Für seine Premiere in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt hat Kaufland eine Extraportion maritimer Witzchen geordert. Am Eingang neben der Rolltreppe hängen jetzt Schilder von der Decke, auf denen steht: „Segel setzen Richtung billig“, „Preisbrecher für Kiel“ und „Kielimansparo“. Darunter heißt es jedes Mal: „Kaufland ist da!“
Als sei das eine Art Erlösung.
Die vermeintliche Supermarkt-Erlösung steht im Stadtteil Mettenhof, der mit knapp 19.000 Bewohnern der größte der Stadt ist, aber ganz am Rande liegt und wenig postkartenadäquat aussieht. In den 60er Jahren sind hier die Hochhäuser gebaut worden, so weit das Auge reicht. Das größte in der Mitte hat sogar einen eigenen Namen: „Weißer Riese“. Weil die Infrastruktur für Autos und nicht für Menschen gemacht war, zogen viele wieder weg. Wohnungen standen leer. Aussiedler und Einwanderer zogen ein. Heute hat der Stadtteil nicht den besten Ruf. Frühere Genossenschaftswohnungen sind an Finanzinvestoren verkauft, weil die Stadt den Haushalt aufbessern wollte. Jetzt ist Kaufland da. Eine Mischung aus Discounter und SB-Warenhaus. Billig und riesig. Ein grauer Riese.
Wie Lidl gehört Kaufland zur deutschen Schwarz-Gruppe mit Sitz in Neckarsulm. Die hat in den vergangenen beiden Jahren einen anthrazitfarbenen Kaufpalast gebaut, der offiziell als Erweiterung des alten Mettenhofer Einkaufszentrums mit dem kecken Kürzel MEZ gilt. Dabei wirken die schäbigen Center-Flure von früher gegen den viele tausend Quadratmeter umfassenden Neubau so, als würden sie in einer Tour um Abriss betteln.
In Kiel-Mettenhof hat sich Kaufland an das alte Einkaufszentrums (MEZ) drangebaut. Foto: psr
Dass keine 400 Meter die Straße hinunter schon seit Jahren ein großer Famila-Lebensmittelmarkt des Kieler Unternehmens Bartels-Langness steht, hat die Stadt nicht von der Genehmigung abgehalten.
Im Gegenteil: Der Neuling wurde mit Begeisterung willkommen geheißen. Zur Eröffnung ließ sich Bürgermeister Peter Todeskino mit der Kaufland-Leitung sogar unter einem maritimen Witzchen fotografieren: „Ahoi. Kaufland ist da!“ Bundestorwarttrainer Andreas Köpke war für eine Autogrammstunde engagiert. Beim Gewinnspiel gab es einen Kleinwagen zu gewinnen. Die Lokalzeitung freute sich: „Das Einkaufen in Mettenhof wird noch vielfältiger.“ Eine Eröffnung nach Maß.
Kaufland ruht sich nicht aus
Der Discount-Riese kommt aber auch, wenn er nicht so freundlich empfangen wird. So wie im Stadtteil Fechenheim in Frankfurt am Main. Über 5.000 Quadratmeter soll der Markt in einem ehemaligen Industriegebiet groß werden. Auf dem Bauschild steht: „Kaufland kommt!“, die Vorstufe von „Kaufland ist da!“ Mehr Aggregratzustände kennt man in Neckarsulm nicht.
Die Stadt Frankfurt war alles andere als begeistert. Sie änderte den Bebauungsplan und ging sogar vor Gericht, um Kaufland fernzuhalten. „Großflächiger Einzelhandel kann unserer Auffassung nach den Einzelhandel in den Ortskernen und Statteilzentren beeinträchtigen“, sagt Mark Gellert, Sprecher des Frankfurter Planungsdezernats. Nächstes Jahr wird sich zeigen, ob die Bedenken berechtigt waren. Die Stadt hat das Verfahren vor Gericht verloren. Der Antrag zum Bau des Riesensupermarkts war eingegangen, als noch die alte Bauzulassungsverordnung aus den 60er Jahren galt. Damals hat keiner daran gedacht, dass irgendwann Riesensupermärkte an den Stadtrand gebaut werden könnten. Also hat es auch niemand verboten.
