„Ich bin irgendwie irgendwo, und ich weiß nicht, wo ich bin“
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Interview: „Ich bin irgendwie irgendwo, und ich weiß nicht, wo ich bin“

Nach sieben Monaten in Afghanistan leidet der Bundeswehrsoldat Johannes Clair unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Im zweiten Teil des Interviews zeigt er uns Videos, die er in Afghanistan an der Front aufgenommen hat. Er erzählt von seinen Ängsten und dem Versuch, in Deutschland wieder Fuß zu fassen.

Profilbild von Interview von Danijel Visevic

https://vimeo.com/118054927

Anfang November 2010 erreichten die Kämpfe im Norden Afghanistans einen Höhepunkt: Bei der Operation Halmazag besetzten Infanteristen der Bundeswehr gemeinsam mit Verbündeten das Dorf Quatliam, um einen Vorposten zu errichten. Halmazag gilt als die erste deutsche Militär-Offensive nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Gefechte gegen die Taliban dauerten vier Tage. An vorderster Front kämpfte auch Johannes Clair. „Wenn mir jemand gesagt hätte vorm Einsatz, dass ich mal ein Schützenloch ausheben würde im scharfen Einsatz, im Gefecht, dann hätte ich ihm wahrscheinlich den Vogel gezeigt.“

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Die Schützenlöcher ausgegraben hat Clair, um seinen Kameraden irgendwie zu helfen, denn an den Gefechten selbst konnte er kaum mehr teilnehmen: Plötzliche Angstzustände hinderten ihn daran. Unter Beschuss erstarrt er, ohne zu wissen, warum.

Erst drei Jahre nach seiner Rückkehr aus Afghanistan sieht er ein: Er wurde seelisch schwer verwundet. „Posttraumatische Belastungsstörung“ lautet die Diagnose. PTBS.

Im ersten Teil des Interviews erzählt Johannes Clair vom Trigger-Erlebnis, das ihn dazu bewegt hat, sich in Therapie zu begeben: ein Filmriss sonntags im Bett, neben seiner Freundin liegend, er hat gerade ein Buch gelesen, in dem detailliert beschrieben wird, wie einer seiner Kameraden in Afghanistan umgebracht wurde. „Das hat mich im Kopf wieder in den Einsatz versetzt.“

Erst dieses Erlebnis führt Johannes Clair zur Einsicht: Er braucht Hilfe. „Nachdem meine damalige Freundin drei Jahre lang versucht hat, mir sanft klar zu machen, dass einiges im Argen zu liegen scheint, hatte ich endlich selbst die Bereitschaft dazu. Das ist das, was viele Veteranen erstmal bewältigen müssen: Sie müssen es vor sich selbst zugeben können. Sie müssen erstmal verstehen, dass etwas ist.“


Produktion, Dreh und Schnitt der Videos: Alexander Theiler

  • Lesestück “Krieg im Kopf”: Warum Soldaten nach Einsätzen krank werden”
  •           Video "Traumatisiert nach dem Afghanistan-Einsatz", [Teil eins](https://krautreporter.de/aus-dem-archiv/389-ich-will-dem-unbekannten-ungluck-nicht-hilflos-in-die-arme-rennen)
    
  • Video “Traumatisiert nach dem Afghanistan-Einsatz”, (aktuelle Seite)
  • Essay “Der Krieg und ich”: Warum eine Porträt-Serie über Kriegsbeteiligte

Offenlegung: In unseren redaktionellen Richtlinien haben wir festgelegt, dass wir mögliche Interessenskonflikte von Autoren unter unseren Geschichten transparent machen. Da sich diese Geschichte unter anderem mit der Bundeswehr auseinandersetzt: Neben meiner Arbeit als freier Journalist (Krautreporter und Deutsche Welle) übe ich zurzeit auch eine Tätigkeit für das Bundespresseamt aus, für das ich Videos erstelle.