Am Dienstag hat die Bundesregierung eine Studie auf den Weg gebracht, deren Ergebnis schon jetzt bekannt ist. Aber der Reihe nach:
In den letzten Monaten gab es immer wieder Vorfälle in der deutschen Polizei: Videos von Polizeigewalt in Hannover, Frankfurt und Hamburg, Hakenkreuze und Hitler-Bilder in Chats in Nordrhein-Westfalen, Holocaust-Verharmlosung bei Polizei-Studierenden in Berlin.
Sind das Einzelfälle oder hat die Polizei ein strukturelles Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus? Migrantenvertreter:innen, Opferschutzverbände, Aktivist:innen und auch Polizist:innen selbst forderten immer wieder, Rassismus in den Sicherheitsbehörden endlich wissenschaftlich zu untersuchen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer aber blockiert. Er betont, es gebe kein strukturelles Problem und 99 Prozent der Sicherheitsbeamt:innen stünden „fest auf dem Boden der Verfassung“.
Als Mitarbeiter:innen im Bundesinnen- und Bundesjustizministerium überlegten, eine Studie zu Racial Profiling zu erstellen, also der anlasslosen Kontrolle von Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe, stoppte Seehofer persönlich die Pläne. Einige Bundesländer beschlossen, eine solche Studie in ihren Landesverbänden der Polizei durchzuführen. Angestoßen von Niedersachen, unterstützen inzwischen Sachsen-Anhalt, Bremen, Thüringen, Berlin und Hamburg das Vorhaben.
Schließlich rang sich Innenminister Horst Seehofer auf Druck der SPD zu einem Kompromiss durch. Jetzt wird es eine Studie geben. Eine Studie, „die Entwicklung und Verbreitung diskriminierender Handlungen in der Zivilgesellschaft, in Wirtschaft und Unternehmen sowie öffentlichen Institutionen erforscht, die durch rassistische Einstellungen motiviert sind“, wie es in der Pressemitteilung des Bundesinnenminsteriums heißt.
Moment: Da kommt das Wort Polizei ja gar nicht vor?
Genau. Statt Rassismus in der Polizei zu erforschen, wird Rassismus in der Gesellschaft untersucht.
Nur: Diese Studie gibt es schon. Seit Jahren. In verschiedenen Varianten. Hier nur drei zur Auswahl:
Die vom Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer herausgegebene Langzeitstudie untersuchte zehn Jahre lang, von 2002 bis 2011, sogenannte „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in Deutschland. 42 Wissenschaftler:innen arbeiteten daran. Ihre Untersuchungen haben gezeigt, dass der Anteil der Menschen mit rassistischen Einstellungen ziemlich stabil ist. Er schwankt um die zehn Prozent, kann je nach Krisenhaftigkeit der Zeit aber auch mal höher sein – denn Wirtschaftskrisen erzeugen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Zur Finanzkrise stimmten so über 30 Prozent der Aussage zu, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben würden. 2011 waren es aber immer noch über 20 Prozent. Heitmeyers persönliches Fazit aus den zehn Jahren fällt auch nicht besser aus: „Die Würde bestimmter Menschen und die Gleichwertigkeit von Gruppen ist antastbar.“
2. Die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung
Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung gibt seit 2006 jährlich die Mitte-Studien heraus. Auch dort wird gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Gesamtgesellschaft untersucht. Die gute Nachricht zuerst: Der Anteil der Menschen, die den in der Studie vorgelegten rechtsextremen Aussagen durch die Bank weg zustimmen, sinkt. 2019 waren es 2,4 Prozent der Befragten, 2002 noch fast zehn Prozent. Trotzdem kommen auch die Mitte-Studien zum Ergebnis, dass ein konstanter Teil von etwa 20 Prozent der Bevölkerung rechtspopulistisch eingestellt ist. So äußern sich über die Hälfte der Teilnehmer:innen misstrauisch der Demokratie gegenüber und befürworten eine autoritäre Law-and-Order-Politik (Politik von Recht und Gesetz). In der aktuellsten Version der Studie von 2019 wird klar: „Rechtsextreme, -populistische und demokratiefeindliche Einstellungen und Tendenzen sind in der Mitte tief verwurzelt.“
3. Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI)
Ja, auch die EU untersucht Rassismus und Intoleranz in ihren Mitgliedsstaaten. In den Untersuchungen geht es um gesellschaftliche Diskriminierung, aber auch darum, inwieweit Minderheiten durch Gesetze oder Institutionen schlechter gestellt werden. Die Staaten dürfen einen letzten Blick auf die Berichte werfen, offiziell „um Fehler zu korrigieren“. 2019 wurde auch Deutschland untersucht. Das – von der Regierung offiziell anerkannte – Ergebnis ist grundsätzlich positiv. Deutschland hätte für Verbesserungen für Homosexuelle gesorgt, sehr viele Geflüchtete aufgenommen und mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz auch gesetzliche Rahmen zur Bekämpfung von Hassrede geschaffen. Trotzdem werde in Deutschland der Rassismus stärker. Im Bericht taucht Seehofer übrigens selbst auf. Seine Aussagen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland und seine Freude über die 69 abgeschobenen Menschen zu seinem 69. Geburtstag seien problematisch gewesen.
Welche Studie es stattdessen bräuchte
Wir wissen also, dass es Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland gibt. Das ist seit Jahren belegt. Eine weitere Studie dazu braucht es nicht. Was es braucht, ist eine genaue Untersuchung, wie viel Rassismus es in der Polizei gibt. Und diese Studie braucht klare Kriterien.
Zuerst einmal sollte es nicht bei einer Befragung bleiben. Die Einstellungen von Polizist:innen mit einem Fragebogen abzufragen kann nur ein kleines Puzzleteil sein, um Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei zu erfassen. Genauso müssten Wissenschaftler:innen den Arbeitsalltag von Polizist:innen untersuchen, indem sie sie bei Einsätzen begleiten. Insgesamt bräuchte es verschiedene Forschungsprojekte, die über längere Zeiträume laufen. Das ist auch in vielen anderen Forschungsfeldern völlig normal.
Es ist aber auch ein Problem, wenn das Innenministerium eine Studie „in Auftrag gibt“, denn das bedeutet, dass es genau vorgibt, wie die Untersuchung am Ende aussehen soll. Alexander Bosch, der an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht zum Thema Rassismus in der Polizei forscht, schlägt stattdessen vor, dass das Innenministerium Geld zur Verfügung stellt, auf das sich Forscher:innen mit Projekten bewerben. Die Wissenschaftler:innen könnten so selbst gestalten, wie sie Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei untersuchen.
Ein weiterer Punkt: Die Forscher:innen brauchen Zugang zum Alltag der Polizist:innen. Das gestaltet sich bisher recht schwierig, denn Beamt:innen misstrauen Wissenschaftler:innen oft und nehmen sie in ihrer täglichen Arbeit eher als Hindernis wahr. Das Innenministerium müsste also den Austausch zwischen Wissenschaft und Polizei eher fördern als ihn zu behindern.
Horst Seehofers Studie wird nur zeigen, was wir schon wissen: Es gibt Rassismus in Deutschland, und damit auch in der Polizei. Vielleicht braucht es einfach noch diese eine Studie, bis Horst Seehofer das versteht. Und den Weg frei macht, um die deutsche Polizei genauer zu untersuchen.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Silke Jäger, Rico Grimm; Fotoredaktion: Rico Grimm.