Wie eine Autowerkstatt zwei Syrern half - und sich selbst

© Martin Gommel

Flucht und Grenzen

Wie eine Autowerkstatt zwei Syrern half - und sich selbst

Neulich erzählte mir die Inhaberin einer Autowerkstatt, wie schwer es war, einen Flüchtling einzustellen. Ihr Bericht hat mich lange beschäftigt. Bald bemerkte ich, dass es vielen Betrieben wie meiner Werkstatt geht – und gleichzeitig sehr viele Flüchtlinge vergeblich Arbeit suchen. Was ist da los?

Profilbild von Susan Mücke
Reporterin für Leben und Alltag / Chefin vom Dienst

Firas ist 29 Jahre alt, Fachinformatiker und arbeitslos. Seit zwei Jahren sucht der Syrer in Deutschland einen Job. Und findet keinen. Das schreibt mir Krautreporter-Leserin Evelyn, die den jungen Flüchtling vor gut zwei Jahren im Sprachcafé in ihrer Heimat Baden-Württemberg kennen gelernt hat.

Als Firas im Herbst 2015 aus seiner Heimat Quneitra über die Balkanroute nach Deutschland flüchtete, brachte er unter dem T-Shirt seine Festplatte mit. Darauf waren die neuesten Projekte gespeichert, die er programmiert hatte. Firas hoffte, damit in der neuen Heimat leichter eine Arbeit zu finden. In Baden-Württemberg angekommen, zeigte er die Festplatte seinen deutschen Freunden, die ihm den Rat gaben, sich damit bei den Unternehmen in der Region zu bewerben. Sie halfen mit Kontakten.

Und er bewarb sich, bis heute hat er 75 Bewerbungen geschrieben. Er hat noch keine Stelle gefunden. Es ist, so berichtet er mir, als wäre zwischen ihm und dem deutschen Arbeitsmarkt eine gläserne Mauer gezogen. Er hat fleißig Deutsch gelernt, beherrscht es inzwischen gut. Das Problem: Sein Abitur wird nicht anerkannt, sein Diplom nur teilweise. Er müsste nochmal eine Ausbildung in seinem Beruf absolvieren, wenn er nicht mit viel Glück einen Betrieb findet, der ihn für ein Praktikum einstellt. Doch hier lauert das nächste Problem: Das deutsche Bewerbungsverfahren ist ihm ziemlich fremd, denn da, wo er herkommt, zählen Arbeitsproben mehr als die Zeugnisse, die man mitbringt: „Wir arbeiten zum ersten Mal in Deutschland und haben keine Erfahrung mit dem Arbeitssystem hier“, sagt er.

Für den jungen Mann ist klar: „Ich will unbedingt einen Job finden, denn ohne Arbeit gibt es keine Freiheit in Deutschland.“ Beim letzten vom Jobcenter finanzierten Kurs hatte er das Gefühl, seine Zeit nur abzusitzen, er lernte nichts Neues. Dabei würde Firas nichts lieber tun, als einfach zu arbeiten und unabhängig zu werden. Zur Not auch als Lagerist oder Putzhilfe. Inzwischen ist Firas’ Frau aus Syrien nachgezogen, sie haben einen Sohn, 1 Jahr alt. Das macht die Arbeitsfrage noch drängender.

Firas ist kein Einzelfall. So wie er suchen Hunderttausende Flüchtlinge in Deutschland nach Arbeit. Viele von ihnen sind gut ausgebildet. Sie wollen arbeiten. Man könnte meinen, dass es an den Betrieben und deren Einstellungsbereitschaft liegt. Aber auch das ist nicht das Problem. Es gibt viele Betriebe, die gerne einen Flüchtling einstellen würden. Viele Branchen haben Nachwuchsprobleme und sind auf die Bewerber angewiesen, auch die aus Syrien. Aber Angebot und Nachfrage kommen nicht zusammen.

