Die 17 Kilometer lange Park Avenue in New York ist eine Mini-Version der Vereinigten Staaten. Wer hart arbeitet, schafft es ganz nach oben?
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Ein ganzes Land in einer Straße

Milliardäre in 130-Millionen-Dollar-Apartments und Kinder, die von Lebensmittelmarken leben: Die 17 Kilometer lange Park Avenue in New York ist eine Mini-Version der Vereinigten Staaten. Wer hart arbeitet, schafft es ganz nach oben?

Profilbild von Christian Fahrenbach
Reporter, New York

Prolog, 14. Straße: namenloser Schachspiel-Kapitalist

Vier Finger gehen nach oben und erteilen mir die erste Lektion des Tages. „40 Dollar“, sagt der dazugehörige Typ, ein bulliger Afroamerikaner, der mitten auf dem Union Square in New York hinter einem Schachbrett sitzt. Soviel Geld will er von mir, um etwas über den amerikanischen Traum zu erzählen. Dass ich so schnell lernen würde, wie die Leute hier versuchen, das Streben nach Glück in die Tat umzusetzen, hätte ich nicht gedacht.

17 Kilometer in zwei Tagen: Route und Orte dieser Geschichte

17 Kilometer in zwei Tagen: Route und Orte dieser Geschichte Karte: mapz.com - Christian Fahrenbach

Genau das ist aber mein Ziel der nächsten beiden Tage: Ich will herausfinden, ob der amerikanische Traum noch lebt. Dafür habe ich mir die vielleicht amerikanischste aller Straßen ausgesucht, die Park Avenue in New York. Auf 17 Kilometern (große Karte hier) bietet sie in Manhattan und der Bronx ein Abbild des ganzen Landes. Die Park Avenue beginnt am Union Square im Süden Manhattans, läuft vorbei an Konzernsitzen in Midtown und den teuersten Apartments der Welt in der Upper East Side, führt schließlich durch das langsam gentrifizierte Harlem mitten hinein in die South Bronx - einem Stadtteil, vor dem wegen Kriminalität und Armut auch heute noch Reiseführer warnen.

Auf diesen 17 Kilometern will ich lernen, mit welchen Strategien die Menschen auf dieser Straße ihren persönlichen amerikanischen Traum verfolgen. Muss das Land sich ändern, oder glauben sie hier wirklich noch an das große amerikanische Versprechen, dass jeder eines Tages Erfolg haben wird, wenn er einfach nur hart genug dafür arbeitet?

Ecke 40. Straße: Alessandro, Kaffee-Netzwerker

One Park Avenue, das erste Gebäude mit symbolträchtiger Anschrift. Ein Monat Training in den Studios der Equinox-Kette kostet rund 250 Dollar.

One Park Avenue, das erste Gebäude mit symbolträchtiger Anschrift. Ein Monat Training in den Studios der Equinox-Kette kostet rund 250 Dollar. Christian Fahrenbach

Nach dem unmoralischen Angebot des Schachspielers am Union Square gehe ich auf Höhe der 17. Straße los nach Norden. Hier beginnt die Park Avenue. Sie wird mich bis zur 189. Straße führen, heißt hier aber noch Park Avenue South. Kleine Läden, Systemgastronomie und Bankfilialen prägen das Stadtbild. Ein Salon verspricht 24 Stunden am Tag eine „Hair & Spa Party“. Schon einige Querstraßen weiter werden die Gebäude sichtbar teurer, vor dem berühmten Gansevoort-Hotel kommen mir Enddreißiger in Cashmere-Pullovern entgegen. Die Wohnhäuser hier tragen bereits Namen wie „Stonehenge“. Schilder preisen „unverwechselbare Mietwohnungen“ an.

Ich betrete einen Coffeeshop mit Latte-Optionen für sechs Dollar und erlebe dort Alessandro, einen gebürtiger Römer. Erst seit zwei Wochen sei er in dem Café angestellt, sagt er einem griechischen Gast. Dieser lässt sich haarklein alle Details zu Kaffeesorten und der Espressomaschine des Ladens erläutern und deutet schließlich an, Alessandro für seinen eigenen Laden abwerben zu wollen. Der zeigt sich sehr schnell sehr interessiert. „Una faccia, una razza“, sagt der Grieche und beide lachen. Ich muss das später nachschauen und lerne dabei zweierlei: „Ein Gesicht, eine Rasse“ spielt auf die Seelenverwandtschaft von Griechen und Italienern an - und jeder ist hier ein bestenfalls milder loyaler Dauer-Netzwerker.

Ecke 52. Straße: Guy, Midtown-Meister der Autosuggestion

Guy hat zwar eine Mets-Jacke, Fan dieses Baseballteams sei er aber nicht. "Niemand ist wirklich Fan der Mets", sagt er.

