Wenn es ganz allgemein um Pressefreiheit und Medienvielfalt geht, spart die Deutsche Telekom nicht an ehrenwerten Deklarationen. Selbstverständlich fühlen sich der Konzern und seine weltweiten Tochterunternehmen der Pressefreiheit und Medienvielfalt verpflichtet, unterstützen diese und verleihen sogar Journalistenpreise. In Deutschland etwa vergibt die Stiftung der Deutschen Telekom den „Medienpreis Bildungsjournalismus“.
Anders hört es sich an, wenn es um konkrete Fälle geht, beispielsweise, wenn die Geschäftsinteressen der Deutschen Telekom und ihrer Tochterunternehmen bedroht sind. Dann scheinen die Themen Pressefreiheit und Medienvielfalt in den Hintergrund zu rücken, dann verhalten sich Telekom-Vertreter merkwürdig schmallippig und schweigsam.
Offene Fragen zu einem brisanten Vorgang
So auch im Fall von origo.hu, des zweitgrößten ungarischen Nachrichtenportals, und seines ehemaligen Chefredakteurs Gergö Sáling, der seinen Posten im Juni 2014 verließ - wie ich hier bei Krautreporter bereits beschrieben habe. Bis dato sind in dem Fall die wesentlichen Fragen zur Rolle der Deutschen Telekom und ihrer Tochter Magyar Telekom nicht beantwortet:
- In welcher Art und Weise beschwerten sich Mitglieder der ungarischen Regierung oder ihr nahestehende Personen bei der Deutschen Telekom oder der Magyar Telekom über regierungskritische Artikel auf origo.hu?
- Wurde der Deutschen Telekom und der Magyar Telekom von Seiten der ungarischen Regierung in Aussicht gestellt, dass es ihren Geschäftsinteressen in Ungarn schaden könne, wenn origo.hu nicht darauf verzichtet, regierungskritische Inhalte und investigative Berichte zu veröffentlichen?
- Wurde Gergö Sáling von der Magyar Telekom (deren Tochterunternehmen Origo ist) auf Druck der ungarischen Regierung abgesetzt?
Zu diesen Fragen und dem Fall origo.hu und Sáling erschienen im letzten Jahr zahlreiche Presseberichte in Ungarn. Unter anderem schrieben Reporter des Nachrichtenportals 444.hu im Juni 2014 unter Berufung auf anonyme Gesprächspartner, dass die Deutsche Telekom und die Magyar Telekom bereits im Laufe des Jahres 2013 beschlossen hätten, die Unabhängigkeit von Origo zu opfern, weil die Berichterstattung des Portals mit den langfristigen Telekom-Geschäftsinteressen in Ungarn kollidiere. Einer der Autoren des Artikels, Péter Magyari, bestätigt auf Nachfrage von Krautreporter, dass es sich bei den Gesprächspartnern, die man anonym zitiert habe, um vertrauenswürdige Quellen handele. Magyari und seine Co-Autoren sind erfahrene Journalisten, die den Medienmarkt in Ungarn und die Situation in Redaktionen seit vielen Jahren kennen.
Dem Bericht zufolge hat die Deutsche Telekom Anfang 2013 beschlossen, das belastete Verhältnis zur ungarischen Regierung zu verbessern. Der Hintergrund: Im Herbst 2010 hatte die ungarische Regierung eine sogenannte Krisensteuer eingeführt, die so konstruiert wurde, dass sie hauptsächlich ausländische Telekommunikations-, Energie- und Einzelhandelsunternehmen betraf. Im Sommer 2012 hatte die Regierung außerdem eine Sondersteuer auf Mobilfunkgespräche und SMS eingeführt. Die Deutsche Telekom hatte gegen diese Steuern scharf protestiert. Nun sei es, so der Bericht auf 444.hu, darum gegangen, das Verhältnis zur ungarischen Regierung nicht noch weiter zu verschärfen, um etwa Lizenzen für Mobilfunkfrequenzen nicht zu verlieren oder langfristige Investitionsvorhaben nicht zu gefährden.
Daher, heißt es im Bericht weiter, habe die Deutsche Telekom Kerstin Günther, die im Konzern den Posten des Senior Vice President Technology Europe innehat, mit der Aufgabe nach Ungarn entsandt, das Verhältnis zur Regierung zu verbessern. Günther wurde im April 2013 Vorsitzende des Magyar-Telekom-Verwaltungsrates. Bereits zuvor soll sie laut 444.hu Gespräche mit János Lázár, dem Kanzleichef des ungarischen Ministerpräsidenen Viktor Orbán geführt haben, in denen sich Lázár unter anderem über die regierungskritische Einstellung von origo.hu beschwerte. Lázár habe in Aussicht gestellt, dass die Magyar Telekom nur dann damit rechnen könne, ihre Mobilfunkfrequenzen zu behalten, wenn origo.hu seine oppositionelle Haltung ändere. Zugleich habe das Magyar-Telekom-Geschäftsführungsmitglied Balázs Máthé regelmäßige Klagen des Kanzleichefs über origo.hu „vielfach so an die Origo-Redaktion weitergegeben, dass János Lázár wegen dieses und jenes Artikels traurig sei“.
Die Deutsche Telekom will zu diesem und ähnlich lautenden Berichten und zu der Absetzung von Gergö Sáling keine Stellung nehmen. Ein Telekom-Sprecher anwortet auf Nachfrage lediglich:
Presse- und Meinungsfreiheit ist ein unverzichtbares Grundrecht, das nicht infrage gestellt werden kann. Das gilt auch für Nachrichtenportale und Redaktionen, die wir im Hause haben - ob in Deutschland oder Ungarn. Darauf haben wir als Deutsche Telekom keinerlei Einfluss und wir nehmen keinerlei Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen dieser Gesellschaften. In einer Enkel-Enkel-Gesellschaft in unserem Konzern hat es personelle Veränderungen gegeben. Das ist im Rahmen einer internen Umstrukturierung der Gesellschaft geschehen. Die Deutsche Telekom war zu keinem Zeitpunkt in die Entscheidung eingebunden, noch hat sie irgendeinen Einfluss auf eine Entscheidung an der Stelle gehabt.
