Die Asyl-Diskussion hängt schief. Entweder geht es nur um abstrakte Zahlen oder um emotionale Einzelfälle. Dabei gehört beides zusammen: Hinter den Statistiken warten die Menschen. Und die bekommen auch in Deutschland einen Abschreckungsapparat zu spüren, der weit vor Europa beginnt. Geflüchtete sind diejenigen, die den Rechtsruck in Deutschland am deutlichsten zu spüren bekommen und kaum etwas dagegen machen können.
In Deutschland lebten Ende 2018 laut Ausländerzentralregister 1,8 Millionen Schutzsuchende – so viele Menschen wie Hamburg Einwohner:innen hat. Für diese Gruppe ist in den vergangenen Jahren kaum etwas besser und vieles schlechter geworden. „An allen Schrauben wird zulasten der Geflüchteten gedreht“, sagt Philip Rusche, der in Berlin als Asylanwalt arbeitet.
Wo Geflüchtete wohnen dürfen, wie viel Geld sie zur Verfügung haben, ob sie arbeiten können, wie Abschiebungen ablaufen – das alles hat sich verändert. Immer wieder, bis kaum noch jemand durchblickte. Nicht nur, dass es ab 2015 jedes Jahr mindestens ein neues Gesetzespaket gab – die Gesetze sind dabei auch noch absichtlich kompliziert. Das hat Horst Seehofer im Juni beim Kongress wehrhafte Demokratie selbst gesagt (auch wenn er erklärte, das sei ironisch gemeint gewesen, als ihm deswegen öffentliche Empörung entgegenschlug).
Ich habe mich durch diesen juristischen Dschungel gekämpft, um zu verstehen, wie die Gesetzesverschärfungen den Alltag von geflüchteten Menschen verändert hat – auch wenn das im Einzelfall ganz unterschiedlich aussieht.
Deshalb habe ich mich auf die Länder konzentriert, aus denen in den vergangenen Jahren besonders viele Menschen gekommen sind: Syrien, Afghanistan und der Westbalkan.
Armutsflüchtlinge? Die Westbalkanregion und das Recht auf Asyl
Um eine wichtige Änderung im Asylrecht zu verstehen, müssen wir noch vor den Herbst der Migration 2015 springen: Denn ein Jahr vorher traf die Bundesregierung eine Entscheidung, die den Grundstein für ein Zwei-Klassen-Asylsystem bilden sollte.
Es geht um die Kategorie „sicherer Herkunftsstaat“. Das sind verfolgungsfreie Länder. Zumindest sind sie als das gesetzlich festgelegt. Deshalb geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) davon aus, dass Menschen aus diesen Ländern keinen Grund für Asyl haben. Ablehnungen kommen schneller, und es lässt sich weniger dagegen machen. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren, dass dies dem individuellen Grundrecht auf Asyl widerspreche.
Bis 2014 war „sicherer Herkunftsstaat“ eine vernachlässigbare Kategorie, in der sich neben den EU-Ländern nur Ghana und Senegal fanden. Staaten, aus denen ohnehin fast niemand nach Deutschland kam. Dann erklärte der Bundestag sechs weitere Länder zu sicheren Herkunftsstaaten: Albanien, Bosnien, Serbien, Mazedonien, Montenegro und den Kosovo. Alles Länder auf dem Westbalkan, aus denen damals ein Viertel der Menschen kamen, die in Deutschland einen Asylantrag stellten. Noch heute sind aus diesen Ländern 140.000 Menschen als Schutzsuchende in Deutschland.
Befürworter:innen argumentierten damals, dass die Schutzquote für Menschen aus dem Westbalkan schon 2014 bei 0,4 Prozent lag. Ob Menschen von dort gute Gründe haben, um Asyl zu bekommen, haben damals verschiedene Länder ganz unterschiedlich bewertet. 2015 erkannte Großbritannien 17,5 Prozent der Asylbewerber:innen aus dem Westbalkan an, Frankreich 9,5 Prozent. Denn viele der Antragsteller:innen waren Roma, die in den Balkanländern stark diskriminiert werden.
Die Westbalkan-Länder konnten nur zu sicheren Herkunftsstaaten werden, weil der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann, der als baden-württembergischer Ministerpräsident diesen Änderungen im Bundesrat zustimmen musste, einen Deal mit der Bundesregierung machte. Im Austausch für die sechs neuen sicheren Herkunftsstaaten sollte das Leben für alle anderen Asylbewerber:innen leichter werden.
Bis zum Herbst 2015 war es das auch ein bisschen.
Asylbewerber:innen konnten sich freier in Deutschland bewegen, bekamen mehr Geld und weniger Sachleistungen und durften nach drei Monaten in Deutschland arbeiten.
Für immer Erstaufnahmeeinrichtung
Nach dem Sommer 2015, unter dem Eindruck brennender Asylunterkünfte und einer johlenden AfD, wurde das Leben für die meisten Asylbeweber:innen spürbar härter – vor allem aber für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten. Denn für sie wurde ein wichtiger Schritt im Asylverfahren ausgelassen.