Der Trick besteht darin, dass die Hundenase kontextualisiert. So wie Hunde Scheiße beschnüffeln: als Roman.
Eins
Es ist das zweite Jahr, in dem ich das alte Haus im Süden und die Hunde hüte. Die Platanen im Hof werfen erste Blätter ab, prankengroß, sonnengedörrt, staubüberzogen, verpilzt. Überall frischgewebte Spinnfäden. Am frühen Morgen steht die Sonne wie ein leuchtendes Frisbee am Rand der Welt über dem Nebel. Noch ist der Herbst nicht da. Die Hunde aber wittern ihn und kriegen das dicke Fell.
C., ein kluger alter Schäferhund, tatsächlich ist er ein melancholischer Clown, und B., eine ungestüme sechsjährige Beauceron-Mischlingshündin, jeder Tag beschert ihr eine neue Welt. Eine nervöse Aufmerksamkeit beseelt sie und macht mich eifersüchtig: Hätte ich doch ihre Nüstern!
Ich lerne im Traum, mit den Hunden zu sprechen, weil ich in der Einsamkeit am Rand der Welt selbst zu einem räudigen Hund geworden bin. Sie akzeptieren mich als ihresgleichen. Abends, am Ende der Yoga-Session, liegen sie wie zwei heraldische Figuren links und rechts vor der Matte, wahren Diskretion und drehen sich nicht um. Leise strecken sie sich zum Om, für sie das Zeichen, dass es gleich was zu Fressen gibt. Sie beobachten mich – so wie ich sie. Wortloses Einverstandensein.
Die laublosen Platanen sehen aus wie Mondkraken. Über ihnen ein wolkenloser Himmel. Durch den Bambushain geht ein leichter Wind. Über dem Acker kreist ein Bussard. Die Hunde wälzen sich im Gras. In der Luft der Geruch des gärenden Weins. Auf der Straße jagt der Bäckersohn auf dem Moped durch das Dorf. Am Morgen hatte ich im Hof erspäht, wie B. ihren Hintern gegen den Oleanderstamm rieb, wobei Weinranken sie kraulten. Auf der anderen Seite des Hauses ist sie ein autoerotisches Bündnis mit dem Jasminbaum eingegangen. In meinen Träumen erlebe ich sie als Schamanin. Sie bringt mich auf eine Idee.
Zwei
Vier Jahre später ist die Idee gereift, das Exposé zu einem Roman verworfen, weil für zu langatmig befunden. Ich war auf der Suche nach einer Form, die das Enigmatische des Erzählens bewahrt, zu der Idee einer Graphic Novel gelangt und traf Josefina Capelle aus Buenos Aires beim Putsch-Workshop von Thilo Kasper, der internationale Cartoonisten für einen Monat nach Berlin geholt hatte, um mit ihnen Cartoons zum Bundestagswahlkampf zu entwickeln. In Josefinas Stil finden Einflüsse von Frida Kahlo und Salvador Dalí zusammen, mit einer wunderbar kindlichen Bosheit.
Unsere Helden sind fünf Hunde und ihr Begleiter. Wir nennen ihn Wuffwuff. Die Hunde akzeptieren ihn als zweibeinigen Hund. Uns erinnert er an Gene Hackman in „Enemy of the State“, nur ohne Katze. Ein bellender Eigenbrötler, mit spät erblühtem Tourette. Er hat mit den Hunden Zuflucht im Niemandsland am Rand der Berliner Hasenheide gefunden, in einer Remise, die keiner kennt, zwischen den endlosen Friedhöfen und den Jagdgründen der schwarzen Dealer.
Auf verschlungenen Wegen haben die Hunde zu Wuffwuff gefunden. Alle sind sie Veteranen, mit ihren Nüstern spezialisiert auf Explosivstoffe, auf Drogen, auf Erdbebenopfer, auf Geld und auf den Geruch von Karzinomen, die für MRTs zu klein sind. Sie waren Veteranen in Kabul, in Port-au-Prince, auf dem Frankfurter Flughafen, beim Zoll an der Schweizer Grenze und bei der Charité in Berlin-Buch. Sie heißen Zara, Moni, Anti, Dio und Luzi. Sie leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen. Wuffwuff kümmert sich um sie und holt sie zurück aus dem Trauma.
Drei
Wuffwuff kommt zupass, dass er in mehreren Jahrzehnten die Gerüche dieser Welt gesammelt hat, eine Quelle der Inspiration für traumatisierte Nüstern, die ins Hundeleben zurückgeholt werden sollen.“Ich habe meine Nase im Krieg verloren“, war ein Satz aus Wuffwuffs Kindheit. Das Sammeln der Geruchsproben eine magische Operation gegen die Wiederkehr des Traumas. Kaum hat er über schwach verknotete Netze die Botschaft ausgesandt, folgen die ersten Anfragen. Luzi braucht eine Reha-Kur. Er schnuppert Krebs-Atemproben und ist in Lethargie verfallen, als er den Duft nicht mehr aus einem Glasröhrchen, sondern aus dem Morgenatem seines Companions schnuppert.
Zara ist schon um die ganze Welt geflogen. Sarajevo, Kinshasa, Kabul. Er ist Sprengstoffschnüffler.Hat seinen Begleiter durch Unachtsamkeit in Kabul verloren.
Dio, der Geldschnüffler, sah, wie sein Companion von einem Geldschmuggler erschossen wurde.
