Was die Gemüter beruhigen sollte, endete mit einem Eklat: Als Stadtoberhaupt Karl-Wilhelm Röttig die Bürgerversammlung zum Bau eines islamischen Kultur- und Religionszentrums nach eineinhalb Stunden schlagartig abbrach, waren die Bürger verärgert. Viele hatten noch Fragen, etliche machten ihrem Unmut lautstark Luft. „Das ist nicht das, was ich mir unter Bürgerbeteiligung vorstelle“, schimpfte ein Hachenburger; „Unverschämtheit!“ riefen andere.
Das war im Februar. Und inzwischen ist klar: Das abrupte Ende hat den Konflikt um den Bau einer Moschee in Hachenburg, meinem ansonsten beschaulichen Heimatstädtchen im Westerwald mit 6.000 Einwohnern, weiter angefacht. Mein früheres Zuhause ist damit Schauplatz eines wahren Kulturkampfes, der überregional für Schlagzeilen sorgt – und mehr Facetten hat, als es auf den ersten Blick scheint.
Denn unter den Moschee-Gegnern sind keineswegs nur Rechtsradikale und Islamophobe; Widerstand und Skepsis reichen bis weit in die bürgerliche Mitte hinein.
Hachenburg kommt mir damit wie eine Art Mikrokosmos vor, in dem gesellschaftliche und geopolitische Konflikte kulminieren. Es geht um Religionsfreiheit, Toleranz und Integration, aber auch um islamistische Tendenzen und autokratische Staatschefs. Kurzum: Hier lässt sich im Kleinen und Konkreten beobachten, was oft lieber im Großen und Ganzen diskutiert wird.
Grund genug also, genauer hinzuschauen.
Rechtsradikale wollen erst die Moschee und dann den „drohenden Volkstod“ verhindern
Eigentlich wäre das mittelalterliche Städtchen, geprägt von einem traditionsreichen Schloss und liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern, ein guter Ort für eine Moschee. Hachenburg ist ein kulturelles Zentrum in der Region; mit Open-Air-Konzerten, Märkten und vielen anderen Events hat die Stadt weitaus mehr zu bieten als Städte vergleichbarer Größe.
Zudem habe ich Hachenburg immer als toleranten Ort erlebt – auch dank Lokalpolitikern und Vereins-Verantwortlichen, die sich um Integration bemühen statt auszugrenzen. Politologen würden der Stadt vermutlich eine „funktionierende Zivilgesellschaft“ und hohes „bürgerschaftliches Engagement“ bescheinigen.
Deshalb passte es für mich ins Bild, als sich im vergangenen Jahr breiter Widerstand gegen rechtsradikale Umtriebe formierte. Zuvor hatten rechtsextreme Vereinigungen mehrere Aktionen in Hachenburg gestartet – allen voran der „III. Weg“, eine Partei, die den „drohenden Volkstod“ abwenden, auf dem Weg zum Ziel aber erstmal eine Moschee im Westerwald verhindern will.
Mitglieder der Truppe tauchten 2016 immer wieder in der Fußgängerzone auf; sie errichteten Info-Stände und veranstalteten Protestmärsche. Höhepunkt war eine Postkarte mit dem Slogan „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“, die der „III. Weg“ sämtlichen Mitglieder des Stadtrates schickte.
„Alle Unterstützer der volksfeindlichen Politik der Bundesregierung“, hieß es da, „fordern wir auf, das Land zu verlassen“ – und zwar wahlweise „mit einem Boot“, „über die Balkanroute“ oder mit dem Flugzeug.
Spätestens damit hatte der Streit über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung meine Heimat erreicht. Während in Großstädten die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) marschierten und die EU-Staaten um einen Kompromiss zur Bewältigung der Flüchtlingsströme rangen, ging es in Hachenburg zunehmend um Grundsätzliches; neben baurechtlichen Fragen zum Kultur- und Religionszentrum rückten immer stärker der Islam und eine vermeintliche Islamisierung, die Integration und die Integrationsfähigkeit in den Vordergrund.
Nicht ohne einen gewissen Heimatstolz beobachtete ich aus der Ferne, wie die Hachenburger daraufhin zunächst enger zusammenrückten – gegen rechtsradikale Parolen, aber auch für ihre muslimischen Bürger. Nur wenige Tage nach der Postkartenaktion kamen auf dem Alten Markt hunderte Menschen zum „Rock gegen rechts“ zusammen. „Wir Westerwälder lassen uns von Rechtsradikalen nicht einschüchtern“, sagte der ehemalige Bürgermeister und heutige Präsident des rheinland-pfälzischen Landtags, Hendrik Hering (SPD).
Ein gutes, ein wichtiges Signal für Solidarität und Toleranz, fand ich.
