Als Bürgerrechtler in der DDR war Roland Jahn von der Überwachung durch die Geheimpolizei direkt betroffen. Wie beurteilt er die Tätigkeiten der NSA?
Aus dem Archiv

Interview: „Ob etwas schlimm ist, muss jeder subjektiv für sich wahrnehmen“

In Kooperation mit Krautreporter entsteht im Oktober wöchentlich eine Sendung von „Jung und Naiv - Politik für Desinteressierte“ auf dem TV-Sender joiz. Erster Gast war Roland Jahn, Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Als Bürgerrechtler in der DDR war er von der Überwachung durch die Geheimpolizei direkt betroffen. Wie beurteilt er die Tätigkeiten der NSA?

Profilbild von Interview von Tilo Jung

https://www.youtube.com/watch?v=X7-h2wvOzi8

Wer bist du? Was machst du so?

Ich bin Roland Jahn und habe durchaus einen interessanten Job. Weil ich dafür sorge, dass die Akten einer Geheimpolizei zur Verfügung stehen, damit viele Menschen hineinschauen können.

Bist du überwacht worden?

Ich habe die Hälfte meines Lebens in der DDR verbracht. Die Stasi hat auch mich überwacht. Nicht nur das: Sie hat mich ins Gefängnis gesperrt. Das zeichnet eine Geheimpolizei aus: Sie sammelt nicht nur Informationen, sondern sie nutzt diese Informationen auch, um die Leute einzusperren.

Vielleicht aus gutem Grund… Warst du gefährlich?

Ich habe nichts anderes gemacht, als das, was wir heute alle machen: Unsere Meinung sagen, uns treffen, ein gutes Leben machen.

Aber gab es denn einen Grund? Hast du irgendwas gesagt, was der Stasi nicht gefallen hat?

Das kann schon sein, dass die nicht wollten, dass ich diese Meinung sage. Aber das hat ja auch die Stasi ausgezeichnet: Als Geheimpolizei war sie tätig, um die Macht einer Partei zu sichern. Die Macht dieser Partei war schon in der Verfassung der DDR festgelegt. Und die Stasi war dazu da, das auch durchzusetzen.

Du hast von diesem NSA-Skandal mitbekommen. Wie ist es eigentlich, wenn du als Leiter einer Behörde – einer der damaligen krassesten Geheimdienste der Welt – jetzt weißt, dass du immer noch überwacht wirst?

Ja, gut. Was krasser ist, ist eine andere Frage. Es ist ja immer ein subjektives Erlebnis, die Frage, ob man sich überwacht fühlt oder nicht. Wenn Menschen sich überwacht fühlen, dann sollten sie schon mal deutlich sagen, ob sie das gut finden oder nicht. Und in der Hinsicht ist natürlich auch jeder herausgefordert zu sagen: Was da die NSA macht, das gefällt mir nicht.

Warum sollte uns das nicht gefallen?

Das muss jeder selber wissen. Es gibt Leute, denen ist das Wurst. Denen ist das Wurst, dass ihre Metadaten gespeichert werden. Es geht darum, dass jeder ganz bewusst mit dem umgeht, was er an Daten hat. Ob er die ins Netz stellt oder nicht, das sollte sich jeder halt überlegen.

Warum soll ich nicht erwarten können, dass mein Staat oder dass wir alle dafür sorgen, dass wir nicht überwacht werden und dass mit meinen Daten nicht Unfug betrieben wird?

Richtig! Jeder soll die Freiheit haben, sie ins Netz zu stellen. Wichtig ist auch, sich bewusst zu machen: Das Netz ist nichts anderes als diese Gesellschaft. Und so, wie die Regeln in einer Gesellschaft sind, wo auch die Privatsphäre geschützt wird, muss auch natürlich dann dafür Sorge getrieben werden, durchaus auch durch den Staat, dass die Privatsphäre geschützt werden soll, weil der Bürger es will. Dann hat der Staat auch dafür Regeln zu finden. Auch für die Geheimdienste natürlich.

Aber die Geheimdienste sind ja vom Staat gemacht.

Genau, das ist der Punkt! Ein Geheimdienst in der Demokratie ist dazu da, die Menschenrechte und die Bürger zu schützen – und nicht die Grundsätze zu verletzten. Dort, wo das geschieht, muss die Politik eingreifen und dem ein Ende setzen.