Anti ist ein Trümmerhund. War schon in Haiti, im Iran, in der Türkei, auch nach Kalifornien ist sie geflogen. Sie riecht angstgetränktes Menschenfleisch. Hat schon viele gerettet. Ihren Begleiter fällte in Port-au-Prince ein T-Träger.
Monis Begleiter ist in Frankfurt auf den Geschmack am Handel mit harten Drogen gekommen.
Wuffwuff holt sie aus dem Trauma. In Wuffwuffs Veteranenheim für versehrte Gebrauchshunde zeigen sie, was in ihnen steckt. Luzi riecht bösartige Wucherungen auch ohne organische Befunde. Anti hat das zweite Gesicht für Situationen, in denen es kracht. Dio riecht nicht nur Geld, sondern auch seinen Mangel. Moni weiß, dass viele Menschen unter den Trümmern ihres Lebens begraben sind. Zara hat erfahren, was alles explodieren kann.
Hier sind unsere Helden zusammen zu sehen. Zara hat etwas entdeckt. Josefina Capelle
Auch Hunde sehnen sich nach Abwechslung. Nicht immer nur Sempex, Koks, Kohle, Tote oder Krebs. Warum nicht auch mal Dachskacke, ein Hautgout, der Hundenasen vibrieren lässt. In Wuffwuffs olfaktorischem Museum werden sie für die Dauer eines nicht endenden Septembers unter dem Sternzeichen des Sirius jede Woche mit einem neuen Geruch vertraut gemacht.
Niemand hat sie auf dem Schirm, schon gar nicht das, was sie in der Hasenheide aufstöbern. Bomben, Drogen, Opfer, Geld und Krebs. Keiner will wissen, was sie uns mitteilen. Allerdings kommt ihnen ein junger Reporter auf die Spur. Er wittert eine Story, die Wuffwuff um jeden Preis verhindern will.
Wuffwuff belauscht die Träume seiner Veteranen. Er lernt die Welt mit den Sinnen der Hunde anders zu verstehen. Er verfügt über die Gabe, sein Denken völlig abstellen zu können. So wittert er bald selbst wie ein Hund die beschädigte Welt.
Er ist auf Fährtensuche, nach komplexeren Bildern, Düften, Geräuschen, die die Träume der Hunde durchzucken. Auch er selbst kommt darin vor. Denn auch sie beobachten ihn, am Schreibtisch, beim Kochen, im Gemüsegarten, beim Einschlafen. Sein Lernziel ist komplexe Lakonik.
Kürzlich gewann er eine Idee davon, wohin die Reise gehen kann. Ein Freund nahm ihn mit zur Entenjagd. Die Jagdgesellschaft, eine kunterbunte Mischung in Demicamouflage. Ehrbare Leute. Docker, Apotheker, Experten aller möglichen Disziplinen. Am Ende der Woche zieht es sie aus der Erwerbswelt in die Wildnis. Wenn die Sonne untergeht, steigen die Vögel auf. Scharfgezogene Schatten am Himmel. Der Jagdgast hockt im Schilf. Mücken umschwärmen ihn. Jetzt zählt nur noch, was er sieht, hört, fühlt und riecht. Er war wie von Sinnen, als er in die Augen der Jagdhunde sah: Sie sprühten vor Freude. Die Arbeitslust beseelte sie. Aus den Sinnen der Hunde entsteht eine andere Anthropologie des Alltags.
Witzig. Ätzend. Respektlos. Kynisch.
Vier
Es gibt Quellen, Inspirationen, Ratgeber. Donna Haraways The Companion Species Manifesto, David Grimms Citizen Canine, Bazon Brocks Hundekunde, Peter Sloterdijks Kritik der zynischenVernunft, Klaus Heinrichs Studie über Parmenides und Jona.
Stephan Porombka verdanke ich das Wort Kynästhesie. Mit dem Fotografen und Designer Axel Baumhöfner verbrachte ich im November 2013 einen Tag in der Diensthundeschule der Bundeswehr in der Vulkaneifel. Thilo Kasper verdanke ich den Kontakt zu Josefina Capelle.
Bei Twitter inspiriert uns Dogsdoingthings. Wir haben als Arbeitsplattform zwischen Berlin und Buenos Aires den Account Kynästhesie ins Leben gerufen. Noch ist er geschützt, aber wer uns über die Schulter schauen will, darf gerne anklopfen.
English summary
We survived Kabul, Port-au-Prince,Lindau, Forst, and Buch. We lost our human companions. Now we cope with the challenge of being dogs.
Our story? We are veteran working dogs. PTSD suffering. Our home is at KYNAESTHESIA - the VetPets´ Nursery Home in suburban Berlin.
We got rebaptized by our new companion. He´s a bit strange yet we accept it: We are Dio, Luzi, Anti, Moni,and Zara. Neo-cynics.
We know by heart and nose what decay is. We´re going to tell our veteran stories as dogs can tell. YOU BET.
Let´s know whatever you want to know about us. Wuffwuff is our interpreter, caretaker, and companion. Our griot, as Luzi secretly puts it.
Next week Zara gets a new doghouse.Wuffwuff calls it „das Kim Philby Zimmer“. God knows why.
We are four-legged veterans. All of us wear Purple Hearts. We are survivors.
Our tourettic caretaker Wuffwuff is hearing strange music.
Doubts? What may be doubts? Our senses take for granted what they sniff and hear.
Di_e erste Episode von Kynästhesie erscheint nächste Woche. Der Titel: Ka-ka-kampfmittelträumdienst._
Kynästhesie ist eine Graphic Novel von Josefina Capelle und Hans Hütt