Vor einem halben Jahr ist Deutschlands größtem Paketdienst DHL bewusst geworden, dass die Pakete seiner Kunden immer dann ankommen, wenn sie nicht zu Hause sind. „Traditionelle Formen der Zustellung zu Hause oder an den Nachbarn stoßen aufgrund der gestiegenen Mobilität der Menschen immer häufiger an ihre Grenzen“, erklärte DHL-Paket-Vorstand Jürgen Gerdes im Mai. Und kündigte an, dass man sich darauf einstellen werde – zuallererst in Berlin, das zur „Paket-Hauptstadt Deutschlands“ werden soll.
„Mit dem einzigartigen Projekt in Berlin schaffen wir die Grundlage für noch mehr Flexibilität durch eine nie dagewesene Zahl von permanent verfügbaren automatisierten Abgabe- und Annahmestellen“, versprach das Unternehmen. Die Hälfte aller DHL-Pakete in Berlin soll bis Ende 2016 nicht mehr an der Wohnungstür oder beim Nachbarn abgegeben werden, sondern in Packstationen, Paketkästen und DHL-Paketshops.
Was ist seit dieser Ankündigung passiert?
Wir warten auf neue Packstationen
An Packstationen können sich registrierte DHL-Kunden ihre Online-Bestellungen selbst abholen. In Berlin will DHL auf diesem Weg künftig bis zu 50.000 Pakete täglich zustellen. Damit das funktioniert (und nicht weiter zahlreiche Pakete umgeleitet werden, weil die Stationen überfüllt sind, muss das Netz massiv erweitert werden. Bislang gab es 180 Stationen, 130 davon direkt in Berlin, 50 im Berliner Umland. Ende des kommenden Jahres sollen es DHL zufolge 500 sein. Das ist ein ambitionierter Plan – zumal bislang quasi nichts passiert ist.
Gerade einmal fünf neue Stationen sind seit der Ankündigung im Mai auf dhl.de verzeichnet. Um den selbst gesetzten Zeitplan einzuhalten, müsste das Unternehmen sein Netz also in den kommenden 14 Monaten mehr als verdoppeln und im Schnitt monatlich 22 neue Packstationen bauen. „Wir sind noch nicht soweit, wie wir sein wollten“, heißt es bei DHL, es sei jedoch „nicht ausgeschlossen“, den Plan einzuhalten.
Die Frage ist: Wo sollen die fehlenden 315 Stationen hingebaut werden? Bislang trifft DHL zum Beispiel Vereinbarungen mit Supermärkten und Tankstellen, um auf deren Gelände Packstationen zu bauen; dafür zahlt DHL eigenen Auskünften zufolge Miete. Neue Stationen könnten aber auch an Orten entstehen, wo viele Menschen in öffentliche Verkehrsmittel ein- oder umsteigen. „Bahnhöfe sind für uns ebenfalls extrem spannend“, sagt DHL-Sprecherin Dunja Kuhlmann auf Krautreporter-Anfrage. Schon heute gibt es einige Packstationen in Berliner S-Bahn-Stationen, in Köln wurde zuletzt im U-Bahnhof Venloer Straße eine Station in Betrieb genommen. Allerdings sind die Verhandlungen oft aufwändig, weil die Stadt oder die Bahn zustimmen müssen – je nachdem, wer Eigentümer des Stellplatzes ist. DHL erklärt: „Wir sind sowohl mit langjährigen Partnern als auch neuen potenziellen Kooperationspartnern zur Erschließung weiterer Standorte im Gespräch. Aktuell können wir dazu noch keine konkreten Aussagen treffen.“
Eine offizielle Erklärung, warum es überhaupt zu der Verzögerung gekommen ist, gibt es nicht. Offensichtlich war DHL im Sommer zunächst mit den Auswirkungen der Streiks beschäftigt. Mitarbeiter hatten die Arbeit niedergelegt, um dagegen zu protestieren, dass Paketfahrer in der neuen DHL Delivery beschäftigt werden, um nicht mehr nach Tarif bezahlt werden zu müssen (Hat aber nicht so richtig geklappt).
Wer zahlt für die Paketkästen?
Seit einigen Monaten testet DHL außerdem Paketkästen, die in Mehrfamilienhäusern und Wohnanlagen aufgestellt werden und wie kleine Packstationen beziehungsweise Briefkästen für Pakete funktionieren. Anstatt zu klingeln, legt der DHL-Fahrer eine Sendung direkt in den Paketkasten, der Empfänger holt sie ab, wenn er nach Hause kommt. „Bis 2016 können im gesamten Berliner Stadtgebiet mehrere tausend dieser Anlagen entstehen“, kündigte DHL im Mai an. Ob das klappt, ist völlig unklar.
Im Moment gibt es in Berlin lediglich zwei Anlagen, die in Kooperation mit der Wohnungsgesellschaft Vonovia (früher: Deutsche Annington) im Bezirk Lichtenberg aufgestellt wurden; zwei weitere sind in Vonovia-Wohnanlagen in Dortmund in Betrieb. In der Pilotphase stehen gerade einmal 11 Fächer zur Verfügung. „Die genaue Größe und Anzahl der Fächer einer Paketkastenanlage ist generell modular gestaltbar und richtet sich daher jeweils individuell nach der Anzahl der Mietparteien und dem zu erwartenden Sendungsaufkommen“, heißt es bei DHL.
