Als ich Peter kennenlernte, kam er mit diesem Blick durch die Tür: leicht von unten, zart und ein bisschen verletzlich. Die junge Kellnerin blickte ihn nur bedeutend kurz an, aber da hatte Peter Lopez Hernandez schon diesen Warp-Strahl durch seinen blauen Photoshop-Augen geschickt, an dem jede Form von Materie haften bleibt, allen voran weibliche.
Ein Pub, irgendwann in der Woche. Das Klirren von Gläsern. Rauch zieht durch den dunkel getäfelten Raum wie lange, dünne Geisterfinger. „Wollen wir uns vielleicht da drüben an den Tisch setzen, Peter, in der Ecke?“ Der 32-Jährige nickt. „Lass nur bitte schnell die Kellnerin hinter dir durch, ja?“, antwortet er und deutet dann auf das junge Mädchen, kaum 20, mit schwarzen Haaren, das hinter uns steht. Wartend, nicht ungeduldig,ein Tablett in der Hand. „Oh, Entschuldigung“, erwidere ich, hebe die Arme, trete schuldbewusst zur Seite. „Gar nicht gesehen. Bitteschön.“
Als sie Peter sieht, im Vorbeigehen, wie jener flüchtige Moment, in dem man kurz in die Scheibe eines vorbeifahrenden Autos blicken kann, fährt sie erschrocken zusammen, schiebt sich hektisch die Haare hinter das Ohr und blickt wieder zu Boden. Im Schatten ihres Gesichts, den das Licht von der Decke mit dem Kohlestift zeichnet, ist noch deutlich zu sehen, wie sich ihre Wangen röten. „Danke“, stammelt sie dann und huscht vorbei, hebt den Blick aber nicht mehr. Peter lächelt breit. Triumphierend. Ein bisschen selbstgefällig vielleicht. Ein Brandstifter, der sein Feuer betrachtet.
„Bist du so ein Aufreißer-Typ, Peter?“, frage ich meinen Gast, als wir sitzen und die Speisekarten aufschlagen. „Nein, gar nicht.“ Er betrachtet sorgfältig die Salatauswahl, weil er abends keine Kohlenhydrate isst. Dabei trägt Peter einen flauschigen Wollpulli mit extragroßen Knöpfen, und auf seinem Telefon hat er ein Bild von sich als Hintergrund eingestellt – fast nackt, bis auf die Unterhose. Peter ist Model. Vermutlich verbringt man da einfach, prozentual auf die Lebenszeit gesehen, auch weniger Zeit angezogen als der Durchschnittsbürger. Das Bild trägt dieser Entwicklung nur Rechnung.
„Nein, ich bin kein Aufreißer-Typ. Schon meine Freunde früher in der Schule haben gesagt, ich müsse eigentlich mehr Arschloch sein. Darauf stehen die Frauen und so.“ Peter zuckt mit den Schultern, betrachtet mich eine Weile, als wolle er sehen, wie ich darüber denke, fährt dann aber fort: „Ich will aber kein Arschloch sein. Ich bin lieber der Gentleman. Der, der den Frauen die Tür aufhält und aus dem Mantel hilft.“ Ob er das nicht antiquiert findet? „Nein. Ich finde, das hat einfach Stil und nichts mit der Zeit zu tun.“ Früher, in der Schule, sei er auch nie der Hübscheste gewesen, erzählt er. Liebesbriefe? Fehlanzeige. „Ich hatte immer zu weiche Gesichtszüge, das kam bei den Mädchen überhaupt nicht an“, fügt Peter hinzu und schiebt die Speisekarte beiseite. „Und die anderen hatten schon Bart.“
Ich betrachte eine Weile die Maserung der Tapete, das Interview ist jetzt schon einige Tage her, die im Blau des Bildschirms erscheint wie die Haut eines seltenen Krokodils. Die Finger auf der Tastatur. Warum ging man in solche Shows – was war der Sinn dahinter? Gab es einen? Oder war es der Wunsch nach geistloser Belustigung, mit dem Tausende da draußen auch „Bauer sucht Frau“ gucken, sich dafür extra einen Cliquen-Termin machen und Chips und Cola mitbringen? Ich drücke auf Play. In großen Buchstaben erscheint der Titel der Pro-Sieben-Show „Catch the Millionaire“ auf dem Bildschirm, in der Peter mitgemacht hat. Dort geht es um drei vermeintliche Millionäre, die in einer italienischen Villa auf 18 Frauen treffen. Nur einer von ihnen ist wirklich reich, doch wer, das wissen die Teilnehmerinnen nicht. Eine aufgeregte Stimme aus dem Off erklärt, was zu erwarten ist.
