Schmutzige Wäsche
Geld und Wirtschaft

Schmutzige Wäsche

„Made in EU” ist keine Garantie für faire Arbeitsbedingungen in der Textilbranche. Denn auch in Rumänien und Bulgarien schuften Frauen für einen Hungerlohn, selbst für renommierte Marken.

Profilbild von Reportage von Laura Stefanut, Rumänien

Calafat, Süd-Rumänien, 7 Uhr morgens. Hunderte Textilarbeiterinnen drängeln sich auf einem provisorischen Markt. Sie brauchen Nachschub für die nächste Schicht – Cracker, Chips und Limonaden stapeln sich auf den Motorhauben von zwei Minivans. Immer mehr Menschen kommen, mit dem Bus oder zu Fuß über eine lange Autobahnbrücke.

Die Strickwarenfabrik Maglierie Cristian Impex gehört Italienern. Sie ist der größte Arbeitgeber in der Region. Zu ihren Kunden gehören bekannte Marken wie Kenzo, Escada, Marc O’Polo, Faconnable und auch Inditex, der in Spanien angesiedelte Marken-Riese, dem auch Zara und Massimo Dutti gehören. Einer Lokalzeitung zufolge, die den Werksleiter interviewt hat, gehören auch Hugo Boss und Pierre Cardin zu den Auftraggebern.

Viele Arbeiterinnen wollen nicht mit einem Reporter sprechen. Weil sie fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Andere nuscheln im Vorübergehen, sie hätten ihre Gehälter nicht erhalten. Es laufe schlecht, sagen sie. „Helfen Sie uns, wenn Sie können“, sagt mehr als eine.

Arbeiter sichern sich einen Vorrat an Snacks vor ihrer Schicht in der Maglierie-Cristian- Fabrik in Calafat, Süd-Rumänien (im Juli 2015).

Arbeiter sichern sich einen Vorrat an Snacks vor ihrer Schicht in der Maglierie-Cristian- Fabrik in Calafat, Süd-Rumänien (im Juli 2015). Foto: Laura Stefanut

„Arbeit, Arbeit, Arbeit – aber kein Lohn“, klagt eine Arbeiterin, die 34-jährige Cristina (Name zum Schutz der Frau geändert). Rund ein Dutzend derzeitige oder ehemalige Arbeiterinnen der Fabrik sagten dem Balkan Investigative Reporting Network, BIRN, sie müssten auf ihr Geld warten. Einige berichteten, im vergangenen Jahr hätten sie nur alle zwei oder drei Monate Löhne erhalten.

In den vergangenen Jahren haben Aktivisten und Journalisten die Not von Textilarbeiterinnen angeprangert. Meistens konzentrierten sie sich auf Asien. Aber auch innerhalb der Europäischen Union, in Rumänien und Bulgarien, müssen die Arbeiterinnen niedrige Löhne hinnehmen, lange Arbeitszeiten und schwierige Bedingungen ertragen, wenn sie Kleidung für große Mode-Häuser machen, darunter auch Edelmarken.

Nicht-Regierungsorganisationen wie die Fair Wear Foundation und die Clean Clothes Campaign fordern, die Marken müssten die volle Verantwortung für ihre Produktionsketten übernehmen; dazu gehörten auch anständige Löhne und Arbeitsbedingungen für alle beteiligten Arbeiter.

Die Fabrikbesitzer sagen, die Marken setzten sie unter Druck, die Kosten niedrig zu halten. Die Arbeiter, überwiegend Frauen, werden oft zum gesetzlichen Mindestlohn von ein paar hundert Euro im Monat angeheuert und bekommen meist sogar weniger ausgezahlt. Sie müssen oft monatelang auf ihren Lohn warten, der weit unter dem Existenzminimum in den betroffenen Ländern liegt.

Cristina sagt, sie sei von Ende Januar bis Mitte Juli nur zweimal bezahlt worden. Insgesamt hat sie rund 1.500 Lei (340 Euro) für ein halbes Jahr Arbeit bekommen. “Frauen gehen zum Chef und beginnen vor ihm zu weinen, sie sagen: ‚Bitte geben Sie mir mein Geld, ich habe nichts zu essen für meine Kinder‘“, erzählt Cristina. Sie lebt in einem Häuschen in einem Dorf, etwa zehn Kilometer von der Fabrik entfernt.

Cristina teilt sich ein winziges Haus mit zwei Zimmern mit ihrem Ehemann, ihrem Sohn und ihrer Schwiegermutter. Sie ist das einzige Familienmitglied in einer Vollzeitbeschäftigung. Und dennoch denkt sie, dass sie mehr Glück hat als ihre Kolleginnen: Sie muss keine Bankkredite tilgen und lebt auf dem Land, wo sie ihr eigenes Essen anbauen kann.

