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Flucht und Grenzen

Woher die Welle von rechtsextremen Fällen in der Polizei kommt

Ein Teil der Antwort ist fast schon banal. Ein anderer Teil macht Hoffnung.

Profilbild von Belinda Grasnick
Reporterin

Ziemlich viele Menschen in Deutschland vertrauen der Polizei. 82 Prozent, um genau zu sein, so das Ergebnis einer Umfrage von Infratest dimap vom August.

Möglicherweise ist das falsch.

Denn die Liste an rassistischen und rechtsextremen Vorfällen in der Polizei, die in letzter Zeit bekannt wurden, ist lang. Eine kleine Auswahl: Bis September 2020 rufen Unbekannte Daten von Anwält:innen, Politiker:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen von einem Polizeicomputer ab – und verschicken mindestens 105 rechtsextreme Drohmails und -briefe mit dem Absender „NSU 2.0“. Mitte September wird ein Polizeichat in Nordrhein-Westfalen öffentlich, in dem Polizist:innen seit mindestens acht Jahren rechtsextreme Bilder und Gedanken ausgetauscht haben.

Anfang Oktober sendet das ARD-Magazin Monitor nach Hinweisen von Polizist:innen einen Bericht über eine Chatgruppe in Berlin, in der ebenfalls über Jahre hinweg rassistische Inhalte geteilt wurden. Mitte Oktober gibt es einen polizeiinternen Hinweis, dass auch in einer Gruppe mit 26 Polizei-Studierenden rechtsextreme und rassistische Inhalte verbreitet werden.

Die Krautreporter-Community hat nachgefragt: Wie kommt es zu dieser Welle von rechtsextremen Fällen bei der Polizei? (Mehr zu unserer Frage des Monats erfährst du, wenn du auf das „i“ am Ende des Absatzes klickst.)

Das ist eine sehr spannende Frage, denn sie fragt nach dem Kern der Debatte um Rechtsextremismus in der Polizei. Es gibt ja erst einmal zwei mögliche Antworten: Es tauchen deswegen so viele Fälle auf, weil ziemlich viele Polizist:innen in letzter Zeit rechtsextrem geworden sind. Oder: Es tauchen jetzt Fälle auf, die früher unentdeckt geblieben wären. Ich habe mich also auf die Spurensuche begeben und mit Journalisten, Polizisten und Polizeiforschern gesprochen. Bisher konnte ich den Fall nicht vollständig lösen. Aber ich erzähle gern einmal von den drei Spuren, die ich aufdecken konnte.

Das ist der dunkle Dachboden

Die erste und größte Frage meiner Recherche: Wird in der Polizei alles immer schlimmer? Die aufgedeckten Chatverläufe und der NSU 2.0 legen diese Vermutung nahe. Im Lagebericht „Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“ des Bundesinnenministeriums ist die Rede von 377 Verdachtsfällen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass das nur ein Bruchteil der tatsächlichen Fälle ist.

Expert:innen nennen die bekannten Fälle auch das „Hellfeld“. Worüber wir aber fast nichts wissen, ist das „Dunkelfeld“. Wie groß ist es? Wie viele Polizist:innen teilen noch rechtsextremes Gedankengut? Ich habe bei drei Polizeiwissenschaftlern nachgehakt und sie alle sagen: Das weiß man nicht. Das Dunkelfeld ist sehr schlecht erforscht. Und überhaupt wäre es auch sehr schwer, es zu erforschen. Es ist, als wäre ich auf einen dunklen, staubigen Dachboden gegangen und hätte dort mit einer Taschenlampe in eine Ecke geleuchtet. Da sitzen, ziemlich gut beleuchtet, drei dicke Spinnen in ihren Netzen. Ich weiß aber nicht, ob sich vielleicht nicht auch noch zwanzig oder dreißig oder fünfzig weitere Spinnen auf dem Dachboden befinden.