Ohne Frage ist Peter Lopez Hernandez der Typ Mann, den du deiner Freundin nicht vorstellen möchtest, weil sie dann den ganzen Rückweg lang beteuert: „So schön ist der nun auch wieder nicht“ und „Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, Alex“. Aber jeder weiß, was das in Wirklichkeit bedeutet.
Ich erinnere mich gut, wie zittrig die junge Kellnerin wirkte, als sie zurück an den Tisch kam, das Tablett abstellte, ein kurzes und schüchternes „Hallo“ in Peters Richtung hauchte, gefolgt von einem „Wer hat den Latte Macchiato bestellt?“ Dann war sie genauso schnell, wie sie aufgetaucht war, wieder hinter dem schweren, schwarzen Vorhang verschwunden.
Ich betrachte Peter auf dem Bildschirm, wie er in einer Folge „Catch the Millionaire“ eine junge Frau massiert. „Ich suche etwas Beständiges“, hatte er gesagt. „Etwas Ehrliches und etwas von Dauer.“ Aber die einzigen Werte, die dieses Format kennt und seinen Zuschauern verkauft, sind: Geld, mehr Geld, der Umstand, dass Geld „sexy macht“, Sex, das leichte, aufregende Leben ohne jede Form des Alltags sowie sozialer Aufstieg, gepaart mit der Erwartung einer ewigen Jugend. Das alles passt gar nicht zu Peter. Zum Model vielleicht, aber nicht zur Person.
„Warum bist du da eigentlich hingegangen, Peter, zu dieser Sendung?“ Peter überlegt eine Weile, streichelt den Rand seines Kaffeeglases, nickt einmal abwägend seitlich mit dem Knopf. „Naja. Wie soll ich dir sagen. Dass es eine Erfahrung für mich war? Ich wollte das einfach unbedingt machen. Und ich kannte das schon vom Modeln und wollte einfach mal sehen: Kann ich das, vier Wochen in einem Haus, permanent mit Fernsehkameras, eine Rolle spielen?“ Ich blicke ihn lange an. „Aber das ist eine sehr bequeme und glatte Antwort: Hast du nicht auch gehofft, dort vielleicht eine Frau zu finden?“ Peter überlegt. „Doch, schon. Natürlich. Ich denke, man kann seine Traumfrau überall finden – im Kino, auf der Straße, in der Eisdiele oder eben in einer TV-Sendung. Und es lohnt sich bestimmt, auch überall mal zu gucken.“
Vier Wochen mit 18 Frauen - das Paradies?
„Du bist vier Wochen mit 18 Frauen in einem Haus, die wegen der Aussicht auf einen Millionär herkommen. Da wird 20-Jährigen schon klar gemacht: Wenn sie halbnackt durchs Haus springen und abends mit den Männern in den Pool gehen, dann klappt das schon mit dem Traumprinzen. Ich meine: Ich habe so meine Bedenken, ob das ein besonders tolles Modell ist, das man Männern und Frauen an die Hand geben sollte, wie es im Leben läuft. Was denkst du?“
Ich kassiere den ersten – und den einzigen – bösen Blick von Peter an diesem Abend. „Du weißt doch gar nicht, ob die da alle hingehen, um die Liebe des Lebens oder einfach nur Geld zu finden. Vielleicht gehen sie auch dahin, weil es eine Erfahrung ist. Vielleicht wollen sie Spaß und das einfach ausprobieren? Weißt du, ich habe in meinem Model-Job schon festgestellt, dass andere Männer mich ständig als Konkurrenz betrachten. Und klar, ich sehe vielleicht recht gut aus. Aber über Leute, die gut aussehen, zu sagen, sie wissen gar nicht, was sie da tun. Das finde ich echt mies. So nach dem Motto: Vielleicht checken die das gar nicht - denn Leute, die gut aussehen, die könnten ja nichts im Kopf haben, nicht wahr?“ Peter nippt am Kaffee. „Ich habe Maler und Lackierer gelernt, und Tanzen. Das sind immerhin zwei Ausbildungen. Ist das nichts im Kopf?“
Zugegeben: Seine Eltern waren nicht gerade begeistert gewesen von der Sache mit dem Tanzen. „Mach was Bodenständiges, einen ehrlichen Beruf“, hatten sie gesagt – immerhin war Peters Mutter Bürokauffrau und sein Vater Maurer. Gab ein bisschen Stress, hatte Peter mir erzählt.Kennt, glaub ich, jeder, der seinen Eltern mal was Künstlerisches vorgeschlagen hat - ohne die Aussicht auf Fleischbällchen.
