Jens Pedersen hat einen Monat lang als Krankenpfleger im größten Ebola-Behandlungszentrum gearbeitet, das die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im August in Monrovia eröffnet hat. Im Interview mit Krautreporter erzählt der Repräsentant von Ärzte ohne Grenzen von der sich nicht bessernden Lage in Westafrika, von den Herausforderungen im Kampf gegen die Krankheit und von den Momenten, in denen er, seine Kollegen und die Patienten trotz allem Hoffnung schöpfen.
Wie ist die Lage in Liberia?
Monrovia ist momentan am härtesten betroffen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Hauptstadt Liberias ist sehr dicht bevölkert, und die Antwort auf die Krankheit schleppt. Wir haben rund 200 Betten in Monrovia, das ist lange nicht genug. Es fehlt an allen Ecken. Es gibt nicht genügend Einrichtungen, um alle Patienten zu behandeln. Es fehlt an Initiativen, die sicherstellen, dass Leichen eingesammelt und adäquat entsorgt werden. Die Lage in Monrovia ist hart. Wir haben jeden Tag Patienten, die wir nicht aufnehmen können. Das macht die Situation sehr, sehr ernst.
Gibt es Informationen über der Zahl von Infizierten?
Es ist sehr schwierig, die genau Anzahl der Fälle zu bestimmen. Manche erwarten, dass es in den kommenden Monaten 60.000 bis 100.000 neue Fälle gibt. Aber das sind nur Schätzungen. In Monrovia ist es besonders schwierig, an exakte Zahlen zu kommen, die Krankheit wird immer noch nicht richtig überwacht. Es hadert am “Contact Tracing”, der Nachverfolgung der Krankheit. Es geht darum, Ebola-Patienten und diejenigen, die mit den Patienten in Kontakt waren, zu finden - aber das passiert immer noch nicht richtig, es fehlt an Strategien.
Wie viele Behandlungszentren gibt es?
Wir haben derzeit 160 Betten in Monrovia. Es gibt ein paar weitere Einrichtungen der Weltgesundheitsorganisation. Insgesamt stehen in Liberia gut 200 Betten zur Verfügung. Wir versuchen, uns zu vergrößern, doch wir müssen auch auf unsere Sicherheit achten und darauf, dass wir ein Minimum an Qualität sicherstellen können. Um die Krankheit einigermaßen in den Griff zu bekommen, bräuchten wir mindestens 1.200 Betten in Monrovia. Doch davon sind wir ganz weit entfernt.
Was passiert in den Kliniken?
Die Menschen kommen entweder mit einem der in Monrovia stationierten Krankenwagen oder alleine, zu Fuß, wie auch immer. Wenn sie ankommen, werden sie „gescreent“und „triaged“ und dann, gemessen an der Schwere der Symptome und der Anzahl an freien Betten, entscheiden wir, wen wir aufnehmen. Momentan nehmen wir ungefähr 25 Patienten am Tag auf – das spiegelt allerdings nicht die realistische Anzahl derer wider, die jeden Tag kommen, um behandelt zu werden.
Wie viele schickt ihr weg?
Schwer zu sagen, mindestens fünf bis 10 jeden Tag. Wir geben ihnen Basisausrüstung zum desinfizieren und zum Schutz, um zu vermeiden, dass die Haushalte kontaminiert werden.
Wie muss man sich so ein Behandlungszentrum vorstellen?
Es ist eine große Fläche, auf der wir dutzende Zelte aufgestellt haben. Es ist im Grunde aufgebaut wie ein Krankenhaus, nur dass es nicht in einem Gebäude ist, sondern mit Zelten und temporären Strukturen. Die Zelte sind circa 25 Meter lang und zehn Meter breit, dort werden die Patienten behandelt. Die Klinik ist seit dem 16. August geöffnet und hat eine Kapazität von 160 Betten.Wir arbeiten ständig daran, es auszuweiten, ein fortwährender Prozess.
Wie sieht ein Tag im Behandlungszentren aus?
