Ein Dammbruch.
Man kann die Geschehnisse um die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen als Geschichte eines Dammbruchs erzählen. Als eine Tragödie, in der aufrechte Demokraten von faschistoiden Bösewichten überrumpelt und übertölpelt wurden. In deren Folge ein Ministerpräsident zurücktreten musste, ein Parteivorsitzender nachhaltig beschädigt und eine Parteivorsitzende politisch gebrochen wurde. Als einen Kampf, Gut gegen Böse, Damm gegen Welle. Der Damm brach, der Faschismus sickert nun langsam in die parlamentarische Demokratie ein.
Man kann die Geschichte aber auch anders erzählen. Aus der Perspektive einer Partei, die mit rechtsextremen Personen und Personengruppen kooperiert, um ihre eigene Macht zu erweitern und ihre politische Agenda voranzutreiben. Die über Jahre hinweg völkische Ideologien in ihrer Organisation duldet und dabei Neonazis und Holocaustleugner toleriert. Die den offenen Rassismus in Teilen ihrer Partei nicht einzudämmen bereit ist, solange sie mit ihm politische Gewinne erzielt. Und die dabei die Demontage der Demokratie und die nachhaltige Zerstörung des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Kauf nimmt, die sich in ihrer extremsten Form wiederum im rassistischen Terror von Halle und Hanau manifestiert.
Die Rede ist von der CDU. Die Geschichte der Ministerpräsidenten-Wahl ist keine des Dammbruchs. Vielmehr ist sie eine Erzählung von wiederholten rechtsradikalen Grenzüberschreitungen, von permanenten ausländerfeindlichen Ressentiments, von einer Verschiebung des demokratischen Diskurses nach rechts und rechtsaußen.
Dem Ganzen liegt eine – zum Teil sogar verschriftlichte – Strategie zugrunde. Parteivorsitzende, Generalsekretäre, Präsidiumsmitglieder, Ministerpräsidenten, Landtags- und Bundestagsabgeordnete haben auf Basis dieser Strategie Wahlkampftaktiken abgeleitet und den strukturellen Handlungsunwillen der CDU im Kampf gegen den Rechtsextremismus befördert. Wenn man beim Bild des Dammbruchs bleiben möchte, könnte man sagen, dass die CDU jahrzehntelang Steine, Mörtel und Sandsäcke vom Damm abgetragen hat, um nun dabei zuzusehen, wie das Wasser Häuser und Städte flutet.
Immer wieder verschwammen die Grenzen zwischen CDU und Rechtsaußen
Im Folgenden einige Schlaglichter aus den vergangenen 25 Jahren:
Im Jahr 1997 spricht ein Parlamentarier namens Klaus Landowsky im Abgeordnetenhaus Berlin folgende Worte:
Es ist auch viel Abschaum an Kriminalität in die Stadt gekommen, von China, über Russland, Rumänien und so weiter, meine Damen und Herren. (…) Es ist nun mal so: Wo Müll ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosung ist, ist Gesindel, meine Damen und Herren, und das muß beseitigt werden in der Stadt.
Der Mann war zu diesem Zeitpunkt der Fraktionsvorsitzende der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus.
Während er diese Worte spricht, werden in den umliegenden Krankenhäusern Berlins Menschen behandelt, die aufgrund von Angriffen durch Neonazis querschnittsgelähmt aus dem Koma erwachen.
Die Ausländerbeauftragte in Brandenburg, Almuth Berger, kommentierte die Worte Landowskys:
Es wirkt wie eine Aufforderung zur Brandstiftung oder zur Gewalttätigkeit. Wenn man Menschen mit solchen Worten bezeichnet und generell als etwas Vernichtenswertes bezeichnet, als Ungeziefer, dann kann das unter Umständen wie eine direkte Aufforderung wirken.
Und weiter:
Es vergeht leider kaum ein Tag, wo nicht irgendein Überfall gemeldet wird. Auch jetzt am Wochenende waren wieder Angriffe zu verzeichnen. Und das hat sich in letzter Zeit wirklich gehäuft.
TV-Journalist und CDU-Mitglied Michel Friedman sprach von einer „Enthemmung der Sprache, der Inhalte in der Politik“, die nicht sanktioniert werde. Ein Ex-Neonazi meinte, die Worte Landowskys könnten aus einem „Propagandapapier der Nationalen Alternative aus dem Jahr 1990 sein“.
