Flüchtlinge willkommen heißen – und dann?
Flucht und Grenzen

Flüchtlinge willkommen heißen – und dann?

Tausende Flüchtlinge sind in den vergangenen Wochen nach Deutschland gekommen. Wie geht es nun weiter? Was muss sich ändern? Wir haben sieben Vorschläge gesammelt.

Profilbild von Irene Amina Rayan

1. Verkürzte Asylverfahren für einen schnellen Start in Deutschland

Asylverfahren müssen schneller ablaufen, damit Asylbewerber ihr Leben in Deutschland so schnell wie möglich beginnen können. Wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung herausfand, dauerte die Bearbeitung eines Asylantrags im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2014 durchschnittlich 7,1 Monate. Und das, obwohl die große Koalition sich in ihrem Koalitionsvertrag vom November 2013 das Ziel gesetzt hatte, Asylverfahren auf die Dauer von drei Monaten zu verkürzen.

Dass die Asylbewerber so lange auf eine Entscheidung warten müssen, behindert sie bei der Job- und Wohnungssuche. Und verzögert ihre Integration in Deutschland. Um das Asylverfahren zu beschleunigen, empfiehlt die Studie mehr Personal einzustellen. Außerdem müsse sich die Qualität der Entscheidungsverfahren verbessern. Denn 13 Prozent der Bescheide wurden 2013 von Gerichten korrigiert.

2. Mehr Deutschunterricht, mehr Bildung

Wer in Deutschland arbeiten und studieren will, muss meistens Deutsch beherrschen. Aber die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl bemängelt, dass derzeit oft viele Jahre vergehen, bis Betroffene Sprachunterricht erhalten. Daher fordert die Organisation mehr Kurse für Flüchtlinge.

Die Bertelsmann-Studie empfiehlt, dass Asylbewerber bereits während der Wartezeit auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag Deutschkurse belegen sollten. Nach Stand Februar 2015 ist dies nur in fünf Bundesländern der Fall.

Aber Deutsch ist nur der erste Schritt. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration stellte fest, dass rund 54 Prozent der Flüchtlinge, die bis Dezember 2014 in Deutschland ankamen, unter 25 Jahre alt waren. Die jungen Neuankömmlinge bergen ein immenses Potenzial. Damit sie es entfalten können, muss ihr Recht auf Bildung gesichert werden.

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Klein- und Schulkinder müssen schnell in Kindergärten und Schulen unterkommen. Jugendliche, die wegen Vertreibung ihre Ausbildung abbrechen mussten, sollten in Deutschland weitermachen können. Bei jungen Erwachsenen muss geklärt werden, inwiefern bereits erlangte Bildungsabschlüsse anerkannt werden oder wie sie einen deutschen Abschluss machen können.

3. Zugang zum Arbeitsmarkt statt Sozialhilfe

Damit Flüchtlinge finanziell auf eigenen Beinen stehen können, statt von Sozialleistungen abhängig zu sein, sollten sie ohne Einschränkungen arbeiten dürfen. In der Vergangenheit hat die Bundesregierung die Regelung für Flüchtlinge in Deutschland bereits verbessert: Seit November 2014 müssen Flüchtlinge nur noch drei Monate warten, bis sie arbeiten dürfen.

Weiterhin gibt es zu viele bürokratische Hürden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren oder behindern. Laut Pro Asyl besagt der aktuelle Gesetzestext, dass eine Arbeitserlaubnis nach drei Monaten erteilt werden kann. In der Praxis bedeutet dies, dass die Ausländerbehörden einen großen Ermessenspielraum haben, der ihnen ermöglicht, eine Arbeitserlaubnis zu verweigern.

Die Bertelsmann Studie empfiehlt, Ausbildungsstand, Arbeitserfahrungen und Berufsperspektiven der Flüchtlinge zu erfassen und an die Bundesanstalt für Arbeit (BA) weiterzuleiten, um möglichst schnell eine aktive Arbeitsvermittlung einzuleiten. Pilotprojekte, die genau diese Empfehlung umsetzen wollen, hat die Arbeitsagentur bereits gestartet.

4. Mehr Wohnungen für Flüchtlinge bereitstellen

Die Unterbringung in Erstunterkünften ist eine Übergangs-, keine langfristige Lösung, betont Pro Asyl in einer Stellungnahme zur Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden. Die Lager isolieren die Flüchtlinge. Das behindert deren Integration in Deutschland. Die Bertelsmann Stiftung sieht das ähnlich und fordert den Auszug aus Flüchtlingsunterkünften in Wohnungen nach spätestens drei Monaten.

Hier gibt es momentan zwei große Probleme: Erstens erschweren oder verhindern oft bürokratische Hürden, wie Zwangszuweisungen, Wohnsitzauflagen und Auszugsverbote, den Umzug in Wohnungen oder zu Verwandten.

Außerdem gibt es nicht genug Wohnungen. Die Präsidentin des Deutschen Städtetags, Eva Lohse, forderte deshalb Bund und Länder auf, den Städten bei der Schaffung von bezahlbaren Wohnungen zu helfen. Der Städtetag schätzt den Bedarf neuer Wohnungen auf rund 300.000 pro Jahr. Im Vorjahr wurden ungefähr 250.000 neue Wohnungen gebaut.

