Miriam und die radikalen Helfer
Flucht und Grenzen

Miriam und die radikalen Helfer

Salafisten versuchen, Hilfsaktionen für Flüchtlinge zu behindern. Eine deutsche Muslima stellt sich ihnen entgegen. Und der Imam einer als radikal eingestuften Moschee freut sich, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden.

Profilbild von Christian Gesellmann
Reporter für Feminismus und Neue Männlichkeit

Es ist Mittwochnacht, der Regen spiegelt sich noch auf den Gehwegplatten der Turmstraße, die Temperatur ist unter zwölf Grad gefallen. Kein Flüchtling soll in dieser Nacht auf der Straße oder im Park schlafen müssen, das ist Miriam Kalems Ziel. Sie steht mit einer Handvoll Helfern vor der Registrierungsstelle für Flüchtlinge in Berlin, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso. Während sie versuchen, Schlafplätze für etwa 20 Menschen zu organisieren, Listen abtelefonieren und in Facebook-Gruppen posten, fährt ein schwarzer Wagen vor.

Sechs Männer steigen aus, sie tragen Bart und Kaftan, ein langes Stoffgewand, wie es konservative Muslime tragen. Sie fangen an, über den Islam zu reden. Den einen Islam. Den, für den Angehörige anderer Religionen Ungläubige sind. Die Männer, alle zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig, behaupten, Anhänger des Islamischen Staates zu sein.

“Was wollt ihr hier, geht zurück nach Syrien und kämpft!”, sagt einer der Männer zu einem Flüchtling.

“Bei dir piept’s wohl?!”, geht Miriam dazwischen.

“Was machst du eigentlich hier? Es ist nicht im Namen des Islam, dass eine Frau nachts auf der Straße rumsteht!”

“Ich steh’ hier nicht rum. Ich helf’ unseren Geschwistern, den Flüchtlingen, ich versuche denen eine Unterkunft zu vermitteln. Dit kann ja sein, dass das nicht islamisch ist, nachts hier rumzustehen oder so. Aber wenn ihr für eure Geschwister einstehen und denen helfen würdet, dann würde ich hier ja wohl nicht rumstehen, oder?”

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Miriam Kalem ist 30 Jahre alt, geboren in Berlin, ihr Vater ist Palästinenser. Sie trägt Jeans, Sneaker und Kopftuch, sie lispelt ein wenig, wenn sie schnell redet - und Miriam redet sich schnell in Rage. Auch den Islamisten mit den schwarzen Haaren und den dunklen Augen redet sie in Grund und Boden. Irgendwann steigt er wieder ins Auto, wo die anderen fünf schon Platz genommen haben. In einem Monat werde er wahrscheinlich selbst nach Syrien gehen und kämpfen, sagt er noch. “In ‘nem Monat? Gleich morgen kannste losmachen”, sagt Miriam, macht die Tür zu und klopft auf das Autodach. Abfahrt!

Das Auftreten der Männer deutet darauf hin, dass sie Salafisten sind, Verfechter eines aus ihrer Sicht ursprünglichen und unverfälschten Islam, wie er vom islamischen Propheten Mohammad und den ersten Muslimen, den sogenannten al-Salaf al-Salih (deutsch: rechtschaffene Altvordere), praktiziert worden sei. Salafisten sehen ausschließlich die Bestimmungen des Korans und der Sunna (Prophetentradition) als verbindlich an - so definiert es der Verfassungsschutz.

Es ist nicht der erste Besuch der Männer am Lageso. Anfang August kamen sie schon einmal mit einem Kleintransporter vorbei, um Spenden zu verteilen. Sofort bildete sich rund um den Wagen eine Menschentraube. Weil sie aber nur Muslimen etwas geben wollten, erhielten sie von der Polizei Platzverbot ausgesprochen. Ähnliche Auftritte sind aus Hamburg, München und Nordrhein-Westfalen bekanntgeworden.

Die Anzahl der Salafisten in Deutschland hat in den vergangenen beiden Jahren stark zugenommen. Laut Verfassungsschutz stieg das Potenzial von bundesweit 5.500 auf 7.000 Personen. In Berlin nahm es zwischen 2013 und April 2015 um 150 Personen auf 650 zu, mehr als die Hälfte davon wird als gewaltorientiert eingestuft.

