Alles so schön orange hier. Halloween heißt in den USA, dass sich neben Kostümen und Süßigkeiten alles um Kürbisse dreht. Längst stehen die Panzerbeeren nicht nur ausgehöhlt in Fenstern und vor Haustüren. Sie haben auch ihren Platz in Supermarktregalen und auf Speise- und Getränkekarten gefunden.
Pumpkin Spice ist in aller Munde, auf rund 308 Millionen Dollar schätzte das Marktforschungsunternehmen Nielsen im Jahr 2013 den Markt - ein Plus von 14 Prozent. Wobei „Pumpkin“ Spice als Name etwas trügerisch ist, denn im Kürbis-Gewürz ist kein Kürbis enthalten. Es handelt sich um eine Gewürzmischung, unter anderem mit Zimt, Muskat und Ingwer. So oder so: Wie kann innerhalb weniger Jahre ein solcher Trend entstehen? Lösen die Verbraucher selbst solche Wellen aus, oder werden sie gemacht?
Um diese Fragen zu beantworten, gibt es in den USA neben den Kneipen mit dem für deutsche Zungen arg ungewöhnlichen Kürbisbier (der knappe halbe Liter in New York für rund sieben Euro) vor allem einen Ort: Die Filialen der Kaffeehauskette Starbucks. Wer verstehen will, wie Lebensmitteltrends entstehen, der muss hier anfangen.
2003 hat Starbucks den Kürbis-Gewürz-Latte erstmals auf die Karte genommen und mit einem der ältesten Marketingtricks der Welt begleitet: künstliche Verknappung. Als „seasonal“ wird der Geschmack angepriesen, als „endlich wieder im Angebot“ der alljährliche Verkaufsstart beworben. 200 Millionen sirupdurchtränkte Kaffees hat Starbucks so in den ersten zehn Jahren abgesetzt. In der Wirtschaftskrise sei zudem das Bedürfnis nach sogenanntem Comfort Food groß gewesen, also dem Essen, mit dem man sich was gönnt im Kampf gegen die harsche Welt da draußen, schrieb die Chicago Tribune. Kürbis- oder Kürbisgewürzaroma – für viele eine Erinnerung an Thanksgiving-Feiern der Kindheit – fällt eben auch in diese Kategorie. Neben Nostalgie und Verknappung gibt es aber noch einen dritten Grund für den massiven Kürbistrend, nämlich die sich selbst verstärkenden Kräfte der Geschmacksvorhersager. So tauchte Kürbisgewürz als großer Essenstrend 2010 im McCormick-Trendreport auf, einem der wichtigsten Papiere für Entscheider in der Lebensmittel- und Gastronomiebranche. Der Trend, der dort steht, gilt als offiziell gesetzt.
Die Marketingforscherin
Mandy Saven arbeitet in London beim McCormick-Konkurrenten Stylus. Sie ist dort Leiterin des Bereichs „Food, Beverages and Hospitality“, also „Essen, Getränke und Bewirtung“. Ihr Unternehmen sucht an allen Ecken und Enden nach neuen Trends: Neben Einzelinterviews mit Branchengrößen besuche man Messen, arbeite mit anderen Agenturen und mit den Marktforschungsabteilungen der Kunden direkt zusammen, heißt es in der Selbstbeschreibung auf der ansonsten eher spärlichen Webseite.
Im Interview wird Saven konkreter: „Es gibt nicht das eine Standardmodell für Essenstrends. Sie treten auf viele verschiedene Arten in das Bewusstsein des Mainstreams.“ Beispielsweise komme es vor, dass Köche edlerer Restaurants Ideen aus der auch in Deutschland und Großbritannien immer größer werdenden Szene der mobilen Essensverkaufsstände aufgreifen – und umgekehrt. „Aber es gibt auch Fälle, in denen eine Zutat oder eine Gewürzmischung speziell für eine Essens- oder Handelsmesse entwickelt wird.“ Und auch vor Savens Branche macht das Internet nicht halt. „Selbst Ideen aus kleinsten Restaurants mit wenigen Sitzplätzen können dank Social Media und Foodstagramming ein großes Publikum erreichen.“
Und was sind nun nach dem Saisonhype um die Kürbisse die dauerhaften Trends? „Wir sehen, dass der Markt immer noch in Richtung gesündere Zutaten tendiert. Konsumenten schauen genau darauf, was ihnen gut tut“, sagt Saven. Alles, was im Zusammenhang mit Gesundheit und Wellness stehe, sei langlebig. Aber auch das nächste große Ding stehe bereits in den Startlöchern: „Die Menschen werden überrascht sein, wie viele Produkte es künftig mit Insekten gibt. Auf den Messen stehen derzeit viele Hersteller mit sehr schlüssigen Marketing- und Designkonzepten“, sagt Saven. „Es ist eine Art, mehr Proteine zu sich zu nehmen – wir reden da schon seit Jahren drüber“, erklärt sie als Antwort auf verwundertes Nachfragen.
