Für die Flüchtlinge, die in Berlin ankommen, ist das Lageso das erste Dock im Asylhafen Deutschland. Lageso steht für Landesamt für Gesundheit und Soziales, hier müssen sich die Asylbewerber registrieren lassen. Die Behörde ist völlig überfordert, bis zu 2.000 Menschen warten in dem parkähnlichen Gelände darauf, dass ihre Anträge bearbeitet werden, oft länger als zehn Tage.
Entfernt erinnert die Situation an den letzten Tag eines großen Musikfestivals, wenn sich vom dreitägigen Feiern in verschiedenen Zerstörungsgraden zurückgelassene Menschen in die wenigen Schattenwinkel verkriechen, sich auf die Abreise oder das letzte dicke Konzert vorbereiten. Kinder jagen über die plattgedrückten Wiesen, Grüppchen von Männern sitzen auf Bordsteinen, Menschentrauben bilden sich vor Absperrgittern, einige schlafen trotz des Lärms um sie herum, manche sitzen auf Teppichen im Kreis, es gibt Zelte und versiffte Containerklos, Müll liegt überall herum. Statt auf Musik warten die Menschen darauf, dass ihre Nummer aufgerufen wird.
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Die Gelassenheit, mit der die Flüchtlinge die Situation hinnehmen, ist beeindruckend. Sie ist aber mehr Ausdruck der Erschöpfung als der Sicherheit. Noch weiß keiner von ihnen, in welchem Teil Deutschlands sie unterkommen werden, viele sind auf der Suche nach Angehörigen.
Ein 16-jähriger Afghane läuft mit einem Foto und einem Schild durch die Menge. Er sucht seine elfjährige Schwester, während der Flucht wurden sie getrennt, in Griechenland hat er sie zuletzt gesehen. Hat jemand sie aufgenommen? Lebt sie noch? “Man kann sich nicht vorstellen, was im Kopf dieses Burschen los sein muss”, sagt einer der freiwilligen Helfer, die die Flüchtlinge am Lageso mit dem Nötigsten versorgen.
Die Helfer laufen mehrmals am Tag mit Körben über das Gelände, in denen Müsliriegel, Obst oder belegte Brötchen sind. Meist sind es zuallererst die Kinder, die auf sie zugehen. Eine häufige Szene: Ein Kind erhält etwas, streckt dann den Zeigefinger in die Luft: “One more! For mother.” Viele junge Männer hingegen nehmen nur etwas an, wenn es ihnen direkt angeboten wird. Sie sind zu stolz, um auf die Helfer zuzugehen, tragen lieber ein Loch im Magen als den Bettelstab in der Hand. Manche haben auch die ewigen Müsliriegel schlichtweg über.
Ab und zu entladen sich die Anspannung und die Frustration über das lange Warten in Sprechchören und kleinen Rangeleien mit der Polizei, meist gegen Abend, wenn die Behörde schließt und das Gelände geräumt wird. Manche versuchen auch, Profit aus dem Chaos zu schlagen, verkaufen auf dem Gelände Windeln, die sie aus dem Spendenlager gestohlen haben. Andere geben vor, Zimmer zu vermieten und verschwinden, nachdem sie das Geld dafür erhalten haben.
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Seit Wochen erreichen rund 500 Flüchtlinge jeden Tag Berlin, ausreichend Unterkünfte für sie gibt es nicht immer. Binnen weniger Tage hat die Stadt nun in einer Kaserne rund 800 Flüchtlinge untergebracht, eine Zeltstadt mit rund 700 Betten wurde zusätzlich geschaffen, zwei Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof sollen genutzt werden. Ein ehemaliges Bankgebäude, das zurzeit von Filmproduktionsfirmen gemietet wird, wurde beschlagnahmt.
Aufmacherbild: Tim Lüddemann