So praktisch die Kästen sein mögen: Bislang ist nicht mal klar, wer sie bezahlen soll.
„Wie die Kostenübernahme bei einem flächendeckenden Angebot gestaltet werden wird, steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest“, erklärt DHL auf Krautreporter-Anfrage. Die Paketkästen für den Pilotbetrieb hat DHL auf eigene Kosten installiert; für „mehrere tausend“ Anlagen wird das aber wohl kaum passieren. DHL spekuliert womöglich darauf, dass Vermieter die Paketkästen bezahlen und ihren Mietern als zusätzlichen Service anbieten – wobei es mehr als fraglich ist, ob ein Unternehmen wie Vonovia, das in den vergangenen Jahren immer wieder in der Kritik stand, weil es selbst notwendige Instandsetzungsmaßnahmen massiv verzögerte, zusätzlich Geld investiert. Es bestehe auch die Möglichkeit, dass Vermieter sich die Investitionen von den Mietern zurückholen, heißt es bei DHL.
Der Deutsche Mieterbund (DMB) bezweifelt jedoch, dass das so einfach geht. Um etwa eine Mieterhöhung zu rechtfertigen, sei eine Modernisierung notwendig, die zu einer Wohnwertverbesserung führe. Das sei im Falle der Paketkästen eher nicht der Fall, erklärt DMB-Geschäftsführer Ulrich Ropertz im Gespräch mit Krautreporter. Eine Kostenumlage über die Nebenkostenabrechnung sei ebenfalls schwierig, weil die Betriebskostenverordnung vorgebe, was genau abgerechnet werden kann. „Da steht nichts von DHL drin.“
Theoretisch könnte ein Vermieter die Zustimmung aller Mietparteien einholen, um einen Paketkasten anzuschaffen und die Kosten umzulegen. „Dass das funktioniert, halte ich aber für unwahrscheinlich“, meint Ropertz. „Nicht alle Mieter in einer Wohnanlage lassen sich permanent Pakete schicken. Warum sollten die sich an den Kosten beteiligen?“
Noch ein Manko: In die Paketkästen werden (wie in Packstationen) nur DHL-Sendungen zugestellt, andere Lieferdienste haben keinen Zugriff. Eine Allianz aus Hermes, GLS und DPD hat für 2016 ein alternatives, offenes System unter dem Namen „Parcel Lock“ angekündigt.
Paketshop-Nachbarn als Ersatzempfänger
Das größte Potenzial hat womöglich die Umwandlung bereits existierender DHL-Partnershops in Empfangsstellen. Bislang können Sendungen in den Läden lediglich verschickt werden. „Im nächsten Jahr soll der Empfang von Paketsendungen in den DHL-Paketshops bundesweit ermöglicht werden“, heißt es bei DHL. Das heißt: Online-Bestellungen können direkt an den Laden adressiert werden, zum Beispiel den Zeitungskiosk oder den Fahrradladen nebenan. Wann genau es losgeht, kommuniziert das Unternehmen nicht. Die Umstellung erfolge „sukzessive“.
Der DHL-Konkurrent Hermes bietet diesen Service schon länger an. Online-Händler können ihren Kunden die direkte Zustellung in einen der 14.000 Hermes-Paketshops anbieten. In Kooperation mit der Hamburger Hochbahn wurden im Sommer erste Läden in der Hamburger U-Bahn zu Versand- und Empfangsstellen gemacht. Der Vorteil: Die meisten dieser Geschäfte haben sehr lange Öffnungszeiten, die Paketabholung klappt also auch am Sonntag oder dann, wenn andere Shops schon geschlossen hätten. Hermes äußert sich zufrieden zur bisherigen Resonanz.
Wenn DHL nachzieht, heißt das aber nicht, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Paketempfänger abends an der Tür der Nachbarn klingeln müssen, um an ihre Sendung zu kommen. Denn noch lässt sich nicht abschätzen, ob die Paketshops mit den Mengen der direkt an sie adressierten Pakete überhaupt klarkommen. Für die meisten Partner ist die Paketannahme nur ein – in der Regel nicht besonders üppig bezahlter – Zusatzverdienst. Kein Ladeninhaber wird riskieren wollen, seine eigentlichen Kunden zu vernachlässigen, weil ständig jemand ein Paket abholt. Zusätzlich verschärft sich der Wettbewerb, weil sich neben Hermes auch DPD um neue „Pickup Paketshops“ bemüht und Sendungen dort direkt abgeben will.
Die Zahl der Geschäfte, die zu einer Kooperation bereit sind, dürfte außerdem begrenzt sein – weil kein Schuhladen und kein Buchhändler Schuhe und Bücher bei sich lagern will, die die Kunden bei Zalando und Amazon bestellt haben.
DHL hat versprochen, dass der Paketempfang in Berlin deutlich – Achtung, Gag! – „BÄRquemer“ wird. Dass das tatsächlich bis Ende 2016 klappt, wird allerdings zunehmend unwahrscheinlicher. Dafür gibt es noch deutlich zu viele ABÄRs.
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