“Wir müssen unbedingt am 15. in Laayoune sein”, sagte mein Freund Gareth bei Skype. Es war Anfang Juli, ich lag auf dem Sofa meines Berliner Zimmers, draußen rauschten die satten, grünen Bäume, die Sonne war untergegangen, und ein einzelner Fernseher schickte eine WM-Übertragung in den Hof. Ich musste nachsehen, wo Laayoune lag: südlich von Marokko, in der Westsahara. “Jeden Monat am 15. demonstrieren in Laayoune sahrauische Aktivisten für Unabhängigkeit von Marokko. Die Polizei schlägt sie regelmäßig zusammen. Darüber sollten wir berichten.” Die Aktivisten verlangen einen eigenen Staat, Marokko hält das Gebiet besetzt.
Gareth ist ein Journalist aus Großbritannien und studiert gerade Arabistik. Ich habe ihn bei einer früheren Reise kennengelernt. Wir hatten schnell festgestellt, dass wir eine Vorliebe für den britischen Polemiker Christopher Hitchens und für politische Randgebiete teilten. Die okkulten Gesprächsthemen, die sich daraus ergaben, schweißten uns zusammen. Jetzt schlug er mir vor, in die Westsahara zu fahren. Der Computer-Lautsprecher ploppte mehrmals hintereinander, Gareth schickte mir Links zu Youtube-Videos, die augenscheinlich von einem Dach aus aufgenommen worden waren und eine kleine Demonstration zeigten.
Um über eine solche Demonstration berichten zu können, mussten wir bald fliegen. Wir wollten uns am 9. Juli in Agadir treffen und dann gemeinsam mit dem Bus zwölf Stunden gen Süden fahren.
Ich kam aus Leipzig geflogen, er aus London. Alles verlief nach Plan. Wir waren am Morgen des 10. Juli in Laayoune. Wir wollten hier Erkundungen einholen, zur UN fahren, zum lokalen Gouverneur, den Hafen begutachten, Aktivisten treffen wie marokkanische Offizielle, wollten ein Auto mieten und nach Smara, in die alte Hauptstadt der Westsahara, fahren.
Aber am Nachmittag des nächsten Tages komplimentierten uns 16 Männer in ein Taxi, das wir nicht verlassen durften, ehe wir wieder in Agadir waren. Die marokkanische Polizei verbannte uns.
In den Tagen danach lagen wir tatenlos in einem Hostel in Marrakesch herum. Wir mieden die Sonne und schauten zu, wie das Wasser im kleinen Pool immer öliger wurde von der Sonnencreme der Schwimmer. Wir rätselten, warum uns die Polizei so schnell aus der Westsahara geworfen hatte. Andere Kollegen konnten zum Teil tagelang recherchieren, auch ohne offizielle Erlaubnis, ehe sie verbannt wurden. Die Antwort lag in einer Szene an unserer Hoteltür, in einem Gesichtsausdruck. Da waren wir uns sicher.
Wir hatten uns am Abend vor unserer Verbannung mit Hassana Duihi, einem vor Ort bekannten Aktivisten getroffen, um die nächsten Tage zu planen. Als wir ihn anriefen, schlug Duihi vor, sich in einem Café direkt vor unserem Hotel zu treffen. Wir wunderten uns darüber, aber vertrauten ihm. Während des Gesprächs erwähnten wir, dass wir bis mindestens zum 15. bleiben wollten, um die Demonstrationen zu beobachten. Am Nebentisch saß ein zivil gekleideter Schnüffler, auf den uns Hassana aufmerksam machte.
Hassana riet uns, “Touri zu spielen”, um die Polizisten auf eine falsche Fährte zu locken. Wir sollten uns am nächsten Vormittag die Sehenswürdigkeiten von Laayoune anschauen und uns dann wieder bei ihm melden. So machten wir es. Es waren 35 Grad im Schatten, Gareth und ich liefen die menschenleeren Straßen entlang. Fahle Moschee, großer Platz, kleine Kirche - es dauerte keine Stunde, und wir hatten alles gesehen, was es zu sehen gab. Zurück im Hotel, verkrochen wir uns vor der Hitze. Plötzlich klopfte es. Es war die Rezeptionistin; sie wollte nochmal unsere Pässe sehen, die sie schon am Vortag kopiert hatte. Wir wunderten uns, konnten uns aber nicht verständlich machen. Also gaben wir ihr die Pässe. Sie verschwand mit ihnen.