Ein bundesweit bekannter salafistischer Prediger hatte kürzlich auf seinem Facebook-Profil offen dazu aufgerufen, gezielt auf Flüchtlinge zuzugehen und diese für ihre Szene zu gewinnen, erklärte ein Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes. Vielleicht folgten auch die sechs Männer, die Miriam vor dem Lageso abkanzelte, einem solchen Aufruf.

“Man muss sich mal vorstellen, wie das für die Leute ist: Unter den Flüchtlingen sind ja auch Syrer und Iraker gewesen, die vor dem IS geflohen sind. Jetzt sind die gerade in Berlin angekommen und werden von denen direkt angemacht: ‘Geht zurück und kämpft’ - das ist doch absurd”, sagt sie, als ich sie einen Tag später in den Räumen des Vereins Freunde der Jugend und Familie treffe. Der Verein hat seinen Sitz unweit vom Lageso und hat in den letzten vier Wochen für deutlich mehr als 8.000 Flüchtlinge Essen gekocht, finanziert durch Spenden.

Im Büro des Vereins Freunde der Jugend und Familie.

Im Büro des Vereins Freunde der Jugend und Familie. Foto: Christian Gesellmann

Bis Ende Mai 2015 sind etwa 680 Personen aus Deutschland in Richtung Syrien ausgereist, um an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Kampf dschihadistischer Gruppen in sonstiger Weise zu unterstützen. Unter ihnen befinden sich auch mehr als 90 Berliner.

Sie gelten “nach einhelliger Überzeugung aller deutschen Sicherheitsbehörden” als “die größte Bedrohung für die innere Sicherheit in Deutschland”, heißt es in einer im Juni veröffentlichten Lageanalyse des Berliner Verfassungsschutzes. “Selbst wenn diese Deutschland lediglich als Ruheraum nutzen, ist ihre Rolle nicht zu unterschätzen, da sie innerhalb der dschihad-salafistischen Szene als Helden gelten, die durch ihre Vorbildfunktion andere radikalisieren und ebenfalls zu einer Ausreise nach Syrien anspornen können.”

Als eine der bekanntesten Einrichtungen mit Kontakten zur Salafisten-Szene gilt die Al-Nur Moschee in Berlin-Neukölln. Sie wird seit 2009 vom Verfassungsschutz beobachtet, der Berliner Senat prüft derzeit einen Verbotsantrag gegen die Moschee.

Die Al-Nur Moschee in Berlin-Neukölln.

Die Al-Nur Moschee in Berlin-Neukölln. Foto: Christian Gesellmann

Am 18. Juli 2014 hat dort zum Beispiel der aus Dänemark stammende Gast-Imam Abdallah Khalid Ismail, alias „Abu Bilal“ vor Hunderten Besuchern Juden als „Verräter“, „Heuchler“ und „Schlächter der Propheten“ bezeichnet. Darüber hinaus enthielt seine Freitagspredigt laut Verfassungsschutz die Worte: „Oh Allah, rechne mit den zionistischen Juden ab, sie können nichts gegen Dich tun. Zähle sie, töte sie alle und lass niemanden von ihnen [am Leben].“

Am 23. Januar 2015 hielt der aus Ägypten stammende Gast-Imam Abdel Moez Al-Eila die Freitagspredigt. Dabei erklärte er, eine Frau dürfe sich ihrem Mann niemals beim Sex verweigern, er müsse ihren Körper immer zu seinem Vergnügen nutzen können. Ohne die Erlaubnis des Mannes dürfe keine Frau das Haus verlassen oder einen Job annehmen.

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Auch der ehemalige Gangster-Rapper Denis Cuspert, der heute für den IS Propaganda macht und an Kampfhandlungen teilnahm, soll Kontakte zu der Neuköllner Moschee gehabt haben.

Der reguläre Imam der Al-Nur Moschee findet es gut, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. “Wir können nicht in die Köpfe der Menschen reinschauen. Wir vertrauen dem deutschen Staat, und wenn wir beobachtet werden, haben wir die Sicherheit, dass sie die Leute finden, die Böses wollen”, erklärt mir Sheikh Nasser El-Issa.

Sheik Nasser El-Issa

Sheik Nasser El-Issa Foto: Christian Gesellmann

Wir treffen uns an einem Montag nach dem Mittagsgebet. 20 Männer sind zum Beten gekommen. Die Moschee ist in einer ehemaligen Glasfabrik eingerichtet worden, direkt neben der Philip-Morris-Fabrik, die den Geruch von frisch geröstetem Tabak ausdünstet. Man möchte sofort rauchen, und wenn die Zigaretten aus der Fabrik, auf deren Dach der Marlboro-Man seine Werberunden dreht, so schmecken würden wie es dort riecht, würde ich meine Kippen nicht selber drehen.