„Bevor ich in die Sendung gegangen bin, habe ich mehrere Monate in Los Angeles gelebt, am Cirque du Soleil getanzt“, ergänzt Peter. „Und dann wurde ich für das Casting von Step Up 2 genommen, fast hätte ich den Job sogar bekommen! Mann. Wenn ich ein Arbeits- und kein Touristenvisum gehabt hätte, die Zusage hatte ich ja schon.“ Weil unklar war, ob Peter die gesamten Dreharbeiten lang in den USA hätte bleiben dürfte, schickte man ihn wieder nach Hause – nachdem er sich gegen hunderte Bewerber durchgesetzt hatte. Gegen Leute, die für Beyoncé oder Michael Jackson getanzt hatten. Für Peter war es der kurze Moment vor dem Beinahe-Durchbruch. Als er zurückkam nach Deutschland, hatte seine Tanzschule bereits alle Kurse neu besetzt und Ersatz gefunden.Er war raus und erstmal arbeitslos. Der zweite Rückschlag, in direkter Folge. 2007 war das.
Das Bittere, und ich denke, das lässt sich so sagen, ist, dass dieses Casting für Peter eine Art Wendepunkt war: Zum ersten Mal hatte er sich als Person durchgesetzt, war nicht wegen seines Äußeren in einen Kandidatenkreis gerückt: Es ging um Leistung, um gute, glaubwürdige Charaktere für den Film, die etwas Besonderes hatten, erklärten die Produzenten ihm. Denn gute Tänzer, sagten sie, gäbe es in Los Angeles schließlich wie Sand am Meer.
Mit 17 war Peter „klassisch“ auf der Straße als Model entdeckt worden. Eine Frau, offenbar die Chefin einer Agentur, versprach ihm direkt einen Job und die Aufnahme in ihre Kartei. Peter fuhr hin, zog sich um, zog sich an. Bild. Knips! Lässiges Lächeln. An Wände gelehnt, mit dem Spazierstock oder den Kragen einer Jacke zuhaltend. Über Jahre machte er das: Castings, Fotoshootings, Modelabel, sogar Lagerfeld und diverse Laufstegnummern. Mit 18 machte er seine ersten Catwalks. Gebucht auch für Tanz, Theater, Bademoden und Promotion. Kein Akt, jedenfalls nicht vollständig. Kein Fetisch. Nur seriöse Angebote, bitte! Peter kennt das Geschäft. Im Modelbetrieb zählt eben nicht, wer du bist und was du sonst noch kannst, du bist und bleibst Projektionsfläche und führst damit das Leben eines besseren Fernsehers: An. Gutes Bild. Aus. Dazwischen: Schnauze halten und Strom sparen.
Ich denke, „Catch the Millionaire“ war irgendwie auch der Wunsch nach ein bisschen Anerkennung – für sich, als Mensch. So wie ich Peter kennengelernt hatte, wollte er mal für etwas nicht Hülle sein. Und er hatte ganz sicher andere Erwartungen gehabt. Seriösere vielleicht, authentische in jedem Fall. Vieles kam dann anders. Das Bewerten der Frauen mit einer Punkteskala vor laufender Kamera zum Beispiel: Wie gut war die Unterhaltung, wie interessant, wie viele Punkte verdient ihr Aussehen? Das war Peter schwergefallen. „Psychoterror“, nennt er es heute. Das alles, es war so gar nicht mehr gentlemanlike gewesen.