CDU-Ministerpräsident Roland Koch hat mit Rassismus Wahlkampf gemacht
Im Jahr 1999 gewinnt der CDU-Landesvorsitzende, Roland Koch, mit einer Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Landtagswahl in Hessen. Auf Wahlveranstaltungen sagen Teilnehmer Sätze wie: „Wir können ja nicht jeden reinlassen“, „Deutschland den Deutschen“ und „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann, der in Aufsätzen eine „Beendigung des Schuldwahns“ fordert, macht Wahlkampf in Hessen und beschwört die letzte freie Wahl in Deutschland herauf, sollte die doppelte Staatsbürgerschaft Wirklichkeit werden. Ähnliches erzählt der CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer, der vor „Asylterror“, „Bleiberecht für schwule Ausländer“, dem „Islam als Gefahr für das Abendland“ und „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ warnt, sollte sich die Einwanderungspolitik nicht ändern.
Hans-Jürgen Irmer ist heute Bundestagsabgeordneter der CDU (und hält nichts von AfD-Bashing). Martin Hohmann ist mittlerweile Bundestagsabgeordneter der AfD.
Im Jahr 2002 berichtet der Norddeutsche Rundfunk über rechtsradikale CDU-Mitglieder, die sich in der „Gesellschaft für freie Publizistik“ engagieren. Dort wird gegen Juden gehetzt, der Holocaust geleugnet, es werden in Reden honoriger Mitglieder „Straßenkämpfe und Saalschlachten“ beschworen. Der Verfassungsschutz bezeichnet die Gesellschaft als „die bedeutendste rechtsextremistische Kulturvereinigung“.
Im Jahr 2005 berichtet der Rundfunk Berlin-Brandenburg über CDU-Mitglieder, die im sächsischen Landtag mutmaßlich Anträge der NPD unterstützen. Mindestens sechs CDU-Landtagsabgeordnete äußern in der Dokumentation Relativierungen des Holocaust und bekennen Sympathien für die politische Arbeit der NPD. Ein sichtlich schockierter Rechtsextremismusforscher attestiert manchem CDU-Abgeordneten „massive Übernahmen neurechten Gedankenguts, das nicht in demokratischen Parteien gedacht werden sollte“. Im selben Jahr taucht ein Video auf, in dem CDU-Nachwuchspolitiker mit Hakenkreuz und Nazi-Sprüchen zu sehen sind. Darin heißt es: „Ausländer sollten ins Lager“, „katalogisiert werden“ und „man müsse gegen den ‘jüdischen Bolschewismus’ vorgehen“.
Im Jahr 2008 berichtet der Westdeutsche Rundfunk über eine rechtsextreme Zeitschrift, in der regelmäßig Parteigrößen der NPD antisemitische Texte publizieren. In der Zeitschrift heißt es unter anderem, „eine Weltjudenschaft habe 1933 Deutschland den Heiligen Krieg erklärt“. Der Herausgeber, der Chefredakteur, sowie zahlreiche Mitarbeiter der Zeitschrift sind allesamt CDU-Mitglieder. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, ebenfalls CDU-Mitglied, ließ dort mit Steuergeldern eine Anzeige schalten.
Im Jahr 2011 berichtet der Hessische Rundfunk über das CDU-Mitglied Daniel Budzynski, der jahrelang als Teil der rechtsextremen Gruppierung „Freier Widerstand Kassel“ nationalsozialistisches Gedankengut und Solidaritätsbekundungen zum NSU verbreitet und zu „Wehrsportübungen“ aufgerufen hat. Ein Rechtsextremismusexperte stellt heraus, dass Budzynski nicht nur einfaches Mitglied ist, sondern zum engeren Kreis des Freien Widerstands Kassel gehört und eine durchaus bedeutende Rolle spielt.
Im Jahr 2019 wird bekannt, dass der CDU-Kreispolitiker Robert Möritz in der Vergangenheit mehrfach als Ordner an Neonazi-Demos teilgenommen hat, ein stilisiertes Hakenkreuz als Tätowierung trägt und Mitglied des Vereins „Uniter“ ist. Uniter ist Teil des Hannibal-Netzwerks, in dem angeschlossene Sicherheitskräfte an einem „Tag X“ die Macht in Deutschland mit Waffengewalt an sich reißen und Systemfeinde „liquidieren“ möchten. Recherchen des Tagesspiegels zufolge ist Möritz nur eines von mehreren Uniter-Mitgliedern in der CDU, es soll zudem „vielfältige Überschneidungen zwischen ostdeutschen CDU-Mitgliedern und Uniter“ geben. Nicht nur die Grünen in Sachsen-Anhalt fragen öffentlichkeitswirksam: „Wie viele Hakenkreuze haben Platz in der CDU?“.
