Dieser Griechenland-Artikel könnte auch noch in 4  Wochen aktuell sein. Der Grund: das griechische Wahlrecht.
Aus dem Archiv

Dieser Griechenland-Artikel könnte auch noch in 4 Wochen aktuell sein. Der Grund: das griechische Wahlrecht.

Wenn die Griechen wählen gehen, setzen sie einen komplizierten Prozess in Gang, der mit der Wahl eines Regierungschefs endet. Oder Neuwahlen auslöst. Und danach vielleicht nochmal Wahlen. Zwischendurch muss das Parlament um seine eigene Auflösung bitten. Eine Handreichung.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Griechenland, Griechenland. Man hört immer nur Griechenland. Warum ist diese Wahl am 25. Januar schon wieder wichtig?

Die Griechen wählen zum vierten Mal in fünf Jahren, das stimmt. Sie wählen zuerst ein Parlament. Dieses Parlament wählt dann einen neuen Ministerpräsidenten und einen neuen Präsidenten. Wie die Wahl ausgeht, ist nicht nur für das Land entscheidend, sondern auch für den Rest Europas. In den Umfragen liegt die linke Partei Syriza vorne, die bisher noch nie regiert hat und der europäischen Sparpolitik (von Deutschland favorisiert) eine Alternative entgegensetzen will. Schriftlich fixierte Wahlprogramme sind in Griechenland unüblich. Daher ist es schwierig, mit Sicherheit sagen zu können, was Syriza machen wird, wenn es die Wahl gewinnt. Reden von Partei-Chef Alexis Tsipras (Foto oben) legen aber nahe, dass er weniger sparen und mehr ausgeben will. Sollte Syriza gewinnen, wäre das ein starkes Symbol für die Gegner der derzeitigen Politik in ganz Europa.

Wer regiert denn im Moment?

Ministerpräsident ist Andonis Samaras von der konservativen Partei Nea Demokratia. Seine Regierung stützt sich auf eine Koalition mit der sozialdemokratischen Pasok-Partei. Diese Koalition entspräche in Deutschland einer Großen Koalition aus SPD und CDU. Wenn Syriza gewänne, übernähme mit ihr das griechische Gegenstück zur Linkspartei.

Welche Parteien treten denn noch an?

Am wichtigsten unter den Kleinparteien ist To Potami. Merkt euch diesen Namen, denn diese Partei hat das Zeug zum Königsmacher – obwohl sie am Wahltag erst 320 Tage existieren wird**.** Oder besser: Genau deswegen. Die Partei wurde von einem bekannten TV-Investigativjournalisten gegründet und will Schluss machen mit dem alten Filz und Gebandel in der griechischen Regierung. To Potami heißt „im Fluss“. Die Partei versteht sich als Bürgerbewegung und kommt in Umfragen auf fünf bis sieben Prozent und damit sicher ins Parlament. Würde To Potami gemeinsam mit Syriza die Regierung übernehmen können, käme das einer demokratischen und friedlichen Revolution gleich, einem Bruch mit den historischen Kontinuitäten wie sie ein europäisches Land lange nicht mehr erlebt hat.

In Deutschland sehr bekannt, aber in Griechenland nicht so relevant, wie man annehmen könnte: die neonazistische Partei Goldene Morgendämmerung, die zum Beispiel nur „reinrassigen“ Griechen die Wahl erlauben will. Nach Umfragen sind ihr sechs bis sieben Prozent sicher. Damit zöge sie ins Parlament ein. An ihrer generellen politischen Isolation im Land ändert das aber nichts.

Wer darf, nein, muss wählen?

Wählen muss jeder Grieche, der älter als 18 Jahre alt ist. Wahlpflicht besteht, wird aber nicht durchgesetzt. Ergebnis: Nichtwählerquoten von 30 bis 40 Prozent bei den letzten Wahlgängen.