„Wir schaffen das“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zwei Jahren versprochen. Aber Arbeit ist die Grundlage für Integration. Heute entscheidet sich, wo die Angekommenen in fünf oder zehn Jahren stehen werden. Je früher sie Arbeit finden, umso größer ist die Chance, dass sie hier heimisch werden. Je länger sie erwerbslos bleiben, umso mehr schwinden ihre zukünftigen Beschäftigungschancen und umso stärker ist die negative Wirkung auf ihre Psyche.

Diejenigen, die sich darum kümmern, die Schutzsuchenden in Arbeit zu bringen, sind heute nicht mehr so optimistisch wie noch vor einem Jahr. Noch Anfang 2017 ging man bei der Bundesagentur für Arbeit davon aus, dass in fünf Jahren die Hälfte der zuletzt nach Deutschland Geflohenen einen Job haben würd. Heute heißt es zurückhaltender: „Das ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf.“ Die Zahl der Arbeitslosen und der Hartz-IV-Bezieher unter den Flüchtlingen steige merklich, während die Zahl der Flüchtlinge in Arbeit nur moderat wachse, räumt man ein. Woran liegt es?

Flüchtlinge in Arbeit zu bringen ist ein Langstreckenlauf

Für Flüchtlinge ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt schwer

Für Flüchtlinge ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt schwer Martin Gommel

Der junge Syrer Firas ist überzeugt, dass es eine Art Geheimniswissen geben muss, das er und die anderen Flüchtlinge noch nicht kennen. Er sagt: „Wir verstehen das Arbeitssystem nicht und die Art, wie Arbeitgeber und Unternehmen denken, und wir verstehen auch die Sprache nicht.“

Tatsächlich ist die Sprache entscheidend. Das habe ich in allen Gesprächen, die ich mit Arbeitsamt, IHK, Mentoren, Flüchtlingen und Arbeitgebern für diesen Beitrag geführt habe, immer wieder erfahren. Klar, wer hier Fuß fassen möchte, muss verstehen, was auf der Arbeit verlangt wird und was die Kunden möchten, er muss die Fachbegriffe kennen und sich mit Kollegen austauschen können. Andererseits - wo kann man die Sprache besser lernen als in der Arbeitspraxis, im Umfeld, also, bei dem, was man tut?

Anja Schmidt vom Münchner Verein Stay Welcome unterstützt Flüchtlinge dabei, in Arbeit zu kommen. Sie weiß, wie schwer es ist, Unternehmen zu überzeugen, die sich noch nicht mit dem Thema auseinander gesetzt haben. Nicht ein einziger Betrieb, den sie von sich aus angesprochen hat, war bereit, einen Flüchtling einzustellen. Wer wie Anja Schmidt an der Schnittstelle der Vermittlung arbeitet, hört immer wieder, dass viele Arbeitgeber bei Flüchtlingen unsicher sind, weil sie nicht wissen, wie es um deren sogenannten Aufenthaltsstatus, steht, ob also ein Flüchtling bereits ein Bleiberecht oder aufgrund seines Herkunftslandes zumindest gute Aussichten auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat.

Dabei sind im Vergleich zu anderen Ländern die Rahmenbedingungen für Flüchtlinge, die Arbeit suchen, relativ liberal. Der Arbeitsmarktzutritt unterliegt zwar bestimmten Bedingungen, ist aber inzwischen nach drei Monaten möglich. Aber genau bei diesen Bedingungen liegt eben das Problem. Sie können zu unüberwindbaren Hürden werden, für alle Beteiligten.