Das Dasein der Stasi war in der DDR ja jetzt auch kein Geheimnis. Die Leute haben gewusst, dass es die Stasi gibt. Das ist auch so ein bisschen wie heute: Wir wissen auch, dass es den BND und den Verfassungsschutz und die NSA gibt…

Aber da ist noch mal ein Unterschied: In der DDR, als ich mich zur Stasi geäußert habe, als ich gesagt habe: „Es ist schlimm, was die Stasi macht“… Da bin ich selber ins Gefängnis gewandert. Hier habe ich erstmal die Möglichkeit, meinen Protest vorzutragen, wenn ich nicht einverstanden bin. Ich kann darüber diskutieren, und ich kann dafür Sorge tragen, dass Politik Lösungen findet, dass die Grundrechte der Menschen nicht verletzt werden. Am Ende kann auch Politik einen Geheimdienst abschaffen: Die müssen einfach kein Geld mehr zahlen. Die müssen einfach sagen: Der Geheimdienst, das war’s jetzt.

Unser letzter Live-Gast war Constanze Kurz, Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Sie meinte: Geheimdienste braucht es gar nicht.

Das ist die Frage, die diskutiert werden muss. Ich kann mir schon vorstellen, dass es manchmal wichtig ist, dass ich geschützt werde. Ich will nicht, dass hier eine Bombe hochgeht. Und wenn – vielleicht auch durch Maßnahmen von Geheimdiensten – Sorge getragen wird, dass hier keine Bombe hochgeht, bin ich dankbar. Also man kann es sich nicht so einfach machen. Man muss sich immer klar sein: Es ist ein Abwägungsprozess. Wieviel Freiheit kann eingeschränkt werden, um Freiheit zu schützen?

Leben wir jetzt in einer freieren Gesellschaft als noch zu Zeiten der Stasi?

Also ich fühle mich freier. Ich fühle mich einfach freier, weil ich Grundrechte wahrnehmen kann, und das ist das Entscheidende. Die Basis der Menschenrechte, das ist das Entscheidende. Über den Rest können wir uns streiten.

Du sagst Grundrechte. Die werden auch in Deutschland andauernd verletzt – von der NSA, von den Geheimdiensten – und da macht unser Staat auch nichts.

Ich denke, der Staat tut schon einiges. Das ist jetzt die Herausforderung: Wenn Grundrechte verletzt werden, hat der Staat dafür Sorge zu tragen, dass das nicht geschieht. Und das ist die Aufgabe von der Politik.

Und wenn sie es nicht tun?

Wenn sie es nicht tut, dann müssen wir sie abwählen, müssen Neue wählen, die es machen.

Mehr zum Thema

Aber warum werden die nicht abgewählt? Der Skandal ist ja nicht seit gestern, er ist seit anderthalb Jahren!

Ja, alle können sich zusammentun, können jede Woche eine Demonstration machen vor dem Bundeskanzleramt, können deutlich machen, dass mehr getan werden muss. Jeder hat das Recht, alle Möglichkeiten zu nutzen, auch sich im Netz zusammenzutun und eine Demonstration zu organisieren, wo man deutlich macht: So geht es nicht mehr weiter. Aber erstmal ist wichtig aufzuklären: Was ist denn eigentlich passiert, was passiert denn? Und da können auch noch einige dazu beitragen, dass wir auch ganz konkrete Informationen haben. Ich denke, hier ist noch Aufklärungsbedarf darüber, was eigentlich geschieht.

Du meinst, dass die Leute immer noch nicht richtig verstanden haben, worum es eigentlich geht?

Vieles ist manchmal nicht zu verstehen. Wenn ich mir die Berichterstattung angucke in einzelnen Medien, dann habe ich auch viele, viele Fragen, die ich noch nicht beantwortet kriege. Und hier gilt es auch, Service zu tragen – sowohl in den Medien, als auch von staatlicher Seite her. Natürlich immer Transparenz herstellen, soweit es geht.

Haben da unsere Medien da eine Verantwortung?

Auch die haben natürlich eine Verantwortung. Aber die haben auch keine Pflicht. Wir sind eine freie Gesellschaft, wir haben keine staatlichen Medien, die irgendwie etwas verkünden, sondern wir können alle Medien nutzen. Wir haben die Freiheit, wir haben die Pressefreiheit. Und jeder hat die Chance, sie zu nutzen.

In der DDR konntest du nicht öffentlich sagen, dass sie scheiße war, und in der Zeitung hat es auch nicht gestanden. Heutzutage können wir das, aber es hilft trotzdem nichts.

Ich denke, dass es schon etwas nützt. Selbstverständlich! Wir haben die Möglichkeit, auch diese Regierung abzuwählen. Wir haben die Möglichkeit – jeden Tag – einen gesellschaftlichen Druck aufzubauen, wenn wir unzufrieden sind. Und das ist das Wichtige. Das ist halt der Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie.

