„Selbstverständlich würden wir gerne sagen: Bei uns gibt es keinen Rassismus“

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Flucht und Grenzen

„Selbstverständlich würden wir gerne sagen: Bei uns gibt es keinen Rassismus“

So haben Grüne, SPD und Linke auf die Vorwürfe ihrer Politiker:innen reagiert.

Profilbild von Nalan Sipar

Zu Beginn dieses Textes möchte ich mich bei euch für euer wertvolles Feedback zu meinem ersten Text bei Krautreporter bedanken: Rassismus bei Grünen, SPD und Linkspartei – Parteimitglieder erzählen, was sie erleben. Ich habe alle Parteien am gleichen Tag angeschrieben, ihnen die Aussagen zugeschickt und um eine Stellungnahme gebeten. Am schnellsten hat Die Linke reagiert.

Aber bevor ich dazu komme, möchte ich über eure Rückmeldungen reden. Denn eine Frage stach immer wieder hervor: Warum hatten die Politiker:innen nicht öffentlich gesprochen?

Dazu eine kleine, aber wichtige Stellungnahme von mir:

Erstens. Der Wunsch nach Anonymität mag für viele von euch nicht schlüssig sein, weil ihr denkt, dass Politiker:innen den Mumm haben sollten, sich öffentlich zu äußern. Das hätte ich auch viel besser gefunden. Aber als Person, die selbst Migrationshintergrund hat, konnte ich den Wunsch meiner Interviewpartner:innen sehr gut nachvollziehen. Vielleicht hätte ich an ihrer Stelle bei diesem Thema auch nicht öffentlich darüber sprechen wollen. Da meine Gefühle aber als Antwort auf eine journalistische Abhandlung nicht ausreichen, habe ich mich auf die Suche gemacht, um die menschlichen Tiefen zu ergründen.

Davor muss ich gestehen, dass jeder Artikel, den ich über Themen wie Migration schreibe, auch in mir etwas auslöst. Manchmal wühlen meine Gedanken mich auf oder führen dazu, dass ich mich selbst hinterfragen muss. Ich hoffe natürlich, dass es euch beim Lesen dieser Texte ähnlich geht. Das ist zumindest Teil meiner Intention.

Ich wollte also wissen, ob der Wunsch nach Anonymität bei diesem Personenkreis auch psychisch bedingt sein könnte. Dazu habe ich Elif Duygu Cindik-Herbrüggen gefragt, Chefärztin am Neuro-Psychiatrischen Zentrum Riem in München. Sie arbeitet mit einem internationalen Ärzte-Team und will insbesondere Migrant:innen ansprechen. Sie kennt die besondere psychische Situation von Migrant:innen also sehr gut.

Ich habe Dr. Cindik-Herbrüggen gefragt, warum meine Interviewpartner:innen nicht öffentlich über die rassistischen Erfahrungen sprechen wollten, die sie erlebt haben. Sie sagt:

„Menschen, die Diskriminierung erfahren, können sich schämen, das offen zu erzählen. Sie verhalten sich fast so wie eine vergewaltigte Frau, die das Thema unter den Tisch kehrt, damit man nicht denkt, sie habe selbst Schuld daran. Das Opfer schämt sich und zieht es vor, sich niemandem mitzuteilen. In bestimmten Zusammenhängen besteht die Sorge, als Nestbeschmutzer wahrgenommen zu werden, wenn man die Verhältnisse offenlegt.“

Zweitens. Bei der Arbeit an meinem Text habe ich mich auch auf mein Reporter-Gefühl verlassen. Nachdem ich alle Politiker:innen angeschrieben hatte, riefen einige mich privat an. Ich habe also mit weitaus mehr Menschen gesprochen, als ich letztlich zitiert habe. Bei sehr vielen hatte ich den Eindruck, dass sie unsicher waren, ob sie sich äußern sollten. Sie haben sehr detailliert nach meiner Intention gefragt. Eine Person war so verunsichert, dass sie mich mehrmals danach gefragt hat, ob ich das Gespräch aufzeichnen würde. Eine weitere Person sagte, dass ich das Gespräch auf keinen Fall aufzeichnen dürfe.

Das ist sehr menschlich. Und das kann ich nachvollziehen. Mich hat es darin bestärkt, dass ich dieses Thema behandeln und mit noch mehr Menschen sprechen musste.

