Auf den Vorwurf, die Bundeswehr sei mit ihren Pannen-Flugzeugen, defekten Marinehubschraubern, Panzern in der Werkstatt und anderen Mängeln derzeit nicht voll einsatzbereit, hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in diesem Herbst eine Standardantwort parat: Mit weltweit 17 Einsätzen beweise die Truppe doch Tag für Tag, dass sie ihre Aufgaben erfüllen könne.
Das ist formal richtig, aber ebenso irreführend. Denn bei der Berechnung der Ministerin zählt mitunter ein einziger Mann: Die Abordnung eines einzelnen Logistik-Feldwebels zur EU-Mission im Kongo, die das Land bei der Reform seiner Sicherheitskräfte berät, gilt genauso als Einsatz wie das (noch) mehr als anderthalbtausend Frauen und Männer starke Kontingent in Afghanistan.
Insgesamt rund 3.500 Soldatinnen und Soldaten sind nach den offiziellen Zahlen des Verteidigungsministeriums Mitte Oktober in diesen 17 Einsätzen unterwegs. Was als „Einsatz oder einsatzgleiche Mission“ gilt, ist juristische wie politische Auslegungssache: Die zwei Berater bei der (zivilen) UN-Mission in Afghanistan werden mitgerechnet, die vier Eurofighter im Baltikum nicht.
Und frühere Missionen wie die Evakuierung von EU-Bürgern aus Libyen 2011 erklärte die Bundesregierung schon mal im Nachhinein zur militärisch gesicherten Dienstreise, um nicht die Zustimmung des Bundestages zu einem bewaffneten Einsatz einholen zu müssen.
Was sind denn nun die 17 Einsätze, die von der Leyen immer wieder nennt? Wir haben mal genauer hingeschaut:
1. Afghanistan: ISAF
Der Einsatz in Afghanistan begann Ende 2001 und ist die derzeit größte und bekannteste Mission der Bundeswehr. Derzeit sind dort rund 1.600 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt, davon etwa 1.300 in Masar-i-Scharif im Norden des Landes. Weitere 230 Soldaten sind in der Hauptstadt Kabul stationiert. In Termez im nördlichen Nachbarland Usbekistan betreiben rund 100 Soldaten einen „Strategischen Lufttransportstützpunkt“ zur Unterstützung der Mission. Seit gut einem Jahr haben sich die Deutschen aus der Fläche im Norden Afghanistans zurückgezogen und sind dort nur noch im Camp Marmal bei Masar-i-Scharif präsent.
Der von der NATO geführte Einsatz der „International Security Assistance Force“ (ISAF) endet am 31. Dezember dieses Jahres; ab Januar 2015 soll das internationale Militärengagement als „Resolute Support Mission“ fortgeführt werden: Die dann deutlich weniger Soldaten der internationalen Truppen sollen die afghanische Armee und die Polizei beraten, selber aber nicht mehr in Kämpfe eingreifen. Die Bundeswehr plant für die nächsten zwei Jahre 600 bis 800 Soldaten am Hindukusch einzusetzen.
2. Afghanistan: UNAMA
Zu der zivilen UN-Mission in Afghanistan (United Nations Assistance Mission in Afghanistan/UNAMA) sind zurzeit zwei deutsche Soldaten abgeordnet.
3. Kosovo: KFOR
Der letzte Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan ist zugleich die längste Mission der deutschen Streitkräfte: Seit dem Einmarsch von NATO-Truppen in die damalige serbische Provinz Kosovo im Juni 1999 sind deutsche Soldaten dort präsent. Inzwischen unterstützt KFOR (Kosovo Force) vor allem die Polizisten der europäischen Rechtsstaats- und Polizeimission EULEX und patrouilliert gemeinsam mit kosovarischen Sicherheitskräften und serbischen Truppen an der Grenze zu Serbien – die allerdings ebenso wie der Kosovo als Staat noch nicht einmal von allen EU-Staaten anerkannt ist. Rund 670 Bundeswehrsoldaten sind noch im Kosovo stationiert, und ungefährlich ist es nicht immer: 2011 kam es dort zu schweren Ausschreitungen serbischer Nationalisten, bei denen deutsche Soldaten angeschossen wurden. Auch im Sommer 2012 standen deutsche und US-Truppen gewalttätigen Demonstranten gegenüber.