Es geht um sieben Uhr morgens los mit der Verteilung von Frühstück und Basis-Medizin und Hygiene. Wie in jedem Krankenhaus bekommen die Patienten ihre Medizin und alles, was sie in anderen Gesundheitseinrichtungen erhalten. Den Unterschied machen logischerweise die Sicherheitsmaßnahmen aus. Wir legen sehr viel Wert auf die Sicherheit der Helfer, Patienten-Kontrolle dauert viel länger. Sobald wir uns in die Isolationszone begeben, tragen wir den Schutz die ganze Zeit.
Was machen die Menschen in der Isolationszone?
Die meisten sind schwer krank, aber manche sind auf dem Weg der Besserung, und wir versuchen, sie von ihrer Situation abzulenken. Wir bringen Spielzeug für die Kinder, Zeitungen für die Erwachsenen. Die Tage in der Isolationszone sind sehr, sehr lang für die Patienten.
Wie kann man sich das tägliche Leben in Monrovia vorstellen?
Natürlich hat jeder große Angst vor Ebola. Aber in gewisser Weise geht das Leben einfach weiter, die Märkte sind geöffnet. Die Menschen sind jedoch sehr besorgt, das kann man verstehen. Ebola ist Panik, Ebola ist Unsicherheit. Die Medien berichten ständig über die hohe Todesrate, natürlich haben die Menschen Angst. Ich muss ehrlich sagen, man kann sich nicht vorstellen, was diese Leute durchmachen. Wir haben Familien, die vor den Toren der Klinik ihre Kinder abliefern, von denen sie denken, dass sie infiziert sind. Es ist nur schwer vorstellbar, welche Entscheidungen die Betroffenen fällen müssen. Entweder, man begibt sich selbst in die Isolationszone, um die Familie zu schützen, oder man schickt das einzige Kind weg – um den Rest der Familie zu schützen. Das ist einfach krass, diese Entscheidungen, vor denen viele stehen.
Man liest immer über die hohe Todesrate und die Panik wegen Ebola. Wie ist das Leben dort, was geschieht tatsächlich vor Ort?
Die Arbeit als Krankenpfleger ist unglaublich stressig, man kann so wenig für die Patienten tun, so viele Patienten überleben nicht. Die hohe Anzahl der Kranken macht es noch schwieriger, man will ja allen helfen. Das ist sehr frustrierend. Das Schlimmste ist aber nicht unsere Arbeit als Krankenpfleger, sondern viel mehr, was die Menschen durchmachen, die zu uns ins Zentrum kommen. Sobald sie die Isolationszone betreten, sind sie völlig von der Außenwelt abgeschnitten, von ihren Familien, von ihren Verwandten, ihren Bekannten. Wir tun alles, um ihnen irgendwie Zugang zur Außenwelt zu ermöglichen, organisieren Handys und Zeitungen, so dass sie wenigstens irgendwie sehen können, was draußen geschieht.
Aber es ist hart, sie sind isoliert. Man kommt als Ebola-Patient an, man kommt mit seiner Familie, und es ist sehr wahrscheinlich, dass man entweder nicht lebend oder als einziger Überlebender wieder herauskommt. Das war für mich die aller schwierigste Erfahrung - zu sehen, wie Familien in der Isolationszone dezimiert werden.
Das lässt die Menschen bestimmt nicht unberührt…
Ja, die psychologischen Auswirkungen sind immens. Man sieht sein Kind, seine Mutter, Tante, seine Nichten und Neffen einfach vor sich wegsterben. Nur die wenigsten schaffen es. Und selbst wenn sie überleben und irgendwann entlassen werden und in ihre Dörfer zurückkehren, dann kommt die nächste Herausforderung. Nichts ist einfach. Sie werden mit diesem Trauma entlassen und dem Horror im Gepäck, den sie in der Isolationszone durchlebt haben. Das ist eine der schlimmsten Erfahrungen, die man machen kann.
Was passiert, wenn sie entlassen werden?