„Den Job bei ‘Catch the Millionaire’ habe ich durch Zufall bekommen. Ein Kumpel von mir, wir waren gerade in der Umkleide zu so einer Laufstegnummer, hat beim Umziehen mit einer Agentur telefoniert und dann gesagt: Klar, generell würde ich bei einer Show schon mitmachen, aber nicht bei ‘Catch The Millionaire’, wo 18 Frauen um drei Männer kämpfen.“ Peter lacht. „Er ist nämlich schwul, weißt du, und steht nur auf Männer! Dann hat er mir wortlos das Telefon gereicht.“
Bei Peter zu Hause
Als die Agentur, die im Auftrag von Pro Sieben das Format dreht, in Peters Wohnung steht und die Kamera aufbaut, geht es um eine kurze Vorstellung: Wer bist du, Peter? Und woher kommst du? „Sie haben mich dann über mein Leben ausgefragt, um zu schauen, ob das passt“, erklärt er. „Sie mussten mir ja eine Biografie schreiben, damit ich theoretisch auch der Millionär sein könnte. Die Damen sollen das ja nicht auf Anhieb wissen. Also hieß es, ich hätte die erste Fitness-App für einen großen Konzern entwickelt – und damit Millionen gemacht.“
Die Agentur hatte wohl schon eine gewisse Vorstellung davon, wie ihre drei Protagonisten für die Millionärsshow aussehen könnten: Schließlich stand mit dem „Bachelor“auf RTL schon zugkräftige Konkurrenz um die Quoten ins Haus. Paul, der Millionär, ist der selbstbewusste Draufgänger, der weiß, wo es langgeht. Und was Frauen wollen. Marcel, einer von Peters mittlerweile besten Freunden, ist der Verspielte, der alles nicht ganz so ernst nimmt, einfach Spaß haben will. Naja. Und Peter? Der ist eben der Gentleman, der bei Pro Sieben die Frau fürs Leben sucht. Und er ist wie gemacht für das Format: Er verleiht diesem eine echte Dramatik und Authentizität, die die anderen beiden „Millionäre“ nicht bieten können. Denn: Peter sucht wirklich. Von Anfang an. Das ist der Unterschied. Und von den Frauen, 18 Damen zwischen 20 und 34 Jahren, haben einige sogar ihren Job gekündigt, ihre Beziehung oder sogar die Verlobung aufgegeben, um in die Show zu können. Freiwillige Entscheidung, keine Frage.
„Ich habe den Leuten vom Team gleich bei mir zu Hause gesagt: Über meine erste Ehe will ich nicht reden“, sagt Peter und bestellt noch einen Latte Macchiato. Diesmal kommt ein Kellner zum Tisch. „Sonst klingt das so, als würde ich jemanden dafür die Schuld geben. Das will ich nicht. Die Agentur hat dann gesagt: Das müssen wir senden, Peter. Das ist wichtig, der rote Faden. Das macht es doch erst authentisch, und sonst versteht der Zuschauer dich ja nicht!“ Gegen seinen ursprünglichen Willen nahm man es dann in die Show auf. Peter hat sich ziemlich mies gefühlt damit, es aber auch geschehen lassen. “Das ist doch schon ganz schön privat„, seufzt er. “Man weiß nicht, ob man damit im Fernsehen stehen will.”
Ansonsten ist das Format nicht geskriptet. Vorgegeben waren nur die Dates, also wann und wo. Wenn ein Date zum Beispiel in Mailand war, konntest du nicht sagen: Lass uns nach Venedig! Den Rest, über den Tag, durften wir meist frei entscheiden.
Peter Lopez Hernandez
Alle Darsteller hätten eine Gage bekommen, die Höhe, genauso wie Interna über die Produktion und die Abläufe während der Drehtage, darf Peter nicht verraten – eine Sperrklausel in seinem Vertrag verhindert das. Wir hätten natürlich gerne mit der Agentur Shine Germany Film- und Fernsehproduktion GmbH darüber gesprochen, aber die Agentur, die das Format im Auftrag für Pro Sieben erstellt hat, war mit dem Verweis auf „produktionsinterne Informationen“ zu keiner Stellungnahme bereit.
