Ein paarmal dachte ich am deutschen Wahlabend vor einem Fernseher in Kopenhagen: Jetzt haben sie mit der AfD im Bundestag die gleiche verzwickt schwere Situation, die uns hier in Dänemark clevere Rechtspopulisten seit zwei Jahrzehnten bescheren. Christoph Schattleitner hat hier sofort nach der Wahl versucht, dieses Elend mit einem offenen Brief an die Deutschen zu mindern: „Liebes Deutschland, mach nicht die gleichen Fehler wie wir!“, schrieb er.
Schattleitner plaudert in diesem Artikel aus dem prallvollen Nähkästchen mit 30 Jahren FPÖ-Erfahrung in Wien und schickt bedenkenswerte Ratschläge vom Süden über die Grenze: Straft die hetzerischen Provokationen der Gaulands mit Nichtachtung! Von Empörungsritualen profitieren die nur. Entzauberung funktioniert viel besser, wenn man „ihre Vorschläge ernst nimmt und sie sachlich durchrechnet“. Nehmt ihnen die Opferrolle als „Ausgegrenzte“ und schließt Zusammenarbeit nicht „kategorisch aus.“ Die Inhalte müssen entscheiden. Unter dem Strich bleibe dann nicht mehr viel von diesen Angebern, die doch auch in Deutschland eigentlich „der Winzling mit 13 Prozent“ seien.
Vom Norden her rufe ich nun über Deutschland hinweg Richtung Wien: Stimmt haargenau, lieber Christoph Schattleitner, und leider überhaupt nicht! Ja, ich kann unserem gemeinsamen großen Nachbarn in der Mitte nach meinen dreieinhalb Jahrzehnten in Dänemark exakt dasselbe raten, was die Empörungsrituale angeht. Denen habe ich mich selbst auch zu viel hingegeben. Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Populisten „über Inhalte“ allerdings halte ich für brandgefährlich und die Hoffnung auf deren Selbstentzauberung durch Regierungsverantwortung für eine Illusion.
Bevor ich das begründe, hier eine Kurzgeschichte des hiesigen Rechtspopulismus: Die Dänische Volkspartei (DF), ohne braune Nazi-Wurzeln entstanden aus leicht bizarrem Steuerprotest, ist seit 1998 bei fünf von sechs Wahlen mit stetigen Zuwächsen auf jetzt 21 Prozent angewachsen. Das „Ausländerthema” stand stets im Zentrum der Wahlkämpfe, bis auf 2011 – da fuhr DF Verluste ein. Die Partei ist zweitstärkste Kraft im Folketing, dem dänischen Parlament, und stellt die Parlamentspräsidentin.
Auch die Sozialdemokraten umwerben die Volkspartei
Nach fast anderthalb Jahrzehnten als Mehrheitsbeschafferin für Mitte-Rechts-Koalitionen wird DF jetzt auch von den Sozialdemokraten umworben. Sie ist fest im Zentrum der Politik verankert und wird im öffentlichen Diskurs einschließlich der Medien als völlig normale Partei wahrgenommen. Alle anderen großen Parteien erkennen heute ausdrücklich an, dass DF mit ihren früher verlachten oder als Hetze angeprangerten Warnungen vor „nicht-westlicher“ Zuwanderung recht behalten habe. Sie haben sich der DF-Linie der betont harten dänischen Ausländerpolitik angeschlossen.
Als Zugewanderter (mit dänischer Familie) und Korrespondent deutscher Medien gehöre ich Hybridwesen zu einem Segment der Bevölkerung und einer politischer Klasse, die unentwegt Stimme, Zeigefinger, Anschlagfinger auf der Tastatur und gerne auch den Stinkefinger gegen die jeweils jüngste hässliche Populistenprofilierung auf Kosten einer Minderheit erhebt. Man fällt immer wieder auf denselben faulen Trick herein, etwa wenn die Integrationsministerin (!) tatsächlich „ihre“ 50. Verschärfung des Ausländerrechts als großartigen Erfolg mit Foto von sich und Torte auf Facebook begeht: „Das muss gefeiert werden.“
Zum Erfolg dieser Superpopulistin als populärstem Kabinettsmitglied tragen unsere anklagenden Proteste bei, keine Frage. Ob am Küchentisch, in der Kantine, auf Facebook, im linksliberalen Stammblatt oder wo auch immer wie uns gegenseitig bestätigen und dabei den Populisten auf den Leim gehen. Den Begriff „Trolling“ für deren bewussten Provokationen im Netz haben wir nun alle gelernt. Da hat Christoph Schattleitner vollkommen recht: „Rechtspopulisten brauchen nichts mehr als Aufmerksamkeit. Das Spielfeld der Empörung sowie Angst und Hetze sind ihre Stärke.“
Gesucht wird ein Mittelweg zwischen Ignorieren und Empörung
Nur kann die Alternative nicht sein, dass man sie gelassen ignoriert (was ja auch der Wiener Kollege keineswegs meint). Zum einen funktioniert die aus der Geschichte leider so bekannte Endlosspirale aus immer weitergehender verbaler und faktischer Ausgrenzung auch ohne moralisierende Proteste von unserer Seite. Jedenfalls springt sie hier in Dänemark zuverlässig an, wie ein immer neu aufgezogenes Uhrwerk. Das Muster ist zum Mainstream geworden, der auch von führenden Medien anerkannt und praktiziert wird. In diesem Prozess verrohren Sprache und Inhalte – ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die Äußerung aus dem Regierungslager, Muslime neigten nun mal erfahrungsgemäß zu einer gewissen Doppelzüngigkeit. Da ist der fruchtbare Mittelweg zwischen gelassenem Ignorieren und ritueller Empörung eine ganz schwere Kunst. Hoffentlich fallen der Zivilgesellschaft in Deutschland dazu mehr und fantasievollere Antworten ein als uns hier bisher. Dänemark hat sich festgefahren zwischen einer Unterwerfung unter die Agenda, Denkweise und Rhetorik der Populisten einerseits und immer dieselben Klagearien auf der anderen Seite. Es bewegt sich nichts mehr.