Guy hat zwar eine Mets-Jacke, Fan dieses Baseballteams sei er aber nicht. “Niemand ist wirklich Fan der Mets”, sagt er. Christian Fahrenbach

Rund um Alessandros Coffeshop blüht Corporate America. Ich laufe durch den Hauptbahnhof Grand Central mit seinem an der Decke aufgemalten Sternenhimmel und durch das „Metlife“-Building, das früher als „Pan Am“-Building bekannt war und lange das Gebäude mit der größten Bürofläche weltweit war. Auf der anderen Seite ausgespuckt, stehe ich mitten im Zentrum des Weltkapitalismus. Bankfilialen reihen sich aneinander und fordern auf blinkenden Riesenbildschirmen dazu auf, über „Hypotheken und Eigenheimkredite“ nachzudenken. Das berühmte Hotel Waldorf Astoria mit seinem unterirdischen Gang zu einem Bahngleis in Grand Central steht hier, und bei JP Morgan Chase in der 48. Straße ist nicht nur das Foyer bewacht. Bereits vor dem Gebäude sorgen Wachleute an einer zweiten vorgelagerten Reihe Einlassschranken dafür, dass hier nur reinkommt, wer auch rein darf.

Das gilt sicher nicht für den Mann, der bereits seit einigen Minuten einen Einkaufswagen und riesige Tüten mit Pfandflaschen und Dosen neben mir herschiebt. Seit mehr als 25 Jahren mache er das bereits, erzählt mir Guy. „An einem Tag versuche ich, mindestens 50 Dollar zu sammeln“, sagt er. Acht bis zehn Stunden dauere das, je nach Konkurrenz und Wetterlage. Viel mehr Menschen als früher würden sich mit dem Pfand etwas dazuverdienen, das mache die Sache schwieriger. „Und wenn es kalt wird: Vergiss es!“ Als ich ihn frage, ob er an den amerikanischen Traum glaubt, lacht er und beweist die nächste Überlebensstrategie in diesem Land: Autosuggestion. „Natürlich. Du kannst es schaffen. Es braucht ein bisschen Zeit“, meint Guy und biegt zum nächsten Mülleimer ab. Zum Abschied ruft er noch: „It’s up to you. New York!“

Ecke 71. Straße: Stanley, Ausgrenzungs-Profi

Luft nach oben: 40 Millionen Dollar haben sich die Bauherren nebenan die Luftrechte der Christ Church kosten lassen

Luft nach oben: 40 Millionen Dollar haben sich die Bauherren nebenan die Luftrechte der Christ Church kosten lassen Christian Fahrenbach

Inzwischen haben sich die Straßen gefüllt. Ein Taxi reiht sich an das nächste. Ihr ungeduldiges Hupen auf Höhe der 57. Straße sorgt für Stress. „Billionaire’s Row“, Milliardärs-Reihe, nennen sie hier diese Straße wegen der gigantischen Bauprojekte. Hausnummer 432, ein dünnes Streichholz von Neubaugebäude hat das höchste Stockwerk der Stadt. An der Ecke zur 60. Straße steht die kleine Christ Church der vereinten Methodisten. Sie kam kürzlich in die Schlagzeilen, weil in dieser Stadt selbst die Luft unfassbar wertvoll ist. Selbst in der Welthauptstadt der Wolkenkratzer darf nicht jeder so bauen, wie er will. Baukonzerne, die besonders hohe Gebäude errichten wollen, müssen mit kleinen anderen aufrechnen oder die Rechte von angrenzenden Gebäuden erwerben. 40 Millionen Dollar hat die Kirche dadurch für ihre Luftrechte erhalten, denn in der 60. Straße entsteht ein neues Gebäude der Immobilienmagnaten Zeckendorf. Die haben trotzdem eine prestigeträchtige Park-Avenue-Adresse ausgehandelt, und so wird in Hausnummer 520 vermutlich das teuerste Apartment der Welt entstehen: 130 Millionen Dollar soll es kosten. Über den Preis wird bereits jetzt spekuliert, obwohl noch kein einziger Backstein zu sehen ist.

Ich bin jetzt mittendrin in der teuersten Ecke der Park Avenue. Die Restaurants hier bieten Steak für zwei zu 112 Dollar (etwa 90 Euro) an oder lassen wie das „Daniel“ die Preisangaben an der Tür gleich ganz bleiben. Die Webseite gibt später Aufschluss: Das 7-Gänge-Menü kostet hier 220 Dollar, wer will kann zum gleichen Preis auch zusätzlich noch passenden Wein bestellen.

Ich gehe weiter und komme an einem Haus mit zwei Hausnummern vorbei: 660 und 666? Wem gehört hier die Zahl des Teufels? Eine Web-Suche gibt Antwort: 666 gehört zu einer einzelnen Maisonette-Wohnung, drei Stockwerke, 27 Zimmer, ursprünglich gebaut für Virginia Vanderbilt, Silberminenerbin, eingeheiratet in den ultrareichen Clan. Gewohnt hat sie in diesem Apartment wohl nie.

Schließlich stehe ich an der Ecke zur 71. Straße vor Hausnummer 740, dem vielleicht elitärsten Wohnhaus der ganzen Welt. Alle wirklich Großen haben hier gewohnt, die Vanderbilts und Chryslers genauso wie die Rockefellers. Jackie Kennedy hat hier in einem der 31 Apartments ihre Kindheit verbracht, Barbra Streisand wurde vom Haus-Rat ein Apartment verwehrt. Heute wohnen hier milliardenschwere Hedgefonds-Manager. Gerade erst hat eine zwei Stockwerke und 18 Zimmer umfassende Wohnung für 71,3 Millionen Dollar den Besitzer gewechselt.