Und? War es ein Ausländer?

© Martin Gommel

Flucht und Grenzen

Kommentar: Und? War es ein Ausländer?

Wann ist Ausländerfeindlichkeit wieder salonfähig geworden?

Profilbild von Ein Kommentar von Bent Freiwald

Heute Morgen am Frühstückstisch, ich scrolle durch Twitter, einmal das News-Update bitte, gemischt mit ein paar Pointen von Sophie Passmann und dem Assistenzarzt, so mag ich meinen Morgen. Ein paar Aufreger sind auch immer dabei, ich folge selbst der AfD bei Twitter, da passieren die absurdesten Dinge. Die zeige ich dann meiner Mitbewohnerin, die schüttelt dann den Kopf, sagt kurz „Oh man, ey!“, und weiter geht die morgendliche Studenten-Routine.

Heute zeige ich ihr einen Tweet, der drei Titelseiten zeigt: vom Stern, von der Bild-Zeitung und von der Zeit.

Ich schaue mir im Laufe des Vormittags den Tweet immer wieder an.

Ich bin enttäuscht. So richtig, wie damals, als die Briten für den Brexit gestimmt hatten. Das hat sich für mich wie eine richtige Trennung angefühlt – als hätte mich meine Freundin verlassen. Es geht mir wieder so, denn mir wird klar: Deutschland und seine Medien sind noch längst nicht so weit, wie ich dachte.

Drei Titelseiten, ein Motiv

Der Stern, die Bild und die Zeit machten den Fall Susanna F. zu ihrem Titel. Wenn du ab und zu mal einen Blick in die Nachrichten, auf Facebook oder auf Twitter wirfst, weißt du jetzt schon, worum es in diesem Fall geht, übersehen konntest du ihn dort jedenfalls nicht. Susanna F. (14) wurde ermordet.

Das ist alles, was ich über diese schreckliche Tat sagen werde, und es war auch das letzte Mal, dass ich den Namen dieses minderjährigen Mädchens hier erwähne.

Denn anders, als viele Medien und Politiker es uns gerade verklickern wollen, wirft nicht der Mord an sich Fragen auf, die wir endlich beantworten müssen. Diese Fragen stehen seit Monaten, nein, Jahren im Raum, und wir diskutieren sie täglich. Oder hast du das Gefühl, wir haben in den letzten drei Jahren zu wenig über Geflüchtete, Asylverfahren, Kriminalität und Behörden gesprochen? Was wirklich Fragen aufwirft, ist der Umgang mit diesem Mord.

https://twitter.com/goldi/status/1007186253715001344

Die Schlagzeilen sind Zeugen einer Frontbildung in Deutschland: Wir hier, die Deutschen, und die dort, die Ausländer. Das ist jetzt wieder salonfähig. Es gibt genau einen Grund, warum der Mord die Titelseiten und Diskussionen prägt: Der Täter war ein abgelehnter Asylbewerber. Mit diesem Mord lässt sich der große Skandal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit ganzen 578 fehlerhaften Asylbescheiden (nein, da fehlen keine Nullen) auch emotional aufladen. Das perfide: Die Eigenschaft des Täters, ein Mörder zu sein, fällt so fast unter den Tisch.

War es ein Ausländer?

Warum ich ausgerechnet jetzt so enttäuscht bin? Weil ich dachte, dass wir in Deutschland schon viel weiter wären in der ganzen Ausländer-kein-Ausländer-Debatte. Und dann kommen die Talkshows, und dann kommen die Politiker, und dann kommen die Titelseiten, und zeigen mir: Nein, sind wir nicht!

Es gibt Menschen, die mit solchen Fällen permanent versuchen, eine Verbindung zwischen Asylbewerbern, Ausländern und Kriminalität in den Köpfen zu erzeugen, das ist nicht neu. Das Entscheidende ist aber: Es sind nur ein paar wenige, die so denken. Vergessen wir das in der öffentlichen Debatte gerade?