Auf dem Moscheegelände, über das ein schwarzes Huhn rennt, ist Rauchen aber sowieso verboten, wie mir ein älterer Mann bedeutet, in dem er auf die entsprechenden Aufkleber zeigt.

Ich verfolge das Gebet vom Eingang der Moschee aus. Zwischen mir und den Betenden liegen etwa 50 Meter Seidenteppich. Ich komme mir vor, als hätte man mich zu klein verkleinert und in eine orientalische Puppenstube gebeamt.

Der feine Teppich, auf dem sich moderne Arabesken in Altrosa und Türkisgrün endlos wiederholen, die hohen Decken mit Oberlichtern sowie ein Dutzend Kronleuchter machen die alte Fabrikhalle merkwürdig gemütlich. Freitagmittags verfolgen hier mehr als 1.000 Menschen die Predigt. Von außen sieht die Moschee hingegen abscheulich aus, die graue Fabrikausgabe eines Plattenbaus, umstellt von Überwachungskameras.

Nach dem Gebet verlassen die meisten Anwesenden die Moschee schnell wieder, ohne mich zu beachten. Nur ein Mann kommt auf mich zu. Aus etwa fünf Metern Entfernung macht er mit seinem Handy ein Foto von mir. Er hält es dabei auf Hüfthöhe und schaut mich an, als wäre nichts. Ich tue auch so, als wäre nichts, dann kommt Imam Sheikh Nasser El-Issa auf mich zu und bittet mich in sein Büro.

Früher war die Al-Nur Moschee eine Glasfabrik.

Früher war die Al-Nur Moschee eine Glasfabrik. Foto: Christian Gesellmann

Ich erkläre ihm, dass ich etwas über die Perspektive konservativer Muslime auf die Flüchtlingskrise erfahren möchte, und frage, welche Auswirkungen diese auf seine Moschee hat. El-Issa, 44, dunkle Cargohosen, gestreiftes Hemd, Vollbart, sitzt mir in einem Ledersessel gegenüber und erklärt mit angenehmer, dunkler Stimme, dass es immer sehr traurig sei, wenn Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen. El-Issa selbst kam als Achtjähriger mit seinen Eltern aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Libanon nach Deutschland.

Er machte Abitur, anschließend war er selbstständiger Kleinunternehmer, verkaufte Falafel und Schawarma, Lederwaren, hatte einen Reifenservice. “Ich bin gern in Deutschland, es war nicht schwer, sich hier einzuleben. Unser Leben im Libanon war von ständigen Umzügen wegen des Krieges geprägt”, sagt er.

Während eines Besuches bei seiner Mutter, da war er Anfang zwanzig, kam für ihn die Wende hin zum Religiösen. Im Radio las ein Rezitator Suren aus dem Koran vor. In einer ging es darum, dass Gott den Menschen geschaffen habe, damit er ihm diene. Die haben ihn ins Mark getroffen. “Da passierte etwas mit meinem Herzen”, sagt er. In Frankreich studierte er Theologie, seit mehr als drei Jahren ist er Imam - eine ehrenamtliche Tätigkeit.

El-Issa spricht der deutschen Regierung und Bevölkerung ein Lob aus dafür, dass sie die Flüchtlinge so herzlich willkommen heißen. Anschließend kritisiert er die arabischen Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, obwohl sie es könnten.

“Ich habe ihnen immer gesagt: keine anti-semitischen Reden. Aber wenn ein Imam einmal auf der Kanzel steht, kann man ihn nicht mehr unterbrechen.”
Sheikh Naser El-Issa

Spätestens an diesem Punkt merke ich, dass ich mir El-Issa absolut nicht als jemanden vorstellen kann, der in irgendeiner Form zu Gewalt aufrufen würde. Er reicht getrocknete Datteln und teilt den Inhalt einer Dose Coca Cola Zero in zwei Plastikbecher auf. Was er denn davon hält, dass seine Moschee als Hochburg des radikalen Salafismus bezeichnet wird, frage ich.

“Für Journalisten ist das nun mal eine bessere Schlagzeile als ‘Muslim hilft altem Mann über die Straße’”, sagt er. Man habe außerdem aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und lade keine ausländischen Gastprediger mehr ein. “Ich habe ihnen immer gesagt: keine anti-semitischen Reden. Aber wenn ein Imam einmal auf der Kanzel steht, kann man ihn nicht mehr unterbrechen.” Außerdem bedaure er, dass kein Politiker und kein Journalist jemals das Gespräch mit ihm gesucht habe.


