Bewaffnete Dienstreise: Mit Maschinengewehren nach Libyen
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Bewaffnete Dienstreise: Mit Maschinengewehren nach Libyen

Welche Grundlagen gibt es für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr? Die Antwort ist nicht so einfach wie es scheint – in einem Fall muss jetzt das Verfassungsgericht entscheiden.

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Mit zwölf schwer bewaffneten Fallschirmjägern und acht Militärpolizisten an Bord flogen am 26. Februar 2011 zwei Transall-Maschinen der Luftwaffe in die libysche Wüste. Am Rande des beginnenden Bürgerkriegs in dem nordafrikanischen Land holten die deutschen Soldaten 132 Europäer von einem Ölfeld nahe der libyschen Stadt Nafura ab. Probleme gab es nicht, es fiel kein einziger Schuss.

Die Mission, „Operation Pegasus“, war kein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr.

So sah es jedenfalls die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung. Zwar hatten die Soldaten ein beachtliches Waffenarsenal dabei:

  • 14 Sturmgewehre mit 2.100 Schuss Munition
  • Zwei Maschinengewehre MG3 mit 960 Patronen
  • Zwei Sturmgewehre G3 mit Zielfernrohr und 200 Schuss Munition
  • 19 Pistolen P8 mit insgesamt 750 Patronen
    Dennoch sei die „klare Erwartung“ gewesen, „dass die Soldaten die mitgeführten Waffen nicht würden einsetzen müssen“, beschieden das damals FDP-geführte Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium auf eine Anfrage der Grünen-Opposition. Die Bundeswehr-Angehörigen, so die Berliner Einschätzung vor Beginn der Operation, würden „nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen“.

Also nur eine bewaffnete Dienstreise? Die Frage, ob die Evakuierung der Zivilisten aus der libyschen Wüste ein „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ war, wird in dieser Woche, fast vier Jahre später, das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Denn aus der Regierungs-Einschätzung folgte eine wichtige politische Nicht-Entscheidung: Der Bundestag durfte nicht, auch nicht nachträglich, über die Entsendung deutscher Soldaten ins Ausland abstimmen. Kein Einsatz, keine Beteiligung der Abgeordneten, wie es das Parlamentsbeteiligungsgesetz vorsieht.

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Gegen diese Regierungsentscheidung klagte die Grünen-Fraktion im Bundestag, und aus Sicht der Oppositionspartei ist auch nach diesen vier Jahren die Einstufung der „Operation Pegasus“ eine wichtige Frage für die Arbeit und die Rechte des Parlaments. „Die Bundesregierung hätte eine nachträgliche Zustimmung im Bundestag für diese Evakuierungsmission bekommen können“, sagt die Rechtsanwältin Katja Keul, die als Abgeordnete die Klage vorangetrieben hat. „Dass sie diese Zustimmung nicht einholt zeigt, dass es ihr um eine grundsätzliche Ausweitung der exekutiven Einsatzmöglichkeiten und damit eine Beschneidung parlamentarischer Rechte für die Zukunft geht. Dem muss das Verfassungsgericht Einhalt gebieten.“

Auch nach zwei Jahrzehnten lückenhafte rechtliche Grundlagen

Die Bundeswehr, so heißt es immer wieder, ist eine Parlamentsarmee. Das ist ebenso richtig wie ungenau. Denn auch wenn der Bundestag über jeden bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte entscheiden muss: Außerhalb eines Krieges bei Angriff auf deutsches Territorium, außerhalb des so genannten Verteidigungsfalles, gibt es für die Entscheidung des Parlaments über solche Einsätze lückenhafte rechtliche Grundlagen. Obwohl der erste bewaffnete Auslandseinsatz der Bundeswehr 1993 in Somalia mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt.

„Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages“, heißt es im Parlamentsbeteiligungsgesetz aus dem Jahr 2005. Und auch die Frage, was ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist, scheint dort eindeutig geregelt: „Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.“

Soldaten bereiten sich auf Kreta auf den Libyen-Einsatz vor

Soldaten bereiten sich auf Kreta auf den Libyen-Einsatz vor Foto: Bundeswehr

Doch die „Operation Pegasus“ belegt, dass das so eindeutig nicht ist. Rund 1.000 Soldaten von Heer, Luftwaffe und Marine waren bei der Vorbereitung der Evakuierungsoperation auf Kreta zusammengezogen worden, beim Gefechtsstand in Chania lagerten fast 8.000 Schuss Gewehrmunition und nahezu 4.000 Patronen für Maschinengewehre. Spezialisten der Truppe für militärische Evakuierungsoperationen leiteten die Mission. „Wir haben Glück gehabt, denn diese Evakuierungsoperation war nicht unkritisch“, sagte der damalige Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Rainer Glatz, nach der geglückten Evakuierung aus Nafura.

Aus Sicht der Bundesregierung war es dennoch kein Einsatz, weil es nur ein „abstraktes Gefährdungspotential“ gab: „Ungeachtet dessen bestand nach Beurteilung der regionalen Sicherheitslage die klare Erwartung, dass eingesetzte Soldaten nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden würden.“ Die Auffassung, in der Formulierung bewusst aus dem Parlamentsbeteiligungsgesetz übernommen, hatte der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) auch schon vor der Operation den Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktionen mitgeteilt – um die Mission geheim zu halten, waren nur die Vorsitzenden vorab telefonisch von Westerwelle über die Pläne informiert worden.

Die Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht in dieser Meinungsverschiedenheit zwischen Regierung und der Parlamentsopposition treffen wird, gilt allerdings erst mal nur für einen Sonderfall. Denn die Evakuierung deutscher Staatsbürger (und, im Fall Libyen, von Bürgern befreundeter Staaten) ist nach ausdrücklicher Erklärung aller bisherigen Bundesregierungen die einzige Situation, in der Deutschland seine Streitkräfte im Alleingang einsetzt. Alle anderen Auslandseinsätze der Bundeswehr finden nur gemeinsam mit Verbündeten statt - aus politischen, aber auch aus rechtlichen Gründen.