Fünf Minuten später klopfte es wieder an der Tür, lauter, knapper, viel entschiedener als vorher.
Gareth öffnete die Tür. Im Flur standen vier Männer: ein schmaler, dümmlich Dreinblickender. Daneben ein dicker Muskelmann. Und ein nicht ganz so Dicker, mit pomadigen Haaren und einem servilen Auftreten. Sein Englisch war das beste, er führte das Wort. Der Chef der Bande ganz hinten, er verfolgte jede unserer Bewegungen sehr aufmerksam und schwieg ansonsten. Der Stämmige fragte uns: “Wo kommt ihr her? Was macht ihr hier? Was macht ihr zu Hause?” Berlin, uns die Gegend anschauen, Geographie studieren, antwortete ich; so ging unsere Tarngeschichte. Dann fragte uns der Stämmige: “Wie lange wollt ihr bleiben?” „Bis zum 16. Juli“, sagte Gareth. Da schaute der Stämmige erst ungläubig, dann verärgert. Und das war der Gesichtsausdruck, an den wir uns in Marrakesch wieder erinnert hatten. Die Fassungslosigkeit.
“Was wollt ihr solange hier machen?”, fragte er, die Augen vor Ärger halb geschlossen. “In Laayoune gibt es doch nichts zu sehen. Seid ihr wirklich Studenten? Keine Journalisten?” Unsere nicht sonderlich gute Tarngeschichte war aufgeflogen. Sie wussten, dass wir die Demonstrationen sehen wollten. Für die vier Schnüffler vor uns stellten wir nun ein Problem dar, das sie schnell lösen mussten. Sie gaben uns unsere Pässe zurück und verschwanden.
Gut zwei Stunden später wollten wir noch eine Runde in der Stadt drehen - und da standen sie. 16 Männer unter einer Markise, die Straße war leer. Der stämmige Wortführer verlangte wieder nach unseren Pässen. Sein schweigsamer Chef sagte plötzlich: “Ihr müsst jetzt gehen. Ihr habt euch mit Separatisten getroffen. Ihr habt gegen das Gesetz verstoßen.” Sie drängten uns die engen Hoteltreppen hoch, schrien mich an, als ich mein Handy aus der Hosentasche zog. Wir mussten packen. Sie filmten und fotografierten uns, während wir zum Taxi liefen. Das Taxi fuhr zurück nach Agadir.
Als Gareth und ich dort ankamen, führte unser Fahrer kurz vor der Stadtgrenze ein kurzes Gespräch. Er alarmierte wohl die lokalen Behörden, denn am Busbahnhof setzte er uns ab, und dort empfing uns gleich ein weiterer Regierungsmann. Er folgte uns in einem weißen Kastenwagen französischer Bauart. Gareth schaute immer wieder durch die Heckscheibe. Manchmal verloren wir den Kastenwagen, dann tauchte vor uns schon ein anderer auf. Einmal sagte ich zu Gareth: “Dort ist wieder einer.” Dann passierten wir den Wagen, und darin saß nur ein Vater mit seinem Sohn. Wir waren uns nicht sicher, ob diese Leute uns nur noch heute Abend folgen würden oder die ganze restliche Zeit unseres Aufenhaltes in Marokko.
Warum warfen uns die Polizisten heraus, als sie mitbekommen hatten, dass wir die Demonstrationen beobachten wollten? Und nicht schon vorher? Sie wussten doch, dass wir mit den Aktivisten sprachen. Wochen später interviewte ich Hassana Duihi noch einmal, via Skype. Er erzählte mir, dass er nach seiner ersten Demonstration festgenommen worden war. Der Polizeichef hatte ihm gedroht: Er dürfe im Internet schreiben, was er wolle. Er dürfe mit ausländischen Journalisten sprechen. Aber an Demonstrationen teilnehmen dürfe er nicht. Das ist paradox. Im Internet können diese Aktivisten für ihr Anliegen werben, aber sobald sie das gleiche, in kleiner Zahl nur, auf der Straße tun, werden sie verprügelt.