Miriam, die resolute Helferin, ist hingegen schon mehrfach von Journalisten interviewt worden. Nach dem nächtlichen Zwischenfall mit den Salafisten hat sie sich dafür entschieden, in diesem Artikel nicht mit ihrem richtigen Namen zu erscheinen. An dem Tag, an dem sie den Salafisten die Tür vor dem Kopf zuschlug, treffe ich sie nachmittags in der Küche des Vereins Freunde der Jugend und Familie.

Die Küche ist etwa zehn Quadratmeter groß, gelbe Kacheln, ein Herd mit Ceran-Kochfeld, von den Schränken pellen sich an den Ecken die ersten Schichten Furnier ab. Seit vier Wochen ist die Teeküche eine Großküche. An diesem Tag gibt es Reis, Hähnchen, eine Art Ratatouille als Soße und gemischten Salat - für 750 Personen. Der Verein kocht für die Flüchtlinge am Lageso. Nachts bereiten sie je nach Bedarf noch einmal bis zu 50 Portionen zu.

Miran und Hallo flohen aus dem Irak.

Miran und Hallo flohen aus dem Irak. Foto: Christian Gesellmann

Die Köche sind selbst Flüchtlinge: Die Brüder Miran und Hallo, 23 und 30 Jahre alt, sind vor drei Monaten nach Deutschland gekommen, nachdem eine Bombe ihr Restaurant in Kirkuk zerstört hat. Die irakische Erdölmetropole, in der neben Kurden auch Christen, Araber und Turkmenen leben, ist wegen ihrer strategischen Bedeutung mehrfach vom IS angegriffen worden.

Miran sagt, er könne auch für 2.000 Menschen kochen, aber die Küche gibt es nicht her, auch wenn er ein paar Großküchentricks eingeführt hat. Den Salat bereiten sie zum Beispiel in großen Transportkisten zu, und um das Essen noch warm servieren zu können, haben sie eine Passage eingerichtet, auf der die vier Komponenten wie am Fließband in Plastik-Assietten verpackt werden.

Der Verein hat drei zusätzliche Kühlschränke angeschafft, um die gespendeten Lebensmittel ordentlich aufbewahren zu können. Es ist schon der dritte Herd, auf dem Miran und Hallo kochen, die ersten beiden haben im Dauerfeuer den Geist aufgegeben.

“Man fühlt erst dann, wie schlimm ein Problem ist, wenn es an die eigene Tür klopft.”
Helferin Samah Salim

Der Verein hat rund 30 Mitglieder, die meisten sind Muslime. In den vergangenen vier Wochen ist ein Netzwerk von etwa 100 Helfern hinzugekommen. Es wird auffällig viel gespielt, gelacht, geküsst und gedrückt bei den Freunden der Jugend und Familie. Ein 27-Jähriger, der vor eineinhalb Jahren aus Gaza nach Deutschland kam, küsst zum Beispiel eine 67-jährige Rentnerin aus Berlin zur Begrüßung auf die Stirn. “Sie nennen mich Mama”, sagt sie daraufhin zu mir wie zur Entschuldigung. Ein 32-jähriger Deutscher kommt mit seiner acht Monate alten Tochter vorbei, um zwei Kisten Salat abzugeben. Bald geht das Kleinkind von Arm zu Arm und lacht all den großen Gesichtern entgegen, die es auf die Wangen knutschen.

"Sie nennen mich Mama."

“Sie nennen mich Mama.” Foto: Christian Gesellmann

Miriam hat selbst einen Verwandten im Syrienkrieg verloren, er verhungerte in einem Flüchtlingslager. Die Flüchtlingskrise, die für viele erst vor zwei Wochen wirklich begonnen hat - Miriam oder Samah schauen mit ganz anderen Augen auf die Kriegsgebiete. Und im Fall von Syrien schon seit vier Jahren. Ob es nicht einen faden Beigeschmack habe, wenn nun, nachdem die internationale Gemeinschaft die Hilferufe der Syrer so lange ignorierte, auf einmal Flüchtlinge am Bahnhof mit Applaus begrüßt werden?

“Nein”, sagt Samah, “man fühlt erst dann, wie schlimm ein Problem ist, wenn es an die eigene Tür klopft. Ich habe immer Gänsehaut bekommen, wenn ich die Bilder von den Bahnhöfen gesehen habe. Es ist ein wunderschönes Signal für die Flüchtlinge, willkommen und in Sicherheit zu sein.”

