Als meine Fähre in Lesbos (Mytilni) in der östlichen Ägäis anlegte, konnten wir nicht gleich das Schiff verlassen. Wir wurden gebeten, ein wenig Geduld zu haben. Im Hafen lieferten sich Flüchtlinge einen Kampf. Das Eingreifen der Hafenpolizei war nötig, die die Lage nach wenigen Minuten durch den Einsatz von Gewalt in den Griff bekam. Zu tausenden bevölkern die Menschen den Hafen . Im Moment befinden sich etwa 17.000 Flüchtlinge auf der Insel. Viele von ihnen schlafen in Zelten, in den umliegenden Straßen und Gassen, am Stand und am Kai. Von den hygienischen Zuständen ganz zu schweigen.
Es scheint, als habe der griechische Staat die Insel ihrem Schicksal überlassen. Statt mehr Helfer und Beamte für die Registrierung der Flüchtlinge zu organisieren, schickt die Regierung Spezialeinheiten der Polizei, die man sonst nur auf Demos oder auf dem Fussballplatz sieht. Ganze zwei Beamte sitzen in einem Container und registrieren die Menschen. Eine schier endlose Schlange ist das Resultat. Unmut, Ärger und Gewaltausbrüche unter den Menschen sind die Folge.
Jedes Mal, wenn eine Fähre den Hafen erreicht, rennen die Leute auf sie zu. Die Flüchtlinge hoffen, auch ohne offizielle Papiere nach Griechenland, nach Piräus zu gelangen. Die meisten brauchen jetzt bereits länger, als sie geplant hatten. Denn viele haben bereits Schleuser bezahlt, die an der mazedonischen Grenze oder in Ungarn auf sie warten. Also versuchen sie, irgendwie auf die Fähre zu kommen: Sie drängeln sich vor, kopieren Papiere mit einer niedrigeren Wartenummer und behaupten, das Bild dazu verloren zu haben. Es gibt häufig Streit.
Die Küstenwache und die Polizei sind für so eine Situation nicht ausgebildet. Sie sind keine Sozialarbeiter. Die meisten von ihnen haben zwar schon vielen Flüchtlingen geholfen. Nun sind sie gezwungen, mit Gummiknüppeln auf die verzweifelten Menschen einzuprügeln. In ihrer Panik schlagen sie hart zu. Ein aufgebrachter Mob liefert sich immer wieder Kämpfe mit ihnen. In wenigen Sekunden kann eine Situation außer Kontrolle geraten mit fatalen Folgen. Um das zu verhindern, schlagen die Polizisten noch schneller zu, was zu neuen Aufständen führt.
Nach der türkischen Küste ist Mytilini die erste Station auf der Reise zum europäischen Festland. Im Hafen scheinen die Einheimischen nicht gerade erpicht zu sein, den Flüchtlingen zu helfen. Im Inselinneren sind einige Hilfsorganisationen und Inselbewohner aktiv, die Essen und Kleidung bringen. Ich bin überrascht über die Geduld der Einheimischen. Einige versuchen aber auch, Geld zu machen. Sie kassieren 50 Euro für eine Fahrt mit dem Auto zum Hafen. Die Preise sind die gleichen wie die für Einheimische und Touristen – die Souvlaki-Schlangen sind zehn Meter lang. In den Cafés schlürfen viele Flüchtlinge stundenlang an einem Getränk, um ihre Smartphones aufzuladen.
Gespräche, ob mit Einheimischen oder Flüchtlingen, enden immer gleich. Die Nutzlosigkeit des Staates und warum es nicht mehr Fähren und mehr Beamte gibt. Die meisten Flüchtlinge sprechen kein Wort Englisch. Vielleicht die Hälfte von ihnen kommt nicht aus Syrien, sondern zum Beispiel aus Afghanistan und kann sich kaum verständigen. Sie bekommen keinerlei Auskunft darüber, was sie tun müssen.
Einmal bleibe ich zwei Stunden lang stehen und beantworte Fragen nach der Registrierungsprozedur, weil sonst Handgemenge ausgebrochen wären. Eigentlich ist das die Aufgabe von Polizei oder Hilfsorganisationen, aber davon gibt es viel zu wenige, was sie selbst zugeben. Nur die Selbstorganisation der Flüchtlinge, mit der sie das reguläre Anstehen sicherstellen, verhindert Schlimmeres.
Fotos: Angelos Christofilopoulos. Protokoll: Tassos Morfis. Übersetzung: Sebastian Esser.