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Geld und Wirtschaft

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2015 war das Jahr, in dem uns das Internet endgültig versprochen hat, nie mehr das Haus verlassen zu müssen. Machen wir natürlich trotzdem: um uns beim Einkaufen vom vielen Online-Bestellen zu erholen.

Profilbild von Peer Schader

„Nur Deppen schleppen“ – mit dieser kessen Behauptung warb Rocket Internet im zurückliegenden Jahr für seinen neuen Einkaufsbringdienst Shopwings, den sich das Berliner Start-up-Imperium (wie so viele andere Ideen) in den USA abgeschaut hat. Diesmal ist es nicht ganz so gut gelaufen. Lebensmittelhändler wie Aldi, Edeka und Alnatura waren nicht sonderlich begeistert, dass jemand anderes Geld damit verdienen wollte, in ihren Läden einzukaufen, ohne sie zu fragen oder zu beteiligen.

Gerade einmal zehn Monate nach dem Start stellte Shopwings im Sommer seinen Dienst wieder ein und verscherbelte die Daten zum Einkaufsverhalten seiner Ex-Kunden per Anzeige. Man wolle sich künftig auf andere Märkte konzentrieren, hieß es aus dem Unternehmen. (Mehr zu den Gründen für das Aus hat „Capital“ zusammengefasst.) Die größte Leistung von Shopwings in Deutschland bleibt auf absehbare Zeit also, mit seinem Werbespruch nicht nur die eigenen Mitarbeiter, sondern auch gleich alle potenziellen Kunden als „Deppen“ verunglimpft zu haben.

Das muss man als sich als frisch gegründetes Unternehmen ja auch erst mal trauen.

"Nur Deppen schleppen", meinte Shopwings und stellte den Betrieb ein.

“Nur Deppen schleppen”, meinte Shopwings und stellte den Betrieb ein. Foto: Peer Schader

Als Trendsetter wird der Rocket-Flop trotzdem nicht in die Geschichte eingehen. Weil alles darauf hindeutet, dass 2016 schon wieder das Jahr wird, in dem wir noch mehr online bestellen, um zu Hause darauf zu warten, dass der Paketbote nicht klingelt. Also, kleiner Check: Wer sind dabei wirklich die Deppen?

Möglichkeit 1: Die Lieferanten?

„Sie suchen eine Herausforderung… dann sind Sie bei uns genau richtig!“, wollte mich das Logistikunternehmen DHL vor wenigen Monaten per Flugzettel als „engagierten und motivierten Paketzusteller (m/w)“ für die neue Tochtergesellschaft DHL Delivery abwerben. (Allerdings war ich schon ganz gut damit ausgelastet, meinen eigenen Pizza-Lieferdienst zu gründen

Zu den aufgelisteten „Vorteilen“ gehörte unter anderen der „regionale Tarifvertrag des Speditions- und Logistikgewerbes“ – der von der Gewerkschaft Verdi allerdings als handfester Nachteil gesehen wurde und DHL 2015 einen wochenlangen Streik seiner Beschäftigten einbrachte, die sich unter anderem dagegen wehrten, in die neue Gesellschaft transferiert zu werden. Denn Mitarbeiter von DHL Delivery werden nicht nach dem bisherigen Haustarifvertrag bezahlt – und verdienen deshalb weniger.

Um „engagiert und motiviert“ zu bleiben, wie es sich der Konzern wünscht, hilft das womöglich nur bedingt. Erst recht nicht, wenn sich Paketzusteller und Paketempfänger kaum noch zu Gesicht kriegen, weil beide tagsüber zur selben Zeit arbeiten müssen.

Packstation-Leerung in Berlin.

Packstation-Leerung in Berlin. Foto: Peer Schader

Damit die vielen Sendungen trotzdem ankommen, hat DHL angekündigt, in Berlin zahlreiche neue Packstationen und Paketkastenanlagen aufstellen zu wollen. Passiert ist seitdem wenig. Es ist nicht einmal abschließend geklärt, wer eigentlich die Kosten dafür übernimmt. Nach meiner kleinen Zwischenbilanz versprach DHL immerhin, dass im neuen Jahr konkretere Informationen folgen:

https://twitter.com/DHLPaket/status/666987917542297602

Womöglich kommt das neue paar Schuhe künftig sowieso aus der Luft angeflogen. Klingt unrealistisch? Sagen Sie das bloß nicht, wenn Skycart-Chef Lukas Wrede in der Nähe ist. In Kooperation mit einem Online-Blumenhändler will der Unternehmensgründer 2016 erstmals Bestellungen per Lieferdrohne zum Kunden bringen und damit Amazon zuvorkommen. Wie das funktionieren soll, hat Wrede vor einem Monat im Krautreporter-Interview verraten:

Ich kann mir gut vorstellen, dass es in Städten wie Hamburg und Berlin künftig jeweils tausend Lieferdrohnen geben wird.

Über mangelnde Bezahlung werden die sich ja kaum beschweren.

Möglichkeit 2: Die Händler?

Bis zu 10 Euro kostet es einen Händler, wenn Kunden ihm einen bestellten Artikel zurückschicken, den sie doch nicht haben wollen, rechnet das EHI Retail Institute. Zalando hat eingeräumt, dass jeder zweite Artikel, der über die Plattform bestellt wird, zurückkommt. Viele Händler sind unsicher: Lässt sich online überhaupt Geld verdienen, wenn man nicht Amazon ist? Die meisten haben gemerkt, dass sie’s auf jeden Fall ausprobieren müssen.