Denn die Grundsätze für den Einsatz deutscher Soldaten, wenn es nicht um die Verteidigung des eigenen Landes oder von Bündnispartnern geht, sind bislang nirgendwo in einem Gesetz festgeschrieben – sondern nur vom Verfassungsgericht aus dem Grundgesetz abgeleitet. Das legt in seinem Artikel 87a zwar recht eindeutig fest: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Doch eine ausdrückliche Erlaubnis für Auslandseinsätze findet sich eben in der Verfassung nicht.

Die Karlsruher Richter entwickelten deshalb in einem wegweisenden Urteil im Juli 1994 eine Argumentationslinie, die bis heute Grundlage für die Auslandsmissionen der Bundeswehr ist. Unter Berufung auf den Grundgesetzartikel 24 („Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen“) entschied das höchste deutsche Gericht, dass deutsche Soldaten bei gemeinsamen Einsätzen mit Verbündeten in Marsch gesetzt werden dürfen.

Im Klartext: In einem festgefügten Bündnis sind Auslandseinsätze der Bundeswehr möglich. Verstanden wurde das bislang immer als Erlaubnis für Missionen unter dem Dach der Vereinten Nationen oder mit UN-Mandat in der NATO oder der Europäischen Union – jeweils gebilligt vom Bundestag.

Doch auch diese scheinbare Klarheit kommt jetzt ins Wanken. Ebenfalls in dieser Woche wird das Parlament über einen Auslandseinsatz abstimmen, bei dem die Linie des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 erstmals neu interpretiert wird: Für eine Ausbildungsmission im Nordirak, zur Unterstützung der kurdischen Peschmerga-Kämpfer gegen die Terrormilizen des selbsternannten Islamischen Staats, sollen deutsche Soldaten in eine Mission gehen, die von einer US-geführten Koalition der Willigen organisiert wird. Ohne ausdrückliches Mandat der Vereinten Nationen, außerhalb einer gemeinsamen Aktion von NATO oder EU.

Aus Sicht der Bundesregierung sind die Vorgaben des Karlsruher Gerichts dennoch erfüllt. Zwar gebe es keinen Beschluss des Sicherheitsrats für den internationalen Kampf gegen die islamistischen Milizen. Doch habe der Sicherheitsrat zur Unterstützung der irakischen Regierung aufgefordert. Und die habe auch um diese Unterstützung gebeten – damit sei der Einsatz nach dem Völkerrecht zulässig.

Klagen könnte nur ein Bundeswehrsoldat

Nach dem Völkerrecht erlaubt, aber auch nach dem deutschen Grundgesetz? Ja, sagt die Bundesregierung. Aber es gibt auch gegensätzliche Ansichten. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommt zu dem Ergebnis, die Berufung auf das „System kollektiver Sicherheit“ nach dem Grundgesetz passe in diesem Fall eben nicht. Denn eine „Koalition der Willigen“ habe gerade nicht die Vertrags-Struktur, die sie zu einem solchen kollektiven Sicherheitsystem mache, heißt es in dem 15-seitigen Papier. „Der Unterstützungseinsatz der Bundeswehr im Irak findet daher keine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG.“

Zwei Juristen, drei Meinungen? Auch auf Nachfrage bleibt die Bundesregierung bei ihrer Haltung: Alle beteiligten Ministerien – neben dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium vor allem das Innenministerium mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Thomas de Maiziere an der Spitze – hielten die Grundlage für verfassungsgemäß.

Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wie im Fall der „Operation Pegasus“ wird es dennoch höchstwahrscheinlich nicht geben. Denn unabhängig von der politischen Frage, ob die Oppositionsparteien Linke und Grüne eine solche Klage für taktisch sinnvoll halten und die Gefahr eingehen, dass das Gericht die Regierungshaltung bestätigt, gibt es ein praktisches Problem: Die seit der letzten Bundestagswahl deutlich geschrumpfte Opposition bringt nicht mehr die 25 Prozent der Abgeordneten zusammen, die für die Klage nötig wären. Klagen könnte dann nur ein direkt Betroffener – also ein Bundeswehrsoldat.

Doch wenn der Bundestag, erwartungsgemäß, den Irak-Einsatz trotz dieses verfassungsrechtlichen Streits billigt, dürfte es kaum dazu kommen. Denn den Soldaten, sagt einer, der bei der „Operation Pegasus“ dabei war, kommt es darauf an, dass die Politiker solche Streitfragen unter sich ausmachen, ehe der Marschbefehl kommt. Vor der Evakuierung der Zivilisten aus Libyen „haben wir uns nicht Gedanken gemacht, ob es ein Einsatz war oder eine Abholung“.

Gedanken machen könnte sich allenfalls das Verfassungsgericht. Und dem Gesetzgeber, also dem Parlament, den Auftrag erteilen, eine gesetzliche Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu schaffen. Doch selbst wenn die Karlsruher Richter im Verfahren um die „Operation Pegasus“ etwas zu anderen Einsätzen sagen sollten: Von ihrem Urteil 1994, in dem sie auch das Entscheidungsrecht des Bundestages festlegten, bis zur Umsetzung im Parlamentsbeteiligungsgesetz dauerte es gut zehn Jahre.


Aufmacherfoto: Bundeswehr/Andreas J.: Eine deutsche Transall bei der Evakuierungsoperation am 26. Februar 2011 in Nafura, Libyen.

Der Text wurde gesprochen von Alexander Hertel von detektor.fm