Marokko fürchtet sich vor einem neuen Gdeim Izik. Vor vier Jahren versammelten sich Zehntausende Sahrauis in dem Zeltlager Gdeim Izik bei Laayoune, um für mehr Arbeitsplätze und Gleichheit zu protestieren. Die marokkanische Regierung ließ keine unabhängigen Journalisten in das Lager. Aber der Medienboykott scheiterte, denn genug Informationen drangen nach draußen, um den Blick der Weltmächte auf diesen lange ignorierten Konflikt zu lenken. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat wieder mit dem Konflikt in der Westsahara, wenn auch nur oberflächlich. Die zehntausend demonstrierenden Sahrauis ließen sich nicht vertuschen, ihre Wut nicht durch spitzfindige PR-Floskeln verwässern. Das Lager hatte die Regierung zum Handeln gezwungen.
Nur wenige Monate später sollten in Kairo, Tunis und Tripolis die Herren Mubarak, Ben Ali und Gaddafi ihre eigenen Erfahrungen mit Menschenmassen machen.
Die Kommunistische Partei Chinas, das Mutterschiff moderner Autokraten, ist da klüger. Sie versucht, gemeinsame Aktionen ihrer Bürger zu verhindern. Hier lässt die herrschende kommunistische Partei zwar zu, dass man ihre Mitglieder, Staatsbeamte und staatlichen Konzerne offen kritisiert. Aber trotzdem hat die Partei einen der ausgefeiltesten Zensurapparate der menschlichen Geschichte aufgebaut, der in Anlehnung an die Große Mauer, die den Mongolensturm aufhalten sollte, „The Great Firewall of China“ genannt wird. An dieser Mauer soll jeder Aufruf abprallen, der die “harmonische Gesellschaft” gefährden könnte. Kritik ist okay, solange sie nicht in Aktion mündet. Darin gleichen sich China und Marokko. Es scheint ein gängiges Muster autoritärer Staaten zu sein.
Seitdem 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens chinesische Studenten für eine Liberalisierung protestiert hatten, sah die Partei in solchen Menschenansammlungen die größte Gefahr für ihre Herrschaft. Erst ein Massaker hatte den Protest damals beenden können. Immer wieder griffen die Zensoren danach ein. 1996 löschten sie einen Aufruf chinesischer Nationalisten, die gegen Japan demonstrieren wollten. Als 2008 Liu Xiaobo, der spätere Nobelpreisträger, eine pro-demokratische Petition im Netz zirkulierte, wurden alle Hinweise darauf entfernt. Im gleichen Jahr protestierten viele muslimische Uiguren in der Provinz Xinjiang gegen die Herrschaft der KP China. Die ganze Region wurde für zehn Monate vom weltweiten Netz abgeklemmt. Und natürlich: Über die Regenschirm-Proteste in Hong Kong können sich die Chinesen auch nicht ohne weiteres unterhalten.
Wissenschaftler haben herausgefunden, wonach Chinas Zensoren genau suchen
Der amerikanische Wissenschaftler Gary King hat kürzlich in einer spektakulären Studie systematisch gezeigt, wie die KP-Zensoren vorgehen. Sie wollen verhindern, dass sich ihre Bürger in irgendeiner Form zusammentun und ein eigenständiger Akteur werden. King sagt, dass alles zensiert werde, was “collective action potential” habe, also den Samen von Gemeinschaftsaktionen in sich trage, die nicht von der Partei gesteuert werden.
King und seine beiden Kollegen hatten in einer ersten Studie 130.000 Posts auf chinesischen Internet-Plattformen ausgewertet und herausgefunden, dass Kritik am System oder Rufe nach Politikwechsel kaum öfter gelöscht wurden als apolitische Posts. Sie standen vor einem Rätsel: Wenn so wenig zensiert wird, warum unterhält China dann so eine riesige Zensurmaschine? Kann es sein, dass bestimmte Inhalte gar nicht freigegeben wurden? Um das herauszufinden, mussten die Wissenschaftler ihre eigenen Posts schreiben, stellten den hundertausend Zensurarbeitern 200 Nutzerkonten gegenüber und schrieben 1.200 Posts.
