Dieses Huhn ist aus Gemüse
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Dieses Huhn ist aus Gemüse

Ich schaue mir Phänomene aus der Lebensmittel- und Konsumwelt an. Diesmal: Die Welt der Fleisch-Imitate. Denn die werden immer beliebter - vielleicht, weil echtes Fleisch oft auch keinen Geschmack mehr hat.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

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Jedes Mal, wenn ich in den Supermarkt um die Ecke gehe, sieht das Kühlregal mit den Fleischprodukten ein bisschen anders aus. Auf den ersten Blick ist alles wie immer: Eine große Auswahl mehr oder minder gleichförmiger rosa-roter Scheiben, eingeschweißter Burger, Würstchen und panierter Schnitzel. Bei näherem Hinsehen aber wird klar, dass hier eine stille Revolution im Gange ist. Viele dieser Schnitzel und Würste haben nichts mehr mit Tieren zu tun. Sie sind aus Weizeneiweiß gemacht, aus texturiertem Soja, Bindemitteln und Aromen.

Früher hätte ich mich hochmütig von diesen Dingen abgewandt. Fleischersatzprodukte waren für mich das Lebensmittel-Äquivalent zu Nikotin-Pflastern: Eine freudlose Ersatzbefriedigung anstelle der Sache, die man eigentlich will. Wenn man sich gegen Fleisch entschied (was ich selbst vor ein paar Jahren gemacht habe), brauchte man keine vegetarischen Kaugummischnitzel, dann gab es eben einfach kein Fleisch mehr.

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Denn abgesehen davon, dass es auf der ganzen Welt kein Ersatzfleisch gibt, das wirklich wie das Original schmeckt - eine Tofuwurst wird neben einer echten, gegrillten Bratwurst geschmacklich immer eine traurige Figur machen, vom Entrecôte ganz zu schweigen - ist vegetarisches Ersatzfleisch auch ökologisch ziemlich sinnlos.Das gilt zumindest für stark verarbeitete Produkte, wie die falschen Hähnchen-Strips, die es in meinem Supermarkt gibt, oder die vegetarischen Cheeseburger.

Eine Studie des Swedish Institute for Food and Biotechnology hat 2009 offengelegt, dass der Energieaufwand für einen vegetarischen Erbsenburger und ein Schweinekotelett etwa gleich hoch sind. Es kostet eben großen Aufwand, damit aus einer Erbse oder Bohne ein Burger wird: Man muss Hülsenfrüchten und Weizen erst ihre pflanzlichen Proteine abtrotzen — wofür teils umstrittene chemische Lösungsmittel wie Hexan eingesetzt werden — und sie dann unter weiterem Energieaufwand zu einer fleischähnlichen Konsistenz verarbeiten, um schließlich ein Produkt zu erhalten, das nach gar nichts schmeckt.

Damit dieses neutrale, fleischig texturierte Eiweiß Geschmack bekommt, muss man es in einem weiteren Schritt stark mit Aromen und Gewürzen behandeln.

Eigentlich steht der Aufwand also in keinem Verhältnis zum Ergebnis, trotzdem wird Fleischersatz immer beliebter: 2013 haben rund zehn Millionen Deutsche gelegentlich danach gegriffen, genügend Konsumenten jedenfalls, um Tofuwürste sogar in Discountern fest zu etablieren. Aus ernährungsphysiologischer Hinsicht wäre es schlauer, die Käufer würden das Gemüse, aus dem das Pseudo-Fleisch gemacht ist, einfach direkt verzehren: Statt einer vergleichsweise nährstoffarmen, mit künstlichen Aromen getränkten Sojabolognese könnte man einfach Sojabohnen essen. Besonders lecker sind unreif geernte Sojabohnen, wie sie in japanischen Restaurants unter der Bezeichnung „Edamame“mit grobem Salz als Vorspeise serviert werden.