Viele Unternehmer wissen auch gar nicht, wie sie geeignete Kandidaten finden können und fühlen sich von Jobcenter und Arbeitsagentur im Stich gelassen. Krautreporter-Leserin Uta aus Wiesbaden hat mir geschrieben: „Ich habe einen ambulanten Pflegedienst und wollte gerne schon vor ein bis zwei Jahren Geflüchtete einstellen. Ich habe versucht, bei dem Bundesprojekt ‚Unternehmen integrieren’ mitzumachen, aber nie konkrete Ansprechpartner gefunden, die mir weiterhelfen konnten. Ich wurde immer von Behörde zu Behörde geschickt und bekam dann allgemeine E-Mails, wie es so funktioniert mit Duldung und Arbeitserlaubnis, Ansprechpartner in Form von Behörden oder Abteilungen, die mich dann gefühlt im Kreis weiter verwiesen haben. Letztendlich habe ich aufgegeben.“

Anja und Andreas Grün bilden in ihrer Werkstatt einen jungen Syrer aus

Anja und Andreas Grün bilden in ihrer Werkstatt einen jungen Syrer aus Martin Gommel

Dabei gibt es sie ja, die Ausbildungspartnerschaften, Beratungen, Förderprogramme, Teilqualifizierungen. Aber viele Unternehmen kennen die öffentlichen Förderprogramme nicht oder nutzen sie nicht, wie eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln gezeigt hat. Das wundert kaum, denn die Zahl der Projekte, die Flüchtlinge in Arbeit bringen will, ist seit 2015 auch explosionsartig gewachsen. Schwer, dabei den Überblick zu behalten.

Hinzu kommen häufig unrealistische Erwartungen auf Seiten der Auftraggeber. Sie bieten eine Hilfsstelle an, etwa in der Gastronomie, und erwarten perfekte Deutschkenntnisse vom Bewerber, die dieser dann nicht mitbringt. Die Flüchtlinge wiederum kennen häufig nicht die unausgesprochenen Codes, denen Bewerbungsgespräche unterliegen und finden sich in der Situation dann nicht zurecht. Viele kommen gar nicht erst dahin, sich zu bewerben, weil sie nur ein Smartphone besitzen, also keinen Zugang zu einem Computer haben, auf dem sie die Bewerbung schreiben könnten. Oder sie wissen nicht, wie sie eine E-Mail mit Anhang versenden könnten. Andere sind wie Firas ohnehin eingeschüchtert von der Vielzahl der Institutionen und offiziellen Ansprechpartner, mit denen sie im Laufe ihres Ankommens in Deutschland zu tun haben und noch dazu traumatisiert von der Flucht, sodass sie sich gar nicht erst trauen, zu einem Bewerbungsgespräch zu gehen.

Krautreporter-Leserin Evelyn verfolgt Firas’ Werdegang seit 2015 als Freundin, die ihn kritisiert und unterstützt. Sie schreibt mir: „Ich glaube, bei Firas kommen viele Dinge zusammen. Vor allem Scham und Eingeschüchtertheit, vor dem Staat, den Behörden, vor der leistungsstarken (und manchmal leistungssüchtigen), extrovertierten Kultur in dieser Marktwirtschaft. Wer die Sprache (und sich selbst) nicht so gut beherrscht, dass er sich knallhart selbstbewusst darstellen kann, hat es in dieser Branche ohnehin nicht leicht. Wenn man dann noch mit einem schiefen Lächeln (Schuss in den Unterkiefer) und einer ziemlich dunklen Hautfarbe schüchtern und zurückhaltend daher kommt, wird es gleich doppelt schwer - auch wenn wir finden, dass er das herzlichste Lachen im ganzen Freundeskreis hat. Dazu kommen das Trauma, die Sorge um die Zurückgebliebenen in der Heimat, die Familie, um die man sich als muslimischer Vater, Ehemann und Bruder intensiv zu kümmern hat und die täglichen Sorgen mit dem Jobcenter, dem Vermieter, der Versicherung, etc. Und irgendwie klappt es dann doch nie, in die Gänge zu kommen. Wir sprechen wenig darüber, es fällt ihm sehr schwer. Aber er fragt alle paar Monate wieder, ob ich jemanden kenne, wegen Arbeit, und mittlerweile kann ich nur noch antworten: ‚Du weißt, ich habe dir alle Kontakte gegeben, die ich kenne - du musst dich nur dort melden.’”