Der Verein sammelt und verteilt Spenden, bekocht und beherbergt Flüchtlinge - nicht immer freiwillig. Anfang August wurden auch schon einmal mehr als Hundert Flüchtlinge von den Behörden nachts abgeliefert, weil man für sie keine Unterkunft mehr organisieren konnte. Gemeinsam mit der Stadtmission und einem Moscheeverein, der im gleichen Gebäude sitzt, versorgten sie die Gestrandeten.

“Unsere Flüchtlingshilfe hat begonnen, als wir mitbekommen haben, dass es wirklich Bedarf an Hilfe gibt, weil leider unsere Politik nicht in der Lage ist, und scheinbar in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein wird, die Aufgaben und Verantwortung, die ihr eigentlich zustehen, zu übernehmen”, sagt Samah Salim, die für den Verein unter anderem die Buchhaltung macht. Religion oder Nationalität spielten keine Rolle. “Hilfe kennt keine Sprachen”, sagt sie.

Küsschen für die Salatspender.

Küsschen für die Salatspender. Foto: Christian Gesellmann

Miriam, die wie Samah Salim gerade in der Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin ist, will hier bald auch Deutschunterricht anbieten. “Miriam belastet die Situation sehr. Sie kann kaum noch schlafen”, sagt Samah. Trotz der großen Unterstützung durch Spenden bringt die Flüchtlingshilfe den Verein auch finanziell an Grenzen. Zudem werde die Spendenbereitschaft bald schon nachlassen, und was dann? Drei Tage nachdem Samah das sagt, bewahrheitet sich ihre Vorhersage. Sie postet bei Facebook:

“Es tut uns leid euch mitteilen zu müssen, dass wir aus technischen Gründen sowie aufgrund des Mangels an Gemüse und Geflügel heute kein Essen zubereiten können. Wir bitten euch am Wochenende uns mit reichlich Gemüse und Geflügel (Helal) zu versorgen damit ab Montag unsere Kochaktion weitergehen kann.”

Auch der dritte Herd hat den Geist aufgegeben. Die Küchenmöbel beginnen sich aufzulösen. Rund 4.500 Euro müssten investiert werden, so der Kostenvoranschlag eines Planers.

Die Freunde der Familie und Jugend sind keine Ausnahme, viele Vereine bringt ihr Engagement an Belastungsgrenzen. Deshalb erneuerte der Zentralrat der Muslime zuletzt auch die Forderung, einen muslimischen Wohlfahrtsverband zuzulassen, ähnlich der Caritas oder der Diakonie. Zudem sollten Kommunen die muslimischen Vereine stärker in ihre Planungen einbeziehen, insbesondere, weil sie als Integrationslotsen einen besonderen Zugang zu den Flüchtlingen finden könnten.

In Kommentaren unter dem Facebook-Post wird Miriam, Salah, Miran, Hallo und den anderen geraten, die Zwangspause doch mal zum Verschnaufen zu nutzen. Während die Flüchtlingshilfe der Freunde der Jugend und Familie notgedrungen aussetzen muss, hat die der Al-Nur Moschee noch gar nicht begonnen.

Eingangsbereich der Al-Nur Moschee.

Eingangsbereich der Al-Nur Moschee. Foto: Christian Gesellmann

Im Vereinsvorstand habe man sich darauf geeinigt, keine Flüchtlinge aufzunehmen, weil man nicht sicher sein könne, damit unwissentlich auch Anhänger des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu unterstützen. In Zukunft werde man aber für Flüchtlinge - egal welchen Glaubens - Spenden sammeln, sagt Imam Sheik Nasser El-Issa. Er suche nun den Kontakt zu Politikern, um die Aktionen abzustimmen und um für Vertrauen zu werben.

Es sei nicht islamisch, nur selektiv zu helfen, als Beleg zitiert er Stellen aus dem Koran, in denen Muslime Christen und Juden in Not helfen. Auch der IS sei nicht islamisch. „Das sind Mörder. Für die wären wir genauso Ungläubige wie die Deutschen, die Engländer oder die Franzosen“, sagt El-Issa. „Wir sitzen alle im selben Boot.“


Aufmacherbild: Essen für Flüchtlinge steht in Kisten bereit, um zum Lageso gefahren zu werden. Foto: Christian Gesellmann.