Wilder Streik

Im April 2014 beteiligten sich mehr als 300 Mitarbeiterinnen der Maglierie-Cristian-Fabrik an einem wilden Streik. Sie protestierten dagegen, dass sie ihre Gehälter zu spät bekommen. Wahrscheinlich könnten sie ihren Familien zu Ostern nicht einmal eine anständige Mahlzeit auftischen, schimpften sie.

Einer der Streikenden, der 29 Jahre alte Cristi Deseanu, sagt, die Leute hätten schließlich ihr Geld bekommen. Aber er und andere lautstarke Demonstranten seien gefeuert worden.

In einem kurzen Telefongespräch erklärte ein leitender Angestellter dem BIRN, Deseanu habe gekündigt. Aber Unterlagen aus der Fabrik belegen, dass die Firma ihn entlassen hat. Weil er einem internen Disziplinarverfahren zufolge an einem nicht genehmigten Streik teilgenommen hat und so das Unternehmen in Verruf gebracht habe.

„Die armen Dinger fallen um wie die Fliegen.”
Calafats stellvertretender Bürgermeister Dorel Mituletu über Fabrikarbeiterinnen, die im Sommer unter der Hitze leiden.

Deseanu arbeitete als Mechaniker in der Anlage, er programmierte und wartete Maschinen. Er sagt, offiziell habe sein Gehalt rund 250 Euro pro Monat betragen. Aber er habe nicht immer die komplette Summe erhalten. Vor allem nicht im Winter, wenn die Fabrik weniger Aufträge hatte. Einige Monate verdiente er nur rund 150 Euro. Das kann er mit seinen Lohnabrechnungen belegen.

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„Mit meinem Gehalt dort konnte ich es mir nicht leisten, eine eigene Familie zu gründen”, sagt Deseanu. Er hat inzwischen einen Job in einer anderen Fabrik gefunden – 250 Kilometer von seiner früheren Wohnung und seinem Arbeitsplatz in Calafat entfernt.


Die Fabrik in Calafat ist mehrheitlich im Besitz von Enzo Mantovani, dem Gründer einer Luxus-Kaschmir-Marke, und seinen beiden Söhnen, Cristian und Gianluca. Letzterer ist auch Hauptgeschäftsführer des rumänischen Unternehmens, das 2014 einen Umsatz von mehr als 8,3 Millionen Euro auswies (nach Angaben des Ministeriums für öffentliche Finanzen).

Das Werk gehört zu den größten Bekleidungsfabriken in Rumänien und beschäftigt rund 1.000 Mitarbeiter. Es wirbt damit, „einen guten Ruf im In- und Ausland“ zu haben und als Philosophie die „absolute Kundenzufriedenheit“. Nach eigenen Angaben hatte es im Jahr 2014 rund 900 Mitarbeiter.

BIRN hat wiederholt über mehrere Monate versucht, eine Stellungnahme von der rumänischen Firma zu erhalten, vor allem zu den konkreten Vorwürfen in diesem Artikel. Ein BIRN-Reporter ging zum Werkstor, rief die Firma mehrfach an, reichte Fragen per E-Mail ein und kontaktierte Cristian Mantovani via Facebook. Aber es gab keinen Kommentar, der über die mageren Worte zu Deseanus Ausscheiden hinausging.

Inditex sagte im September vergangenen Jahres, seinen Sozialprüfungen zufolge habe die Anlage die Standards eingehalten. Ende Januar dieses Jahres hieß es dann, dass Inditex die Fabrik nun „unter einen Korrekturplan“ gestellt habe. Was das genau bedeutet, erklärte Inditex nicht.

„In den folgenden Wochen werden die Audit-Teams bei dem Lieferanten ein weiteres Mal prüfen, ob die Sozial-Standards eingehalten werden. Der Lieferant wird dann entweder die Genehmigung erhalten, Inditex weiter zu beliefern, oder er wird definitiv ausgeschlossen“, erklärte das Unternehmen.

Die anderen Marken, die angeblich in der rumänischen Fabrik arbeiten lassen, reagierten nicht auf E-Mail-Anfragen oder telefonische Bitten um eine Stellungnahme oder beantworteten nicht die gestellten Fragen.

„Lebensader“

Catalin Mohora ist Inspektor beim Gewerbeamt im Kreis Dolj, zu dem Calafat gehört. Er sagt, für einen Arbeitgeber könne es durchaus legal sein, weniger als den Mindestlohn zu zahlen. Wenn beispielsweise die Nachfrage nach seinen Produkten gering sei, könne der Arbeitgeber die Arbeitszeiten verringern und den Lohn entsprechend senken.

