Supermarkt mit 33 bis 37 Gramm Zucker. Die Butterwaffeln gleichen energetisch betrachtet einer Tafel Vollmilchschokolade. Auch die Milchshakes enthalten indiskutable Zuckermengen.“ (Das ist allerdings bei McDonald’s ähnlich.)
Fazit: Ikea bleibt im Ungefähren
Die sympathische „Swedishness“, mit der Ikea seine Gerichte in den Restaurants verkauft, ist in erster Linie ein Marketing-Erfolg. Weil viele Kunden das Angebot nicht als das wahrnehmen, was es wirklich ist: ein mittelmäßiges Kantinenessen aus Fertigkomponenten mit Zusatzstoffen. So leicht und hochwertig, wie es das Ikea-Image und die Werbung suggerieren, sind die Gerichte nicht.
Das weiß das Möbelunternehmen nur allzu gut selbst: „Ikea richtet sein Lebensmittelgeschäft derzeit neu aus und legt den Schwerpunkt nun verstärkt auf erschwingliche sowie gesündere und nachhaltig produzierte Lebensmittel“, sagt die Unternehmenssprecherin gegenüber Krautreporter und erklärt in schönstem PR-Deutsch: „Als Teil der Ikea-Vision, vielen Menschen einen besseren Alltag zu schaffen, war dieser Schritt nur selbstverständlich.“ (Richtig ist wohl eher: überfällig.)
Was sich konkret ändern soll, sagt Ikea nicht. (Lediglich, dass Fisch- und Meeresfrüchte bereits FSC/MSC-zertifiziert sind und Kaffee und Tee UTZ-zertifiziert, aber das ist nicht neu.)
Auf die Frage, weshalb versprochen wird, etwas gegen versteckten Zucker zu unternehmen, bei vielen Gerichten aber das Gegenteil passiert, bleibt das Unternehmen ebenso im Ungefähren: „Auch dieses Thema gehen wir an und sprechen mit unseren Lieferanten darüber, wie wir gemeinsam noch gesündere Komponenten entwickeln können.“ Nach konkreten Maßnahmen hört sich das nicht an. (Immerhin ist das Milchbrötchen im Kinderfrühstück inzwischen durch ein Hefeteigbrötchen ersetzt worden.)
Problematisch ist vor allem die Informationspolitik des Unternehmens. Einerseits schlüsselt Ikea die Inhaltsstoffe seiner Gerichte weitreichend auf und betont, seinen Gästen Nährwertangaben „schon seit Jahren“ freiwillig zur Verfügung zu stellen. „[Dann] sollten sie aber korrekt sein“, sagt die Redaktion von Lebensmittelklarheit.de in Hinblick auf die Nachfüllgetränke. „Hier muss Ikea aus unserer Sicht nachbessern.“ Bei vielen Gerichten fehlen derzeit Angaben, manche sind unrealistisch oder falsch, Bezugsgrößen sind unklar, und die Kunden müssen erst rechnen, um auf die endgültigen Werte zu kommen. Ökotrophologin Zichner meint: „Entweder listet Ikea alle Nährwertangaben zu den verkauften Gerichten korrekt auf – oder lässt es ganz bleiben. Unstimmige oder gar falsche Angaben helfen niemandem.“ Ikea erklärt, man wolle im April neu berechnete Werte veröffentlichen.
Die genannten Maßnahmen werden aber kaum dazu führen, dass das Essen von heute auf morgen völlig anders aussieht – im Gegensatz zu den teuer renovierten Restaurants. Man arbeite daran, „den Anteil frischer Lebensmittel zu erhöhen“, sagt Ikea. „Als großer Systemgastronom werden wir allerdings nie ganz auf Konvenienz-Produkte verzichten können.“
Zumindest so lange, wie wir als Kunden weiter möglichst schnell und möglichst günstig satt werden wollen, bevor wir Bücherregale und Sofas einkaufen gehen.
Illustration: Sibylle Jazra für Krautreporter.