Es weiß also keine:r so richtig, mit welchem Ausmaß des Problems wir es zu tun haben. Ich probiere es mit einem Umkehrschluss: Wenn es heute mehr Rechtsextremismus in der Polizei gäbe, müsste das ja heißen, dass es früher weniger gab?

Nun. Ein Blick zurück in die 1990er ist erschreckend. Im Hamburger Stadtteil St. Georg demütigten und misshandelten Beamt:innen der Polizeiwache 11 über mehrere Jahre hinweg Menschen, oft Schwarze. In mehr als hundert Fällen setzten sie sie nachts an der Stadtgrenze aus. Es soll sogar mindestens zwei Scheinhinrichtungen gegeben haben. Das wurde als „Hamburger Polizeiskandal“ bekannt.

Ein Jahrzehnt später wurden drei Polizisten in Dessau strafversetzt, weil sie bei Ermittlungen gegen rechtsextreme Straftäter:innen besonders erfolgreich waren. Dass Dessau dadurch den stärksten statistischen Anstieg rechter Kriminalität in Sachsen-Anhalt hatte, gefiel ihren Vorgesetzten anscheinend nicht so sehr.

Und das ausgerechnet in Dessau, wo 2005 der 23-jährige Sierra Leoner Oury Jalloh in einer Arrestzelle verbrannte. Lange behauptete die Dessauer Polizei, er habe sich selbst angezündet, obwohl das eigentlich unmöglich war. Erst 2017 nahm die Staatsanwaltschaft Dessau Mordermittlungen auf.

Die gar nicht so ferne Vergangenheit hatte also auch ihre Polizeiskandale. Ist alles einfach so geblieben? Das lässt sich nicht abschließend sagen. Meine Recherche hat mir aber eher Hoffnung gemacht. Genauso wie sich unsere Gesellschaft entwickelt und langsam sensibler wird, wenn es um Themen wie Rassismus und Rechtsextremismus geht, verbessern sich auch Institutionen wie die Polizei – das sagen alle, mit denen ich für diese Recherche gesprochen habe.

„Es ist heute besser als früher“, sagt auch mein Kollege Stephan Anpalagan, der sich journalistisch schon seit Langem mit der Polizei befasst. „Es gibt Frauen und Migrant:innen in der Polizei. Die Ausbildung ist besser, die Strukturen sind besser. Es gibt mehr Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote.“ Eine Recherche von Zeit Online zeigt: Tatsächlich steigt die Zahl von Frauen und Migrant:innen im Polizeidienst. Allerdings sind sie noch weit entfernt davon, auch ihren Anteil in der gesamten Bevölkerung zu repräsentieren.

Die Technik hat Tücken

Das führt mich zu meiner zweiten Frage. Was ist heute anders als vor zwanzig Jahren? Es klingt fast banal: die Technologie. Was Polizist:innen früher im Pausenraum oder beim Feierabendbier gesagt haben, wird heute über das Handy kommuniziert. Und wird damit eine sichtbare Spur in der Chatgruppe: Altherrenwitze, rassistische Beleidigungen, Nazivergleiche. Bei rechtsextremen Inhalten wie Hakenkreuzen liefern die Chats sogar einen Beweis, der in Ermittlungen verwendet werden kann.

Interessanterweise könnte ausgerechnet das Coronavirus dazu geführt haben, dass Beamt:innen noch mehr Spuren hinterlassen haben als sonst. Was sie durch die Kontaktbeschränkungen in persönlichen Gesprächen nicht so häufig sagen konnten, landete vielleicht in der Chatgruppe. Die Berliner Polizei-Student:innen, in deren Chats rechtsextreme Inhalte aufgefallen waren, haben sich nämlich kaum persönlich gesehen, hat mir Alexander Bosch erzählt, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht zu Rassismus in der Polizei forscht und lehrt – also genau dort, wo die Kommissaranwärter:innen vor einigen Monaten ihre Ausbildung begonnen haben. Dadurch war das Gruppengefühl wahrscheinlich nicht so stark ausgeprägt und einige der Student:innen haben die problematischen Inhalte gemeldet.