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Im April hat die Drogeriemarktkette dm, die lange zu den Online-Verweigerern gehört, ihren ersten Bestellshop im Netz eröffnet. Ob der wirklich funktioniert, ist aber womöglich gar nicht so entscheidend. Weil dm auch außerhalb des Internets unaufhaltsam weiter wächst. Aus den 1.622 Filialen, von denen ich an dieser Stelle im vergangenen März geschrieben hatte, sind inzwischen 1.744 geworden.

Die Kunden lieben dm, weil die Kette gleichzeitig Nachhaltigkeit und günstige Preise verspricht. Als ein Hersteller den Preis seiner Zahnpasta anheben wollte, nahm dm sie im Sommer aus dem Sortiment, informierte seine Kunden im Laden über den Grund – und sammelte damit haufenweise Sympathiepunkte in den sozialen Medien.

https://twitter.com/wiwo_alle/status/636475702800322561

Ganz so sympathisch, wie das Image es suggeriert, ist die Kette aber nicht (mehr). Für das massive Wachstum setzt dm inzwischen auch alte Allianzen aufs Spiel. Seit einem halben Jahr werden kontinuierlich Produkte des bisherigen Handelspartners Alnatura aus dem Sortiment genommen und mit eigenen dm-Bio-Artikeln ersetzt. Sogar vor Gericht streiten die Parteien inzwischen. Im Krautreporter-Interview hatte dm-Geschäftsführer Erich Harsch noch sehr viel versöhnlichere Töne angeschlagen.

Alnatura bleibt aber im Sortiment. Und ich hoffe, dass wir auch in Zukunft gut zusammenarbeiten werden.

Aber das ist ja auch schon ein Dreivierteljahr her.

Möglichkeit 3: Wir selbst?

Was machen die Kunden eigentlich mit der ganzen Zeit, die sie wegen des Online-Bestellens sparen? Ganz genau: Noch mehr einkaufen. Nur halt nicht mehr die lästigen Dinge des Alltags. Sondern die Designerklamotten, die beim Textildiscounter TK Maxx auf der Stange hängen und nur noch die Hälfte von dem kosten, was sie vor ein paar Wochen wert gewesen sein sollen. Die amerikanische Resteaufkaufkette gehört definitiv zu den erfolgreichsten Händlern des Jahres. 2016 soll der erste Laden in München eröffnen: mitten in der Stadt, in der Kaufingerstraße.

Laut „Münchner Merkur“ war der ärgste Konkurrent für den begehrten (und sündhaft teuren) Standort die irische Billigtextilkette Primark.

Auch wenn sich die Geschäftsmodelle der beiden Unternehmen voneinander unterscheiden, haben sie einiges gemeinsam: Weil sie den Trend befördern, Einkaufen zur Freizeitbeschäftigung zu machen. Wie das genau funktioniert, steht hier.

TK Maxx-Eröffnung am Berliner Alexanderplatz.

TK Maxx-Eröffnung am Berliner Alexanderplatz. Foto: TK Maxx

Obwohl die Klamotten-Discounter mit ihrem hippen Image und den aggressiven Niedrigpreisen etablierten Händler das Leben schwermachen, ist Jerry Storch guter Laune. Der Chef der kanadischen Hudson’s Bay Group war 2015 in Deutschland selbst auf Shopping-Tour und hat dabei einen Laden erstanden, der mit einem seiner „Flagship Stores“ am Berliner Alexanderplatz zwischen Primark und TK Maxx eingeklemmt ist: Kaufhof. Mit neuen Modelabels und Sortimenten wollen die Kanadier die deutsche Kaufhauskette in den kommenden Jahren aufpeppen (während die Zukunft des Mitbewerbers Karstadt weiterhin ungewiss ist). Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (bei Blendle für 0,45 Euro lesen) erklärte Storch gerade:

Nur das schlechte Kaufhaus ist tot, nicht das gute. Wenn Sie die Sache richtig angehen, ist ein Kaufhaus ein wichtiger Shopping-Magnet. Ich sehe für Kaufhof eine großartige Zeit kommen.

Apropos Magnet: Wenn Sie das nächste Mal zum Freizeit-Shopping in die Stadt aufbrechen, fragen Sie den Händler Ihres Vertrauens dort doch mal, ob er Sie heute schon geortet hat. Um mit der Online-Konkurrenz mithalten zu können, wollen die stationären Läden ihren Kunden nämlich nicht nur schöne Schaufenster machen – sondern auch ihre Einkaufsgewohnheiten verstehen lernen. Zum Beispiel, indem sie per WLAN-Ortung Bewegungsprofile erstellen oder mittels kleiner Funksender (so genannter Beacons) gezielte Angebote machen. Dafür brauchen Sie bloß: unsere Smartphones. Was heute schon alles möglich ist und warum viele Kunden nix davon wissen, habe ich hier aufgeschrieben.

Aber dass „Nur Deppen schleppen“ ist zusammengefasst nicht mehr als ein dummer Werbespruch, der gemeinsam mit Shopwings im Einkaufsnirwana verschwinden wird. Damit Ihnen und mir das nicht genauso geht, kommen Sie doch einfach im neuen Jahr wieder hier vorbei.

Bis es soweit ist: Vielen Dank fürs Lesen, Diskutieren und Mitmachen im Namen der gesamten Krautreporter-Redaktion. Und einen wunderbaren Start ins Jahr 2016!


Illustration: Veronika Neubauer