Die Änderung der Stadt kam zu spät. Im August war in Fechenheim offizieller Baubeginn.
So unterschiedlich die beiden Reaktionen auf die Pläne der Handelskette sein mögen, eines haben die Projekte gemeinsam: Die Märkte entstehen in Regionen, wo Kaufland bislang kaum vertreten ist. 639 Filialen umfasst das Netz derzeit deutschlandweit. Nächstes Jahr sollen es 650 sein. Vor allem im Osten hat die Lidl-Schwester nach der Wende stark expandiert und ist zur beliebtesten Lebensmittelkette aufgestiegen – noch vor Aldi. In Schleswig-Holstein und im Großraum Frankfurt gibt es Nachholbedarf. Wenn die neuen Läden dort erstmal laufen, werden sie wohl kaum die einzigen bleiben.
„Aus den Jahren 2009 und 2010 wissen wir, dass [Kaufland] in der Lage ist, mehr als 20 Standorte pro Jahr zu eröffnen“, erklärt Karsten Burbach, Handelsexperte und Managing Director bei der Frankfurter Immobilienberatung CBRE im Gespräch mit Krautreporter. Wenn ein neuer Standort Potenzial verspreche, schlage das Unternehmen zu. „Nach meinem Eindruck werden derzeit alle wirtschaftlich sinnvollen Gelegenheiten genutzt.“ Die Zahl der Neueröffnungen schwankt zwar von Jahr zu Jahr und ist zuletzt wieder leicht zurückgegangen. Aber Kaufland macht nicht den Eindruck, sich lange ausruhen zu wollen.
Im Gegenteil: Weil große Standorte immer schwerer zu kriegen sind, wird das Unternehmen anpassungsfähiger. Anstatt auf Mindestflächen und Top-Lagen zu bestehen, kommen auch Standorte in die engere Wahl, bei denen anderen Ketten die Kosten zu hoch wären. Weil sie dort nicht ihr Standardkonzept unterbringen können oder der Umbau teuer ist. „Kaufland ist nicht nur was die Fläche, sondern auch, was die Standorte und Sortimentgrößen betrifft, im Rahmen der Anforderungen recht flexibel“, erklärt Burbach.
Die Kette übernimmt Standorte, an denen die Konkurrenz gerade erst gescheitert ist, baut ehemalige Warenhäuser für ihre Zwecke um, und wenn auf der grünen Wiese kein attraktiver Platz zu haben ist, zieht Kaufland neuerdings auch mitten in die Stadt.
Die Städte prüfen genau, bevor sie großflächigen Einzelhandel genehmigen.
Karsten Burbach, CBRE
In Straubing hat sich das Unternehmen die frühere Real-Filiale gesichert; in Wuppertal-Vohwinkel ersetzt Kaufland die ehemalige Eissporthalle, an deren Platz 2015 ein Einkaufscenter rückt; in Remscheid-Lennep zieht Kaufland ins leerstehende Hertie-Haus; in Erkner bei Berlin ist Kaufland Teil des umgebauten City Centers; im Einkaufszentrum Palais Vest in Recklinghausen ist Kaufland größter Mieter; in Heiligenhaus und Neuss kommt Kaufland ins Fachmarktzentrum. Und das sind nur ein paar der Projekte, die derzeit deutschlandweit verfolgt werden.
Keine schlechte Bilanz dafür, dass viele Kommunen eigentlich erstmal skeptisch sind, wenn ein Discount-Riese vor der Tür steht. „Unser Eindruck ist, dass die Städte seit einigen Jahren sehr genau prüfen, bevor sie den so genannten großflächigen Einzelhandel genehmigen“, sagt Burbach. Weil der Einfluss auf umliegende Geschäfte erheblich sein kann.
Jobcenter und Supermarkt unter einem Dach
Umso erstaunlicher ist, wie leicht es für Kaufland war, in Mettenhof Fuß zu fassen. Und das, obwohl Kiel in seinem Stadtentwicklungskonzept von 2011 zu dem Schluss gekommen war, „kleine Vollversorger und Geschäfte in den gewachsenen Stadtteilen“ hätten „seit Jahren Schwierigkeiten, sich am Markt zu behaupten“. Ziel müsse es deshalb sein, die Zentren „mit allen Mitteln zu stabilisieren und die Konkurrenz außerhalb der Stadtteile zu begrenzen“.