Das Ergebnis: Inhalte, die zu gemeinsamen Aktionen aufriefen, löschte die Zensur mit 20 bis 40 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit. Mehr noch: Die Kritik, die zugelassen wird, nutzt die KP China, um ihre eigene Politik anzupassen.
Der Kontroll-Apparat Marokkos ist nicht so groß und ausgefeilt wie derjenige Chinas, aber die Behörden verfolgen das gleiche Ziel: Sie wollen die Straßen kontrollieren.
Moderne Autokraten fürchten scheinbar weniger die Kritik im Internet. Sie fürchten die Sprechchöre, die dieser Kritik Nachdruck verleihen.
Denn Macht wurzelt in unserer Gesellschaft noch immer in der ertastbaren Welt. Was wir anfassen können, ist viel gefährlicher als das, was nur online existiert. Denn die ultimative Macht bleibt jene über Leben und Tod, über Krankheit und Gesundheit. Noch befällt ein Computer-Virus nur unsere Infrastruktur, aber nicht unsere Körper. Noch gibt es diesen einen entscheidenden Unterschied zwischen digitaler und analoger Welt: Offline wird gestorben.
Dabei sind beide Dinge, Offline-Aktion und Online-Agitation, natürlich nicht sauber voneinander zu trennen. Digitale Verständigungswerkzeuge sind sehr wichtig, um Bürger aufzuklären, auf die Straße zu bekommen, einer Bewegung ein Ziel zu geben. Das Internet ist aber nur ein Pfeiler moderner Macht. Es reicht heute noch nicht, die digitalen Plattformen zu kontrollieren. Hardware ist wichtiger: die physische Infrastruktur des Internets, der Regierungssitz, die Archive, die Polizeistationen, die Ministerien, die Kasernen. Max Weber lehrt uns: Jeder echte Staat strebt nach der vollen Kontrolle seines Territoriums und der Machtmittel darin. Gelingt ihm das dauerhaft nicht, ist er ein failed state. Anders im Netz: Dort muss seine Herrschaft nicht so durchdringend sein. Staaten begnügen sich im Regelfall mit einer oberflächlicheren Kontrolle, die nicht auf die Infrastruktur abzielt, also die Plattformen der Verständigung wie zum Beispiel Facebook und Twitter, sondern auf die Gespräche, die auf diesen Plattformen stattfinden. Eine moderne autoritäre Regierung will die Online-Welt nicht um ihrer selbst willen kontrollieren, sondern um Gefahren abzuwehren, die sich dort für ihre Herrschaft entwickeln können.
Proteste und Petitionen sind kollektive Aktionen, die den Spielraum ihrer jeweiligen Regierungen eingeschränkt hätten. Die sie vielleicht zu bestimmten Handlungen gezwungen hätten. Sie sind gefährlich.
Als ich die ganzen sahrauischen Aktivisten später via Skype interviewte, hatte ich keine Probleme. Es unterschied sich wohl, wie viel Energie die Behörden in unsere Überwachung gesteckt haben, je nachdem, wo sie stattfand: online oder offline.
Denn am Morgen nach unserer Verbannung hatte ich eine sehr sonderbare E-Mail im Postfach. Darin wurde ich aufgefordert, auf einen Link zu einer Facebook-Fanpage zu klicken. Alles an dieser Mail war verdächtig. Den Absender Clement Boute hatte ich nie getroffen. Die holprige Formulierung. Die Rechtschreibung. Ich glaube bis heute, dass diese Mail von marokkanischen Diensten kam und mir einen Trojaner unterjubeln sollte. Schließlich kam sie direkt nach meiner Verbannung. Natürlich habe ich die “Fan-Page” nicht geöffnet. Wenn diese Mail wirklich von den Diensten kam, blieb sie der einzige Versuch, meine Online-Aktivitäten zu überwachen. Offline sah das anders aus.
Nachdem ich die E-Mail gelesen hatte, traten Gareth und ich vor das Hotel auf die ruhige Straße. Wir brauchten keine drei Sekunden, um unseren Aufpasser zu entdecken. Ihn hier:
Er stand auf der anderen Straßenseite, auf dem Bürgersteig, untätig. Als er bemerkte, dass wir ihn anstarrten, wollte er ganz unauffällig tun und lief auf eine nahegelegene Baustelle, um dort, als wäre er nicht echt, sondern Protagonist eines schlechten Filmes, die Wände eines Rohbaus zu inspizieren. Die Bauarbeiter waren genauso verblüfft wie wir. Sie über diesen Mann, der auf ihre Betonwände starrte. Wir über dessen Stümperhaftigkeit.
