Am 22. Februar 2014 veröffentlichte ich einen Post auf meinem Blog. Ich gab ihm den Titel Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche. Er lautete:
Ich spreche nicht länger mit Weißen über das Thema Hautfarbe. Das betrifft nicht alle Weißen, sondern nur die große Mehrheit, die sich weigert, die Existenz von strukturellem Rassismus und seinen Symptomen anzuerkennen. Ich kann mich nicht mehr mit der emotionalen Distanz auseinandersetzen, die Weiße an den Tag legen, wenn eine Person of Colour von ihren Erfahrungen erzählt.
Man sieht, wie sich ihr Blick verschließt und hart wird. Es ist, als würde ihnen Sirup in die Ohren gegossen, der ihre Gehörgänge verstopft. Es ist, als könnten sie uns nicht mehr hören.
Die emotionale Distanz ist die Folge eines Lebens, in dem sich jemand vollkommen unbewusst darüber ist, dass seine Hautfarbe die Norm darstellt und alle anderen davon abweichen. Bestenfalls wurde Weißen beigebracht, nicht zu erwähnen, dass People of Colour „anders“ sind, falls es uns beleidigt. Sie glauben wirklich, dass die Erfahrungen, die sie aufgrund ihrer Hautfarbe gemacht haben, universell sein können und sollten. Ich kann mich nicht mehr mit ihrer Verwirrung und Abwehrhaltung auseinandersetzen, wenn sie versuchen mit der Tatsache klarzukommen, dass nicht alle die Welt so erleben wie sie. Sie mussten nie darüber nachdenken, was es – in Bezug auf Macht – bedeutet, weiß zu sein, und jedes Mal, wenn sie auch nur vorsichtig daran erinnert werden, interpretieren sie es als Affront. Ihr Blick verschleiert sich vor Langeweile oder funkelt vor Empörung. Ihre Lippen beginnen zu zucken, während sie in den Defensivmodus schalten. Sie räuspern sich, weil sie dich unterbrechen wollen, können es kaum erwarten, das Wort zu ergreifen, hören aber nicht wirklich zu, weil du unbedingt wissen sollst, dass du sie falsch verstanden hast.
Der Weg zum Verständnis von strukturellem Rassismus fordert von People of Colour immer noch, weißen Gefühlen Priorität einzuräumen. Auch wenn sie dich hören können, hören sie nicht zu. Es ist, als würde etwas mit den Worten passieren, kaum haben sie unseren Mund verlassen und ihre Ohren erreicht. Die Worte stoßen auf eine Barrikade des Leugnens und können sie nicht überwinden.
Weiße erkennen ihren rassistischen Standard nicht
Es besteht keine emotionale Verbindung. Das ist nicht wirklich überraschend, weil sie nicht wissen, was es bedeutet, eine Person of Colour als wahrhaft ebenbürtig anzunehmen, als Person mit Gedanken und Gefühlen, die genauso berechtigt sind wie ihre. In dem Film „The Color of Fear“ von Lee Mun Wah sah ich People of Colour in dem Bemühen, einen starrköpfigen weißen Mann davon zu überzeugen, dass seine Worte ihnen einen weißen rassistischen Standard auferlegten und fortführten, in Tränen ausbrechen. Die ganze Zeit starrte er verständnislos und vollkommen verstört von ihrem Schmerz vor sich hin, bestenfalls trivialisierte er ihn, schlimmstenfalls zog er ihn ins Lächerliche.
Ich habe früher schon darüber geschrieben, dass diese weiße Verweigerung der allgegenwärtigen Politik der Hautfarbe entspricht, die mit der ihr eigenen Unsichtbarkeit arbeitet. Ich kann nicht länger mit Weißen über Hautfarbe sprechen – wegen der konsequenten Verleugnung, der ungeschickten Räder, die sie schlagen, und der geistigen Akrobatik, die sie vollführen, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden. Wer will schon auf eine Systemstruktur hingewiesen werden, die ihm auf Kosten anderer Vorteile bringt?
Ich kann dieses Gespräch nicht mehr führen, weil wir es oft von völlig unterschiedlichen Orten aus angehen. Ich kann mit ihnen nicht über die Einzelheiten eines Problems reden, wenn sie nicht einmal die Existenz des Problems anerkennen. Schlimmer noch ist die weiße Person, die willens ist, die Möglichkeit von besagtem Rassismus einzugestehen, aber glaubt, dass wir dieses Gespräch als Ebenbürtige führen. Das tun wir nicht.
Ganz zu schweigen davon, dass es für mich eine durchaus gefährliche Sache ist, ein Gespräch mit starrköpfigen Weißen zu führen. Während die Aufregung und die Sturheit zunehmen, muss ich unglaublich vorsichtig auftreten, denn wenn ich angesichts ihrer Weigerung mich zu verstehen, meine Frustration, Wut oder Verzweiflung zum Ausdruck bringe, fallen sie auf das althergebrachte, aber immer noch gängige Stereotyp von den zornigen Schwarzen zurück, die sie und ihre Sicherheit bedrohen. Höchstwahrscheinlich bezeichnen sie mich dann als fies und schikanös. Wahrscheinlich werden sich auch ihre weißen Freunde um sich scharen, die Geschichte umschreiben und die Lügen als Wahrheit ausgeben. Das ist den Versuch, sich mit ihnen und ihrem Rassismus auseinanderzusetzen, nicht wert.