Dennoch ist der riesige Neubau am Skandinaviendamm durchgewunken worden. Sogar den Bebauungsplan hat die Stadt dafür geändert und mit dem Vorbesitzer des Grundstücks, dem Immobilienfonds Arsago Wohnen, einen entsprechenden städtebaulichen Vertrag geschlossen. Man wollte das „Zentrum als ‘Nerv’ des gesamten Stadtteils“ weiterentwickeln. Im November 2013 kassierte das Oberverwaltungsgericht Schleswig den Plan wieder ein. Das Gericht erklärte, es habe nicht erkennen können, dass die Stadt die „Auswirkungen auf den Einzelhandel im Stadtteil Mettenhof und im übrigen Stadtgebiet analysiert und abgewogen hat“. Das Argument, mit dem Neubau werde das Stadtteilzentrum gestärkt, sei „undifferenziert“.
Da hatte die SIV Immobilien-Holding, die ebenfalls zum Kaufland-Konzern gehört, das Grundstück und die Federführung längst übernommen. Weitergebaut werden durfte trotzdem. Auch ohne gültigen Bebauungsplan, wie die Kieler Verwaltung triumphierend mitteilte. Auch die Stadt wollte von dem Neubau profitieren. Vor der Genehmigung war ausgehandelt worden, dass in dem neuen Markt nicht nur Platz für eine Sozialstation sein müsse, sondern auch für Bürgeramt, Ordnungsamt und Jobcenter. Wenige Wochen nach der Eröffnung erfolgte der Umzug.
Die Stadt Kiel ist jetzt also Mieter in einem Riesensupermarkt, dessen Genehmigung ebenso rätselhaft wie umstritten ist, während das Jobcenter sich rühmt, bei seinem neuen Vermieter 80 „Kunden“ in Anstellung gebracht zu haben.
Erst auf mehrmalige Nachfrage rückt die Pressestelle mit den Details dieser Konstellation heraus. Sprecher Joachim Kläschen erklärt: „Das Mietverhältnis wurde auf zehn Jahre geschlossen. Das Mietverhältnis gilt auch für das Jobcenter. Es gibt eine einseitige Option der Verlängerung auf Seiten der Stadt für zweimal fünf Jahre.“
Dass Handelsunternehmen sich anstrengen, Genehmigungen zu beschleunigen, indem sie zusichern, etwas fürs Gemeinwohl zu tun, ist nicht ungewöhnlich. Wie eng sich die Stadt Kiel an Kaufland gebunden hat, aber schon.
Für ein persönliches Gespräch zum Thema steht der Bürgermeister Peter Todeskino (Bündnis 90/Die Grünen) auf Anfrage nicht zur Verfügung.
Die Stadt konzentriert sich lieber auf die guten Nachrichten: Im März nahm Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) vor dem nagelneuen MEZ-Erweiterungsbau in Mettenhof strahlend einen Scheck für den neuen „Mettenhoffonds“ entgegen, mit dem soziale Projekte im Stadtteil finanziert werden sollen.
Erster Großspender mit 30.000 Euro war: Kaufland. „Ein warmer Geldregen“, meint das Stadtoberhaupt.
Gegen den Willen der Anwohner
Seine Expansion lässt sich der Billigkönig unter den SB-Warenhäusern einiges kosten. Am Ende müssen eh die anderen bezahlen. Mit einem Niedrigpreisangebot nach dem nächsten gibt Kaufland den Mitbewerbern in Kiel zu verstehen, wer jetzt hier das Sagen hat. Draußen am Eingang werden Kunden mit Billigbratwurst gelockt. Drinnen werden die Aktionsangebote erst gar nicht aus der Verpackung von der Palette gehoben, so schnell sind die um 50 Prozent reduzierten Marmorkuchen und Nutella-Gläser wieder weggekauft. Dagegen muss sich der eilig renovierte Famila-Markt (PDF) nebenan erstmal dauerhaft zur Wehr setzen.