4. Türkei: Active Fence Turkey
Der NATO-Einsatz im Süden der Türkei findet praktisch in (Radar-)Sichtweite der syrischen Grenze statt: Aus Furcht vor Raketenangriffen, beabsichtigt oder fehlgeleitet, aus dem Nachbarland Syrien hatte das NATO-Mitglied Türkei 2012 die Allianz gebeten, Flugabwehrsysteme zum Schutz von Ballungsgebieten zu stationieren. An der Mission beteiligen sich neben Deutschland mit knapp 260 Soldaten die USA und die Niederlande. Die niederländischen Einheiten sollen aber im Januar 2015 abgezogen werden.
5. Südsudan: UNMISS (United Nations Mission in South Sudan)
Im jüngsten Staat der Erde sind zurzeit 16 deutsche Soldaten Teil der UN-Mission, die mit Beobachtern die gewaltsamen Auseinandersetzungen der verschiedenen Ethnien eindämmen soll. Der Südsudan gilt allerdings - im Schatten der anderen geopolitischen Krisen - als das Land, in dem in absehbarer Zeit die internen Auseinandersetzungen die schlimmsten Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung haben werden.
6. Sudan: UNAMID (Darfur)
Die „United Nations-African Union Hybrid Mission in Darfur“ überwacht seit 2007 ein Friedensabkommen für die sudanesische Provinz und den Fortgang der weiteren Friedensverhandlungen, um die sich die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union bemühen. Die Bundeswehr hat dorthin zurzeit elf Soldaten entsandt, vor allem Technik-Experten zum Beispiel für den Flugbetrieb der Blauhelmtruppe.
7. Mittelmeer: Operation Active Endeavour (OAE)
Die Marine-Mission „Operation Active Endeavour“ ist für die Bundeswehr das letzte Überbleibsel des NATO-Bündnisfalls, den die Allianz nach den 9/11-Anschlägen in New York und Washington ausgerufen hatte (selbst der Einsatz in Afghanistan fußt auf einem gesonderten UN-Mandat und nicht auf dem NATO-Bündnisfall). Aufgabe der Mission ist die Überwachung und Erfassung des Schiffsverkehrs im Mittelmeer im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, also in erster Linie die Sammlung von Daten. Anfang dieses Jahres beschloss die Bundesregierung, dass Deutschland sich nur noch eingeschränkt an dieser Mission beteiligt: In der Regel werden „Active Endeavour“ nur vorübergehend Schiffe unterstellt, die auf dem Weg zu anderen Einsätzen wie UNIFIL oder Atalanta (siehe unten) ohnehin das Mittelmeer passieren. Mitte Oktober waren knapp eine Woche lang 214 Soldaten für diese Mission gemeldet, ein paar Tage später kann diese Zahl wieder auf Null fallen.
8. Mittelmeer/Libanon: UNIFIL (United Nations Interim Forces in Lebanon)
Nach dem Krieg zwischen Israel und dem Libanon im Sommer 2006 dehnten die Vereinten Nationen den Aufgabenbereich ihrer bereits Jahrzehnte alten Mission UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon) von der Landgrenze beider Staaten auf das Mittelmeer aus. Die Kriegsschiffe im ersten Marine-Einsatz unter Kommando der Vereinten Nationen sollen vor allem den Waffenschmuggel über See in den Libanon verhindern. Darüber hinaus unterstützt vor allem Deutschland den Aufbau einer libanesischen Marine und einer Radar-Überwachung der Küste. Die Bundeswehr beteiligt sich derzeit mit rund 140 Soldaten auf einer Korvette und an Land an dem Einsatz.
9. Somalia: Operation Atalanta
Neben der Afghanistan-Mission war der Anti-Piraterie-Einsatz der Europäischen Union vor der Küste Somalias zeitweise der bekannteste Auslandseinsatz der Bundeswehr – vor allem, wenn in den vergangenen Jahre deutsche Handelsschiffe von somalischen Piraten gekapert wurden. Inzwischen ist die Zahl der Angriffe der Seeräuber in dieser Region drastisch zurückgegangen, was sowohl an dem Einsatz von Kriegsschiffen verschiedener Bündnisse liegt (neben der EU-Mission Atalanta sind dort auch die NATO und eine US-geführte Koalition unterwegs, ebenso eigenständig andere Nationen wie Japan, China oder Indien) als auch an den zunehmenden bewaffneten Sicherheitsmannschaften auf den Frachtern und Tankern. Die Deutsche Marine beteiligt sich derzeit mit 291 Soldaten an der Mission.