Wenn ich mir die vielen Feedbacks zu meinem ersten Artikel ansehe, wird deutlich, dass das Problem eigentlich ziemlich vielen Lesern bekannt war. Einige von euch sind sogar in ihren Parteien bereits dabei, sich des Themas anzunehmen.

Ende der Durchsage. Weiter geht es.


Können „Linke“ Rassist:innen sein?

Wie ist es also zu erklären, dass „auch“ linke Personen innerhalb ihrer Parteien – wie die Linke, SPD oder Grünen – ebenfalls rassistische Äußerungen machen? Nurten Karakas ist der Meinung, dass Rassismus ein wesentliches Strukturmerkmal unserer Gesellschaft in Deutschland ist und Menschen, die sich als links positionieren, davon nicht ausgenommen seien – auch wenn der Selbstanspruch ein anderer ist.

„Viele Menschen in dieser Gesellschaft denken, sie seien gar nicht rassistisch und das sei gar nicht Rassismus, was sie da reproduzieren. Dieses Selbstbild hängt damit zusammen, dass viele nicht wissen, was Rassismus ist und Rassismus eher mit Rechtsextremismus oder der NS-Geschichte verbinden. Also Rassismus war damals unter Adolf Hitler, und nach 1945 haben wir gar keinen Rassismus mehr. Rassismus gab es jedoch auch in der NS-Zeit – und auch danach“, sagt Karakas.

Aber sind denn nur Deutsche Rassist:innen? Was ist mit den Minderheiten einer Gesellschaft?

Karakas sagt, dass wir alle Stereotype, Vorurteile und auch Rassismus in unseren Köpfen haben. Aber die Frage nach „Wie ist es gemeint? War das absichtlich oder nicht absichtlich?“ sei irrelevant. Entscheidend ist, wie das bei der Person wirkt, die darauf angesprochen wird. So arbeitet auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

„Sie nimmt Beschwerden auf von Menschen, die vom Rassismus betroffen sind, ohne zu überprüfen, ob die Person, die etwas gesagt oder getan hat, das rassistisch gemeint hat oder nicht. Das ist irrelevant. Wenn etwas von der adressierten Person als rassistisch aufgefasst wird und wenn es eine Person ist, die in eine diskriminierbare Personengruppe passt, also wenn sie mit ihrer Hautfarbe oder ethnisch markiert wird, dann nimmt die Beschwerdestelle das auf“, erklärt Karakas.

Will Deutschland Migrant:innen nur als Putzfrauen sehen?

Alle meine Interviewpartner:innen haben darauf bestanden, die Aussagen anonym zu behandeln. Was sagt diese Unsicherheit der Politiker:innen über die linken Parteien sowie die deutsche Öffentlichkeit aus? Karakas kann dazu auch nur Vermutungen anstellen. Dass sie sich vielleicht vor innerparteilichen Kontroversen fürchten, oder dass sie nicht primär mit ihren Rassismuserfahrungen oder ihrem Migrationshintergrund wahrgenommen werden wollen.

Doch sie fügt auch hinzu: „So störend diese Themen auch sein mögen, sie sind wichtig für die Mehrheitsgesellschaft, weil es eben auch neue Themen sind.“ Neue Themen? Deutschland ist doch mittlerweile eine Migrationsgesellschaft. Warum sollen diese Themen neu sein?

„Als Migrant:innen nur Putzfrauen, Bauarbeiter waren oder andere Hilfstätigkeiten gemacht haben, hatten wir diese Diskussionen nicht. Das war eben der Platz, den die Mehrheitsgesellschaft für sie vorgesehen hat. Aber diese Themen kommen jetzt auf, wo gut ausgebildete, gut gebildete Menschen Positionen beanspruchen, die bisher eher von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen worden sind“, sagt Karakas. Also die Themen kommen erst jetzt auf, weil diese Menschen sich mittlerweile trauen, Ansprüche zu stellen.

Nur zwei Fraktionsvorsitzende bei der SPD, den Grünen und der Linken

Manche stellen diese Ansprüche laut, andere nicht. Die zitierten Äußerungen der interviewten Politiker:innen gelangen meist nicht in die Öffentlichkeit. Offenbar trauen sich sie nicht, diese Dinge laut zu sagen. Und das, obwohl manche gerade deshalb gewählt wurden, damit sie im Namen großer benachteiligter Gruppen offen sprechen können.