Billigwürstchen zur Stärkung? Der Kaufland-Imbiss in Kiel versorgt hungrige Kunden. Foto: psr
Es ist nicht unüblich, dass die Vorarbeit für Kaufland von Dritten erledigt wird. In Kiel war es der Investor, in Mönchengladbach ist es eine Baufirma. Seit der Pleite der Baumarktkette Praktiker ist dort im Stadtteil Holt ein großes Areal ungenutzt. Die Gladbacher Baugesellschaft Jessen will den Baumarkt abreißen und für Kaufland neu bauen – gegen den Willen der Anwohner. Viele befürchten einen Verkehrskollaps, weil die Straßen nicht für den Betrieb eines SB-Warenhauses mit hoher Kundenzahl ausgelegt seien. Gutachten sollten das Gegenteil belegen. Aber die Leute trauen den Beschwichtigungen nicht.
Die Ladenbesitzer, Handwerksbetriebe und Gastronomen auf der Aachener Straße fürchten, dass sie dicht machen können, wenn nebenan ein 5.000-Quadratmeter-Haus eröffnet. Gar nicht mal, weil dann die Stammkundschaft überlaufe, meint Thomas Peters von der Werbegemeinschaft „Holt hat’s“, in der sich die Ladenbetreiber zusammengeschlossen haben. „Wir befürchten aber, dass die Leute wegbleiben, weil hier ständig Stau sein wird.“ Vor ein paar Jahren sei die Straße neu gemacht worden. „Das hatte massive Auswirkungen auf fast alle Geschäfte.“
Die Stadt zeigt sich von den Protesten unbeeindruckt. Der nicht wiedergewählte Oberbürgermeister der Stadt, Norbert Bude (SPD), unterschrieb den Bauvorbescheid wenige Tage vor seinem Amtsende. Ein Bebauungsplanverfahren, in dem Pläne öffentlich ausgelegt und Einwände diskutiert hätten werden müssen, gab es nicht. Seit vergangenem Jahr arbeitet der ehemalige Leiter des Bauordnungsamtes für die Firma, die für Kaufland bauen will. Die Opposition tobt. Anwohner und Gewerbetreibende klagen gegen die Stadt. Eine verfahrene Situation.
Kaufland will trotzdem im nächsten Jahr eröffnen. Es wäre der erste Markt in Mönchengladbach, dem Sitz des Hauptkonkurrenten Real, der mit seinen Läden gerade alles andere als erfolgreich ist. Noch so eine Ansage an die Konkurrenz.
Irgendwoher muss das Wachstum kommen
Dass Kaufland so sehr Tempo macht, hat einen einfachen Grund: Der ebenfalls zur Schwarz-Gruppe gehörende Discounter Lidl ist mit seiner Expansion bereits so weit fortgeschritten, dass es zunehmend schwerer wird, neue Standorte zu finden, die sich lohnen würden. Kaufland kämpft in einer anderen Gewichtsklasse und greift Lidl mit dessen viel überschaubareren Sortiment nicht direkt an. Da geht noch was.
Das ist eine beispiellose Machtverschiebung im europäischen Einzelhandel.
David Gray, Planet Retail
Seit dem vergangenen Jahr gehört der Discount-Konzern aus Deutschland neben Walmart und Costco aus den USA sowie Carrefour aus Frankreich zu den vier größten Einzelhändlern der Welt. Ein Jahr zuvor hatte Schwarz den Wirtschaftsprüfern von Deloitte zufolge noch den sechsten Platz belegt. Damit ist die Allianz aus Lidl und Kaufland international größer als Aldi, größer als die deutsche Metro, sogar größer als die umtriebige Supermarktkette Tesco aus Großbritannien. Die Forscher der Handelsberatung Planet Retail gehen davon aus, dass Schwarz bis 2018 auch Carrefour überholt haben und dann Europas größter Handelskonzern sein wird – mit einem geschätzten Umsatz von 80 Milliarden Euro.
„Das ist eine beispiellose Machtverschiebung im europäischen Einzelhandel, angetrieben von dem unaufhaltsamen Wachstum der Ladenformate in Westeuropa“, urteilt David Gray von Planet Retail.