10. Somalia: EUCAP Nestor
Dem Kampf gegen die Piraterie vor der Küste Somalias dient auch die gemischte zivil-militärische EU-Mission „EUCAP Nestor“ (European Union Regional Capacity Building for the Horn of Africa and the Western Indian Ocean), deren Einsatzbereich neben Somalia selbst die Nachbarländer Dschibuti, Tansania und die Seychellen umfasst. Die Experten, unter ihnen derzeit zwei deutsche Soldaten, sollen diese Staaten beim Aufbau einer eigenen Kontrolle ihrer Seegebiete unterstützen.
11. Somalia: EU-Trainingsmission Somalia (EUTM Somalia)
Die dritte EU-Mission in Somalia dient dem Aufbau und dem Training einer eigenständigen Armee im Bürgerkriegsland Somalia. Seit Anfang dieses Jahres findet das Training in der somalischen Hauptstadt Mogadischu statt, nachdem zuvor aus Sicherheitsgründen die somalischen Soldaten in ein Ausbildungscamp in Uganda gebracht worden waren. Die Bundeswehr ist an dieser Mission zurzeit mit vier Soldaten beteiligt.
12. Mali: EUTM MALI (EU-Trainingsmission Mali)
Nach dem Eingreifen der französischen Armee in die Auseinandersetzung zwischen militanten Islamisten im Norden Malis und der malischen Regierung 2013 übernahm die Europäische Union die Aufgabe, die marode Armee des afrikanischen Landes zu trainieren. In Koulikoro in einer vergleichsweise sicheren Region Malis bilden europäische Soldaten Infanteristen und Pioniere aus. Die Bundeswehr stellt dort ein Feldlazarett und Ausbilder für die Pioniere, zurzeit rund 150 Soldaten.
13. Mali: MINUSMA (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali)
Den nach wie vor unruhigen Norden Malis soll - nach dem weitgehenden Abzug der französischen Soldaten - eine internationale Friedenstruppe vor allem afrikanischer Staaten unter dem Kommando der Vereinten Nationen sichern. Die Bundeswehr hatte sich vorübergehend mit Transportflugzeugen daran beteiligt; die Vereinten Nationen verzichteten jedoch in diesem Sommer auf das deutsche Angebot, weil die veralteten Transall-Maschinen der deutschen Luftwaffe ihre Ansprüche nicht erfüllen konnten. Derzeit sind sieben deutsche Soldaten im Stab der MINUSMA-Operation eingesetzt. Bei Bedarf können aber auf Wunsch der UN erneut Transportflugzeuge zur Verfügung gestellt werden; außerdem würde die Bundeswehr wie schon zuvor ein Tankflugzeug bereitstellen, das französische Kampfjets in einem Einsatz zur Unterstützung von MINUSMA in der Luft betanken kann.
14. Zentralafrikanische Republik: EUFOR RCA
Auch in der Zentralafrikanischen Republik sind Soldaten aus Frankreich und eine UN-Schutztruppe vor allem aus afrikanischen Nachbarländern im Einsatz, die nach Gewaltausbrüchen zwischen muslimischen und christlichen Volksgruppen weitere Massaker verhindern sollen. Die Europäische Union unterstützt das mit einer Mission, die vor allem den Flughafen der Hauptstadt Bangui absichert. Deutschland hat dafür neben Lufttransport mit gecharterten Zivilflugzeugen und, im Notfall, Hilfe bei der Evakuierung von Verwundeten derzeit 4 Soldaten entsandt, die im Stab in Bangui arbeiten. Die Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik hält unverändert an; Mitte Oktober wurde ein pakistanischer Soldat der UN-Friedenstruppe erschossen.
15. Westsahara: MINURSO
Bereits seit 1991 läuft die „Mission des Nations Unies pour l’organisation d’un référendum au Sahara occidental“ (MINURSO), Mission der Vereinten Nationen für die Organisation eines Referendums in der West-Sahara. Deutschland hatte sich schon in den 1990-er Jahren mit Polizeibeamten daran beteiligt. Inzwischen ist von dem Referendum, in dem es um die Zugehörigkeit der einstigen spanischen Kolonie zum Nachbarland Marokko gehen sollte, keine Rede mehr, aber die UN-Mission wird weiterhin regelmäßig verlängert. Die Bundeswehr beteiligt sich seit einem Jahr an MINURSO und stellt derzeit vier Soldaten als Militärbeobachter.
