Ausgeliefert – Wie Pizza.de und Lieferheld die Gastronomie unter Druck setzen
Geld und Wirtschaft

Ausgeliefert – Wie Pizza.de und Lieferheld die Gastronomie unter Druck setzen

Mit Werbeplakaten und Rabatten locken die Lieferportale des Berliner Unternehmens Delivery Hero immer mehr Kunden auf ihre Seiten. Damit Restaurants dort gelistet werden, müssen sie hohe Provisionen zahlen und strenge Vertragsbedingungen akzeptieren. Das geht zu Lasten der Essens-Qualität.

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„Wasabi da nur bestellt?“, steht auf den Plakaten, die überall in den Städten hängen, „Spare satt“, „Worauf hast du jetzt Lust?“ oder einfach nur: „Hunger?“ Genauso gut hätte man Bushaltestellen und Laternenpfähle auch mit einem umfassenden Kochverbot zupflastern können – weil die Benutzung des eigenen Herds wirklich keine Alternative sein kann, wenn überall „beste Restaurants“ darauf warten, leckeres Essen mit spektakulären Rabatten vorbeizubringen.

Das suggerieren zumindest Pizza.de, Lieferheld, Lieferando, Foodora und Deliveroo, von denen die Plakate stammen. Die Idee dahinter ist simpel: Im Internet kriegen Nutzer auf den Portalseiten tausende Restaurants in ihrer Nähe angezeigt und können sich ihr Lieblingsessen nach Hause ordern.

Bei Flügen und Hotelzimmern sind Online-Buchungen über solche Maklerplattformen längst selbstverständlich. Das Berliner Unternehmen Delivery Hero will dafür sorgen, dass das bald auch für warme Mahlzeiten gilt. Denn bislang greifen die Deutschen, wenn sie Lust auf Lieferpizza haben, meist noch zum Telefon und rufen direkt beim Pizzabäcker an. „Bestell-Abwicklungen in Restaurants sind bislang sehr ineffizient. Der Italiener, der eine gute Pizza backen kann, musste sich auch um Kundenservice, Marketing und Logistik kümmern“, sagt Delivery-Hero-Sprecher Bodo von Braunmühl. „Der Ansatz von Delivery Hero ist: Die Gastronomen konzentrieren sich aufs Kochen, den Rest übernehmen wir.“


Gerade mal viereinhalb Jahre gibt es die vom Schweden Niklas Östberg gegründete Firma. Noch vor zwei Jahren war Delivery Hero mit seiner deutschen Plattform Lieferheld.de, die einen sympathisch guckenden Superhelden mit rotem Kostüm als Logo hat, bloß ein Anbieter unter vielen. Im August 2014 hat sich das schlagartig geändert. Delivery Hero übernahm den deutschen Marktführer Pizza.de, das größte deutsche Lieferportal. Den im Netz kursierenden Kaufpreis in Höhe von 290 Millionen Euro kommentiert das Unternehmen nicht. Um zu verstehen, dass Delivery Hero kein kleines Start-up mehr ist, ist das aber auch gar nicht notwendig.

850 Angestellte arbeiten allein am Stammsitz in Berlin-Mitte, genannt „Mittropolis“ (nach der Heimat von Superman). Weltweit sind es 2.500. Darunter ist kein einziger Koch, Restaurants hat Delivery Hero auch nicht gemietet. Stattdessen kümmern sich Mitarbeiter darum, die Plattformen bekannter zu machen und weitere Restaurants von einer Kooperation zu überzeugen.

Im Frühjahr verkleidete Lieferheld das Berliner Zeiss-Großplanetarium zu Werbezwecken als riesigen Burger.