Das Problem beginnt für Menschen mit Migrationshintergrund oder People of Color (PoC) schon damit, dass sie von bestimmten Gesellschaftsbereichen ausgeschlossen sind. „Sie sind wenig repräsentiert, vor allem auf höheren Ebenen”, sagt Karakas.

Nach meinen Recherchen sind nur wenige Personen Fraktionsvorsitzende ihrer Parteien, in denen sie im Landtag sitzen, soweit ich die Namen den Internetauftritten der Parteien entnehmen konnte. Das sind einmal Mustafa Güngör (SPD, Bremen), Sofia Leonidakis (Die Linke, Bremen), Cansu Özdemir (Die Linke, Hamburg), Amira Mohamed Ali (Die Linke, Bundestagsfraktion) und Raed Saleh (SPD, Berliner Abgeordnetenhaus). Ganz schön wenig.

Aber gerade in Zeiten wie diesen sollte es mehr Förderung für People of Color und Politiker:innen mit Migrationshintergrund geben. Der Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft macht es nötig. „Der Rassismus ist ein gesellschaftlich weit verbreitetes Phänomen, der sicherlich stärker in rechten, aber auch in linken Parteien Anhänger:innen findet. Solange er nicht aufgedeckt und korrigiert wird, setzt er sich in den Strukturen unserer Gesellschaft auf ewig fort. Daher ist ein Aufdecken rassistischer Strukturen auch im linken politischen Spektrum sehr wichtig“, sagt Karakas.

Und was sagen die Parteien zu den Erfahrungen ihrer Genoss:innen?

Kommen wir zu den versprochenen Reaktionen der Parteien auf meinen Artikel. Weil es so schön ist, wenn Parteien zu Missständen in ihren eigenen Reihen aufmerksam Stellung nehmen sollen, möchte ich mit euch die fast vollständigen Mails teilen.

Claudia Gohde, Leiterin der Bundesgeschäftsstelle der Partei Die Linke, ließ also Folgendes sagen:

„Die vier von Ihnen geschickten Zitate haben uns erschreckt. Solche Äußerungen – und schon gar nicht die hier genannten – sind uns in der Bundesgeschäftsstelle nicht bekannt, und wir würden auch umgehend einschreiten, wenn wir davon erfahren würden.

Alle vier Zitate stammen von Mitgliedern des Jugendverbandes und beziehen sich (bis auf das letzte) auf Situationen im Jugendverband. Dieser ist formal selbstständig. Wir werden mit dem Sprecher_innenrat von Linksjugend [’solid] über die Vorwürfe sprechen und Ihre E-Mail auch zum Anlass nehmen, im Kreise der Landesgeschäftsführer_innen darüber zu sprechen, ob solche Vorwürfe bekannt sind und was ggf. dagegen unternommen wird.

Das letzte Zitat ist eine allgemeine Behauptung über Verfahren bei der LINKEN, wobei auf einen Landesverband Bezug genommen wird. Der Vorwurf ist sehr schwerwiegend. Wir würden ihm nachgehen, wenn er konkret an uns herangetragen wird. Nach äußerem Anschein (Zusammensetzung der Landtagsfraktionen der LINKEN und Kenntnis der Landtagslisten) kann ich keine sachliche Grundlage für diese Behauptung erkennen.

DIE LINKE hat in allen Landesverbänden eine funktionierende Schiedsgerichtsbarkeit und im Landesverband Sachsen zusätzlich eine Ombudsperson. Oft werden auch die Mitglieder der engeren Parteiführung direkt angesprochen, wenn Missstände auftreten. Diese werden dann in der Bundesgeschäftsstelle durch Mitarbeiter_innen geprüft und bei Bedarf bearbeitet, z. B. durch direkte Gespräche, die Vermittlung von Mediation, Verweisung auf Schiedsverfahren oder auch durch die nachdrückliche Orientierung auf solidarisches und satzungsgemäßes Verhalten.“

Als zweites reagierte Bündnis90/Die Grünen nach zwei Wochen:

„Aussagen, wie die von Ihnen beschriebenen, gehen gar nicht und wir arbeiten daran, dass so etwas nicht vorkommt – erst recht nicht in den eigenen Reihen. Selbstverständlich würden wir gerne sagen: Bei uns gibt es keinen Rassismus. Doch wie der Rest der Gesellschaft sind auch wir als Partei kein rassismusfreier Ort. Rassismus manifestiert sich nicht nur in offener Anfeindung, sondern auch in subtil wirkenden, aber fest verankerten Denkmustern. Die gesellschaftliche Sozialisation, auf denen diese Denkmuster beruhen, gibt man – leider – nicht einfach mit dem Eintritt in eine Partei ab, die sich für eine antirassistische Politik und eine vielfältige Gesellschaft einsetzt.