Das sind die Fachkräfte von übermorgen

Die Beraterin Anja Schmidt hat 465 Flüchtlinge in ihrer Datenbank gespeichert, nur etwa jeden Fünften von ihnen wird sie vermitteln können. Und das ist noch eine vergleichsweise hohe Quote. Ich habe mich auch auf der Seite Workeer umgeschaut, der ersten und laut Selbstbeschreibung „größten Jobbörse für arbeitssuchende Geflüchtete und interessierte Arbeitgeber“. Der Zähler auf der Homepage zeigt: 4566 angemeldete Bewerber, 2675 registrierte Arbeitgeber – und ganze 21 Jobs werden angeboten. Das ist ernüchternd. Das ursprünglich als Studentenprojekt gestartete Portal sucht derzeit eine Anschlussfinanzierung und findet keine Investoren.

Die meisten Stellen, die angeboten werden, sind Hilfsjobs. Dabei wäre es gerade wichtig, in die Ausbildung der vorwiegend jungen Männer unter den Flüchtlingen zu investieren. Denn, wenn sie nach drei Jahren die Sprache beherrschen, so Vanessa Thalhammer von der Bundesagentur für Arbeit, haben sie hier noch ein Erwerbsleben von bis zu 30 Jahren vor sich. Viele wollten aber eher schnell arbeiten und landen dann als Helfer im Lagerbereich, als Küchen- oder Verkaufshilfen, in Reinigung oder Zeitarbeit. Das ist verschenktes Potential. Sie weiß aber auch: „Wir müssen die Erwartungen eindämmen: Das sind die Fachkräfte nicht von morgen, sondern eher von übermorgen.“

Shavan (links) hat vier Jahre lang einen Ausbildungsplatz gesucht

Shavan (links) hat vier Jahre lang einen Ausbildungsplatz gesucht Martin Gommel

Gut 40 Prozent der Arbeitgeber, die Asylbewerber oder Flüchtlinge einstellten, taten dies zumindest teilweise, weil zivilgesellschaftliche Initiativen sich dafür eingesetzt haben. Die Unternehmen, die einen Flüchtling beschäftigen, machen dies hauptsächlich aus sozialer Verantwortung, wie eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gezeigt hat. Jeder dritte Betrieb hofft, dadurch langfristig den Bedarf an Fachkräften zu sichern. Denn in vielen Bereichen bleiben Lehrstellen unbesetzt. Allein im Berliner Handwerk blieben im vergangenen Jahr 500 Ausbildungsplätze leer.

Katrin Engel von der IHK Berlin berät Arbeitgeber, die Geflüchtete ausbilden möchten. Viele kommen zu ihr, weil sie keinen Nachwuchs finden. Sie weiß, dass, wer hier einen Flüchtling beschäftigt, häufig ein Einzelkämpfer ist. Denn anders als etwa in München, wo große Unternehmen mit einigen Hundert Azubis sitzen, ist die Wirtschaft in Berlin von kleinen und mittleren Firmen geprägt und weniger gut vernetzt. Für sie stellt sich ein weiteres Problem. Unsere Arbeitswelt ist extrem zertifikatsorientiert.

Ohne Zertifikat existiert man hier nicht

Der Syrer Firas etwa hatte Glück, er hat all seine Zeugnisse nachweisen können. Allein, formal anerkannt wurden sie nicht. Viele andere haben auf der Flucht keine Zeugnisse mitgenommen und können sie womöglich auch nicht mehr nachholen. Ohne diese haben sie aber kaum eine Chance, ihre Berufsbildung nachzuweisen. Die Ausbildung in Deutschland ist sehr genau strukturiert und es ist schwer, einen gleichwertigen Abschluss nachzuweisen. Für die Unternehmen wiederum, die von unserem System der dualen Ausbildung geprägt sind, das heißt dem Lernen im Betrieb und der Berufsschule, ist es schwer zu erkennen, welche Fachkenntnisse der Bewerber aus Syrien nun hat.