Auch die Tagesschau macht mit

Ein anderes Beispiel. Die Redakteure der Tagesschau finden: Das wichtigste Merkmal dieser Tatverdächtigen ist ihre Nationalität.

www.tagesschau.de

www.tagesschau.de Screenshot: Bent Freiwald

„Ein Türke und ein Iraker werden tatverdächtigt“, so beschreiben sie das Video. Das ist die Antwort auf eine einzige Frage: War der Täter Ausländer? Ich weiß nicht, wann die Redakteure das letzte Mal auf den Deutschlandtrend geschaut haben, aber dem Großteil der Gesellschaft ist diese Frage vor allem eins: ziemlich egal.

„Türke schreibt Bestseller“, oder „Iraker lockt mit seinen Songs dutzende Besucher an“ – solche Schlagzeilen gibt es nicht, natürlich nicht. Denn sie sind total absurd: Was hat die Nationalität damit zu tun, ob jemand tolle Bücher schreibt, gut singen kann oder sich für Fahrradwege einsetzt? Die Nationalität scheint immer erst dann eine Rolle zu spielen, wenn es um Kriminalität geht.

Lasst uns über Geflüchtete sprechen – jahrelang

Und es sind ja nicht nur die Zeitungen: Was wir hier erleben, ist eine Verschiebung nach rechts, die nicht mal mehr unterschwellig ist. Sie ist für jeden zu sehen, jeden Tag, auch in Talkshows und bei aufgeregten Politikern vor der Landtagswahl. Mittlerweile spricht auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von „Asyltourismus“: Wir, die Deutschen, und die, die Ausländer, die aus Spaß in unser Land kommen, Tourismus, Urlaub halt.

Seit 2015 sprechen Talkmaster im TV wieder am liebsten über Ausländer und deren Integration oder Glauben. Sie kennen kaum noch ein anderes Thema. Ein bisschen Pflege hier, ein bisschen Trump da, noch ein kurzer Schwenk zu einem der Bürgerkriege, aber dann sollten wir endlich mal wieder über die ganzen Geflüchteten in Deutschland sprechen!

Seit drei Jahren begleitet uns diese Hysterie. Natürlich dürfen wir nicht aufhören, darüber zu reden, wie Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen in Deutschland zusammenleben können, wie Einwanderung sinnvoll geregelt werden kann, und wie die Abläufe in den Behörden beschleunigt werden können. Aber wieso müssen wir dafür die Geflüchteten und Ausländer dafür immer wieder zu einer einzigen großen Masse machen? Da kommen Menschen.

Was zurzeit passiert: Rechte Brandstifter zünden mit ihren Parolen eine Fackel an und – anstatt sie zu löschen – nehmen Journalisten sie auf und reichen sie auf der Suche nach Quote fröhlich durch die Runde.

Unsere Aufklärung steht auf der Probe

„Die NS-Zeit darf sich niemals wiederholen.“ Ich wurde in einer Zeit politisiert, in der diese Aussage nicht wirklich in Gefahr war, zumindest nicht auf den ersten Blick. Natürlich gab es rechtes Gedankengut, aber über die Idioten von der NPD haben wir uns lustig gemacht. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Vorurteile, die Macht der Mehrheit und welche verheerenden Folgen diese Dinge haben können – über all das wurde ich in der Schule aufgeklärt, und mit mir alle Kinder seit dem Zweiten Weltkrieg. Dann kam 2015, dann kam die AfD. Und zum ersten Mal wird unsere Aufklärung über die NS-Zeit so richtig auf die Probe gestellt. Und wie damals spielt die Öffentlichkeit auch heute eine wichtige Rolle.

Was mir die Titelseiten, Fernsehsendungen und Politikerreden zurzeit aber zeigen: Wenn die Öffentlichkeit so weitermacht, läuft da was gründlich schief.


Redaktion: Rico Grimm. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Fotoredaktion: Martin Gommel. Aufmacherfoto: Martin Gommel.