Erst einmal ist die Stimmung natürlich gut, wenn sich jemand von Ebola erholt, wenn man wirklich realisiert: Ich bin nicht mehr krank. Doch in dem Moment, in dem die Menschen das Behandlungszentrum verlassen, bricht alles über ihnen zusammen. Der Stress der Wochen in der Isolationszone, die Intensität, das muss erstmal verarbeitet werden. Und sie haben keine Vorstellung davon, in welche Welt sie nun kommen: keiner will etwas mit ihnen zu tun haben, keiner will in ihre Nähe kommen oder ihnen die Hand schütteln.Viele finden nicht einmal ein Taxi, das bereit ist, sie nach Hause zu fahren. Wenn man sich also erholt, mag man vielleicht das Schlimmste hinter sich haben, aber es ist noch ein ganz, ganz weiter Weg, den man als Ebola-Überlebender zu bewältigen hat. Sogar als Krankenpfleger können wir uns nicht vorstellen, was diese Menschen durchmachen.
Auf der Website von Ärzte ohne Grenzen ist ein Bericht einer Kollegin, die sehr emotional von einem jungen Überlebenden berichtete…
Die emotionalsten Momente sind die gleichzeitig die glücklichsten. Wir bauen Beziehungen zu den Patienten auf, die länger bleiben – die meisten bleiben ja nicht lange, sie sterben wenige Tage nach der Ankunft. Ich erinnere mich an diesen Jungen, sein Name ist Patrik, er ist fünf oder sechs Jahre alt und kam mit seinem Vater zu uns. Beide überlebten. Das war ein Lichtblick für uns alle, für alle Patienten… inzwischen sind wir viel organisierter, ungefähr 40 Prozent der Patienten erholen sich.
Am schwierigsten ist es für die Kinder und die, die richtig krank werden. Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der sehr stark war, fit und gut gebaut. Er wurde schwer krank, entwickelte schwere Blutungssymptome, die normalerweise keine gute Prognosis bedeuten. Aber wie durch ein Wunder, von einem Tag auf den anderen, erholte er sich – und eine Woche, nachdem er an die Tür des Todes geklopft hat, verließ er das Zentrum. Solche Geschichten passieren. Und sie geben uns einen Hoffnungsschimmer in der ganzen schlimmen Situation.
Was ist derzeit die größte Herausforderung?
Die Krankheit muss in Liberia unter Kontrolle gebracht werden. Es gibt dafür keine simple Lösung. Es ist wichtig, dass die Lösung praktischer Natur ist. Das bedeutet, wir brauchen mehr Betten in den Behandlungszentren. Es muss sichergestellt werden, dass die Toten sicher eingesammelt werden. Es muss mehr in den Gemeinden getan werden, gegen das Stigma angekämpft werden, um sicherzustellen, dass die Menschen wissen, wie sie auf Symptome reagieren müssen und dass die Krankheit nicht mystifiziert wird. Es ist einen ganzen Haufen zu tun, eine Mischung aus vielen Maßnahmen, und es muss definitiv praktisch sein. Momentan fehlt es daran, es wird viel versprochen, doch zwei Wochen später warten wir immer noch darauf, dass etwas passiert.
Viele Länder sagen viel Geld für die Bekämpfung von Ebola zu. Macht es Sinn, Geld zu schicken, oder ist praktische Hilfe besser?
Sicherlich ist monetäre Hilfe ein Teil des Ganzen. Aber es ist auch wichtig, dass die Geldgeber und Staaten und Organisationen verstehen, dass dies keine Krise ist, aus der man sich seinen Weg rauskaufen kann. Wenn wir keine praktischen Mittel einsetzen, ist es egal, wieviel Geld wir nach Westafrika werfen. Denn Geld allein wird die Seuche nicht im Zaum halten. Als Ärzte ohne Grenzen haben wir Geldmittel von Regierungen nicht angenommen, aus dem gerade genannten Grund: Keiner darf sich aus der Verantwortung kaufen, wir brauchen eine praktische Antwort.
Aufmacherbild: MSF - Ärzte ohne Grenzen