Im Frühjahr verkleidete Lieferheld das Berliner Zeiss-Großplanetarium zu Werbezwecken als riesigen Burger. Foto: Peer Schader

Mit seinen Portalen ist Delivery Hero die Nummer 1 in Deutschland, Korea und Schweden, in Großbritannien Nummer 2. Den türkischen Marktführer Yemeksepeti haben sich die Berliner dieses Jahr 540 Millionen Euro kosten lassen. Der Mittlere Osten und Lateinamerika werden immer wichtiger. Eigenen Angaben zufolge sind 200.000 Restaurants in 34 Ländern unter Vertrag, 8.000 davon in Deutschland. Täglich werden über die Plattformen 30 Millionen Gerichte ausgeliefert. Aber längst wird noch nicht überall Geld verdient. Die Kosten, um die Portale bekannt zu machen, sind enorm. In Deutschland liefert sich Delivery Hero einen Wettstreit mit der niederländischen Take-away-Gruppe, zu der Lieferando gehört. Weltweit gehören GrubHub (in den USA) und JustEat (in Großbritannien) zu den Konkurrenten.

Vor einem Jahr ist der Berliner Start-up-Durchlauferhitzer Rocket Internet (Zalando, HelloFresh) bei Delivery Hero eingestiegen, hält inzwischen 38,5 Prozent und macht kein Geheimnis daraus, die Firma am liebsten so schnell wie möglich an die Börse bringen zu wollen. Östberg will das auch, aber nicht so schnell: „Ich treffe meine Entscheidung gemeinsam mit allen Investoren, da kann Oliver Samwer Druck machen, wie er möchte“, sagte er der Wirtschaftswoche. Es darf als sicher gelten, dass sich Rocket-Gründer Samwer sonst nicht oft sowas sagen lassen muss. Doch Delivery Hero ist auch ohne ihn groß geworden und will die Kontrolle über das eigene Geschäft behalten.

Unternehmensgründer Niklas Östberg

Unternehmensgründer Niklas Östberg Foto: Delivery Hero

Doch der schnelle Aufstieg ist nicht für alle ein Erfolg. Restaurantbesitzer beklagen, der Bestellmakler dränge in einen Markt, in dem sich schon jetzt nur noch schwer Geld verdienen lasse, und gewinne zunehmend Einfluss. Das gehe zu Lasten der Qualität – und gefährde langfristig womöglich die Eigenständigkeit kleiner Restaurants.

Delivery Hero sieht das anders und verweist auf positive Berichte. „Wir stehen in engem Austausch mit den Gastronomen und wissen, dass fast alle Restaurants von einer Kooperation mit unseren Plattformen stark profitieren, sonst würden sie keine Partnerschaft mit uns eingehen.“ Es gebe Gastronomen, die von einer Verzwanzigfachung ihrer Umsätze berichten.

Ganz so einfach ist es für die meisten aber nicht. Es gibt drei wesentliche Probleme:

Problem 1: Provision

Die Aussicht auf mehr Umsatz lässt sich Delivery Hero gut bezahlen. Um mit ihrem Lieferdienst auf den Plattformen Pizza.de und Lieferheld gelistet zu werden, zahlen Gastronomen eine Provision. In dieser Gebühr sei „umfangreicher Support“ enthalten, erklärt das Unternehmen. Es gibt einen Kundenservice, an den sich Besteller bei Reklamationen wenden können. Dazu investiert Delivery Hero massiv in Werbung, um Kunden auf die Seiten zu locken. „Die durchschnittliche Provision auf unseren Plattformen liegt bei rund 12 Prozent, die Grundgebühr bei 20 Euro im Monat“, heißt es bei Delivery Hero auf Krautreporter-Anfrage. Und: „Die Provisionen in Deutschland sind seit geraumer Zeit konstant.“

Wer sich in der Branche umhört, bekommt einen gegenteiligen Eindruck. Manche Gastronomen sind längst auf 13 oder 14 Prozent gestuft. „Das lässt sich kaum noch rechnen, wenn man alle Vorschriften einhalten will“, sagt ein Betreiber im Gespräch mit Krautreporter. Die Provisionen würden kontinuierlich erhöht, eine Obergrenze sei nicht absehbar.

