Vor einem Jahr war Krautreporter nichts anderes als eine größenwahnsinnige Idee. Zu groß, um wirklich an sie zu glauben – aber zu gut, um sie nicht auszuprobieren. Nur ein halbes Jahr später war diese Idee ein Projekt von 30 Journalistinnen und Journalisten, die weitere vier Wochen später diesen Tweet absetzen konnten:
https://twitter.com/krautreporter/status/477406217682571264
In genau diesem Moment war Krautreporter keine Idee mehr, auch kein Projekt, sondern eine Community von etwa 18.000 Menschen, die einen anderen Journalismus im Netz ermöglichen wollten und für dieses Ziel viel Geld eingesammelt hatten.
Die Kampagne war ein nervenaufreibendes Abenteuer mit knappem Ausgang. Noch monatelang waren wir so sprachlos, dass wir wenig mehr gesagt haben außer immer wieder: danke. Nur weil tausende Menschen wollten, dass es Krautreporter gibt, kann die Seite heute – am 23, Oktober 2014 – online gehen. Ein berührendes Erlebnis, das die Redaktion auf ganz ungewöhnliche Weise mit den Lesern verbindet. Wenn wir heute von Krautreporter sprechen, dann meinen wir uns alle. Gemeinsam sind wir Krautreporter.
Seitdem gab es genug zu tun. Konzepte ausdenken, verwerfen, neu schreiben, beschließen. Eine Seite planen, gestalten, programmieren. Geschichten recherchieren, filmen, fotografieren, schreiben, immer wieder im Gespräch mit unseren Mitgliedern. In einem kurzen Sommer das aus dem Boden stampfen, was nun hier zu sehen ist. Jetzt sind wir da, und wir sind stolz, und neugierig, und fest entschlossen, diese Chance zu nutzen, um Journalismus zu machen, wie wir ihn uns vorstellen. Und zwar so:
Krautreporter – Zeit für Journalismus
Krautreporter ist eine Community, die Journalismus im Netz ermöglichen möchte. Dafür nehmen wir uns Zeit – zum Recherchieren, Experimentieren, Diskutieren und natürlich zum Lesen.
Warum glauben wir, dass es Krautreporter braucht? Weil vielen Medien Klicks wichtiger sind als Geschichten. Weil niemand mehr den Überblick behalten kann, wenn die Welt nur noch in Eilmeldungen erklärt wird. Weil Werbung nervt. Weil sich auch in seriösen Online-Medien der Boulevard ausbreitet.
Wir wollen es anders machen. Mit Reportagen, Recherchen, Porträts und Erklärstücken. Über Themen, mit denen wir uns auskennen. Mit der Zeit, die nötig ist, um eine Geschichte zu erzählen. Und den Hintergründen, um zu verstehen, was auf der Welt passiert.
Zehn Grundsätze
1. Gemeinsam sind wir Krautreporter. Unterstützer, Leser und und Autoren sind Mitglieder der Krautreporter-Community. Alle Mitglieder gemeinsam bilden die Krautreporter-Redaktion. Sie stehen in ständigem Kontakt und helfen mit Informationen, Kontakten und Ideen, Journalismus besser zu machen.
2. Täglich die Geschichten hinter den Nachrichten. Unsere Autorinnen und Autoren produzieren jeden Tag einige wenige, sorgfältig recherchierte Beiträge, die helfen, unsere Welt besser zu verstehen.
3. Keine Werbung. Bei Krautreporter gibt es keine bezahlten Anzeigen. Mitglieder unterstützen Krautreporter mit 5 Euro im Monat. Dadurch ist Krautreporter vollkommen von seinen Mitgliedern abhängig – und von niemandem sonst.
4. Aus erster Hand. Wir recherchieren mit Ruhe und Sorgfalt, wenn möglich vor Ort. Wir gehen hin, rufen an und fragen nach. Wir nehmen uns die Zeit und den Platz, den wir brauchen. Es geht uns nicht um reine Meinungsbeiträge, sondern um Recherche, Beschreiben und Erklären.
5. Autoren mit Haltung. Krautreporter steht nicht für eine politische Ideologie. Wir berichten als individuelle Persönlichkeiten mit einer jeweils eigenen Haltung. Unsere Autoren teilen aber ein Verständnis von Journalismus, der unabhängig, sorgfältig und offen ist, und die Verpflichtung auf journalistische Qualität und handwerkliche Standards.
6. Grenzenlose Neugier. Unsere Autoren entscheiden selbst, worüber sie berichten. Jeder unserer Reporter hat sein ganz persönliches Spezialgebiet, aber wir trennen die Welt nicht in Ressorts wie Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft.
7. Transparenz. Unsere Autoren machen Recherchematerial und Originalquellen so gut wie möglich allen Mitgliedern zugänglich. Wir dokumentieren Fehler, Befangenheiten und persönliche Beziehungen.
8. Gemacht für das Internet. Krautreporter ist digital. Wir arbeiten mit den Ausdrucksmitteln, mit der kommunikativen Offenheit und in der Sprache des Netzes. Unser Magazin funktioniert auf Bildschirmen jeder Größe.
9. Persönlich. Für Krautreporter ist Journalismus mehr als Texte und Bilder. Viele Themen erschließen sich am besten im persönlichen Gespräch. Wir organisieren daher Veranstaltungen, Workshops und Treffen zwischen Unterstützern und Autoren. Wir machen Journalismus zur Erfahrung.
10. Ein journalistisches Experiment. Krautreporter befindet sich in permanent beta. Wir sind immer auf der Suche nach neuen journalistischen Ausdrucksmöglichkeiten. Wir begreifen Journalismus nicht als Produkt, sondern als Prozess. Wir analysieren, wie die Leser unserer Software nutzen und passen sie an.
Die Gegenwart des Journalismus
Wir möchten euch bitten,noch eine Weile Geduld mit uns zu haben. Krautreporter ist nicht fertig. Sagt uns Bescheid, wenn etwas nicht klappt. In den kommenden Tagen und Wochen verbessern wir die Software und fügen Funktionen hinzu, die noch programmiert oder produziert werden müssen. Zum Beispiel: Zusätzliche Bezahlarten, die Suche, die Möglichkeit, auf Kommentare direkt zu antworten, die Newsletter-Verwaltung, der Podcast, PDF- und ePub-Versionen, die Wochenendausgabe und vieles mehr.
Auch unser Journalismus ist noch nicht fertig. Wir wollen experimentieren. Das heißt: Hypothesen formulieren, testen und verwerfen, Versuche starten, kontrollieren und anpassen und am Ende zu Ergebnissen kommen, von denen man vorher nichts ahnt. Wir werden viel ausprobieren und dabei ab und zu etwas falsch machen. Genau darauf freuen wir uns. Wir hoffen, dass ihr nicht Perfektion erwartet, sondern Überraschungen.
Krautreporter wird sehr genau beobachtet. Toll! Allerdings sind die Erwartungen an dieses Projekt so hoch und gleichzeitig so unterschiedlich, dass es unmöglich sein wird, allen gerecht zu werden. In der medienbrancheninternen Diskussion fällt immer wieder die Frage, ob Krautreporter die „Zukunft des Journalismus“ sei. Nein, wir sind nicht die Zukunft des Journalismus. Möglicherweise sind wir eine Zukunft des Journalismus. Vor allem aber sind wir die Gegenwart des Journalismus. Und zwar ab jetzt.