Wann genau sie geboren wurde, weiß Miriam nicht. Zumindest das Jahr scheint relativ sicher: 1977. Sie ist erst ein paar Monate alt, als eine Mitarbeiterin von „Terre des Hommes” sie nach Deutschland begleitet und in die Obhut einer Adoptivfamilie aus Osnabrück gibt.
Südkorea ist in den 1970er-Jahren weit entfernt von dem aufstrebenden und erfolgreichen Tigerstaat von heute. „Es gab zu der Zeit extrem viele Waisenkinder. Mir wurde erzählt, dass ich in einem Pappkarton gefunden wurde, in Zeitungspapier eingewickelt”, erzählt Miriam. Ob das stimmt, weiß sie nicht.
„Es gab damals Deutschland, die USA und die Dritte Welt – und ich kam aus der Dritten Welt.”
Ihre christlichen deutschen Eltern hatten bereits zwei eigene Kinder und verstanden die Adoption als einen Akt der Nächstenliebe. Aus Miriams Herkunft haben sie nie ein Tabu gemacht, aber sie wussten auch nicht viel von dem ostasiatischen Land.
Aus „Chinese” wird „Pekinese”
Im Schulkindalter nahm Miriam bewusst wahr, dass sie anders war. Jeder sah sofort, dass die kleine Miriam keinerlei Ähnlichkeit mit ihren Eltern oder den beiden älteren Geschwistern hat. Der allgemeine Umgang mit ihrem Anderssein, ihrem fremden Aussehen ist geprägt von Wohlwollen, aber auch von einer großen Hilflosigkeit. Das Land Südkorea kennen die wenigsten, viele nehmen an, dass sie aus China kommt. Und aus „Chinese” machen die Kinder gern einmal „Pekinese”.
Als Jugendliche fehlt Miriam der Kontakt zu anderen Menschen mit Migrationshintergrund. Die gibt es in der niedersächsischen Stadt damals kaum. „Die Osnabrücker sehen alle gleich aus”, sagt sie. Und in der Pubertät entwickelt sie auch nicht die gleichen Kurven wie ihre Mitschülerinnen.
„Ich dachte, ich werde keine Frau, weil ich ja Asiatin bin. Als würde das Asiatinsein das Frausein ausschließen. Es fehlte jegliche Form von Rollenmodell. Das war schwer.”
Die große Amerika-Sehnsucht
Mit 16 Jahren macht sie ein Austauschjahr in den USA und findet in der Fremde neu zu sich. Sie besucht eine künstlerisch orientierte High School in Washington DC mit fast ausschließlich afroamerikanischen Schülern. „Ich bin da ziemlich schnell akzeptiert worden, vielleicht mehr, als wenn ich nur eine normale weiße Deutsche gewesen wäre. Das hat mir gutgetan.”
Sie schreibt ihr erstes Theaterstück und bekommt nach ihrem Abschluss ein Stipendium für die New York Universität (NYU) angeboten. Da ihre Eltern die hohen Collegegebühren nicht mehr aufbringen können, kehrt Miriam widerwillig zurück. „Ich wollte einfach nicht mehr nach Osnabrück und Pekinese sein.”
Nach dem Abitur will sie schnellstmöglich wieder weg aus der norddeutschen Provinz. Miriam geht nach London und schlägt sich mit Jobs durch: Film, Theater, Printjournalismus – sie probiert alles aus. „Ich war immer pleite.” Sie geht nach München, lebt in Köln und zieht 2001 schließlich nach Berlin, wo sie bis heute lebt.
Erste Reise nach Südkorea
Mit 30 reist sie, die Journalistin, nach Südkorea, um ihre leiblichen Eltern zu finden. Sie behandelt die Suche nach ihren eigenen Wurzeln wie ein journalistisches Projekt. Doch die Recherchen enden in einer Sackgasse. Es gibt so gut wie keine Informationen über ihre Adoption. Miriam ist dennoch erleichtert und weiß, dass die Suche nach ihren Eltern an diesem Punkt endet.
Sie lernt andere Adoptierte kennen und merkt, dass alle irgendwie einen „Hauwech” haben. „Und ich dachte immer, ich wäre verwirrt. Ich war nur froh, dass es mir in Korea gefallen hat.” Sie schreibt ein Buch und inszeniert ihre Geschichte als Theaterstück (Black Tie). Obwohl sie ungern auf der Bühne steht, tourt sie damit in rund 70 Länder.
„Das Gefühl, nicht in diese Welt zu passen und sich überall den Platz erkämpfen zu müssen, das bleibt einfach.”
Eine Verbindung zu ihrem Herkunftsland hält Miriam heute vor allem über das Essen: „Ich kann inzwischen alles kochen, sogar Kim-Chi”. Mit ihrem chilenisch-deutschen Mann und ihrem achtjährigen Sohn lebt sie in Berlin Kreuzberg. Sie arbeitet als Kulturchefin der Modezeitschrift Harper’s Bazaar.
Weitere Themen im Podcast: Bruce Lee, Karl-Heinz Köpcke, weiße Medienwelt, Tofublöcke und warum das heteronormative Familienbild ausgedient hat.
Der Halbe-Katoffl-Podcast ist eine Gesprächsreihe mit Deutschen, die nicht-deutsche Wurzeln haben. Moderator ist der Berliner Journalist Frank Joung, dessen Eltern aus Korea kommen. Es geht um Themen wie Integration (gähn), Identität (ach ja) und Stereotypisierungen (oha) – aber eben lustig, unterhaltsam und kurzweilig. Anekdoten aus dem Leben statt Theorien aus dem Lehrbuch.
Aufmacherfoto: Sebastian Laraia.