Das Gesetz sieht laut Gewerbeamt auch keine Strafen für den Fall vor, dass Gehälter nicht pünktlich bezahlt werden. Wenn das Geld zu spät kommt, müssen die Inspektoren zunächst den Arbeitgeber auffordern, endlich zu zahlen. Erst wenn dann immer noch nichts passiert, können Bußgelder verhängt werden.

Inspektor Mohora sagt, Maglierie Cristian sei einer der besseren Arbeitgeber im Kreis. Andere Unternehmen versuchten, den rechtlichen Spielraum so auszunutzen, dass sie kaum Löhne und Steuern zahlten – sie veränderten zum Beispiel Verträge nach der Unterzeichnung oder zahlten den Mitarbeitern kein Geld für Überstunden.

Calafat, eine Stadt mit rund 17.000 Einwohnern an den Ufern der Donau, wurde unter der Herrschaft des kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu ein Industriezentrum. Aber nur wenige der Fabriken überlebten den Wechsel zum Kapitalismus in den 1990er Jahren.

Der stellvertretende Bürgermeister der Stadt, Dorel Mituletu, sitzt an seinem Schreibtisch, neben ihm stehen große Flaggen von Rumänien und der EU auf dem Boden. Calafat kämpfe um Investoren, sagt er. Und die Maglierie-Cristian-Fabrik sei die „Lebensader“ der Stadt.

„Niemand kann es sich leisten, sich gegen jemanden zu positionieren, der auf die eine oder andere Weise 1.000 Personen Arbeitsplätze bietet“, sagt er.

„Wenn die gehen, bleiben Sie mit einem großen sozialen Problem zurück.“

Der Vizebürgermeister von Calafat, Dorel Mituletu, im Juni 2015 in seinem Büro.

Der Vizebürgermeister von Calafat, Dorel Mituletu, im Juni 2015 in seinem Büro. Foto: Laura Stefanut

Mituletu räumt ein, die Beschäftigung in der Fabrik sei „eine anstrengende Arbeit für die Frauen“, vor allem im Sommer, wenn es im Inneren so heiß werde, dass einige Arbeiterinnen in Ohnmacht fallen.

„Die armen Dinger fallen um wie die Fliegen“, sagt Mituletu.

Cristina berichtet, sie habe im vergangenen Juli gesehen, wie es drei Frauen in ihrem Abschnitt wegen der Hitze schlecht geworden sei oder wie sie zusammengebrochen seien. Und sie erinnert sich an einen italienischen Aufseher, der gelacht und gesagt habe, er müsse auf dem Hinterhof einen improvisierten Friedhof einrichten, wenn die Frauen weiter so umfielen. “Er wollte einen Scherz machen“, sagte Cristina resigniert.

Die Fabrik hat zwar Klimaanlagen. Aber sie reichen nicht aus gegen die Hitze von Maschinen und Bügeleisen. Da sind sich Cristina und Mechaniker Cristi Deseanu einig.

Die Modemarken schicken manchmal Mitarbeiter, um die Fabriken zu überprüfen, mit denen sie arbeiten. Cristina sagt, im Sommer 2015 habe ein Vertreter von Lacoste die Fabrik in Calafat besucht. Sie hatten rund um die Uhr gearbeitet, um gestreifte Pullover für die französische Marke zu produzieren – in zwei Zwölf-Stunden-Schichten.

„Wir haben wie verrückt gearbeitet und uns gefragt, wie lange wir so weitermachen könnten”, erinnert sich Cristina.

Der Lacoste-Mann fragte nach den Arbeitsbedingungen. Eine Abteilungsleiterin war besorgt, dass sie zu viel gesagt habe und deswegen entlassen werden könnte. Denn die Arbeiterinnen seien angewiesen worden, sich nicht bei Außenstehenden zu beklagen.

BIRN nahm Kontakt mit der Firma Lacoste auf, um nach dem Besuch ihres Vertreters zu fragen. Das Unternehmen bestätigte den Eingang der Frage. Aber trotz wiederholter Nachfrage bekam BIRN keine Antwort.

Nach offiziellen Statistiken arbeiten in Rumänien rund 240.000 Menschen in der Bekleidungsindustrie. Sie ist der zweitgrößte Exportsektor nach der Automobilindustrie. In Bulgarien beschäftigt die Textilbranche 105.000 Menschen in 4.500 Unternehmen.

Neustart wird zum Alptraum