16. Kongo: EUSEC RD CONGO
In der Demokratischen Republik Kongo beraten Experten der Europäischen Union seit 2005 die kongolesischen Streitkräfte bei Reformen – was mit ganz simplen, aber wichtigen Dingen wie einem System für die Zahlung des Solds anfing. Die „European Union Security Sector Reform Mission in the Democratic Republic of the Congo“ (EUSEC RD Congo) soll im Dezember beendet werden; dann endet auch der Einsatz des letzten deutschen Soldaten in dieser Mission, eines Logistik-Feldwebels.
17. Bereitschaft in Deutschland: Strategischer Verwundeten-Lufttransport
Die gesicherte, schnelle Heimholung von verwundeten deutschen Soldaten ist Voraussetzung für alle Einsätze der Bundeswehr – wird von Verteidigungsministerium und Truppe aber als eigener Einsatz geführt. Für den so genannten „Strategischen Verwundeten-Lufttransport“, nach der englischsprachigen Bezeichnung „Strategic Air Medical Evacuation“ als „StratAirMedEvac“ abgekürzt, wird auf dem Flughafen Köln/Bonn ein Airbus A310-Transportflugzeug mit medizinischer Sonderausrüstung in Bereitschaft gehalten.
Die Maschine hat sechs Betten für Intensivpatienten an Bord, zudem 38 weitere Betten für liegende Patienten. Eine bis zu 25-köpfige Spezialistenmannschaft aus Ärzten und medizinischem Personal wird je nach Situation kurzfristig für eine Evakuierung zusammengestellt. Insgesamt stehen für den Einsatz rund 40 Soldaten in Bereitschaft.
… und weitere Einsätze?
Und die Truppe muss sich möglicherweise auf neue Einsätze vorbereiten. Politisch umstritten ist eine Überwachungsmission für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ost-Ukraine: Deutschland und Frankreich haben angeboten, einen Waffenstillstand zwischen der Regierung in Kiew und den pro-russischen Separatisten mit Drohnen zu überwachen. Allerdings besteht vor allem Deutschland darauf, die Bedienmannschaften der unbemannten Flieger mit Fallschirmjägern zu schützen – das dürfte nicht nur auf russischen Widerstand stoßen, sondern wäre auch in der Geschichte der unbewaffneten OSZE-Missionen eine Neuerung. Deshalb ist noch völlig ungeklärt, ob ein solcher Einsatz tatsächlich zu Stande kommt.
Die Verteidigungsministerin hatte außerdem Anfang Oktober angekündigt, Deutschland plane, in Erbil im Nordirak ein Trainingszentrums für kurdische Kämpfer aufzubauen und zu betreiben. Neben der politischen Klärung wird da das Votum der Juristen entscheidend sein: Eine solche Mission wäre nicht in das vom Grundgesetz geforderte „System kollektiver Sicherheit“ eingebunden, sondern Bestandteil der US-geführten internationalen Koalition im Kampf gegen die islamistische ISIS. Was daraus wird, ist derzeit völlig offen.
Dass sich deutsche Soldaten in der Bekämpfung des Ebola-Virus in Westafrika engagieren, ist dagegen sicher. Allerdings hatte von der Leyen dafür um Freiwillige geworben – welchen rechtlichen Status diese Mission hat, ob es überhaupt ein Bundeswehreinsatz ist, ist ebenfalls noch ungeklärt. Denn was wie bürokratische Haarspalterei klingt, hat für die Soldaten, die nach Westafrika gehen, möglicherweise harte Konsequenzen – bis hin zu Rentenzahlungen, wenn sie bei dieser Mission erkranken und dauerhafte Schäden zurückbleiben.
(Korrektur: In einer früheren Version hieß es, dass im Kosovo bei Auseinandersetzungen 2012 deutsche Soldaten angeschossen wurden. Dieser Vorfall ereignete sich beeits 2011. Ich bitte um Entschuldigung.)
Titelfoto: Bundeswehrsoldaten bei einer Vorführung für die Verteidigungsministerin in Masar-i-Scharif/Afghanistan im Dezember 2013 - Foto Thomas Wiegold
(Alle Bundeswehrfotos hier stehen unter CC-BY-NC-ND-Lizenz mit Freigabe für redaktionelle Verwendung)