People of Colour betreiben Selbstzensur, um sich zu schützen
In jedem Gespräch mit netten weißen Leuten, die sich, sobald es um das Thema Hautfarbe geht, ausgegrenzt fühlen und verstummen, gibt es eine Art ironischen und auffälligen Mangel an Verständnis oder Empathie für diejenigen von uns, die unser ganzes Leben lang unübersehbar als anders kenntlich sind und mit den Folgen leben müssen. People of Colour üben zwangsweise lebenslange Selbstzensur. Die Optionen sind: Sag die Wahrheit und rechne mit Repressalien, oder beiß dir auf die Zunge und schau zu, dass du im Leben vorankommst. Es muss ein merkwürdiges Leben sein, wenn man immer die Erlaubnis hat, zu sprechen, sich aber empört, wenn man einmal gebeten wird, zuzuhören. Die Empörung geht vermutlich auf das nie infrage gestellte Anspruchsdenken der Weißen zurück.
Ich kann mich nicht mehr emotional bis zur Erschöpfung verausgaben, um diese Botschaft rüberzubringen, während ich gleichzeitig auf Zehenspitzen auf einem sehr schmalen Grat balanciere, um nur keiner individuellen weißen Person vorzuwerfen, sie würde strukturellen Rassismus perpetuieren, denn sonst werde ich als Charakterschwein gemeuchelt.
Deswegen spreche ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe. Ich habe nicht die Macht, die Funktionsweise der Welt zu ändern, aber ich kann Grenzen setzen. Ich kann die Ansprüche abwehren, die sie mir gegenüber zu haben glauben, und ich fange damit an, indem ich keine Gespräche mehr führe. Das Pendel hat zu weit zu ihren Gunsten ausgeschlagen. Ihre Absicht ist es oft nicht, zuzuhören oder etwas zu lernen, sondern Macht auszuüben, mir nachzuweisen, dass ich mich täusche, mich emotional zu erschöpfen und den Status quo zu stärken. Ich spreche mit Weißen nicht mehr über Hautfarbe, außer es lässt sich absolut nicht vermeiden. Wenn sich in den Medien oder bei einer Konferenz die Möglichkeit bietet, dass jemand hört, was ich sage, und sich weniger allein fühlt, dann nehme ich teil. Aber ich will nichts mehr mit Leuten zu tun haben, die das nicht hören wollen, es ins Lächerliche ziehen und es offen gesagt nicht verdienen.
Kaum war er publiziert, nahm der Blogpost ein Eigenleben an. Jahre später treffe ich noch immer neue Leute in verschiedenen Ländern und Situationen, die mir erzählen, dass sie ihn gelesen haben. 2014, als der Post überall im Internet verlinkt wurde, wappnete ich mich gegen die übliche Menge rassistischer Kommentare. Doch die Reaktionen waren merklich anders, und zwar so sehr, dass es mich überraschte.
Es gab deutliche Unterschiede in den Reaktionen, und diese Unterschiede machten sich an der Hautfarbe fest. Ich bekam eine Fülle an Nachrichten von dunkelhäutigen Menschen. Viele „Dankeschöns“ und viele „Du hast Worte für meine Erfahrungen gefunden“. Es gab Berichte über Tränen und eine kleine Diskussion, wie man das Problem angehen sollte, wobei Bildung als Lösung für die Überbrückung dieser Distanz hoch eingeschätzt wurde. Diese Nachrichten zu lesen, war eine Erleichterung. Ich wusste, wie schwierig es war, das Gefühl der Frustration in Worte zu fassen, und als Leute mich kontaktierten und mir dafür dankten, dass ich erklären konnte, was ihnen immer schwergefallen war, freute ich mich, dass ich ihnen hatte helfen können. Ich merkte, dass wenn ich mich weniger allein fühlte, auch sie sich weniger allein fühlten.
Ich wusste nicht, dass ich einen Trennungsbrief an Weiße geschrieben hatte
Womit ich nicht gerechnet hatte, war eine Welle an Emotionen von Weißen, die meinten, dass ich der Welt etwas vorenthielt, wenn ich nicht mehr mit Weißen über Hautfarbe sprach, und dass das eine absolute Tragödie wäre. „Herzzerreißend“ schien das Wort zu sein, das dieses Gefühl am besten beschrieb.