Was ist eigentlich so schlimm daran, abgehört zu werden?

Das muss jeder für sich selbst wissen. Also ich finde es schon schlimm, wenn ich ausgehorcht werde. Weil ich auch Erfahrungen aus der DDR habe, dass sozusagen mit den Informationen, die über mich gesammelt worden sind, auch gearbeitet wurde, ich deswegen ins Gefängnis gekommen bin. Oder dass Leute abgehorcht worden sind am Telefon. Und das, was in dem Telefongespräch gesagt worden ist, ist dann benutzt worden, um gegen sie vorzugehen. Sie sind auch in Haft gekommen.

Und das ist natürlich heutzutage nicht mehr möglich?

Das ist nicht so einfach möglich oder manchmal auch gerechtfertigt. Das ist ja die Frage: Was wird mit den Daten gemacht und zu welchem Zweck werden sie gesammelt? Natürlich wissen wir, dass hier manches aus dem Ruder gelaufen ist. Aber darum geht es ja: Wie können wir verhindern, dass Geheimdienste Grundrechte verletzen?

Indem man sie abschafft?

Auch das ist möglich. Aber das muss man sich genau überlegen. Was haben sie für einen Zweck, und wo helfen Sie uns, in Freiheit zu leben? Dieser Prozess, der ist ständig im Gange. Es ist ein ewiger Abwägungsprozess: Wieviel Freiheit kann man einschränken, um Freiheit zu schützen? Bei einem bin ich mir sicher: Wenn wir die Freiheit für die Sicherheit aufgeben, dann bleibt am Ende beides auf der Strecke.

Das ist so ein bisschen das, was unser Gauck mal gesagt hat.

Das kann sein.

Der Joachim Gauck, der ist nun Bundespräsident. Der war dein Vorgänger, oder?

Nein. Da gab es nochmal Marianne Birtler, die auch zehn Jahre das gemacht hat. Aber Joachim Gauck war sozusagen derjenige, der diese Behörde für die Stasi-Unterlagen aufgebaut hat.

Der hatte mal vor einer Weile gesagt: Das mit NSA ist gar nicht so schlimm, weil die Gesprächsinhalte ja nicht in Akteninhalten gespeichert werden. Was sagt denn das über unsere Gesellschaft aus, wenn ein ehemaliger Leiter einer Überwachungsunterlagenbehörde selbst nicht versteht, was heutzutage mit uns passiert durch eine andere Überwachungsbehörde?

Ob etwas schlimm ist oder nicht, das muss jeder subjektiv für sich wahrnehmen. Jemand, der von der NSA erfasst ist, wenn er das als schlimm empfindet, dann ist das seine Entwicklung. Und die muss man ernstnehmen. Das kann man nicht so einfach abtun.

Aber Gauck war doch Leiter dieser Behörde, der muss doch die Stasi beschissen gefunden haben. Und diese Logik muss er doch jetzt weiterführen… Oder sagt der sich: Die Stasi war scheiße, aber die NSA vielleicht gar nicht…

Nein, ich denke, dass er auch schon deutliche Worte gefunden hat – auch zu dem, was die NSA betreibt.

Meinst du? Da warte ich immer noch darauf!

Ja, gut. Ich habe da schon einige deutliche Sätze gehört. Ich schätze ihn als jemanden, der wirklich für Freiheitsrechte eintritt – und das auch deutlich einfordert.

Meinst du, Joachim Gauck hat das verstanden, was die NSA macht?

Es ist nicht einfach, bei dem ganzen Informations-Wirrwarr noch den Überblick zu behalten. Deswegen hoffe ich, dass er gut informiert ist, auch durch das Bundespräsidialamt. Und dadurch auch die richtigen Worte findet, deutlich zu machen, wo die Grenzen erreicht sind.

Ich weiß nicht, ob du das Bundespresseamt kennst und die Bundespressekonferenz. Da wird ja auch immer so ein bisschen Desinformation betrieben, da wollen die nicht darüber reden.

Das Wort Desinformation würde ich da nicht verwenden. Das ist auch für mich in einer Form besetzt mit dem, was die Staatssicherheit betrieben hat … an Desinformation.

Missinformation? Fehlende Informationen?

Also ich denke, dass wir alle die Möglichkeit haben, alle möglichen Fragen auch auf der Bundespressekonferenz den Politikern zu stellen. Ich selbst war Journalist, und ich habe frei berichten können, ich habe allen Politikern frei meine Fragen stellen können.