Irgendwoher muss dieses Wachstum kommen. Aus dem Ausland, natürlich. Um sich aber auch in Deutschland weiter ausbreiten zu können, bietet sich die Schwarz-Tochter Kaufland Kommunen zunehmend als Verbündeter an. Wo es lädierte Innenstädte zu renovieren gibt, Stadtteilzentren umzubauen oder heruntergekommene Quartiere aufzuhübschen, ist Kaufland im Spiel. Man führe „regelmäßig konstruktive Gespräche mit den jeweils zuständigen Stadtverwaltungen“, erklärt das Unternehmen auf Krautreporter-Anfrage – mehr aber auch nicht. Ein Interview mit der Expansionsleitung wird abgelehnt.
Ein Riesen-Discounter als Tor zur Stadt
Im Herner Stadtteil Wanne steht eine der nächsten Eröffnungen an, rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft. „Wir erhoffen uns durch die Etablierung von Kaufland eine klare Belebung der Hauptstraße in die Innenstadt hinein“, sagt Achim Wixforth, Leiter des Fachbereichs Stadtplanung und Bauordnung. Die Wanner Innenstadt habe bislang gravierende Probleme, ihrer Versorgungsfunktion nachzukommen. Anders gesagt: Es gab einfach zu wenig Platz für neue Supermärkte. „Das ist ein Problem, das viele Städte mit hochverdichteten Quartieren haben.“
Mit großem Aufwand und Fördermitteln von Land, Bund und EU wurde in den zurückliegenden Jahren die komplette Wanner Innenstadt saniert. Am Glückaufplatz, sozusagen dem Eingangstor zur Stadt, sitzt Kaufland.
Vorher war dort ein altes Parkhaus, eine typische Bausünde längst vergangener Zeiten. Der hässliche Betonbunker stand schon länger leer. Kein schöner Anblick. Wixforth sagt: „Dadurch wird ein ganzes Quartier in Mitleidenschaft gezogen. Deswegen waren wir froh, dass ein Unternehmen Interesse zeigt, das auch die Wirtschaftskraft mitbringt, solche Objekte überhaupt abzureißen, um ein neues Projekt zu entwickeln.“
Viele Gewerbetreibende erhoffen sich einen Aufschwung.
Achim Wixforth, Stadt Herne
Einen möglichen Einfluss von Kaufland auf andere Stadtteile habe man geprüft. „Wir sind aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine zentrenunverträglichen Kaufkraftumlenkungen geben wird.“ Weil es auch gar nicht mehr viel gibt, von dem umgelenkt werden könnte. Am Glückaufplatz standen zahlreiche Läden leer. „Deshalb erhoffen sich viele Gewerbetreibende eher einen Aufschwung“, sagt Wixforth. Es ist ein entscheidendes Argument, das Kaufland auf seiner Seite hat, wenn die Verhandlung mit den Kommunen und die Überzeugungsarbeit bei Anwohnern und Gewerbetreibenden aus der Nachbarschaft beginnt. So wie in Essen-Borbeck.
Reinfahren, einkaufen, rausfahren
Der Stadtteil mit seinen 13.600 Einwohnern liegt im Nordwesten der Stadt und ist umzingelt von Einkaufszentren, die mit dem Auto in wenigen Minuten erreichbar sind. Vor fünf Jahren hat Hertie sein Kaufhaus mitten in der Fußgängerzone dichtgemacht. Stehen blieb ein riesiger grauer Kasten, in dem zeitweilig eine Drogeriekette untergebracht war. Aber zum Einkaufen sind immer weniger Leute gekommen. Dann meldete Kaufland Interesse an und ersetzte das alte Warenhaus durch einen modernen Neubau, mit dem die Hoffnung verknüpft war, dass es mit der Fußgängerzone wieder bergauf gehen könnte.
Die anfängliche Begeisterung ist ein Stück weit der Ernüchterung gewichen.
Im ehemaligen Hertie-Kaufhaus in Borbeck hat sich Kaufland auf zwei Geschossen ausgebreitet. Foto: psr
„Die überwiegende Mehrzahl der Kunden fährt unten mit dem Auto rein, geht einkaufen und fährt mit dem Auto wieder raus“, sagt ein Gewerbetreibender aus Borbeck über den Riesen-Discounter. „Und wer zu Fuß mit zwei Taschen rauskommt, geht danach auch nicht mehr groß in der Innenstadt shoppen.“
Lieber Kaufland als eine Ruine mitten in der Stadt.