„Ansonsten stand da aber nichts fest“, sagt Peter und fährt kurz über sein Telefon, während er schnell aufsieht, „außer, dass wir drei räumlich getrennt waren von den Damen. Und ich weiß noch, bei der ersten Begegnung mit den Frauen, da sollte ich im Lamborghini langsam über die Einfahrt fahren. Dort standen die dann, alle Frauen aufgereiht vor dem Eingang. Und ich in diesem Höllenauto. Mann. Ich dachte wirklich: Die Karre hau ich jetzt direkt in die Wand. Ich war so aufgeregt, überall haben schwarze Punkte getanzt.“ Als er ankam und das Format mit diesem Opener offiziell begann, reichte er den 18 Damen vor der Tür des Luxusanwesens in der Toskana die Hand. Nach der Dritten hatte er alle Namen wieder vergessen.
Die vier Wochen waren insgesamt turbulent, schließlich standen zahlreiche Dates an – es gab Ballonfahrten und Touren mit einer roten, alten Ente durch Paris. Peter lernte Anastasia kennen. Zu diesem Zeitpunkt war längst mit der Agentur vereinbart worden, dass die Facebook-Profile der drei Millionäre auf „öffentlich“ gestellt werden müssen, damit jeder Fan, ob Freund oder nicht, sehen kann, was passiert. „Am ersten Sendetag habe ich über Nacht 250 Freundschaftsanfragen auf Facebook bekommen“, strahlt Peter. Die Nacht verbrachte er am Rechner, noch heute schreibt er jedem Fan persönlich und zu fast jeder Zeit zurück. Anastasia war auf Anhieb etwas Besonderes für ihn, er verliebte sich auf Anhieb in sie, wählte sie in der finalen Entscheidung aus und beide wurden ein Paar – im richtigen Leben.
Die Beziehung zerbrach aber schon ein paar Monate danach, weil „es ebenso ist“, wie Peter sagt, und er wägt sorgsam seine Worte ab dabei. „Du bist eben eine Woche in dieser Luxusumgebung, jeder Tag ist neu, aufregend. Das Gegenteil von Alltag. Und wenn der Alltag dann kommt, dann schafft eine Beziehung, die unter diesen extremen Bedingungen entstanden ist … naja … die schafft es halt nicht, glaube ich.“ Seitdem lebt Peter jedenfalls ein bisschen aus dem Koffer, was ja nicht schlimm ist, „weil ich sowieso ständig auf Reisen bin“, wie er sagt.
Ob Peter einsam ist? Vielleicht, ja. Und vielleicht hat er sogar jeden Grund dazu: Im Jahr 2000, Peter ist gerade 17 und macht seine Ausbildung als Maler und Lackierer, hieß noch nicht Peter Lopez Hernandez, der Name seiner ersten Frau, sondern einfach nur Peter Lischke. Er lebt mit seinen Eltern in Leipzig, was wunderschön ist, weil Leipzig so wunderschön ist. Eines Tages beschließen Peters Eltern, in ein neues, ein größeres Haus zu ziehen. Der ganze Umzug ist schnell geplant, die Kisten gepackt. Peter blickt mich an, schiebt demonstrativ das Kaffeeglas weit von sich. “Naja. Und dann, so zwei Wochen vorher,hat meine Mutter zu mir gesagt: ‘Peter. Für dich ist leider kein Zimmer mehr frei.’“
Der schöne Schein
Peter hebt das aus dem Fundament. „Von einem Tag auf den anderen nahm ich meine Sachen und versuchte, irgendwie in zwei Wochen eine Wohnung in Leipzig zu finden. Etwas, wo ich bleiben kann.“ Er findet schnell was, lebt aber - bis zu seiner Hochzeit mit 27 - zehn Jahre in der gleichen Stadt wie seine Eltern. Ohne jeden Kontakt. Er versucht, seine Mutter anzurufen, aber sie hebt nie ab. Fast 15 Jahre hat er keinen Kontakt mehr zu ihr. Erklärungen, warum er damals nicht mitdurfte, gab es nicht. Seinen Vater habe er mal mit seiner ersten Frau besucht. „Sie wollte ja unbedingt mal meine Familie kennenlernen“, sagt Peter. „Mein Vater hat dann nur Solitär am Computer gespielt und nicht mal aufgesehen, während der ganzen Zeit, die wir dort waren und auf dem Sofa saßen. Irgendwann bin ich aufgestanden und gegangen. Es bringt doch alles nichts, dachte ich.“ Peter blickt auf seine Hände. Naja. Dann zerbricht die Ehe und Peter kehrt in die Nähe von Leipzig zurück - in die Stadt, die vielleicht seine einzige Konstante war, und die er nur für seine Frau drei Jahre verlassen hatte.