Du siehst überhaupt kein kollektives Problem bei geheimdienstlicher Totalüberwachung. Ist das richtig?

Natürlich ist es auch für die gesamte Gesellschaft ein Problem, wenn Geheimdienste Grundrechte verletzen. Und in der Hinsicht ist es wichtig, wenn in der Gesellschaft eine Auseinandersetzung stattfindet. Aber wir haben die Debatten, wir haben die Herausforderungen an die Politik, wir haben Untersuchungsausschüsse. Wir haben viele Möglichkeiten der Demokratie, die genutzt werden. Wenn sie nicht ausreichen, wenn wir feststellen, sie reichen nicht aus für die Aufklärung in dieser Gesellschaft, für gesellschaftliche Veränderungen, ja dann haben wir auch die Möglichkeit, das zu verändern und zu verbessern.

Wir haben jetzt anderthalb Jahre über den ganzen Kram gequatscht, untersucht und so weiter. Und es ist nichts passiert! Der BND macht genau dasselbe wie vorher, die NSA macht genau dasselbe wir vorher, die Politiker sind immer noch die gleichen.

Ja, das behauptest du einfach so. Bitte konkret auf den Tisch legen! Nicht einfach immer nur reden, sondern genau hinschauen, was gemacht wird.

Das hat Edward Snowden uns doch gezeigt.

Der hat ein paar Dinge benannt. Bei ein paar Dingen wird sich auch gekümmert. Aber das ist ja der Prozess, der stattfindet. Und wir sind herausgefordert, ihn auch mit zu beschleunigen – durch unsere Diskussion zum Beispiel.

Das heißt, wir müssen eigentlich noch mehr quatschen, noch mehr debattieren?

Ja, wir können auch einen gesellschaftlichen Druck entwickeln. Jeder hat die Freiheit dazu. Aber Dasitzen und Debattieren langt vielleicht nicht. Und wer will, dass es schneller geht, muss die Politik vor sich hertreiben.

Gab es das jemals in der Menschheitsgeschichte, dass die Regierenden nicht versucht haben zu gucken, was die Bevölkerung macht?

Das gab’s zum Beispiel in der DDR. In der DDR hat sich die Regierung um das Volk wenig gekümmert. Im Endeffekt hat es das in der Propaganda, aber es hat gegen das Volk regiert, und das ist das Entscheidende. Das Ende kennen wir: Das Volk ist aufgestanden.

Woran erkennt man das, dass die Regierung gegen das Volk regiert?

Indem Menschenrechte verletzt werden.

Check. Das ist heutzutage auch noch so.

Ja, gut. In der DDR war es systematisch. Es war schon angelegt in der Verfassung: Eine Partei hat das Sagen. Und wir haben ein Strafgesetz gehabt, wo Paragrafen waren, wo Meinungsfreiheit ganz bewusst unterdrückt worden ist. Mit diesen Paragrafen… die haben zehntausende von politischen Häftlingen gehabt. Das ganze hatte System! Das ist der entscheidende Unterschied.

Was haben diese Methoden der Stasi mit den Menschen gemacht?

Es gibt viele Mechanismen, da geht es um zwischenmenschliche Beziehungen. Warum ist jemand bereit, seinen Freund zu verraten? Warum gibt er Informationen an die Staatssicherheit? Wie hat die Stasi ihn gekapert? Wie hat sie ihn unter Druck gesetzt, oder hat sie ihn bestochen durch Geld oder hat sie ihn ideologisch überzeugt? All das können wir in den Stasi-Akten erfahren; wie hat die Stasi gearbeitet. Aber auch das System der Angst, was in der DDR funktioniert hat: Ein System der Angst, wo Mechanismen gewirkt haben, dass Menschen sich untergeordnet haben, obwohl sie es gar nicht wollten, so zu handeln. Sie haben sich untergeordnet, weil sie Angst hatten vor Nachteilen in der eigenen beruflichen Karriere oder auch Angst, ins Gefängnis zu kommen oder einfach Angst vor Nachteilen für die Familie.

Leben wir heutzutage auch in einer Angstgesellschaft? Seit dem 11. September 2001 wird ständig mit der Terrorangst gespielt. Das ist teilweise auch die Begründung dafür, dass die Überwachung immer weiter ausgebaut wird…

Wir sind herausgefordert, kein System der Angst entstehen zu lassen. Wir müssen auf Gefahren hinweisen, aber wir dürfen nicht sozusagen eine Angst als Grund nehmen, um zum Beispiel einen Überwachungsstaat zu installieren. Die Angst vor dem 11. September, dass so etwas noch einmal passiert, darf nicht dazu führen, dass wir hier eine flächendeckende Überwachung in einer Art und Weise haben, wie es in einem Polizeistaat üblich ist. Wir dürfen hier nicht die Freiheitsrechte vollkommen aufgeben – im Interesse der Sicherheit. Weil dann – da kann ich mich nur wiederholen– dann haben wir am Ende beides nicht mehr.

