Mister Brown, auf dem Flug zu Ihnen nach Dallas saß ich zwischen zwei Texanerinnen, beide etwa 60 Jahre alt. Von Anonymous haben die vermutlich noch nie gehört, und hacken können sie wohl auch nicht. Wie würden Sie den beiden Frauen erklären, warum Sie im Gefängnis sind?
Ich würde generell nicht mit Texanern reden. Dem Urteil eines durchschnittlichen Texaners kann ich einfach nicht trauen. Wir – die Mitarbeiter meines Investigativprojekts Project PM und ich – hatten gerade den Schleier über ein Dutzend obskurer und mächtiger Unternehmen gelüftet, die sich darauf spezialisiert hatten, im Privatleben von Journalisten und Aktivisten rumzuschnüffeln. Statt die Unternehmen zu verklagen, jagt man uns. Die Staatsanwältin sagte dem Richter, dass der „Ton“ meiner Artikel im Guardian über die US-Regierung ein Problem darstelle.
Sie haben in einem Fernsehinterview gesagt: „Ich dachte immer, nur die bösen Jungs sind die bösen Jungs.“ Reden wir also über Ihre Bad-Guy-Phase. Sie selbst waren ja kein Hacker. Anonymous-Leute sollen gewitzelt haben, Barrett Brown könnte sich nicht mal aus einer Papiertüte raushacken.
Es gab durchaus berechtigte Kritik an mir. Es war ja jedem klar, dass ich Anonymous beherrschen wollte. Ich wollte der Anführer von Anonymous sein und es in eine Aktivistengruppe verwandeln. Ich lebe in einem ziemlich verkorksten Land, das jedes Jahr ein bisschen verkorkster wird. Und ich wollte mit diesem Organismus Anonymous etwas tun, um das zu verhindern.
Es entsprach nicht den Gepflogenheiten von Anonymous, dass da jemand im Namen des Kollektivs sprach – und dann auch noch mit Klarnamen.
Ja, einige regten sich darüber auf, dass ich meinen richtigen Namen verwendete. Aber ich war ja Journalist und hatte vorher schon Artikel geschrieben. Warum sollte ich mich „SecretCyberCommander“ nennen oder so was? Ich bin doch einfach nur Barrett Brown.
Sehen Sie sich für die Zeit, in der Sie für Anonymous gearbeitet haben, eher als Journalist oder als Aktivist?
Ich war in einer sehr ungeregelten Position. Manchmal habe ich Aktionen gelobt oder erklärt, für manche habe ich recherchiert oder geworben. Und andere habe ich kritisiert. Oft habe ich aber auch nur Journalisten gezeigt, wie man in einen IRC-Channel kommt oder ihnen Kontakte vermittelt.
Würde Sie Ihre Arbeit bei Anonymous als eine Form von „embedded journalism“ beschreiben?
Ein Großteil meiner Arbeit bei Anonymous war in der Tat die Berichterstattung, aber ich war auch direkt in einige der Operationen involviert, vor allem in Tunesien und Bahrain. Insgesamt war meine Rolle ziemlich doppeldeutig, so wie die meisten meiner Positionen eher doppeldeutig sind. Letztlich bin ich eine einzige Doppeldeutigkeit.
In den Augen der amerikanischen Behörden waren Sie Teil eines Cyberkrieges. Sie selbst haben in einem Interview dem Pentagon den Krieg erklärt.
Viele Leute nutzen militärische Begriffe, auf beiden Seiten, und in den letzten Jahren hat das zugenommen. Es ist ja auch angemessen, das als eine Art von Kriegsführung zu sehen. Auf der anderen Seite muss die Regierung, wenn sie etwas als Krieg erklärt, dann auch die Regeln des Krieges anwenden. Ich tue mich aber schwer, das so genau zu etikettieren. Vielleicht ist es ein Akt zivilen Ungehorsams, vielleicht ist es auch Krieg.
Sie haben vor Edward Snowden die Praktiken privater Sicherheitsfirmen und deren Zusammenarbeit mit den US-Behörden untersucht. Wann haben Sie das erste Mal von den Snowden-Leaks erfahren, und wie haben Sie reagiert?
Das war im Gefängnis von Mansfield, wo ich zuerst inhaftiert war. Zuerst war ich ziemlich erstaunt, dass die Öffentlichkeit nun endlich Notiz nimmt. Ich bewundere Snowden und Glenn Greenwald dafür, wie gut sie es schaffen, das Thema am Laufen zu halten. Snowden ist offenkundig ein sehr kompetenter Whistleblower, und Greenwald versteht sich auf das Mediengeschäft.
Wie funktionierte ihre Arbeit?