Als Anja Grün vor anderthalb Jahren einen Flüchtling als Gesellen für ihre Autowerkstatt in Berlin-Wedding suchte, stolperte sie über das Zeugnisproblem. Den Beruf KFZ-Mechatroniker gibt es in Syrien nicht, wenngleich es natürlich auch dort Fachkräfte gibt, die Fahrzeuge reparieren. „In Syrien sind sie auch nicht auf Kamelen geritten. Die hatten auch Autos – genau wie hier“, sagt die 52-Jährige. Das Problem: „Wir haben sehr strenge Ausbildungsverordnungen. Dort sagt der Meister irgendwann: Jetzt kannst du das.“

In Deutschland sind die einzelnen Ausbildungsschritte genau geregelt, mess- und vergleichbar. Nur wer sie erfüllt und vor einer Handwerkskammer die Prüfung abgelegt hat, ist eben auch Geselle. Das macht es für Fachkräfte schwer, hier in den Beruf einzusteigen. Anja Grün hat von Angeboten gehört, bei denen die Geflüchteten bis zu 1200 Euro an Prüfstellen bezahlen sollten, um zu erproben und nachzuweisen, dass ihr Wissen unseren Lehrinhalten entspricht. „Wer aber hat soviel Geld, um das bezahlen zu können?“, fragt sie sich. Die Berlinerin gab die Suche schließlich auf. Bis im Januar 2016 die Bewerbung von Shavan auf ihrem Tisch landete.

Der 23-jährige Syrer war 2013 über das Mittelmeer nach Deutschland geflüchtet und hatte vier Jahre lang nach einem Ausbildungsplatz als KFZ-Mechatroniker gesucht. In seiner Heimat Qamischlo hatte Shavan nach dem Schulabschluss in einer Werkstatt als Achsvermesser gearbeitet. Doch die Zeit dort wurde ihm hier nicht anerkannt. Jedes Jahr Anfang Januar schickte er einen Stapel Bewerbungen raus. Vergeblich. Die meisten Betriebe reagierten gar nicht. Er schlug sich als Verkäufer im Späti und Helfer auf dem Bau durch. Und er lernte Deutsch, denn so sagt er, „wenn du in ein anderes Land kommst, musst du wissen, welche Kultur und welche Probleme es gibt.“

Anja Grün beschloss, dem jungen Mann eine Chance zu geben, auch weil sie unter den deutschen Bewerbern keinen geeigneten Kandidaten fand und stellte ihn in ihrem Familienbetrieb ein: „Ich erwarte nicht das perfekte Deutsch, ganz ohne geht es aber nicht. Auf Kunden zugehen mit einem Lächeln, das finde ich toll.“ Sie zeigt mir das Schreiben eines deutschen Bewerbers. Es ist schon ein paar Jahre alt, aber sie hat es aufgehoben. Es besteht aus genau einem Satz: „Hiermit bewerbe ich mich um einen Ausbildungsplatz.“ Mehr nicht. Die Adresse – falsch. Der Name – falsch geschrieben.

Betriebe müssen investieren, aber es lohnt sich

Sie sprechen zwar nicht perfekt deutsch,haben häufig aber schon Berufserfahrung und sind sehr motiviert

Sie sprechen zwar nicht perfekt deutsch,haben häufig aber schon Berufserfahrung und sind sehr motiviert Martin Gommel

Shavan lernt nun seit anderthalb Jahren in der Autowerkstatt Grün. Er ist geschickt und freundlich zu den Kunden. Sein Ausbilder Andreas Grün ist zufrieden mit seinem Schützling. Klar, kulturelle Unterschiede sind da, aber das schätzen die Grüns auch an ihm. „Shavan denkt nicht deutsch. Natürlich guckt er mit einem Auge auch auf die Uhr, aber wichtiger ist ihm, dass die Arbeit fertig wird. Die Pause kann ruhig mal später anfangen.“ Für Shavan wiederum ist genau das merkwürdig: „Bei uns in der Heimat wird rund um die Uhr gearbeitet, sobald die Sonne scheint. Hier sind es acht Stunden plus eine Stunde Pause.“