Aha. Und wieso könnte dieser Artikel auch noch in vier Wochen aktuell sein?

Wenn in der Tagesschau ungefähr solche Sätze fallen: „Auch im zweiten Anlauf ist es nicht gelungen, einen neuen griechischen Präsidenten zu wählen.“ Dann ist es der 12. Februar, ihr macht diesen Artikel mit dem Zeitplan auf und wisst: Ein Wahlgang kann noch folgen.

Mehr von Krautreporter

Nun denn…der Zeitplan.

Ich schreibe jeweils, was an welchem Tag qua Wahlrecht geschehen muss und welche Szenarien sich daraus ergeben würden. Diese Tabelle mit den Umfragen dient mir dabei als Bezugspunkt.

Übersicht über die jüngsten Umfrageergebnisse in Griechenland

Übersicht über die jüngsten Umfrageergebnisse in Griechenland Daten: Wikipedia Deutschland

Wie die Wahl in Griechenland ablaufen wird

25.Januar – Wahltag. Jeder Grieche gibt nur eine Stimme ab. 300 Sitze im Parlament sind zu besetzen. Davon fallen 50 automatisch der Partei mit den meisten Stimmen zu. Die restlichen Sitze werden proportional zum Ergebnis verteilt. Eine Partei muss mindestens drei Prozent aller Stimmen haben, um ins Parlament einzuziehen.

26.Januar – Der Präsident Griechenlands beauftragt den Vorsitzenden der stärksten Partei, eine Regierungsbildung zu sondieren. Wenn diese Partei eine absolute Mehrheit hat, ist alles fein. Regierung steht. Kein Griechenland-Wahl-Drama. Allerdings ist das nicht sehr wahrscheinlich, wenn man auf die Umfragen schaut. Das sind mögliche Szenarien:

Szenario 1/4 – Alleinregierung von Syriza

Angela Merkel schickt heute die Glückwunsch-Telegramme an den Syriza-Chef Tsipras. In einigen Umfragen erreicht Syriza bis zu 38 Prozent. Mit viel Glück könnte das für eine absolute Mehrheit von 151 Stimmen reichen. Dazu müssten möglichst viele Parteien an der Drei-Prozent-Hürde scheitern. Aber, und das ist ein großes Aber: Tsipras hätte wohl nur eine sehr kleine Mehrheit im Parlament. Er stünde bei jeder Abstimmung kurz vor dem Sturz. Daher ist es wahrscheinlicher, dass er sich einen Koalitions-Partner sucht. Etwa To Potami.


Szenario 2/4 – Koalitionsregierung Syriza – To Potami

In den Umfragen einiger Institute kommen diese beiden Parteien auf eine recht komfortable Mehrheit. Sollte es ihnen gelingen, sich auf eine Regierung zu einigen, wäre das Griechenland-Wahl-Drama auch schnell vorüber, der Schrecken der griechischen Elite und der Sparpolitiker Europas aber nicht geringer.


Szenario 3/4 - Minderheitenregierung Syriza

Tsipras könnte sich von einer oder mehreren Parteien zum Regierungschef wählen lassen, ohne formal eine Koalition mit ihnen einzugehen. Für seine ambitionierten Vorhaben müsste er sich dann jedes Mal eine neue Mehrheit suchen. Eine Minderheitenregierung hat es in der griechischen Geschichte noch nie gegeben.

29. Januar – Drei Tage sind um. Wenn bis heute keine Regierung steht, erteilt der griechische Präsident der zweitstärksten Partei ein Mandat für Regierungsverhandlungen. Das wäre wohl die bisher regierende konservative Nea Demokratia. Sie müsste eine Vier-Parteien-Koalition aufstellen können, wenn sie ohne Syriza und die Goldene Morgendämmerung regieren wollen würde. Das hat es in der griechischen Geschichte auch noch nie gegeben. Zudem müsste sich die etablierte Partei mit den Kommunisten arrangieren und mit der Establishment-kritischen Partei To Potami…

1. Februar – Eine Woche ist inzwischen seit der Wahl vergangen. Die zwei stärksten Parteien konnten keine Regierung bilden. Jetzt darf die drittstärkste es versuchen. Es wird wohl To Potami sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ihr jetzt noch gelingt, eine der beiden großen Parteien zu überzeugen mitzuregieren, ist so gut wie null.