Ladenbetreiberin aus Essen-Borbeck
Schlecht reden mag in Borbeck aber niemand über Kaufland. „Ich sag ja nichts Falsches?“, versichert sich eine Ladenbetreiberin, bevor sie am Telefon erzählt, wie das jetzt ist: An schönen Sommertagen profitieren die Gastronomen von den langen Kaufland-Öffnungszeiten bis 22 Uhr, weil manche Kunden sich dann doch mal raus setzen und ein Bier trinken. Allerdings profitieren auch die Jugendlichen, die spät abends bei Kaufland ihr Bier kaufen, sich in die Fußgängerzone setzen und dann für Unruhe sorgen. Die Ladenbetreiberin sagt: „Mir ist das lieber als eine Ruine mitten in der Stadt.“ Ein anderer meint: „Wenn irgendwo Leerstand ist, ist schnell auch Leerstand daneben.“
„Kaufland – Hier bin ich richtig!“, heißt der Slogan, mit dem die Discount-Kette wirbt. In Borbeck ginge aber auch: „Kaufland – Besser als gar nichts!“
Die Kunden haben sich umgewöhnt
Als Stolberg im Rheinland seine Kaufland-Filiale genehmigte, glaubte die Politik, dadurch auch Leute wieder in die Stadtmitte zu locken. Das hat nicht funktioniert. Sechs Jahre nach der Eröffnung haben sich viele Kunden grundlegend umgewöhnt. Aus dem Steinweg, der früheren Hauptschlagader von Stolberg, hat sich der Betrieb an den Rand verlagert.
Die Ladeninhaber in der Innenstadt hatten damals gegen die Entscheidung protestiert, so wie Theo Reinartz mit seinem Rewe-Markt. „Aber das wollte damals keiner hören“, sagt er. „Uns wurde vorgeworfen, wir wären nur an unserem eigenen Geschäft interessiert. Natürlich will ich, dass mein Laden läuft – ich bin Kaufmann! Aber die Konsequenzen haben nicht interessiert.“ Nachdem Kaufland da war, fehlten Reinartz im Zentrum erst die Kunden, dann die Umsätze und schließlich die Lust. Im Frühjahr 2013 machte er seinen Supermarkt in der Stadthallen-Passage dicht. „Das hat die Politik natürlich gestört – aber erst, als schon sämtliche Entscheidungen getroffen waren“, meint der Kaufmann.
In wenigen Wochen schließt auch das in der Region bekannte Kaufhaus Victor im Steinweg. Es lohnt sich einfach nicht mehr. Mag sein, dass daran nicht allein Kaufland schuld ist. Aber vermutlich hat der neue Anziehungspunkt die Entwicklung beschleunigt.
Seinen Rewe-Markt hat Reinartz längst an einem neuen Standort im nahegelegenen Eilendorf wieder aufgemacht, weit genug weg. Der Markt ist nicht mehr mitten in der Stadt, aber modern eingerichtet und mit genügend Parkplätzen vor der Tür. „Wir haben hier ein Publikum, das nicht so stark auf den billigsten Preis schaut und es zu schätzen weiß, dass wir uns im Ort engagieren. Wir unterstützen zahlreiche Vereine, und sei es nur mit Kleinigkeiten. Aber wir signalisieren: Wir sind immer für euch ansprechbar! Und das wird hier sehr stark honoriert“, sagt der selbstständige Rewe-Händler im Gespräch mit Krautreporter und hofft, dass das so bleibt.
Im nächsten Jahr macht im Nachbarort Würselen ein neuer riesiger Lebensmittelmarkt auf. Bauschild gibt es noch keins. Aber es steht schon fest, was darauf zu lesen sein wird:
Kaufland kommt!
Fotos: Peer Schader
Dank an die Hinweisgeber: Arthuro, Jonas K., Sascha, Bastian, Mark, David, Toto, Maya, JMK, Stefan u. a. aus dem Supermarktblog.