Die meisten Arbeitgeber, die Flüchtlinge beschäftigen, sind zufrieden mit ihnen. Das hat die OECD-Umfrage ergeben. Unter den genannten Schwierigkeiten stachen besonders fehlende Deutschkenntnisse heraus (60 Prozent der Arbeitgeber, die Schwierigkeiten mit den Arbeitnehmern hatten), gefolgt von unzureichenden beruflichen Fachkenntnissen und unterschiedlichen Arbeitsgewohnheiten (jeweils rund 25 Prozent) sowie Unsicherheiten bezüglich der Aufenthaltserlaubnis (23 Prozent).

Shavan fällt nur eine Sache schwer. Das ist die Berufsschule. Obwohl er Deutsch schon sehr gut beherrscht, ist es häufig schwierig für ihn, den Fachinhalten zu folgen. Denn es ist nun mal nicht seine Muttersprache, aber kaum ein Lehrer kann im Unterrichtsalltag darauf Rücksicht nehmen.

Für Shavan und die Grüns kommt es aufs Durchhalten an. Bei Shavan hat der Einstieg in das Arbeitsleben spät, aber immerhin überhaupt noch funktioniert. Inzwischen hat er, der als minderjähriger Geflüchteter bei uns Schutz gesucht hat, eine kleine 1-Zimmer-Wohnung , am Tierpark, gefunden 50 Minuten von der Autowerkstatt und eine Stunde von der Schule entfernt. Er wohnt dort, wo früher die ausländischen Vertragsarbeiter der DDR untergebracht waren. Sein größter Wunsch ist, die Prüfungen zu bestehen, im Februar 2020 seine Lehre abzuschließen und dann endlich als KFZ-Mechatroniker arbeiten zu können.

Auch für Firas stehen die Chancen wieder besser. Ein Computerladen im Nachbarort sucht dringend Unterstützung und hat ihm ein Praktikum angeboten - mit der Aussicht ihn eventuell zu übernehmen.

Bis alle Flüchtlinge, die händeringend Arbeit suchen, auf dem Arbeitsmarkt integriert sind, werden noch viele Jahre vergehen. Und wir werden wohl noch lange Vereine wie Stay Welcome oder gute Freunde wie Krautreporter-Leserin Evelyn brauchen, um Flüchtlinge und Betriebe gezielt dabei zu unterstützen.


Update (12. April 2018): Heute habe ich von Evelyn erfahren, dass sich Firas’ Hoffnungen inzwischen leider schon wieder zerschlagen haben und das Praktikum bereits nach wenigen Tagen beendet worden ist. Evelyn schreibt mir: „Firas hat mir die Nachricht weitergeleitet, die er dazu an das Jobcenter verfasst hat. Darin beschreibt er, dass er anfangs sehr freundlich aufgenommen und mit Respekt behandelt wurde, seine fachlichen Fähigkeiten kamen gut an, er durfte auch verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. Dann wurde ihm von einer Mitarbeiterin gesagt, dass er, wenn er bei dem Unternehmen arbeiten wolle, eine Ausbildung machen müsse und die für Asylbewerber inzwischen obligatorische Einstiegsqualifizierung. Firas möchte das nicht, er möchte sofort arbeiten. Ab diesem Zeitpunkt wurde er nicht mehr respektvoll behandelt, sondern regelrecht gemobbt. Die ihm aufgetragenen Arbeitsabläufe hat er weiterhin erledigt, jedoch wurde ihm ständig vorgeworfen, das Falsche zu tun. Er durfte auch nicht mehr eigenständig arbeiten. Daraufhin hat er das Praktikum beendet. Heute, gut sechs Wochen später, hat er ein Vermittlungsangebot für einen passenden Job bekommen und wird sich nun bewerben. Seine Bewerbung ist leider gar nicht gut geschrieben (eine ältere Dame hat ihm geholfen, die Bewerbung liest sich wie vor 30 Jahren …). Ansonsten versucht er nun, das Sprachlevel B2 zu machen. ”