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Um herauszufinden, was auf die Gastronomen zukommt, wenn sie eine Kooperation eingehen, habe ich mich selbst angemeldet und angegeben, einen eigenen Lieferdienst gründen zu wollen: „Peers Pizza“. Jetzt weiß ich: Als neuer „Partner“ beträgt meine Provision satte 15 Prozent des Bestellumsatzes. Dazu kommt die bereits genannte Grundgebühr (20 Euro pro Portal und Monat) sowie eine „einmalige Einrichtungsgebühr“ für Pizza.de und Lieferheld in Höhe von 990 Euro („Ratenzahlung möglich“, Mindestvertragslaufzeit: zwölf Monate). Und wenn ich mich nur beim Marktführer anmelden möchte? „Natürlich können Sie auch nur bei einem Portal vertreten sein“, mailt mein „Account Manager“. „Allerdings bleibt der Preis für die Einrichtungsgebühr der gleiche.“

Zusätzlich stellt Delivery Hero noch einmal 2,5 Prozent in Rechnung, falls Kunden ihr Essen direkt bei der Bestellung online bezahlen – das ist deutlich mehr als Paypal für seine Dienstleistung berechnet.

Auf die Frage, ob Delivery Hero also nochmal zusätzlich am Differenzbetrag verdient, möchte das Unternehmen nicht antworten. Sprecher von Braunmühl sagt aber: „Angesichts des umfangreichen Leistungspaketes und den deutlichen Umsatzsteigerungen für die Restaurants empfinden wir das Niveau der Provisionen als für beide Seiten absolut fair bemessen.“

Problem 2: Risikoabwälzung

Die Online-Zahlung ist für Gastronomen keine freiwillige Option. Sowohl Pizza.de als auch Lieferheld schreiben sie in ihren Vertragsbedingungen zwingend vor. Die eingezogenen Beträge verrechnet Delivery Hero mit den anfallenden Gebühren und muss sich dann nicht mehr darum sorgen, seine Provisionen bei den Restaurants einzutreiben. Dafür müssen die Restaurants darauf warten, dass ihnen ihre Umsätze überwiesen werden – das kann dauern.

Zugleich lagert Delivery Hero das Risiko der Online-Zahlung vollständig an die Gastronomen aus. Wenn ein Besteller ein gekapertes Online-Konto oder eine geklaute Kreditkarte benutzt, trägt das Risiko alleine das Restaurant. In den Vertragsbedingungen heißt es weiter: „Der Provisionsanspruch vom Anbieter bleibt bestehen.“ Dasselbe gilt, wenn eine fertige, unbezahlte Bestellung nicht ausgeliefert werden kann, weil etwa die Adresse falsch angegeben wurde. Der Gastronom bleibt auf den Kosten für Waren, Zubereitung und Lieferung sitzen und muss obendrauf noch Provision für einen nicht existierenden Umsatz bezahlen.

Warum das so ist, will Delivery Hero auf Anfrage nicht beantworten.*

Problem 3: Abhängigkeit

„Für einzelne Gastronomen wird es schwerer, sich [im Markt] zu behaupten, weil die großen Plattformen mit hohen Marketingbudgets ausgestattet sind“, sagt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin beim DEHOGA-Bundesverband, der die Interessen der Restaurantbetreiber vertritt. „Die Digitalisierung bietet Chancen und Risiken – es gilt für jeden Unternehmer, diese sauber abzuwägen. Wir raten sehr dazu, sich nicht um jeden Preis zu binden und abhängig zu machen, besonders nicht nur an eine einzige Lieferdienstplattform.“

Die Frage ist, ob sich kleine Lieferdienste das noch aussuchen können. Am Ende ist es nämlich nicht einmal damit getan, im Ranking von Pizza.de, Lieferheld oder Lieferando aufzutauchen, um wahrgenommen zu werden. Wichtig ist auch: an welcher Stelle.

Wer die Aufmerksamkeit auf seinen Betrieb lenken möchte, muss weiter investieren. Entweder mit dem Kauf von „Premium-Listings“, als Anzeige gekennzeichnete Plätze, die über dem regulären Ranking stehen. Oder mit „Deals“, die Kunden Rabatt auf ihre Bestellung versprechen und ein Restaurant in der Liste hervorheben. „Wenn ich sämtliche Kosten und die Mehrwertsteuer abziehe, bleibt sowieso nicht mehr viel übrig“, sagt ein Gastronom. Ein Rabatt sei kaum noch machbar.