Der Buchautor
Über Jahre hinweg hat sich auch David Sax mit Lebensmitteltrends beschäftigt. Der Autor hat das Buch „The Tastemakers“ veröffentlicht, das den schönen Untertitel „Why we’re crazy for Cupcakes but fed up with Fondue“ trägt, also um bei den hübschen Alliterationen zu bleiben etwa „Warum uns Cupcakes crazy machen, aber Fondue fertig.“ Darin sortiert und vertieft Sax die praktischen Erfahrungen von Saven und ihren Kollegen.
Für ihn kommen Essenstrends aus vier Richtungen:
- Die Popkultur: Wenn in Serien wie „Sex and the City“ vor der „Magnolia’s Bakery“ Cupcakes gegessen werden, habe das Auswirkungen auf eine ganze Branche.
- Die Landwirtschaft: Neue Anbauformen wie beispielsweise Gentechnik verändern das Essverhalten genauso wie die Züchtung von immer dickeren und immer schneller wachsenden Nutztieren.
- Die Chefküchen: Chefköche hätten ein großes Ego und seien sehr erpicht darauf, den nächsten großen Trend zu setzen. „Ich glaube, die meisten Trends starten mit exzentrischen Verrückten“, zitiert Sax lakonisch Anna McClung, Mitarbeiterin in einem Forschungsinstitut des US-Landwirtschaftsministeriums.
- Die Gesundheitsforschung: „Der große Treiber hier sind Einzel-Inhaltsstoffe. Diese ‘Superfoods’ haben einen Vorteil gegenüber komplizierteren Nahrungsplänen, ihre einfache Botschaft: Dieses eine Ding ist so gut für Dich, dass Du einfach nur so viel wie möglich davon essen solltest.“
Um dann ordentlich Schwung aufzunehmen, brauche es für einen Trend freilich noch weitere Unterstützung. Dazu zählt Sax neben den Marktforschungsunternehmen wie McCormick und Stylus vor allem Preisverleihungen der Branche. („Wer dort gewinnt, hat eine gute Chance, in die Supermarktregale zu kommen.“) Manchmal genüge aber auch einfach geschicktes Marketing, bei dem beispielsweise einer schnöden neuen Kreuzung mehrerer Apfelsorten ein hübsches Markenlabel aufgedrückt wird.
In seiner Analyse fällt Sax schließlich ein sehr mildes Urteil. Es sei wichtig, sich mit Essenstrends zu beschäftigen, denn schließlich brächten neue Gerichte und Geschmäcker die Völker zusammen und veränderten Politik. „Ethnische Essenstrends haben nicht nur verändert, was auf unseren Tellern landet; sie haben auch langsam die Einstellungen in unseren Köpfen darüber verändert, welche Kulturen hinter diesem neuen Essen stehen.“
Der Wirtschaftslenker
Längst nicht so melancholisch sieht das Howard Moskowitz. Er ist eine der Schlüsselfiguren in einem Buch, das mit der Lebensmittelbranche ganz anders ins Gericht geht: In „Das Salz-Zucker-Fett-Komplott: Wie die Lebensmittelkonzerne uns süchtig machen“ beschreibt der New-York-Times-Journalist Michael Moss, wie Junkfood zielgerichtet auf den Massengeschmack ausgerichtet wird. Neben aggressivem Marketing für boomende Märkte wie Brasilien oder Indien seien dabei sogenannte Line Extensions wichtig. Wer einmal Paprika-Chips einer bestimmten Marke kauft, der kauft auch eher die Barbecue-Variante – und die Hersteller tun besser daran, bestehende Kunden weiterzuentwickeln als neue zu gewinnen.
Bei der Recherche fiel Autor Moss eine weitere Methode auf: die Suche nach dem sogenannten „Bliss Point“ - und dort kommt Moskowitz ins Spiel. Der Mann ist Lebensmitteloptimierer und Berechner des „Seligkeitspunktes“ bei Lebensmitteln. Seine These: Es ist gar nicht gut, wenn ein Produkt zu stark in eine Richtung schmeckt. Dieser Geschmack überlagert alle anderen Nuancen und ermüdet den Konsumenten. Dem Phänomen ist Moskowitz bei der Befragung von Soldaten auf die Schliche gekommen. „Sie mochten geschmacksstarkes Essen wie Truthahn-Spaghetti, aber nur am Anfang. Sie hatten diese Gerichte schnell satt. Auf der anderen Seite gab es alltägliches Essen wie Weißbrot, das sie zwar nie allzu begeistert hinterließ, aber von dem sie viel essen konnten, ohne das Gefühl zu haben, seiner überdrüssig zu werden.“
Übersetzt heißt das: Lebensmittelhersteller müssen also den Punkt finden, an dem ein Produkt der Masse an Konsumenten gerade noch gut, aber nicht zu gut schmeckt, damit sie sich nicht daran überfressen. Klingt etwas skrupellos? „Für mich gibt’s keine moralischen Bedenken“, zitiert Moss den Forscher in einer Zusammenfassung seines Buches im New York Times Magazine. „Ich habe die beste wissenschaftliche Arbeit geleistet, die ich konnte. Ich habe ums Überleben gekämpft und konnte mir den Luxus nicht leisten, ein moralischer Mensch zu sein. Und als Wissenschaftler war ich meiner Zeit voraus.“
Foto: Pixabay