Es war kein Zufall, sondern Strategie
Wenn über Jahrzehnte hinweg Fraktionsvorsitzende der CDU über Ausländer als Ungeziefer sprechen, Ministerpräsidenten der CDU mit ausländerfeindlichen Parolen wie „Kinder statt Inder“ Wahlkampf betreiben, Abgeordnete der CDU vor „Asylterror“ warnen, Mitglieder der CDU sich publizistisch und parlamentarisch mit der NPD vernetzen, Ortsverbände der CDU NPD-Gemeinderäten Unterschlupf gewähren, Bezirksvertreter:innen der CDU Videos der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ und andere rassistische Inhalte teilen und Ortsvorsitzende der CSU gegen Ausländer hetzen, sind das irgendwann keine „Einzelfälle“ mehr, sondern folgen einer kalkulierten Strategie des Ausländerhasses, mit der rechtsradikale Grenzüberschreitung stetig normalisiert werden.
Eine Strategie im übrigen, die sich seit mindestens 40 Jahren bewährt hat.
In einem Beitrag der Heinrich-Böll-Stiftung lässt sich nachlesen, wie die Union seit den 1980er Jahren gezielt Ressentiments gegenüber Zuwanderern schürt, um den dadurch entstandenen Hass auf die Ausländer für sich zu nutzen.
Bereits Anfang der 1980er Jahre entdeckten Strategen der Union das Thema Asylmissbrauch für sich. Zwar kamen damals kaum Flüchtlinge nach Deutschland, doch versprachen Ressentiments gegen Zuwandernde, insbesondere Türk:innen, schmissige Wahlkampfparolen.
1985 verstieg sich CSU-Chef Franz-Josef Strauß zu der Aussage, dass ohne eine Änderung des Grundrechtes auf Asyl Deutschland „bald die Kanaken im Land“ haben werde. 1986 forcierten CDU und CSU gezielt die Debatten über die Asylpolitik und kürten diese zum wichtigsten Wahlkampfthema bei den anstehenden Abstimmungen in Bayern sowie im Bund. „Um die Stimmung im Volk rechtzeitig zu den Wahlen anzuheizen, helfen Unionspolitiker mit schreckenerregenden Zahlen nach“, schrieb der Spiegel damals.
Argumentationshilfe habe ein „Horror-Papier“ aus der CDU/CSU-Fraktion geliefert: „Als – nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte – mögliche Asylberechtigte“, heißt es darin, kämen Afrikaner und Asiaten „in der Größenordnung von 50 Millionen“ in Betracht; jeder zweite Einwohner Westdeutschlands könnte danach eines Tages ein „Asylant“ sein.
Diese unbändige Hetze gegen Ausländer bleibt nicht folgenlos.
„Selten“, kommentierte damals die Stuttgarter Zeitung, habe „ein Thema die Bürger offenbar so aufgewühlt wie die Diskussion um das Asyl.“ Aus vielen Leserbriefen breche, so resümiert das Blatt, nun blanker Hass hervor: Man solle die „Schweine, Herumtreiber, Faulenzer“ in „Arbeitslager sperren oder vergasen.“
Der Hass entlädt sich nicht nur in den Leserbriefen und Kommentarspalten. Anfang der 1990er Jahre zünden „besorgte Bürger“ und Neonazis Wohnheime und Wohnhäuser an, in denen sich Asylsuchende aufhalten, unter anderem in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen und Lübeck. Zahlreiche Menschen, darunter viele Kinder, kommen in den Flammen um.