Aus dem, was ich während dieser Recherche gelernt habe, lassen sich diese Schlussfolgerungen ziehen:

  • Arbeitgeber müssen offen sein, denn Flüchtlinge beherrschen zwar die deutsche Sprache nicht perfekt, haben aber häufig gutes Fachwissen, praktische Erfahrungen und sind sehr motiviert. Sie sollten sich darauf einstellen, erst mal etwas mehr in sie zu investieren als in einen Lehrling, der hier aufgewachsen ist, und den Flüchtlingen Raum für Entwicklung geben. Sie sollten ihre Azubis beim Deutschlernen unterstützen, etwa Nachhilfe anbieten und sie aktiv mit den Arbeitsgewohnheiten hier vertraut machen.

  • Die Arbeitsagentur sollte jeweils einen festen Ansprechpartner einrichten für Betriebe, die einen Flüchtling einstellen, ausbilden oder qualifizieren. Den Flüchtlingen sollte sie den Sinn und Hintergrund ihrer Fördermaßnahmen und Eingliederungshilfen gut vermitteln. Das hat zum einen den Effekt, dass sie selbst überprüft, wie sinnvoll diese Maßnahmen sind, zum anderen entsteht so Vertrauen, was den Arbeitssuchenden wieder motiviert. Die Agentur sollte auch allgemeine Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt bereitstellen, wie er funktioniert, was die duale Ausbildung ist. Und sie muss so individuell wie möglich auf jeden Einzelnen eingehen, das heißt auch die Lebensumstände des Flüchtlings in den Blick nehmen. Da sie das vermutlich nicht in jedem Fall selbst leisten kann, ist das wirkungsvollste Mittel, in beschäftigungsorientierte Mentoringprogramme zu investieren.

  • Der Staat muss für eine größere Rechtssicherheit sorgen, besonders was den Aufenthaltsstatus betrifft. Er sollte die örtlichen Arbeitsmarktbedingungen berücksichtigen und Flüchtlingen erlauben, für Arbeitssuche wegzuziehen. Wo der Staat Defizite hat, sollte er sich Unterstützung holen und zivilgesellschaftliche Initiativen finanziell und personell fördern. Er sollte mehr in Ausbildung investieren, also zum Beispiel berufsbezogene Sprachkurse ausbauen. Was die Zeugnisse, Kompetenzfeststellung und das Qualifikationsniveau der hier Angekommenen betrifft, so sollten die Erkenntnisse darüber überregional gebündelt, ausgewertet und verfügbar gemacht werden. Der Staat muss auch mal unbürokratisch handeln.

  • Flüchtlinge müssen sich die deutsche Sprache aneignen und sich für Fort-, Um- und Weiterbildungen öffnen. Häufig betrifft das auch Grundkompetenzen. Sie sollten sich gute Freunde suchen, lernen zu verstehen, wie der deutsche Arbeitsmarkt tickt und nicht aufgeben.

  • Schulen sollten Rücksicht auf ihre Flüchtlinge nehmen. In Berlin geht das Oberstufenzentrum (OSZ) Gastgewerbe, in dem die künftigen Hotel- und Restaurantfachkräfte lernen, mit gutem Beispiel voran. Es hat seinen Schülern im Rahmen der Schule Deutschnachhilfeklassen eingerichtet.


Danke an die Krautreporter-Leser Peter, Elke, Doris, Michael, Uta, Christiane, Evelyn, Stefanie, Raphael, Jonas, Marika, Doro, Simon und Jan, die mich bei meiner Recherche mit eigenen Erfahrungen unterstützt haben.


Redaktion: Christian Gesellmann, Rico Grimm; Fotos: Martin Gommel; Produktion: Rico Grimm