Wann weiß ich denn, ab wann wir in einem Polizeistaat leben oder in einem Überwachungsstaat – und wann noch nicht?

Das ist etwas…

Subjektives?

Nicht nur, weil am Ende, wenn wir uns nicht mehr wehren können, wenn man etwas nicht umgestalten kann, dann ist die Demokratie beschädigt. Und auch der NSA-Skandal, auch die Geheimdienst-Diskussionen jetzt, sind ein Prüfstein für die Demokratie; ob man das in den Griff kriegt oder nicht.

Beispiel NSA. Auch wenn wir die beste Demokratie der Welt hätten, können wir ja nichts dagegen tun, dass die Amerikaner die NSA betreiben.

Deswegen ist die Problematik eine internationale. Deswegen müssen internationale Lösungen her. Deswegen müssen wir auch den Amis an verschiedenen Punkten Druck machen, und das ist ja schon geschehen. Obama hat ja auch in vielen Dingen eingelenkt und einiges auf den Weg gebracht. Aber wir müssen immer wieder herausfordern, immer wieder neue Informationen auch von den Amis bekommen. Und dort, wo wir sagen: „Das ist gegen unser Grundverständnis von Menschenrechten“, dort müssen wir bestimmte Dinge einfordern.

„Wo ist denn die Stasi-Akte von Ex-Kanzler Helmut Kohl?“, fragt Max.

Ja, es gibt eine Akte, die die Stasi über Helmut Kohl geführt hat. Die liegt im Archiv. Und da gab es mal Streit drum, weil viele da reinschauen wollten. Aber Helmut Kohl ist genauso geschützt als Opfer der Stasi wie andere Menschen. In meine Akte darf auch nur jemand hineinschauen, wenn ich das Einverständnis gebe. Und so muss man auch Helmut Kohl fragen, ob man seine Telefongespräche, die abgehört worden sind, lesen darf oder nicht. Und das ist etwas, was ganz wichtig ist: Das ist der Datenschutz, der gewährleistet wird – gerade mit unserer Arbeit im Stasi-Unterlagenarchiv.

Können wir uns als Opfer der NSA bezeichnen?

Opfer ist ein subjektiver Begriff, das kann ich nur noch wiederholen. Wenn sich jemand als Opfer fühlt, dann ist es so. Dann muss ich es ernstnehmen und dann muss ich Sorge tragen, dass ich mit seinen Empfindungen umgehe.

Fändest du es sinnvoll, dass man irgendwann so eine Stasi-Unterlagenbehörde für die globale, digitale Welt hätte? Das heißt, ich kann sehen, welcher Staat, welches Unternehmen, welche anderen Menschen was mit meinen Daten gemacht haben.

Das ist eine interessante Idee. Es ist eine Herausforderung in der Zukunft, dass dort, wo Daten über Menschen gesammelt worden sind, sie zur Verfügung gestellt werden. Es geht ja auch darum, dass der Staat transparent sein muss und nicht der Bürger, dass aber der Bürger geschützt werden muss vor dem Zugriff des Staates auf die Daten. Und da einen Weg zu finden, deutlich zu machen, wir wollen, dass da offen damit umgegangen wird, das haben wir ja schon zum Beispiel mit dem Informationsfreiheitsgesetz. Und übrigens waren die Amis da für uns Vorbild. Wir haben es erst in den 2000er Jahren gemacht. Und da geht es um die Transparenz des Staates und Datenschutz bei den Betroffenen.

Hast du eine Ideallösung?

Ich habe keine Patentlösung. Aber ich habe eine Lösung, die heißt: Wir müssen gemeinsam darüber diskutieren und die Instrumente einer Demokratie nutzen, einen Weg zu finden, dass dort, wo Grundrechte verletzt werden, ein Stoppzeichen gesetzt wird.

Leben wir in einem Überwachungsstaat?

Ich denke, dass Deutschland kein Überwachungsstaat ist, und in diesem Sinne sollten wir weiter Sorge dafür tragen, dass es nicht dazu kommt.


Produktion: Alexander Theiler, Tilo Jung, Hans Hütt
Transkript: Anne Juliane Wirth