Ob die Österreicher das schon besser hinbekommen und beim Umgang mit ihren FPÖ-Populisten tatsächlich „viele Fehler nicht mehr machen“, so die gute Nachricht im Text aus Wien, weiß ich nicht. Auch vermag ich nicht zu beurteilen, ob es wirklich ein kluger Schritt war, dass Christian Kern, der sozialdemokratische Bundeskanzler Österreichs, mit dem bisher „kategorischen Nein“ an die Populisten gebrochen hat. Mein Wiener Kollege lobt die neue SPÖ-Linie, nach der konkret „Inhaltliches“ die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Kooperation bestimmen soll. So treibe man die Populisten aus der Opferrolle als Ausgegrenzte.
Entzauberung durch Kooperation klappt nicht
Kopenhagener Erfahrungen bestätigen das ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Die Populisten haben sich anderthalb Jahrzehnte lang unerschütterlich alle inhaltlichen Zugeständnisse an ihre (bürgerlichen) Partner im Regierungslager bezahlen lassen, indem man ihnen die faktische und auch rhetorische Oberhoheit über Dänemarks Ausländerpolitik überließ. In harter Währung mit immer neuen Verschärfungen, mal mit, mal ohne Anlass. Sie wissen, dass das für sie bisher der Königsweg zum nächsten Wahlerfolg gewesen ist, und so soll es bleiben.
Auch dass die Partner aus den traditionellen Parteien durch ihr Entgegenkommen immer mehr selbst zu Rechtspopulisten geworden sind, spricht gegen die Hoffnung auf Entzauberung durch Kooperation. Die schon genannte Integrationsministerin Inger Støjberg, seit ein paar Jahren Dänemarks hemmungsloseste und erfolgreichste Populistin, gehört nicht der Dänischen Volkspartei an, sondern Venstre, der großen liberalen Traditionspartei. Die oppositionellen Sozialdemokraten lobpreisen beim Werben um den begehrten Partner ihre „Wertegemeinschaft“ mit den Populisten.
Auch nach meinen persönlichen Irrläufen schließe ich mich hier aber noch einmal von Herzen der Warnung Christoph Schattleitners an: „Frust, Empörung und Nazi-Verweise sind leider genau der falsche Weg.“ Nicht, weil all das unberechtigt wäre, wenn die Populisten zu primitiver Hasspropaganda greifen. Aber zu Recht wird aus Wien konstatiert, dass „das nichts bringt“. So ist es auch in Kopenhagen: Alle klappen schon lange die Ohren zu bei Frust, Empörung und Nazi-Vergleichen. Außer, wenn sie von Freund/Freundin auf Facebook kommen. Es muss uns wirklich Besseres einfallen, als gegenseitig unserer Posts zu liken.
Was das in Dänemark konkret heißen könnte und für die deutsche Reaktion auf die AfD vielleicht brauchbar wäre? Wenn ich es nur wüsste! Die Populisten haben hier derzeit so ziemlich alles erobert. Dankenswert und richtig ist ganz bestimmt die Anregung aus Wien: „Hört bei dem Geschrei nicht hin.“ Genauso sicher bin ich mir mit der Ergänzung aus Kopenhagener Erfahrung: Lasst euch weder Thema noch Ton beim Streit von denen vorschreiben. Und lasst um Himmels willen die Finger von jeder Zusammenarbeit.
Thomas Borchert arbeitet in Kopenhagen als Skandinavien-Korrespondent für die Frankfurter Rundschau. Er hat im Frühjahr das Buch „Gebrauchsanweisung für Dänemark“ (Piper-Verlag) veröffentlicht.
Theresa Bäuerlein hat den Text gegengelesen; Martin Gommel hat das Aufmacherfoto ausgewählt (iStock / Rike_).