Wir müssen reden. Seit am Montag mein Artikel zur Handydatenauswertung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erschienen ist, habe ich sehr viele Rückmeldungen bekommen, dass diese Maßnahme richtig ist und nicht wert, kritisiert zu werden. Schließlich könne man mithilfe der Daten mögliche Gefährder:innen schneller identifizieren, meinten einige. Und das sei gut für uns alle.
Diese Ansicht kann ich nicht teilen. Freiheitsrechte gelten für alle Menschen – nicht nur für jene, die per Geburt in einem Staat wie Deutschland diese Rechte erhalten haben.
Ja, wenn es wirklich stimmen würde, dass die Menschen in Deutschland sicherer leben können, wenn man die Handydaten von Asylsuchenden durchsucht, ist der Eingriff in die Privatsphäre der Asylsuchenden womöglich gerechtfertigt.
Es geht nicht um den Schutz vor Terrorangriffen
Zum einen geht es aber darum gar nicht bei dieser Maßnahme. Der Zweck, den das BAMF mir genannt hat, ist, die Identität der Asylsuchenden zu überprüfen und ein „hochwertiges und sicheres Asylverfahren“ zu gewährleisten. Es geht also eben nicht um den Schutz vor Terrorangriffen. Und sollte letzteres am Ende doch das gewünschte Ziel sein, ist immer noch fraglich, ob man dafür alle Asylsuchenden unter Generalverdacht stellen muss.
Das ist in etwa so, als würde man akzeptieren, dass WhatsApp-Nachrichten von allen Menschen in Deutschland gespeichert und ausgewertet werden – denn eine:r der vielen Überwachten könnte ja einen rechtsextremen Anschlag planen. Nach dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag von Halle ein nicht einmal völlig aus der Luft gegriffenes Szenario.
In den Kommentaren zu meinem Artikel auf Facebook lese ich die Meinung, die Privatsphäre von Asylsuchenden könne eingeschränkt werden, weil sie sich den Platz in Deutschland verdienen müssen. Das ist eine Einstellung, mit der Freiheiten in unserer Gesellschaft zerstört werden. Grundrechte gelten für alle Menschen gleichermaßen. Wer sie anderen abspricht, kann sie für sich selbst nicht einfordern.
Ob es trotzdem sinnvoll ist, die Handydaten von Geflüchteten einzulesen, müsste ein Gericht entscheiden. Das findet eigentlich sogar Horst Seehofer. „Die Freiheit ist durch nichts mehr gefährdet, als wenn man die Sicherheit nicht gewährleistet“, hat der Bundesinnenminister letzte Woche im Interview mit Tilo Jung gesagt. Anschließend hat er aber darauf hingewiesen, dass starke Eingriffe in die Freiheitsrechte ohnehin nur mit der Zustimmung eines unabhängigen Richters oder eines Kontrollorgans durchgeführt werden können.
Genau das ist im Fall der Handydatenauswertung beim BAMF aber nicht der Fall. Zwar werden die Auswertungen durch Volljurist:innen freigegeben, allerdings innerhalb der Behörde. Es ist also kein unabhängiges Kontrollorgan.
Damit ein Gericht prüft, muss eine betroffene Person klagen
Das Gericht würde bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung die folgenden vier Fragen stellen: Ist der Zweck, der mit der Maßnahme verfolgt wird, legitim? Ist die Maßnahme dafür geeignet? Ist sie erforderlich, um den Zweck zu erreichen (oder gibt es auch andere geeignete Maßnahmen)? Und ist sie angemessen, also: Ist der Eingriff in Persönlichkeitsrechte verhältnismäßig?
Damit das Gericht das prüft, muss allerdings mindestens eine betroffene Person gegen die Maßnahme klagen. Genau dabei will die Gesellschaft für Freiheitsrechte, ein Bürgerrechtsverein, Geflüchtete unterstützen (mehr zu den Hintergründen in meinem Artikel.
Die damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff hat die Handydatenauswertung des BAMF übrigens schon kritisiert, als das sogenannte Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht 2017 eingeführt wurde. „Gerade bei Flüchtlingen ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Informationen vorliegen dürfte, die den Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung berühren“, sagte Voßhoff damals. Sie habe Zweifel daran, dass die Maßnahme verfassungsgemäß ist. Ihre Stellungnahme kann man komplett bei Netzpolitik.org nachlesen.
Es ist nichts Neues, dass im Namen der Sicherheit häufig Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Darum ging es in den Debatten um Videoüberwachung und Vorratsdatenspeicherung, zuletzt auch in Brandenburg bei der Autokennzeichenaufzeichnung auf Autobahnen.
Nur die Hälfte der Eingriffe führt zu brauchbaren Ergebnissen
Die eine findet es in Ordnung, wenn der öffentliche Raum überwacht wird, um uns alle vor Einbrüchen zu schützen. Schließlich hat man ja persönlich nichts zu befürchten, wenn man keine Straftaten begeht. Der andere hat aber vielleicht ein Problem damit, wenn mittels des Kennzeichens aufgezeichnet werden kann, wie er sich mit dem Auto durch das Land Brandenburg bewegt.
Eine Frage ist aber keine der persönlichen Meinung: Nämlich die, wie gut der Eingriff das Ziel erreichen kann. Weniger als die Hälfte der beim BAMF eingelesenen Handys und Tablets haben am Ende tatsächlich brauchbare Ergebnisse gebracht. Metadaten von Fotos und Nachrichten, die Vorwahl von Kontakten und Länderendungen bei Webseiten geben nur recht eingeschränkt Auskunft über die Identität der Handybesitzerin.
Es gibt andere Mittel, um das Ziel zu erreichen: persönliche Gespräche mit den Asylsuchenden zum Beispiel und auch die Dialekterkennung durch Dolmetscher:innen und/oder Computer. Sie werden im Asylverfahren auch weiterhin genutzt. Ist es also nötig, die privaten Daten einzulesen? Das ist eigentlich die Frage, die ich gestellt habe – und die vielleicht bald von einem Gericht beantwortet wird.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Verena Meyer.