Nach der Hetzjagd von Hoyerswerda bittet der CDU-Generalsekretär seine Mitglieder, Asylmissbrauch öffentlich zu thematisieren
Die CDU weiß diese Stimmung im Land für sich zu nutzen und heizt dabei die Unruhen weiter an. Während in Hoyerswerda mehrere hundert Personen Jagd auf Ausländer machen und Flüchtlingsunterkünfte anzünden, versendet der Generalsekretär der CDU, Volker Rühe, zeitgleich ein Rundschreiben an die gesamte Partei, mit der Aufforderung, das Thema Asylmissbrauch öffentlichkeitswirksam zu thematisieren. Um den Ortsvereinen und Kreisverbänden die Arbeit zu erleichtern, schickt er „standardisierte Argumentationsleitfäden“, Parlamentsanträge und Presseerklärungen mit. Anfragen lauten beispielsweise: „Sind Asylbewerber in Hotels oder Pensionen untergebracht worden? Für welchen Zeitraum? Zu welchen Kosten? Welche Auswirkungen hatte die Belegung von öffentlichen Einrichtungen mit Asylbewerbern auf die bisherigen Benutzer/Besucher?“. Besonders herauszustellen seien Fälle, „in denen Asylbewerber staatliche Leistungen unberechtigterweise mehrfach in Anspruch genommen haben“.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt daraufhin, wer das gelesen habe, „weiß endgültig, wie man generalstabsmäßig Neid und Wut produziert. Und wenn dann bei einer Horde von Wirrköpfen (die sich nach solchen Debattenbeiträgen in bester Gesellschaft wähnen) aus Neid Hass wird, stehen die Generalstäbler betroffen da und wundern sich über die plötzlich ausgebrochene Gewalt.“
Im Jahr 2000 möchte ein junger Generalsekretär namens Friedrich Merz die Debatte um Einwanderung und „Deutsche Leitkultur“ erneut zu zentralen Themen des anstehenden Bundestagswahlkampfes machen. Das Wahlprogramm 2002 enthält ein zweiseitiges Kapitel mit der Überschrift „Zuwanderung steuern und begrenzen“. Darin untergebracht sind die Schlagworte „Missbrauch des Asylrechts“, „Einwanderung in die Sozialsysteme“, „Illegale Zuwanderung“ und „Parallelgesellschaften“.
Doch während im ganzen Land Asylheime brennen, mindestens 100 Zuwander:innen ermordet werden, in Ostdeutschland die „Baseballschlägerjahre“ ausbrechen und Migranten einer mysteriösen Anschlagsserie zum Opfer fallen (Stichwort: „Dönermorde“), findet man im gesamten 74-seitigen Wahlprogramm weder die Worte „Rechtsradikalismus“, „Rechtsextremismus“ oder „Rassismus“. Stattdessen heißt es: „Verstärkte Zuwanderung würde den inneren Frieden gefährden und radikalen Kräften Vorschub leisten.“ An anderer Stelle sagt Friedrich Merz im Originalton: „Die Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund sind dort am höchsten, wo die SPD mit der PDS zusammenarbeitet.“ und „Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen dem Umgang mit den Linksradikalen und dem Erscheinen rechtsradikaler Parteien und rechtsradikaler Umtriebe.“
Schuld haben Ausländer und Linke, aber fast nie die eigenen Parteimitglieder
Verkürzt könnte man sagen: Die Ausländer sind schuld am Ausländerhass und die Linksradikalen sind verantwortlich für die Umtriebe der Rechtsradikalen. Wer hingegen keine Schuld und keine Verantwortung trägt, sind Neonazis, Rechtsextremisten und eigene Parteimitglieder, die mit fremdenfeindlichen Hölzern zündeln.
Das Ganze hat System und ist Teil einer Strategie, die Ausländer zu Sündenböcken, Linksextreme zu Feindbildern und Rechtsextreme zu Verbündeten macht. Es ist ein politisches Koordinatensystem, das noch immer trägt. Anders lässt sich die strukturelle Verharmlosung des Rechtsextremismus durch weite Teile der CDU kaum mehr erklären.
Beispiel Sachsen: Obwohl mit der „Zwickauer Terrorzelle“, der „Gruppe Freital“, der „Revolution Chemnitz“ und der „Old School Society“ gleich mehrere rechte Terrororganisation enttarnt werden, obwohl die Bilder der ausländerfeindlichen Angriffe aus Clausnitz, Heidenau und Bautzen um die Welt gehen, obwohl jede Woche Pegida in Dresden demonstriert und Bürgerwehren der NPD sächsische Ortschaften durchstreifen, war man hier lange Zeit der Meinung, die Sachsen seien „immun gegenüber den rechtsradikalen Versuchungen“. Und während beinahe täglich Flüchtlingsunterkünfte angezündet werden, schreibt ein CDU-Landtagsabgeordneter ausgerechnet in der Jungen Freiheit, einer rechten Szene-Zeitung: „Die linksextreme Szene ist in Sachsen im Vergleich zum Rechtsextremismus keinesfalls das kleinere Problem“. Dazu passt, dass die CDU-geführte Landesregierung erst kürzlich eine „Sonderkommission gegen Linksextremismus eingesetzt” hat. Rechtsextremismusexperten sind sich einig darin, dass die CDU und ihre jahrzehntelange Verharmlosung des Rechtsextremismus eine Mitschuld trägt an den Entwicklungen in Sachsen.
Beispiel Sachsen-Anhalt: Rechte Gewalt gilt in weiten Teilen des Landes als Normalität, die von Justiz und Sicherheitsbehörden verharmlost wird. Fälle, in denen Rechtsextreme in Wohnungen eindringen, Menschen bewusstlos schlagen und anschließend der Polizei ihre Reichsbürger- und NPD-Mitgliedsausweise vorzeigen, enden mit Bewährungsstrafen. Neonazis, die mit ihrem Auto Jagd auf Ausländer machen und im Kellergeschoss scharfe Waffen und Nazi-Devotionalien horten, werden von der Staatsanwältin entpolitisiert. Bürgermeister werden von Nazis bedroht und aus dem Amt gemobbt, Beobachter warnen vor einer hochgefährlichen rechtsextremen Szene in Halle und Umgebung. Ungeachtet all dessen unterstützt die CDU eine von der AfD initiierte Enquête-Kommission zur Untersuchung von Linksextremismus, erst unter Leitung des AfD-Landesvorsitzenden André Poggenburg, nach dessen Ausscheiden aus der AfD unter Leitung von Daniel Roi, der wiederum abberufen werden soll, weil er auf Neonazi-Demos gesichtet wurde.
Beispiel Hessen: Während sich Rechtsextreme in ganz Hessen radikalisieren, mehrere Mordversuche und Mordanschläge begehen (unter anderem auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke), Neonazi-Netzwerke bilden und die hessische Polizei mit einem „NSU 2.0“ unterwandern, initiiert der hessische CDU-Innenminister Peter Beuth eine Kampagne gegen Linksextremismus, verschickt Poster und Unterrichtsmaterialien an hessische Schulen und erweckt in einer eingebetteten Statistik den Eindruck, Linksextreme stellten die größte Gefahr dar. Gleichzeitig unternimmt er gegen die rechten Machenschaften in der hessischen Polizei derart wenig, dass er darüber beinahe seinen Job verliert.
Weitere Beispiele gäbe es genug.
Die deutsche Demokratie und die CDU sind eng verflochten
Nach den Ereignissen in Thüringen und dem darauffolgenden Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer, befindet sich die CDU in der größten Krise ihrer Geschichte. Beinahe alles hängt nun davon ab, ob die CDU willens und fähig ist, sich vom rechten Rand des Parteienspektrums abzugrenzen und die viel beschworene „Brandmauer nach rechts“ zu stabilisieren.
Man kann es kaum hoch genug hängen, aber das Schicksal der CDU ist eng verwoben mit dem Schicksal der liberalen Demokratie in diesem Land. Die Frage, ob Neonazis und Rechtsextreme in Zukunft integriert oder geächtet werden, ob ihre Ideen Eingang finden in die parlamentarische und gesellschaftliche Mitte, oder ob sie ausgesperrt werden vom demokratischen Diskurs, kann zu wesentlichen Teilen nur von der CDU beantwortet werden.
Das wiederum ist beängstigend.
In Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und in zahlreichen Städten und Gemeinden in ganz Deutschland fordern CDU-Politiker eine Zusammenarbeit mit der AfD oder praktizieren diese bereits. In Jena stimmte die CDU gemeinsam mit der AfD gegen die Errichtung einer Gedenkstätte für die NSU-Opfer und in Velten stimmte die CDU gemeinsam mit der AfD und der NPD gegen den Bau neuer Wohnungen und einen Anschluss an die S-Bahn, weil sie die „zunehmende Entfremdung“ und „weiteren Zuzug“ verhindern wollte.
Und während die CDU an Dutzenden Stellen mit der AfD zusammenarbeitet, wiederholt der Parteivorstand beinahe mantraartig, dass es keine „wie auch immer geartete Zusammenarbeit“ mit der AfD geben werde und verweist auf Kooperationsverbote und Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit der AfD. Überhaupt hat sich die Basis längst für einen anderen Kurs entschieden. Dort beklagt man seit Jahren den „Linksruck“ und die „Sozialdemokratisierung“ der CDU unter Kanzlerin Merkel und wirft ihr besonders die „Grenzöffnung“ im Jahre 2015 vor – wegen all der Ausländer, die nun nach Deutschland kämen. Der aussichtsreichste Kandidat für den Parteivorsitz ist folgerichtig jener Friedrich Merz, der bereits vor 20 Jahren mit Einwanderungsdebatte und „Deutscher Leitkultur“ Politik machen wollte und nun die CDU wieder dahin rücken soll, wo sie in den 1990er und 2000er Jahren herkam.
Nach rechts.
Redaktion: Rico Grimm; Produktion: Lars Lindauer; Schlussredaktion: Susan Mücke, Bent Freiwald; Fotoredaktion: Martin Gommel.