Ich drücke auf Stop. Auf dem Bildschirm friert das Bild von Peter im Whirlpool fest, umringt von Kerzen, am Wannenrand ein Glas Wein. Wer guckt diese Sendungen? Versuchen wir es, nur in diesem Ausnahmefall, mal mit einem krassen Klischee: vielleicht die Hausfrau, die vor dem Fernseher bügelt, der Mann, der nach getaner Arbeit mit dem Bier vor dem Bildschirm sitzt? Die Kinder oder Teens, Studis, die es lustig finden, was in der Villa passiert und ihr eigenes, sorgenvolles oder sorgenloses Leben haben? Ein Klischee ist nie zutreffend, und es ist unfair und gemein, und dumm ist es auch, sich dieser Klischees zu bedienen. Aber es geht aber nur um drei stereotype Zuschauer, denen dieses Format ein probates Mittel, das Ecstasy gegen die Langeweile und die Redundanz des täglichen Alltags ist. Aber das, was Peter gesucht hatte, nämlich einen Alltag, Geborgenheit, etwas „Echtes vielleicht“ - das ist über dieses Format nicht zu bekommen.Dafür ging es einfach zu sehr um Sex und Geld und den schönen Schein. „Würdest du es wieder tun?“, frage ich Peter und er überlegt. „Nicht unbedingt. Eher etwas anderes. Das war schon krass dort. Let’s Dance vielleicht? Aber ich sage jetzt auch nicht, dass ich unzufrieden bin. Ich bereue die Erfahrung nicht. Es geht aber in solchen Sendungen nicht um dich. So gar nicht. Und das muss man halt wissen.“
„Du hast mir mal gesagt, du hättest gerne irgendwann eine klassische Familie – Vater geht arbeiten, Mutter zu Hause. Eine kleine Tochter.“ Ich betrachte Peter und bezahle die Rechnung. Er nickt. „Und wenn die eines Tages sagen würde: Du, Papa, ich möchte in diese Sendung, in so ein Format – was würdest du sagen?“
„Puh“, macht er dann und wartet lange mit einer Reaktion: „Da müsste ich echt nachdenken und mit ihr drüber sprechen.“ Es klingt wie ein: „Ich will es ihr zwar nicht verbieten, aber …“.
Und nach all den Rückschlägen und Beinahe-Durchbrüchen hätte Peter fast noch diesen einen, diesen für ihn wichtigen Durchbruch gehabt: Peter hatte gerade eine Laufstegnummer in Halle,als er eine SMS bekam. Im Publikum saß - seine Mutter. „Sie schrieb mir einfach so, direkt nach der Show: ‘Ich würde übrigens gerne wieder deine Mutter sein.’“ Peter betrachtet das Glas, dann mich. Dann wieder das Glas. Dann seufzt er, zuckt wieder mit den Schultern, wie er es gerne macht, wenn er eigentlich kein Bock hat, darüber zu reden. “Keine Ahnung. Ich habe ihr dann jedenfalls gesagt, dass das nicht über Nacht geht. Dass das Zeit braucht und wieder wachsen muss. Das Vertrauen ist ja weg.„ Und dann ist Peter ganz leise und völlig bei sich. Seine blauen Photoshop-Augen blicken mich an. “Sie hat nur geschrieben: Dann eben nicht. Schönes Leben, Peter.”
Aufmacher-Foto: Jörg Singer; Text gesprochen von Alexander Hertel von detektor.fm