Smartphones sind aber nicht nur zum Chatten gut. Sie enthalten auch ein hilfreiches Werkzeug – eine Kamera. Damit können Bürger:innen das Verhalten von Polizist:innen bei Einsätzen dokumentieren und damit auch Beweismaterial sammeln, falls die Beamt:innen ihr staatliches Gewaltmonopol missbrauchen. Zuletzt gab es Videos von Polizeieinsätzen in Frankfurt, Hannover und Hamburg, die in sozialen Netzwerken für Aufruhr gesorgt haben.

Dass sowohl Bürger:innen als auch Medien nun bei der Polizeiarbeit genauer hinschauen, kann eine Chance sein. Denn es könnte bedeuten, dass sie so Licht in ein paar Ecken werfen, die bisher dunkel geblieben sind.

Es gibt nicht nur die harten Kamerad:innen

Damit komme ich zu meiner dritten und letzten Frage. Es könnte sein, dass Polizist:innen sich heute eher trauen, etwas zu sagen, als früher – weil inzwischen offener über Probleme bei der Polizei gesprochen wird. Ändert sich also die Kultur in der Polizei? Zumindest in den beiden Berliner Chatgruppen haben Polizist:innen selbst öffentlich gemacht, welche rechtsextremen Inhalte dort geteilt wurden.

Lange Zeit war es so, dass Polizist:innen, die sich gegen menschenfeindliches Verhalten gewehrt haben, als „Kameradenschweine“ abgestempelt wurden. Oft sei der mutmaßliche „Verrat“ an den Kolleg:innen sogar härter sanktioniert worden als die eigentliche Tat, sagt Rafael Behr, der Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg ist und von 1975 bis 1990 selbst Polizist in Hessen war. Inzwischen scheine es zwar die Einsicht zu geben, dass die Äußerungen in den Chatgruppen eher die Integrität der Polizei beschädigen. Aber es sei noch ein bisschen früh, um das als großen Fortschritt zu sehen.

„Der Kulturwandel deutet sich an, aber abschließend kann man die Frage noch nicht beantworten“, sagt Behr. Es gebe eine neue Generation von Polizist:innen, die sensibler mit rassistischen Begriffen umgehen und die nicht rassistisch sein wollten. Allerdings werde die „Mauer des Schweigens“ bisher trotzdem nur in sehr seltenen Fällen durchbrochen.

Auch der Polizeiforscher Alexander Bosch berichtet, dass das Wissen über Rassismus durch die Debatte in den letzten Monaten und Jahren bei seinen Polizeistudent:innen in Berlin angekommen sei.

Ein Wort fällt in den Diskussionen um Rechtsextremismus in der Polizei immer wieder: Generalverdacht. Manche Beamt:innen befürchten, die Enthüllungen der Chats könnten dazu führen, dass alle Polizist:innen pauschal als rechtsextrem abgestempelt werden würden. Dabei würde eine echte Aufklärung dieser Fälle wahrscheinlich eher das Gegenteil bewirken.

Warum gibt es also zur Zeit die vielen Fälle rechtsextremer Chats? Es ist wohl eine Mischung aus Zufall, einer leichteren Nachverfolgung durch moderne Technik und einem sich langsam andeutenden Kulturwandel.

Eines konnte ich allerdings feststellen: Der Polizei fehlt eine vernünftige Fehlerkultur. In der Polizeilogik werde nicht verziehen und nicht bereut. Alles sei hart, sagt Rafael Behr. Dabei gehe es doch eigentlich nicht immer nur darum, ob das, was Polizist:innen tun, strafrechtlich relevant ist. Vielen, die sich über Fehlverhalten bei der Polizei beschweren, sei es viel wichtiger, dass Fehler anerkannt werden und dass sich Polizist:innen auch mal entschuldigen. Denn nur so kann sich die Polizeikultur auf lange Zeit verbessern – und das Vertrauen in Polizist:innen wieder wachsen.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel.