John Denno (16) baute mit LEGO-Steinen eine Chronik der Nazi-Zeit nach
Ich finde, bei der Erinnerung an den Holocaust ist es wichtig, den Jugendlichen und Kindern den Weg nicht zu versperren. Viele Menschen würden ihren Kindern gerne mehr darüber erzählen, was damals passiert ist, wissen aber nicht wie. Bilder der vom Hunger ausgezehrten Inhaftierten oder von geschändeten und würdelos entsorgten Leichen zeigen zwar die schockierende Wahrheit, sind aber für Neun-, Zehn- oder Elf-jährige zu brutal.
Ich versuche deshalb, so ein schwieriges Kapitel der Geschichte anders anzugehen, auf eine Art, die nicht verharmlost, aber trotzdem einen einfachen Zugang zum Thema bietet. Natürlich kann ich mit meinen Lego-Installationen das Geschehene während der Nazi-Diktatur nicht so wiedergegeben, wie es Überlebende des Holocausts können. Ich kann aber den Verlauf darstellen, wie es Hitler von einem kleinen Redner auf Marktplätzen zur Übernahme der Macht in Deutschland geschafft hat. Auch für die Konzentrationslager gilt: Die Realität zeigen nur Fotos, ich kann das, was passiert ist nur andeuten.
Ich fände es aber besser, wenn Leute ihre eigenen Talente mehr einbringen, um des Holocausts zu gedenken, und das Thema zum Beispiel in der Schule nicht immer nur mit den immer gleichen Methoden angehen würden. Immer nur Plakate mit Bildern und Stichpunkten sind auf Dauer nicht sehr einprägsam, ebenso wenig wie Frontalunterricht. Viele beschäftigen sich erst dann mit so einem Thema, wenn sie die Umsetzung anspricht. Ich glaube, da könnte man mit etwas Originalität noch mehr Menschen zum Nachdenken über Themen wie den Holocaust bringen, das wäre vor allem für junge Menschen wichtig.
Und bei all dem, was im Internet geschrieben und gesagt wird, sollte man sich nicht davon abhalten lassen, darüber zu reden oder sich damit zu beschäftigen: Es gibt immer Leute, die das Gedenken für falsche Ideen ausnützen oder umdeuten wollen. Die große Mehrheit geht aber gut mit dem Thema Holocaust um, man sieht, dass negative, spöttische oder herablassende Kommentare eher eine Seltenheit sind.
Die komplette Serie findet ihr auf Imgur.
Claudia Spengler (18), absolviert einen Freiwilligendienst am Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim (Auschwitz)
Ich habe Auschwitz zum ersten Mal mit 15 besucht, zusammen mit einer Jugendreisegruppe. Ich fand es schon damals schockierend, was hier passiert ist. Richtig bewusst ist mir das Ausmaß aber erst in meinem Volontariat geworden. Ich habe schon in der Vorbereitungszeit viel darüber gelesen und Dokumentationen angesehen, aber es vermittelt das Ganze nicht wie der Ort selbst.
Für mich persönlich bleiben die Begegnungen mit Zeitzeugen das Beeindruckendste und Prägendste. Im Geschichtsunterricht konnte ich überhaupt keine Beziehung zu dem Thema aufbauen, ich konnte mit den Zahlen alleine nichts anfangen, kein Gefühl dafür entwickeln, was es heißt, dass mehr als eine Million Juden alleine in Auschwitz ermordet wurden. Ich hoffe wirklich, dass die Geschichte des Holocausts auch dann lebendig bleibt, wenn keine Zeitzeugen mehr am Leben sind. Ich habe da aber leider meine Zweifel…
Was mich während meiner Zeit in Auschwitz überrascht hat, waren die grundsätzlich unterschiedlichen Blickwinkel verschiedener Nationalitäten. Polen besuchen Auschwitz meist in dem Gefühl der Opfer, Deutsche hingegen fühlen sich teilweise schuldig. Die Unterschiede verschwinden aber in der Trauer, die ist allen Besuchern gemein.
Am größten ist der “Vorher-/Nachher-Effekt“ bei jungen Besuchern mit 14 oder 15. Sie kommen meistens als Schulklassen, für sie ist es nicht nur der Besuch eines Konzentrationslagers, sondern eben auch eine Klassenfahrt, die für sie gewisse Freiheit vom Elternhaus bietet.
Die Stimmung ändert sich aber meistens nach dem Museumsbesuch: Meistens rennen sie nach der Ankunft noch durch die Gänge oder ziehen sich während des Essens mit irgendwelchen Kleinigkeiten auf, Teenies eben. Nach dem Besuch der Gedenkstätte dreht sich die Stimmung dann aber meistens ziemlich schnell: Dann ist eher eine bedrückende Ruhe zu beobachten.
Was mich noch mehr irritiert hat, war mein erster Besuch Zuhause an Weihnachten. Ich dachte eigentlich, dass meine Freunde brennend daran interessiert wären, was ich in Oswiecim erlebt habe. Für mich war es unglaublich wie viel ich in nur vier Monaten gesehen und gelernt hatte. Die meisten waren aber wenig interessiert, hatten „wichtigere“ Themen, das hat mich schon enttäuscht.
Andererseits hätte ich aber auch nicht gedacht, dass mich der Aufenthalt so verändert. Vor meinem Volontariat habe ich befürchtet, ich hätte es irgendwann satt, die ganze Zeit mit den traurigen Schicksalen umzugehen. Doch umso länger ich hier bin, umso mehr will ich mich damit beschäftigen, unter Umständen jetzt sogar mein Studium darauf ausrichten.
Carly Abramowitz (29), Klinische Psychologin in Berlin - Ihre Urgroßmutter starb in Auschwitz
Ich wurde in Südafrika geboren, meine Oma in Deutschland, und meine Ur-Oma starb in Auschwitz.
Eigentlich lebte meine Oma irgendwo im Süden Deutschlands. Ich weiß nicht genau, wo. Sie hat den Holocaust nur überlebt, weil sie in ein katholisches Kinderheim in Frankreich gebracht worden war, als sie fünf Jahre alt war. Nach dem Krieg zog sie nach Südafrika, weil dort entfernte Verwandte von ihr wohnten. Sie hat niemals darüber geredet, was mit ihr im Krieg passiert ist. Erst als Steven Spielberg nach Südafrika kam, um sie und andere Überlebende des Holocaust zu interviewen, wurde ihre Geschichte ein Teil des Familienerbes. Auch wenn sie nicht wollte, dass wir das Interview sehen.
Aber meine Mutter ist der lebende Beweis für die psychologischen Folgen des Holocausts. Denn sie litt darunter, dass meine Oma traumatisiert war: Sie war manchmal sehr distanziert, fast irrational. So sagte sie an dem einen Tag: „Ich kaufe keinen Mercedes, der stammt aus Deutschland“, und fand wenig später BMWs ganz toll.
Nachdem Oma diese Interviews mit Spielberg gemacht hatte, sagte mir meine Mutter, ohne lange zu überlegen, was passiert war. Das war ungefähr Mitte der 1990er Jahre. Aber ich blieb abgenabelt von dieser Geschichte. Ich ging in ein Holocaust Museum in Südafrika, und was ich dort sah, kam mir wie die Geschichte von jemand anderem vor. Ich habe sogar „Auschwitz“ falsch ausgesprochen. Ich habe „Auswitz“ gesagt.
Bis zu dem vergangenen Jahr. Ich bin nach Berlin gekommen.
Ich habe angefangen, Bücher zu lesen. Gerade „Two Brothers“ von Ben Elton hat mich sehr berührt. Darin wird auf eine sehr menschliche, sehr persönliche Weise vom Holocaust erzählt. Und es spielt in Berlin-Friedrichshain, wo ich wohne. Plötzlich konnte ich das Ausmaß dessen verstehen, was passiert ist.
Eines Tages, wenn ich Kinder habe, werde ich mit ihnen natürlich darüber reden. Warum sollte man auch nicht darüber reden und sich so von der Geschichte distanzieren? Nur, weil man nicht anerkennen will, wie schlecht die Menschen sein können? Nein. Ich will meinen Kindern zeigen, dass diese Geschichte auch ihre Geschichte ist.
Ich selbst stelle mir oft die Frage: Was hätte ich gemacht? So kann ich in Verbindung treten mit diesen Menschen, die anders sind als ich und zu anderen Zeiten gelebt haben. Es wäre unglaublich, wenn wir wirklich physisch nachempfinden könnten, was andere Menschen erlebt haben. Das würde uns sehr verändern – und heilen.
Ich werde mit meinen Kindern aber nicht nur über den Holocaust reden, sondern auch über das Apartheids-Regime in Südafrika. Das wird aber schwerer. Denn da stand ich auf der falschen Seite der Geschichte.
Ania Scierska (20) , studiert Städteplanung in Kraków (Krakau), wuchs in Oswiecim (Auschwitz) auf.
Ich wohne in Auschwitz, und natürlich kommt man dort ständig in Kontakt mit dem Thema. Das heißt aber nicht, dass jeder, der aus Auschwitz kommt, auch unbedingt mehr darüber weiß. Es ist wie in jeder kleinen Stadt, das ganz normale Leben. Ich habe tolle Erinnerungen an meine High-School-Zeit, meine Freunde. Auschwitz ist für mich mein Zuhause.
Aber ich hatte schon als kleines Kind vor dem Gelände Angst. Es versprühte immer eine sehr negative Stimmung. Mein erster Kontakt mit dem Holocaust war also mehr ein beängstigendes Gefühl, wirklich erfahren habe ich die ganze Geschichte erst später. Mit ungefähr zwölf habe ich das Lager dann zum ersten Mal besucht, dann wurde mir auch das Ausmaß bewusst: Berge von Schuhen, Berge von Kleidung und Koffern. Erst, wer das mit eigenen Augen gesehen hat, versteht, wie viele Menschen hier wirklich gestorben sind. Ich konnte es damals gar nicht glauben, als ich die Zöpfe und Haarbüschel der Ermordeten gesehen habe.
Für unsere Großeltern ist das Thema natürlich immer noch wesentlich näher als für uns Junge. Der Vater meiner Großmutter wurde 1942 dort ermordet, weil er Teil des polnischen Widerstands war – mit stolzen 60 Jahren. Sie erzählt an jeder Familienfeier davon, sie will nicht, dass wir vergessen, was damals passiert ist. Aber viele Leute interessiert das leider heute nicht mehr. Meine Eltern versuchen auch das Thema eher auszuklammern. Warum genau weiß ich nicht.
Sich diesen Horror im Kopf zu behalten und immer und immer wieder vor Augen zu führen, ist für mich - obwohl ich örtlich so nah bin - nicht einfach. Ich glaube, man kann einfach nie komplett verstehen, was damals wirklich passiert ist, man hat es einfach nicht selbst erlebt.
Deswegen sollten wir vor allem in Auschwitz die Möglichkeit immer wieder wahrnehmen, mit Zeitzeugen zu sprechen. Durch die Gespräche können wir im Erinnern selbst eine eigene Funktion einnehmen: Die Geschichten auch an diejenigen weiterzutragen, die sie nicht mehr von Zeitzeugen selbst hören können.
Tomasz Kobylanski (24), studierte Studies in Holocaust and Totalitarian Systems an der Jagiellonian University Krakow (Krakau)
Ich habe letztes Jahr an der Jagiellonian University mein Master-Studium Studies in Holocaust and Totalitarian Systems beendet und arbeite jetzt für das Bildungszentrum über den Holocaust im Staatsmuseum Auschwitz-Birkenau. Ich habe also schon von Berufs wegen viel mit der Thematik zu tun.
Schon als kleiner Junge mit fünf oder sechs Jahren habe ich mehr und mehr darüber erfahren. Ich kannte den Begriff Holocaust noch nicht, wusste aber schon damals, dass in meiner Geburtsstadt etwas schreckliches passiert sein muss. Anders als für Menschen, die nur in der Schule darüber lernen, war es für mich eher ein Prozess, durch den ich gegangen bin. Das begann schon als Kind und setzte sich später in meiner Jugend fort.
Im Mittelpunkt des Erinnerns steht für mich natürlich die Begegnung mit den Zeitzeugen – den ehemaligen Gefangenen und Überlebenden. Dadurch, dass ich in Auschwitz geboren wurde, hatte ich glücklicherweise die Möglichkeit dazu. Diese Chance wird aber leider nicht mehr lange bestehen. Deswegen ist der Besuch von Erinnerungsstätten wie das Auschwitz-Museum vor allem für junge Menschen sehr wichtig, um ihnen den Holocaust näher zu bringen.
Wir sollten auch mehr neue Wege suchen um ihnen die Geschichte zu vermitteln, das Internet bietet uns dazu neue Möglichkeiten, die wir nicht ungenutzt lassen sollten. Trotzdem ist es für mich klar: Die Begegnung mit Zeitzeugen und Originalschauplätzen wie hier in Auschwitz ist immer noch das Hilfreichste, e-learning oder virtuelle Rundgänge können das nicht ersetzten.
Und klar: Nicht jeder hat so viel Interesse an der Geschichte wie ich, viele Freunde von früher messen Auschwitz und dem Holocaust nur eine geringe Bedeutung zu. Aber gerade durch mein Studium habe ich viele Leute aus allen Teilen der Welt kennengelernt, die sich dafür interessieren. Vor allem die Verschiedenheiten bei dem Umgang mit dem Thema ist für mich wirklich interessant.
Das Gespräch mit Carly Abramowitz führte Rico Grimm.
Aufmacher-Foto: Mit freundlicher Genehmigung durch John Denno