Im Sommer versprach pizza.de "bis zu 46%" auf Bestellungen.

Im Sommer versprach pizza.de “bis zu 46%” auf Bestellungen. Foto: Peer Schader

Zugleich behält sich Delivery Hero vor, Restaurants in seinen Rankings „nach unten zu versetzen“ oder komplett „offline [zu] nehmen“, wenn ein außerordentlicher Kündigungsgrund vorliegt. Dazu gehört unter anderem, dass „das Restaurant widerrechtlich Besteller vom Anbieter abwirbt oder versucht, diese abzuwerben“. Delivery Hero untersagt den Betreibern damit quasi, Werbung mehr für eine eigene alternative Bestellseite im Internet zu machen, um unabhängiger von den Portalen zu werden. Dieser Passus sei vor der Übernahme von Pizza.de formuliert worden, heißt es auf KR-Anfrage bei Delivery Hero. Er werde aber seit einiger Zeit „nicht mehr angewendet und [soll] auch getilgt werden“.


Olaf Hertlein glaubt, dass Outsourcing für Restaurants der falsche Weg ist: „Betreiber müssen ihre eigenen Werbestrategien entwickeln und in den sozialen Medien aktiv sein.“ Hertlein ist ausgebildeter Gastronom, coacht Gründer und hilft in der Fernsehsendung „Rosins Kantinen“ Betreibern von Großküchen, richtig zu wirtschaften. Eigentlich ist es eine einfache Rechenaufgabe, findet der Kieler:

„Wenn Sie richtig kalkulieren wollen, müssen Sie zum Beispiel von Ihrer Pizza Salami jede einzelne Zutat runterrechnen: Wie viel Mehl und Hefe kommt in den Teig, wie viele Scheiben Salami kommen drauf, und wie viel Gramm Käse? Der Wareneinsatz bewegt sich zwischen 28 und 30 Prozent. Wenn Sie dann auf 1 Euro kommen, können Sie den Betrag grob mal vier nehmen, um Betriebs- und Personalkosten abzudecken. Dann sind wir bei 4 Euro. In der Regel wird in der Mischkalkulation noch was draufgeschlagen, um auch teurere Gerichte für einen akzeptablen Preis anbieten zu können. Kosten fürs Marketing sind dann aber noch gar nicht eingerechnet.“

15 Prozent zusätzliche Kosten (zum Beispiel für eine Lieferportal-Listung) bedeuteten, dass die Pizza im Grunde genommen 15 Prozent teurer werden müsse. „Dann können Sie aber im Wettbewerb nicht mehr mithalten.“

Für viele Gastronomen ist das ein Dilemma: Eigentlich müssten sie ihr Lieferessen teurer machen, um die zusätzlichen Kosten aufzufangen und existieren zu können. Stattdessen geben sie, um aus der Masse hervorzustechen, sogar noch Rabatte. „Aus diesem Hamsterrad kommen sie dann aber nie wieder raus“, sagt Hertlein. „Ein Pizzabäcker ist ja nicht die Heilsarmee.“ Mit seinem eigenen Restaurant Non Solo Pane in Kiel ist Hertlein bei keinem Lieferportal vertreten.


Die, die es doch sind, profitieren entweder davon, dass die Kunden ihnen die Bude einrennen, wie Delivery Hero gerne erwähnt. Oder sie müssen sehen, wie sie zurechtkommen. Um gegen die Konkurrenz zu bestehen, trauen sich die wenigsten, die Kooperation einfach zu kündigen. Wer die Kosten nicht über eine höhere Bestellzahl ausgleichen kann, ist zum Sparen gezwungen. Zum Beispiel, indem günstigere Lebensmittel eingekauft werden und im Zweifel weniger auf Qualität geachtet wird.

Unser Lieferessen kommt dann zwar bequem nach Hause und ist spottbillig – aber es schmeckt nicht mehr?