5. Rassismus bekämpfen

Die Zahl der rassistischen Übergriffe auf Migranten ist in den letzten zwei Jahren stark gestiegen. Der Verfassungsschutz zählte in der ersten Hälfte des Jahres 2015 bereits 150 Angriffe auf Asylunterkünfte. Das sind fast so viele wie im gesamten Vorjahr. Schon 2014 hatte sich die Zahl von rassistischen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte verdreifacht. Während 2013 noch 55 Angriffe verzeichnet worden waren, stieg die Zahl 2014 auf 170 Anschläge. Kein angenehmes Klima für Neuankömmlinge.

Andreas Zick, Extremismusforscher und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, sieht einen Zusammenhang zwischen wachsendem Rechtspopulismus und rechtsradikal motivierten Anschlägen. Denn die Täter werden oft dann aktiv, wenn sie glauben, ihr Umfeld stimme ihnen zu.

Zick empfiehlt, Bürger besser über Flüchtlinge zu informieren und in die Planungen von Flüchtlingsunterkünften einzubinden. Dann seien die Menschen nicht so empfänglich für rechtspopulistische Darstellungen über Flüchtlinge, und Rechtsradikalen werde der Boden entzogen.

Auch der Anti-Rassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen zeigte sich im Mai besorgt über die Verbreitung rassistischen Gedankenguts durch gewisse politische Parteien und Bewegungen in Deutschland. Es fehle an “effizienten Maßnahmen zu Bestrafung und Unterbindung entsprechender Reden und Verhaltensweisen“. In seinem Bericht empfiehlt das UN-Gremium Maßnahmen, um Polizei, Justiz und Behörden für Rassismus zu sensibilisieren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat die Forderungen des UN-Ausschusses zusammengefasst.

6. Anders über Flüchtlinge sprechen

Politik und mediale Berichterstattung beeinflussen die öffentliche Wahrnehmung von Flüchtlingen. Formulierungen über die Flüchtlingssituation müssen daher mit Bedacht gewählt werden.

In einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung kritisiert Karin Janker unscheinbare Formulierungen wie „noch“. Sie suggerierten, dass Deutschland bald überlastet sei: „Noch gelinge es irgendwie, Asylbewerber unterzubringen, noch seien die Menschen bereit zu helfen, aus Solidarität auf die Straße zu gehen, sich für Flüchtlinge politisch und ehrenamtlich zu engagieren. Noch.“ Damit wird ein Schreckensszenario gezeichnet, das Ressentiments schüren und eine Stimmung der Angst erzeugen kann.

Ein weiteres Beispiel für missglückte Rhetorik ist die Diskussion über angeblichen Asylmissbrauch, die zuletzt auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer forcierte, als er forderte, den „massenhaften Asylmissbrauch“ einzudämmen. Denn Asylmissbrauch gibt es nicht, wie der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby in einem Gastbeitrag für Die Zeit erklärt. Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht. Jeder hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Dieser kann dann bewilligt oder abgelehnt werden. Ein Recht, das jeder hat, kann nicht missbraucht werden.

Es gibt viele Beispiele für Rhetorik, die Ängste oder Ressentiments schüren. Eine ausführlichere Liste mit Fakten gegen Vorurteile gibt es bei Pro Asyl.

7. Legale und sichere Fluchtwege nach Europa schaffen

Menschen sollten sich nicht mehr in Lebensgefahr begeben müssen, um nach Europa zu gelangen. Deshalb muss die EU die Seenotrettung verstärken und sichere, legale Wege nach Europa schaffen.

Es sei unvereinbar mit den europäischen Werten, dass Menschen vor unseren Küsten ertrinken, betonen die Migrationsbeauftragte Aydan Özoguz und der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Deshalb loben sie, dass die EU-Kommission in ihrer Europäischen Agenda für Migration höchste Priorität für die Rettung von Menschen eingeräumt hat. Gemeinsam mit anderen Staaten beteiligt sich Deutschland bereits an der Seenotrettung.

Letztendlich ist es aber der Mangel an legalen und sicheren Wegen nach Europa, der Menschen dazu treibt, auf Booten das Meer zu überqueren. Deshalb sollten schutzbedürftige Personen, wie syrische Vertriebene, bereits in Ländern wie Libanon oder Nordafrika aufgenommen und auf sicheren Wegen nach Europa gebracht werden.

Das Maßnahmenpaket zur Asylpolitik der großen Koalition

Anfang September hat die große Koalition ein Maßnahmenpaket zur Asylpolitik verabschiedet. Sechs Milliarden Euro sieht der Bund 2016 für die Verbesserung der Lage von Flüchtlingen vor. Davon sollen drei Milliarden den Ländern und Kommunen zukommen. 2015 will der Bund eine Milliarde mehr ausgeben.

Zudem will die Bundesregierung den Ländern und Kommunen beim Ausbau von rund 150.000 winterfesten Plätzen in menschenwürdigen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge helfen. Abweichungen vom Baurecht sollen die Einrichtung von Unterkünften beschleunigen. Eine Zusammenfassung der Inhalte des Pakets liefert Die Zeit.

Pro Asyl kritisiert die Änderungen zur Beseitigung von Fehlanreizen des Maßnahmenpakets. Sie erinnerten an die “Abschreckungspolitik der 1990er Jahre”.

Besonders kritisch sieht Pro Asyl die Verlängerung der Aufenthaltsdauer von drei auf sechs Monaten in Erstaufnahmelagern, die Residenzpflicht, die während dieser Monate gilt, und die Wiedereinführung von Sachleistungen statt Bargeld.


Aufmacherbild: Flüchtlinge im Lager Zaatari, Jordanien; Foto: Rico Grimm