Die Hachenburger haben ein Problem mit Ditib und Erdogan
Seit Jahresbeginn hat sich das Bild jedoch rapide gewandelt. Und das hat nichts mit dem „III. Weg“ zu tun, sondern in erster Linie mit geopolitischen Entwicklungen, die sich unmittelbar auf den Hachenburger Moscheen-Streit auswirkten: Im Februar verdichteten sich mit der Inhaftierung des Welt-Journalisten Deniz Yücel Hinweise, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem besten Weg ist, ein autokratisches Regime zu errichten.
Fast zeitgleich geriet der türkische Moscheen-Verband Ditib in die Schlagzeilen: Polizisten und Staatsanwälte durchsuchten bundesweit mehrere Einrichtungen und Wohnungen von Ditib-Imamen – auch in der Nähe Hachenburgs. Der Verdacht: Die Imame sollen im Auftrag der Türkei ihre türkischen Mitbürger bespitzelt und Informationen übermittelt haben.
Auf einmal hatten die Hachenburger ein Problem. Denn die Ditib soll auch bei ihrer Moschee als Träger fungieren und den Imam bestellen. Und ein Blick in die Satzung des gemeinnützigen Vereins zeigt: Über ihren Beirat wird die Ditib, die in Köln sitzt und der rund 900 deutsche Moscheen-Vereine angehören, von der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet kontrolliert.
Das störte niemanden, solange die Türkei als demokratischer, säkularer Rechtsstaat galt. Doch angesichts autokratischer Tendenzen und Spionage-Vorwürfen wuchs nicht nur im Westerwald die Skepsis gegenüber der Ditib. Immer mehr Menschen fürchten inzwischen „den langen Arm Erdogans“ und Imame, die auf sein Geheiß intolerante Auslegungen des Islam predigen, antidemokratisches Gedankengut streuen oder Mitbürger bespitzeln. So forderte der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, der im Beirat der Zentralmoschee in der Rhein-Metropole sitzt, die Ditib nach den Razzien zur „Abnabelung von Ankara“ auf.
Kein Wunder, dass die Hachenburger bei der Versammlung im Februar – also kurz nach der Yücel-Verhaftung und den Razzien – brennende Fragen hatten. Doch die Verantwortlichen unterschätzten offenbar den Redebedarf und die Vorbehalte der Bürger.
Das abrupte Ende der Versammlung heizte die Stimmung jedenfalls weiter an – auch wenn sich Bürgermeister Röttig bereits wenig später in einem offenen Brief an die Bürger entschuldigte und seine Entscheidung damit begründete, dass sich eine „merkbar aggressive Stimmung“ aufgebaut habe und nach seiner Wahrnehmung eine Eskalation drohte.
Der Widerstand kommt aus der Mitte der Gesellschaft
Ungeachtet dessen formierte sich nach der Veranstaltung breiter Widerstand. Obwohl die Baugenehmigung bereits erteilt war, begann eine überparteiliche Initiative von zunächst 25 Bürgern, Unterschriften „gegen den Bau einer Ditib-Moschee in Hachenburg“ zu sammeln.
Tatsächlich kommen die Ditib-Kritiker aus der Mitte der Gesellschaft, unter ihnen sind Notare, Steuerberater, Landwirte. Sie verbreiten keine rechten Parolen und haben mit ihrem Auftreten und ihrer Argumentation selbst überzeugte Moschee-Befürworter zum Nachdenken gebracht. Bei vielen Hachenburgern ist die Verunsicherung deutlich spürbar.
Das Referendum in der Türkei Mitte April, bei dem eine Mehrheit für eine größere Machtfülle des Präsidenten stimmte, hat diese Vorbehalte verständlicherweise noch verstärkt.
Und ja: Auch ich als überzeugter Moschee-Befürworter habe angefangen, meine Position zu hinterfragen; habe Skeptikern zugehört, mit Freunden diskutiert; Zeitungsberichte gelesen und Facebook-Diskussionen verfolgt.
Dabei habe ich zunächst den Eindruck gewonnen, dass es einigen Gegnern nur vordergründig um Erdogan geht. Für sie scheint die Ditib-Debatte einfach eine willkommene Steilvorlage zu sein, um gegen die Moschee zu argumentieren, ohne ihre intolerante Grundhaltung zu offenbaren. Es wirkt auf mich jedenfalls wenig authentisch, wenn Bürger, die bislang nie als interessierter Beobachter der Weltpolitik auffielen, plötzlich ausführlich über Erdogansche Staatsreformen referieren.