Aber so einfach ist die Sache nicht, wie Tom Philpott, Autor des amerikanischen Magazins „Mother Jones“ in seinem Text „I Used to Be a Snob About Fake Meat. I Was Dead Wrong“ („Ich war ein Snob, was Fleischersatz betrifft. Ich lag total daneben“) erklärt. Philpott verweist in seinem Text auf ein Stück des New York Times Food-Kolumnisten Mark Bittmann, der ein ziemlich überzeugendes Argument für Fleischersatz bringt:

Ist es nicht besser, zumindest gelegentlich Pflanzenerzeugnisse zu essen, die mit Wasser gemischt durch ein Dingsbums gedrückt werden, das fleischähnliches Zeug ausspuckt, statt die gleichen Pflanzenerzeugnisse zu essen, nachdem sie in ein Huhn gesteckt worden sind, das in den sechs Wochen seiner elenden Existenz sein biomechanisches Ding damit anstellt, nur um am Ende die Kehle durchgeschnitten zu bekommen, damit dabei ein kaum unterscheidbares Fleisch herauskommt? Warum, mit anderen Worten, sollte man das arme Huhn als fleischerzeugende Maschine benutzen, wenn man eine Maschine benutzen kann, die “Fleisch” produziert, das einem wie Huhn vorkommt?
Mark Bittman

Bittmans Argument ist traurig, aber wahr: Hühner- und Putenfleisch aus Massentierhaltung (ein weiterhin zutreffender Begriff, auch wenn ihn Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied nicht mag) schmeckt mittlerweile so neutral, dass man es von Kunstfleisch kaum unterscheiden kann. Wenn man dieses Fleisch also rein seiner Konsistenz wegen verwendet, kann man genau so gut überwürztes Sojaeiweiß essen. Dabei ist zumindest nicht direkt ein leidensfähiges Tier involviert, und das hässliche Thema antiobiotikaresistenter Keime, wie sie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Putenfleischproben aus dem Supermarkt gefunden hat, ist auch vom Tisch. Mehr noch: Wenn man optisch gleiche vegetarische und fleischliche Produkte im Supermarkt nebeneinanderlegt, sehen die Zutatenlisten ähnlich gruselig aus.

Hähnchenschnitzel: Einmal mit Huhn, einmal ohne

Hähnchenschnitzel: Einmal mit Huhn, einmal ohne Foto: Theresa Bäuerlein

Auch Dönerspieße könnte man wahrscheinlich zu einem großen Teil durch vegetarische Varianten ersetzen, ohne dass das weiter auffallen würde. Das gilt natürlich nicht für den „echten“ Döner Kebap, der aus dünnen Fleischscheiben besteht, aber bestimmt für die „Drehspieße aus Hähnchenfleisch“, wie man sie korrekt bezeichnen muss, die wie Döner aussehen, aber unter anderem aus Hackfleisch, Separatorenfleisch, Paniermehl, Stärke und Wasser gemacht werden. An einem solchen „Döner“ schmeckt man vor allem die Gewürze, und das kriegt auch ein Seitan-Döner hin.

Zugegeben, das klingt nicht gerade nach der idealen Lebensmittelwelt, die ich mir wünschen würde. Aber da mittlerweile wirklich jedem klar sein müsste, dass riesige Tierfabriken auch abgesehen von jeder tierethischen Diskussion so gefährlich sind (Emissionen, resistente Keime, Wasserverschmutzung, Klimarelevanz etc.), dass wir sie uns nicht mehr leisten können, sind die Pseudo-Hühner im Supermarkt als Zwischenlösung ganz okay. Zumal, wie auch Tom Philpott mit Recht sagt, man die soziale Wirkung von Essen nicht vergessen sollte und unsere Esskultur nun mal so ist, dass Menschen sich mit deutlich weniger Begeisterung um einen Topf Bohnen scharen, als um einen Holzkohlegrill mit Würsten. Für Gourmets werden stark gewürzte Glutenbrocken nie eine ernstzunehmende Alternative zu echtem Fleisch sein - aber die kaufen ihre Filets sowieso nicht in meinem Supermarkt.


 

Illustration:Veronika Neubauer

Der Text wurde gesprochen von Juliane Neubauer von detektor.fm