Die Magyar Telekom nahm zu dem Themenkomplex Origo und Sálings Absetzung im Juni vergangenen Jahres in einer Pressemitteilung Stellung und beantwortet seitdem keine weiteren Fragen mehr dazu. In der Pressemitteilung dementiert die Magyar Telekom entschieden, dass die ungarische Regierung auf den Konzern Druck ausgeübt, die Magyar Telekom sich in die redaktionelle Unabhängigkeit von Origo eingemischt und die Absetzung des Chefredakteurs Gergö Sáling gefordert habe oder dass es einen Zusammenhang zwischen Sálings Absetzung und Geschäftsinteressen der Magyar Telekom gebe. Die Pressemitteilung nimmt dabei Bezug auf ein Abkommen zu einer strategischen Partnerschaft zwischen der ungarischen Regierung und der Deutschen sowie der Magyar Telekom, das am 21. Februar 2014 im Beisein des Telekom-Vorstandsvorsitzenden Timotheus Höttges abgeschlossen wurde. Darin geht es vor allem um den Ausbau des Breitband-Telekommunikationsnetzes in Ungarn, den die Telekom vornehmen will – ein lukratives Milliardengeschäft für die Telekom. In der Pressemitteilung heißt es dazu: Einen Zusammenhang mit dem Personalwechsel bei Origo gebe es nicht.
Etwas expliziter äußert sich der ehemalige Origo-Generaldirektor Miklós Vaszily. Während einer internen Redaktionssitzung bei Origo am 3. Juni 2014, auf der Vaszily die Entlassung Sálings erläuterte, sprach er davon, dass die Magyar Telekom in Bezug auf Origo eine neue „integrierte Content-Ausrichtungs- und Content-Entwicklungsstrategie“ verfolge und dabei „gewisse Ansprüche formuliert“. Diesen Strategiewechsel, den Vaszily nicht näher erläuterte, könne Sáling nicht bewerkstelligen.
Anfang November schied Miklós Vaszily selbst bei Origo aus. Im Gespräch mag er dazu nur so viel verraten, dass auch er für den Strategiewechsel bei Origo nicht mehr gebraucht worden sei und ihn selbst auch nicht mehr habe umsetzen wollen. Ob hinter dem Strategiewechsel auch das Vorhaben steckte, origo.hu auf eine mehr regierungsfreundliche Linie zu bringen, will Vaszily weder bestätigen noch dementieren; ebenso wenig will er im Detail sagen, worin der Strategiewechsel bestand. Er bestätigt allerdings, dass der Strategiewechsel bereits im Laufe des Jahres 2013 beschlossen worden sei.
Zur Entlassung von Gergö Sáling sagt Vaszily: „Sálings Abgang hängt nicht mit ein paar Artikeln von András Pethö zusammen, es geht um weitaus komplexere Zusammenhänge.“ Sein eigenes Ausscheiden als Origo-Generaldirektor habe „keinen direkten, aber einen indirekten Zusammenhang“ mit Sálings Entlassung im Juni 2014. Schließlich kündigt Vaszily an: „Im Augenblick kann und darf ich zu den Ereignissen um Origo nichts Konkretes sagen, möglicherweise werde ich aber in naher Zukunft öffentlich im Detail darüber sprechen.“
Der vorläufige Epilog:
Am 4. Juni 2014 schrieb der damalige stellvertretende Origo-Chefredakteur András Pethö an die Compliance-Abteilung der Magyar Telekom eine schriftliche Beschwerde (Auszüge daraus hier - auf Ungarisch), in der er darüber berichtete, dass die Origo-Redaktion in den vorangegangenen Monaten „systematische Einmischung politischer Natur“ erfahren habe und dass dies zur „Absetzung des Chefredakteurs Gergö Sáling“ geführt habe. In seinem Brief an die Compliance-Abteilung bescheibt András Pethö die von ihm als „Einmischung“ bezeichneten Ereignisse detailliert.
Zum Ergebnis der Beschwerde teilt die Magyar Telekom auf Anfrage mit: „Die internen Untersuchungen dazu wurden im Dezember 2014 abgeschlossen. Das Unternehmen hat in Bezug auf das Untersuchungsergebnis die notwendigen Maßnahmen umgesetzt.“ Ob damit Miklós Vaszilys Kündigung als Origo-Generaldirektor am 6. November 2014 sowie das Ausscheiden eines weiteren hochrangigen Magyar-Telekom-Managers am selben Tag gemeint ist, will die Pressestelle des Konzerns nicht verraten. „Details zu den notwendigen Maßnahmen, die umgesetzt wurden, sowie zu den Ergebnissen der Untersuchung werden intern verwaltet. Wir können daher keine weiteren Einzelheiten mitteilen.“
Als Antwort auf seine Beschwerde erhielt András Pethö einen Brief mit dem gleichen Wortlaut.
Keno Verseck ist Mitglied beim Journalistennetzwerk n-ost, das die Crowdfunding-Aktion für direkt36 unterstützt. Auf ostpol.de, dem Online-Magazin von n-ost, schreibt Direkt36-Gründer András Petö über die Situation von Journalisten in Ungarn.
Aufmacherbild: Frank Schmidt - Flickr (CC BY 2.0). Das Bild zeigt das ungarische Parlament in Budapest.