Aber geschenkt. Auch wenn ein fader Beigeschmack bleibt, habe ich doch das Gefühl, dass einige Skeptiker ehrliche Sorge umtreibt. Und sie haben Argumente, die man diskutieren und vor allem abwägen muss: Reichen die Einwände und Kritikpunkte, um Mitbürgern die Ausübung ihrer Religion zu erschweren – und damit faktisch die Religionsfreiheit auszuhöhlen, ein verfassungsrechtlich geschütztes Kernelement unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
Die 160 Muslime sind Mitbürger und keine Marionetten
Meine persönliche Antwort lautet: Nein. Auch weil ich finde: Wer den „langen Arm Erdogans“ als große Gefahr einstuft, geht davon aus, dass die Mitglieder der Ditib-Gemeinde in Hachenburg mehrheitlich Marionetten des türkischen Präsidenten wären – beziehungsweise eines von seinem Regime entsandten Imame. Gläubige also, die sich fremdsteuern lassen, den befürchteten „Ideologie-Export“ kritiklos annehmen und fragwürdige Umtriebe widerspruchslos dulden würden.
Nach mehreren Gesprächen und aufgrund persönlicher Erfahrungen finde ich, dass diese Haltung den Hachenburger Muslimen nicht gerecht wird. Die meisten der rund 160 Mitglieder der Gemeinde leben in zweiter oder dritter Generation in der Stadt, sind integriert und nehmen am Vereins- und Stadtleben teil. Immer wieder haben Lokalpolitiker zudem die Transparenz und Dialogbereitschaft gelobt – etwa, als Vertreter der Gemeinde im Oktober freiwillig über den geplanten Bau der Moschee informierten (der übrigens weder Kuppel noch Minarett haben wird).
Und wenn sich die Hachenburger Muslime doch als Erdogan-Marionetten oder willfährige Propaganda-Rezipienten entpuppen? Dann wären da immer noch die Sicherheitsbehörden, die mit den Razzien bei Ditib-Imamen Zähne gezeigt haben. Übertriebene Angst vor Erdogans Einfluss in Deutschland scheint mir damit auch ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber unseren eigenen Institutionen zu sein.
Sicher: Der einfachste Weg wäre es, wenn sich die Muslime von der Ditib lösen würden, wie es der Ältestenrat des Hachenburger Stadtrats gefordert hat. Aber dann müsste die muslimische Gemeinde ihren Imam selbst bezahlen – eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung angesichts der überschaubaren Mitgliederzahl (in Großstädten sieht das bisweilen ganz anders aus). Auch andere Vergünstigungen fielen vermutlich weg, von Unterstützung bei Pilgerfahrten nach Mekka bis hin zur Finanzierung von Bestattungen in der Heimat.
Kann man, darf man das verlangen? Ich tue mich schwer damit. Zumal es für viele Betroffene auch ein emotionaler Bruch mit der alten Heimat und den dortigen Glaubensbrüdern wäre, die trotz Erdogans Umtrieben größtenteils noch dieselben sind wie früher.
Das Problem wollen die Hachenburger an einem Runden Tisch lösen
Leider sieht es derzeit nicht danach aus, dass es noch eine gütliche Einigung geben wird. Die Moschee-Gegner haben Widersprüche gegen die Baugenehmigung eingelegt und angekündigt, notfalls bis vors Verfassungsgericht zu ziehen. Obwohl die Karlsruher Richter die Religionsfreiheit traditionell hoch gewichten, schwebt damit ein Damoklesschwert über der Gemeinde: Treibt sie den Bau trotz laufender Verfahren voran, wäre eine spätere Abrissverfügung zumindest nicht auszuschließen.
Angesichts der verhärteten Fronten besteht die Gefahr, dass sich die Eskalationsspirale weiter emporschraubt – und auf beiden Seiten zu einer Radikalisierung führt, die ein friedliches Zusammenleben in Hachenburg massiv erschwert.
Auch hier erscheint mir meine Heimatstadt wie eine Art Mikrokosmos; im Kleinen lässt sich eine Herausforderung beobachten, die sonst vor allem im Großen diskutiert wird: Wie lassen sich Risse zwischen Gruppen kitten, die sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen?
Das Wichtigste sei nun, im Gespräch zu bleiben, meinen besonnene Hachenburger. Deshalb hat der Stadtrat einen Runden Tisch ins Leben gerufen, an dem Muslime und Mitglieder der Bürgerinitiative genauso teilnehmen sollen wie Vertreter der Stadtratsfraktionen und der Kirchen.
Sicher: Das dürfte keine schnelle Lösung bringen – kann aber dazu führen, dass das Verständnis füreinander wächst und sich im nächsten Schritt Kompromisslinien abzeichnen, die aktuell noch niemand auf dem Radar hat. Auf diese Weise könnte der Runde Tisch sogar zu einer Blaupause zur Lösung vergleichbarer Konflikte werden – sei es auf lokaler oder überregionaler Ebene.
Erarbeitet mit Theresa Bäuerlein; gegengelesen von Vera Fröhlich; um das Aufmacherbild hat sich Martin Gommel gekümmert.