Wir wollen, dass sich bei uns alle Menschen, die unsere Werte und Ziele teilen, willkommen fühlen und gemeinsam Politik machen können. Deshalb treten wir jeder Form von Rassismus entschlossen entgegen.

Im vergangenen Jahr haben wir die Arbeitsgruppe Vielfalt gegründet. Hier erarbeiten verschiedene Parteimitglieder, die ganz unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven mitbringen, Maßnahmen, mit denen wir als Grüne Vielfalt in der Partei fördern und Diskriminierung abbauen können. Prominentere Mitglieder der Arbeitsgruppe sind Aminata Touré, Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags, und Berivan Aymaz, Landtagsabgeordnete aus NRW.

Bis zur Bundesdelegiertenkonferenz im Herbst 2020 wird die Arbeitsgruppe ein Konzept vorlegen. Dabei geht es neben der Repräsentanz und der Schaffung von Austauschräumen und Förderangeboten auch darum, innerparteilich für rassistische Diskriminierung zu sensibilisieren und Anlaufstellen für Betroffene zu schaffen. Diskutiert werden z.B. Diversity-Beauftragte, Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Anlaufstellen oder Ombudspersonen für Fälle von rassistischer Diskriminierung.

Unser Ziel ist es, eine Politik der Solidarität in, mit und für eine Gesellschaft der Vielen zu machen – dafür entwickeln wir uns auch selbst weiter.

Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Ihnen zu konkreten Fällen keine Auskunft geben können. Wir wollen, dass sich Mitglieder, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, im Vertrauen an die Bundesgeschäftsstelle wenden können und ihre Angelegenheiten und persönliche Daten vertraulich behandelt werden.“

Das war Rasmus Tanck, von der Pressestelle Bundesvorstand.

Die SPD hat sich ziemlich lange Zeit, gelassen. Nach sechs Wochen kam Folgendes:

„Die SPD steht für Vielfalt, Respekt und eine offene, solidarische Gesellschaft. Für diese Werte machen wir tagtäglich Politik. Wir treten jeder Form von Rassismus in der Gesellschaft wie auch in unserer Partei klar und entschlossen entgegen. Rassistische Gedanken haben in der SPD keinen Platz.

Jedem bekannten Vorfall gehen wir konsequent nach, wie das Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin zeigt, der mit seinen rassistischen Äußerungen gegen die Grundsätze der Sozialdemokratie verstoßen hat.

Mit der AG Migration und Vielfalt haben wir darüber hinaus eine Arbeitsgemeinschaft, die sich innerhalb der Partei als starke Stimme insbesondere für Menschen mit Migrationshintergrund einsetzt.“

Liebe Grüße schickte mir Pressesprecherin Bianca Walther.

Und nun …

Rassismus ist da, wenn Strukturen Menschen Wege verschließen, oder ihnen Möglichkeiten wegnehmen, sich weiterzuentwickeln. Das passiert auch bei Parteien, die man als Mitte-links einordnen kann. Es wird keine Beweise für rassistische Erlebnisse geben. Rassismus wird nämlich nicht per Schein bestätigt. Das wird immer subtil bleiben. Deswegen sollte man auch bei diesen „linken“ Kreisen den Teich ab und zu mit solchen Diskursen aufwühlen. Wenn der Teich sich wieder beruhigt hat, wird das Wasser nämlich viel klarer.

Übrigens. Habt ihr diese Meldung vom 4. Januar gelesen?

„Muslimischer CSU-Bürgermeisterkandidat zieht Bewerbung zurück.“ Vor den bayerischen Kommunalwahlen ist der CSU-Ortsvorstand im schwäbischen Wallerstein mit dem Vorschlag eines muslimischen deutschen Unternehmers als CSU-Bürgermeisterkandidaten an der eigenen Basis gescheitert. Nach heftigen Protesten aus dem CSU-Ortsverband hat der 44-jährige Sener Sahin seine Bewerbung zurückgezogen.

CDU und die CSU … Diese beiden Parteien nehme ich mir demnächst auch vor.


Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.