Wir konnten ihn schnell abschütteln, aber schon am Busbahnhof stand wieder einer der Kastenwagen:
Wir wollten nach Marrakesch fahren. Gareth kannte dort ein gutes Hostel, in dem wir untertauchen konnten, um für ein, zwei Tage den Kopf einzuziehen. Im Bus saß ein Aufpasser. An der Station in Marrakesch wurden wir wieder von einem Kastenwagen in Empfang genommen, und zwei Agenten instruierten die Hostelmanagerin, ihnen Bescheid zu geben, sobald wir das Gebäude verließen oder auscheckten. Sie sagte mir später, dass sie von der Stadtverwaltung gewesen seien, um etwas wegen der Wasserrechnung zu klären.
Es kam zu teilweise absurden Szenen. Das Hostel konnten wir nur durch eine schmale Gasse verlassen, in der immer die Aufpasser warteten. Einmal ging ich diese Gasse entlang und trat auf die Straße, ohne dass unser Aufpasser das merkte. Er war in ein Gespräch vertieft. “Allez, allez!”, rief ich ihm zu. Der gute Mann sollte ja nicht seinen Job verlieren. Ein anderes Mal folgten er und ein Kollege mir auf einem Moped auf den großen Souk in Marrakesch. Dort machte ich mir die Reihe der Orangensaftstände zu Nutze: Ich ging auf der linken Seite, sie folgten mir auf der rechten mit etwas Abstand. Ich schlüpfte zwischen den Ständen hindurch, und mir gelang diese Aufnahme:
Der hintere lächelt, weil er bemerkt hat, dass ich ihn und seinen Kollegen ausgetrickst habe.
Unsere Aufpasser sind Stümper, allesamt. Ich mache mich über sie lustig, über ihre Jeans, gestreiften Hemden, weißen Käppis, die wie eine Uniform wirken und es sehr einfach machen, sie selbst auf dem sehr belebten Markt jederzeit zu entdecken. Erst Wochen später fällt mir auf, dass diese Aufpasser vielleicht gesehen werden wollten, dass sie nicht dazu da waren, mich zu überwachen, sondern mich einzuschüchtern. Dass alles nur ein großes Theaterspiel war und die Spione nur so tun sollten, als wären sie Spione.
Sie hatten Erfolg, sie konnten mich einschüchtern. Ich konnte keine Aktivisten treffen, weil ich diese nicht gefährden wollte. Ich konnte eigentlich niemanden treffen, ohne ihn der Gefahr auszusetzen, hinterher unangenehme Fragen auf der nächsten Polizeistation beantworten zu müssen. Ich flog nach Hause. Früher als geplant. Am 15. Juli, am Tag der Demonstrationen in Laayoune, stieg ich in ein Flugzeug nach Leipzig.
Ein paar Wochen später lese ich das neue Buch von Peter Scholl-Latour, „Der Fluch der bösen Tat“. Dieser große Veteran der Auslandsreportage schreibt, dass ihm auch ständig Aufpasser zur Seite gestellt worden waren. Aber eines Tages beschloss er, sie einfach zu ignorieren. So werde ich das in Zukunft auch machen.
Hassana Duihi, der sahrauische Aktivist, sagt dazu: “Treffen mit Journalisten sollten im öffentlichen Raum stattfinden können.” Deswegen hatte er uns auch in einem belebten Café getroffen und nicht versteckt in seinem Haus. “Dafür kämpfen wir schließlich: Meinungs- und Versammlungsfreiheit.”
Das war der zweite Artikel der Westsahara-Reihe. Im ersten habe ich mich mit den politischen Hintergründen dieeses Konflikts beschäftigt. Im dritten habe ich mich mit der wirtschaftlichen Ausbeutung thematisiert. Eine Betrachtung dieses Themas bleibt unvollständig, so lange ich nicht auch in Algerien in den Flüchtlingslagern dort war. Die aber sind weit weg.
Aufmacher-Bild: Rico Grimm