5. Februar - Griechenland hat keine neue Regierung. Was nun? Es hat aber immerhin ein neues Parlament. Das tritt nämlich heute zum ersten Mal zusammen. Es muss einen neuen Präsidenten wählen, egal, ob es eine neue Regierung gibt oder nicht. Es folgen wiederum drei Wahlgänge. Ein Präsident wird heute gewählt, wenn er mehr als 180 Stimmen im Parlament bekommt. Scheitert er, wird es später wieder versucht.

10. Februar – Dieses Datum ist etwas willkürlich, denn in der griechischen Verfassung steht „binnen fünf Tagen“ muss das Parlament zum zweiten Wahlgang antreten. Der könnte also auch schon früher stattfinden. Heute bräuchte der zukünftige Präsident nur noch 151 Stimmen. Erreicht niemand diese Stimmenzahl, …

15. Februar – … wird Griechenland heute garantiert einen neuen Präsidenten bekommen. Denn die Kandidaten brauchen nur noch eine einfache Mehrheit der Stimmen.

16. FebruarDie Troika muss über eine Verlängerung des Bail-Out-Programms („Rettungsschirm“) entscheiden

In den folgenden Tagen müsste der neue Präsident auf Bitten des Parlaments selbiges auflösen, was automatisch zu Neuwahlen führt. Und damit sind wir bei:

Szenario 4/4 - Syriza strebt von Anfang an Neuwahlen an

Der Entschluss hierfür könnte schon am Abend des 25. Januar gefallen sein. Tsipras und seine Parteikollegen könnten von Anfang an auf Neuwahlen spekulieren, um eine absolute Mehrheit zu erreichen. Griechische Beobachter wie unsere Krautreporter-Korrespondentin Katerina Oikonomakou halten das für wahrscheinlich, wenn Syriza mehr als 30 Prozent erreicht. Schaut nochmal in die Tabelle oben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Syriza 30 Prozent erreicht. Es blieben 30 Tage, um ein neues Parlament zu wählen. Irgendwann im März.

Moment, was war das am 16. Februar? Troika, Bail-Out?

Ja,während Griechenlands Politiker noch um eine neue Regierung ringen, muss die alte, geschäftsführende Regierung unter Samaras eine Verlängerung des Bail-Out-Programms bei der Troika beantragen – und damit genau jene Politik fortsetzen, die die wahrscheinlich stärkste Partei beenden will. Ein demokratischer Clusterfuck.

Was soll das Ganze überhaupt? Warum wird wieder gewählt? Zum vierten Mal in fünf Jahren.

Wegen des Wahlrechts.

Auslöser waren gescheiterte Präsidentschaftswahlen im Dezember vergangenen Jahres. Der Amtsinhaber hatte das Ende seiner erlaubten Amtszeit erreicht. Aber damals ist es dem griechischen Parlament in drei Wahlgängen nicht gelungen, einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Es folgen automatisch Neuwahlen des Parlaments und ein neuer Versuch, einen Präsidenten zu wählen.

Eine komplizierte Regierungsbildung, solide politische Bruchlinien und enormer Druck von außen – in Griechenland ist alles bereitet für einen Tanz auf einem Vulkan.


Falls Ihr verfolgen wollt, welche Geschichten ich veröffentliche, abonniert einfach meinen Newsletter. Maximal zweimal im Monat schicke ich Neuigkeiten zur Raketengeschichte und anderen Sachen von mir herum.

Aufmacher-Foto: Wikipedia CC BY-SA 3.0