„Es tut mir so verdammt leid, dass man dich dazu gebracht hat, dich so zu fühlen“, schrieb ein Kommentator. „Als Weißer ist mir das systembedingte Privileg, das wir anderen tagtäglich verweigern und selbst genießen, quälend peinlich. Und quälend peinlich ist mir auch, dass es mir selbst bis vor ungefähr zehn Jahren nicht mal aufgefallen ist.“ Jemand anders bat: „Hör nicht auf, mit Weißen zu reden, deine Stimme ist klar und wichtig, und es gibt Möglichkeiten, andere zu erreichen.“ Wieder jemand anders, diesmal eine schwarze Person, schrieb: „Es ist eine so mühsame Arbeit, andere zu überzeugen, aber wir sollten nicht damit aufhören.“ Und ein letzter definitiver Kommentar lautete: „Bitte, gib Weiße nicht auf.“
Obwohl diese Reaktionen verständnisvoll waren, belegten sie doch jene Kommunikationskluft, über die ich in meinem Post geschrieben hatte. Es schien ein Missverständnis zu geben, an wen der Text gerichtet war. Ich hatte ihn nicht verfasst, damit Weiße sich schuldig fühlten oder um irgendeine Art von Erleuchtung zu provozieren. Damals wusste ich nicht, dass ich ungewollt einen Trennungsbrief an Weiße geschrieben hatte. Und ich rechnete auch nicht damit, dass weiße Leser im Internet, metaphorisch gesprochen, mit einem Ghettoblaster und einem Blumenstrauß vor meinem Schlafzimmerfenster Stellung beziehen, ihre Fehler und Mängel eingestehen und mich bitten würden, sie nicht zu verlassen. Das alles erschien mir seltsam, und mir war etwas unbehaglich. Denn ich wollte mit meinem Post nur sagen, dass ich genug hatte. Es war weder ein Hilferuf noch eine winselnde Bitte um das Verständnis und Mitgefühl von Weißen. Es war keine Aufforderung an Weiße, sich selbst zu geißeln. Ich hörte auf, mit Weißen über Hautfarbe zu sprechen, weil ich nicht glaube, dass Aufgeben ein Zeichen von Schwäche ist. Manchmal geht es dabei um Selbsterhaltung.
Jetzt verbringe ich die meiste Zeit damit, mit Weißen über Hautfarbe zu sprechen
Ich habe aus „Warum ich nicht mehr mit Weißen über Hautfarbe spreche“ ein Buch gemacht, um das Gespräch – paradoxerweise – fortzusetzen. Seit ich meine Grenze gezogen habe, spreche ich fast nur noch über Hautfarbe – bei Musikfestivals und in Fernsehstudios, in weiterführenden Schulen und bei Konferenzen politischer Parteien –, und der Bedarf nach diesen Gesprächen scheint nicht abzunehmen. Die Leute wollen darüber reden.
Es geht nicht nur um die unübersehbare Seite, sondern auch um die versteckte Seite des Rassismus – die Aspekte, die schwer zu definieren sind, und die, die Selbstzweifel verursachen. Großbritannien tut sich noch immer schwer mit Hautfarbe und Unterschieden. Seit ich 2014 den Blogpost schrieb, hat sich für mich viel verändert. Jetzt verbringe die meiste Zeit damit, mit Weißen über Hautfarbe zu sprechen. Die Verlagsbranche ist sehr weiß, es gab also keine Möglichkeit, mein Buch zu publizieren, ohne mit zumindest ein paar Weißen über Hautfarbe zu sprechen. Und bei meinen Recherchen musste ich mit Weißen sprechen, mit denen auch nur ein Wort zu wechseln ich vorher für unmöglich gehalten hätte.
Ich schreibe – und lese –, um mich selbst zu vergewissern, dass andere Menschen empfinden, was auch ich empfinde, dass es nicht nur an mir liegt, dass es real ist, gültig und wahr. Ich bin mir meiner Hautfarbe nur deswegen so akut bewusst, weil ich, seitdem ich mich erinnern kann, von der Welt durchgängig als anders abgestempelt werde. Obwohl ich unsichtbares Weißsein häufig analysiere und über seine exklusive Natur nachdenke, bin ich als Beobachterin immer Außenstehende. Ich weiß, dass es den meisten Weißen nicht so ergeht, die sich im völligen Unbewusstsein ihrer Hautfarbe durch die Welt bewegen, bis die Dominanz derselben infrage gestellt wird. Wenn Weiße nach einer Zeitschrift greifen, im Internet browsen, Zeitung lesen oder den Fernseher einschalten, begegnen sie ständig Menschen, die aussehen wie sie und Macht- oder Autoritätspositionen innehaben, ohne dass ihnen das irgendwie seltsam vorkäme. Insbesondere in der Kultur ist die positive Bestätigung des Weißseins so weit verbreitet, dass der Durchschnittsweiße sie überhaupt nicht bemerkt. Diese Bestätigung wird seelenruhig akzeptiert. Weiß zu sein heißt, Mensch zu sein; weiß zu sein ist universell. Ich weiß das nur, weil ich nicht weiß bin.
Ich werde nie aufhören, über Hautfarbe zu sprechen. Jede Stimme, die sich gegen Rassismus erhebt, kratzt an seiner Macht. Wir können es uns nicht leisten zu schweigen.
Dieser Auszug stammt aus dem Buch „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ von Reni Eddo-Lodge, Verlag: Klett-Cotta.
Redaktion: Sophie Barkey und Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Belinda Grasnick; Fotoredaktion: Martin Gommel