Wenn es einen Hack gab, bekamen wir einen Datensatz. Ich hatte eine Reihe von Suchbegriffen und ging die Dokumente damit durch. Und dann haben wir Journalisten unser Zeug angeboten und gesagt, hey, wäre das nicht eine Geschichte für euch? Einem Reporter der Bloomberg Business Week habe ich Unterlagen zu „Endgame Systems“ gegeben. Das Unternehmen hatte Sicherheitslücken in Unternehmen und Institutionen gesammelt.
Ich war also meistens der Mittelsmann, der Informationen an Journalisten liefert. Viele Journalisten verstehen das alles ja auch nicht. Außerdem habe ich die Chefs der Unternehmen angerufen, um sie mit unserer Recherche zu konfrontieren. Was sie gesagt haben, habe ich mitgeschnitten. Es ist immer besser, jemandes Lügen auf Tonband zu haben. Das mögen Journalisten.
Das ist in den USA aber auch illegal, wie in Deutschland, oder nicht?
Bestimmt. Aber wenn ich es nicht aufnehme, dann erzählen sie, was sie wollen. Weil sie Lügner sind. Genau wie das FBI.
Sollte es für einen investigativen Journalisten Ihrer Meinung nach legal sein, sich Dokumente durch Hacken zu verschaffen?
Absolut. Andernfalls müssten Dutzende der besten Journalisten des Landes Strafverfolgung fürchten, weil sie sich auf gehackte Dokumente bezogen haben.
Wie lebt es sich denn eigentlich ohne Internet?
Gut! Jedem, der es nutzt, nimmt das Internet etwas weg. Besonders in meinem Fall. Ich war ja zehn Stunden am Tag online. Das Internet war ein mächtiges Instrument. Aber ich bin sehr froh, eine Pause zu haben. Offline zu sein ändert die Art und Weise, wie Dein Kopf funktioniert, fundamental. Besonders, was die Informationsaufnahme angeht. Ich bin jetzt leistungsfähiger als ich vor Jahren war. Ich bin ein besserer Schreiber. Ich bin ein besserer Taktiker. Ich bin ein besserer Stratege.
Haben Sie früher eher am Tag oder eher in der Nacht gearbeitet?
Das kam darauf an, auf welcher Droge ich gerade war. Ich hatte keinen geregelten Tagesablauf. Unsere Kampagne war generell ziemlich planlos. Deshalb habe ich immer versucht, Leute anzuwerben, die das Gegenteil von mir sind: systematisch arbeitend und organisiert. Ich bin ein Junkie. Ich habe in meinem Leben viele Drogen genommen, ich habe mir Heroin gespritzt, zu viel getrunken. Selbst in den letzten Jahren, als ich in einigen ziemlich riskanten Aktionen involviert war – mit Anonymous, Wikileaks, meiner eigenen Gruppe Project PM –, habe ich nie 100 Prozent gegeben. Vielleicht nur 70. Die meiste Zeit, in der ich meinen größten Erfolge hatte, habe ich geraucht und Computer gespielt, während ich gerade high war. Wenn ich das nicht getan hätte, hätte ich meinen Job viel besser machen können.
Sie schreiben auch vom Gefängnis aus Artikel. Wie läuft das?
Ich habe sie meist per Hand geschrieben und an meine Mutter geschickt, die sie dann abgetippt hat. Bis vor Kurzem gingen meine Kolumnen auch an meine Anwälte. Die mussten sie dann erst absegnen, bevor man sie zum D Magazine in Dallas oder zu Vice oder dem Guardian schicken konnte. Ich habe dann entschieden, dass es mir nicht viel ausmacht, wenn der Richter mir für meine Artikel ein paar Jahre mehr aufbrummt. Nach ungefähr sechs Monaten unter Nachrichtensperre und gut zwei Jahren im Gefängnis bin ich das Zensiertwerden einfach leid. Ich freue mich jedenfalls schon drauf, wenn alle Gerichtsdokumente freigegeben werden.
In Ihrer Kolumne für das D Magazine in Dallas beschreiben Sie auf humorvolle Weise den Alltag im Gefängnis. Was haben Sie denn heute so gemacht?
Ich bin um acht Uhr aufgestanden, dann habe ich mir meinen Kaffee in der Mikrowelle gemacht und meine E-Mails gecheckt. Üblicherweise gehe ich danach in die kleine Gefängnis-Bibliothek und gucke, dass die Bücher nicht auf anderen obendrauf liegen. Wir haben ja eine sehr gute Bibliothek, seit ich hier Insasse bin. Dank meiner Bücherspenden ist sie ungefähr doppelt so groß. Wenn Bücher zurückgegeben werden, deren Einband kaputt ist, nehme ich die mit in meine Zelle und klebe sie. Vor allem in Mansfield habe ich viel gelesen, da gab es Acht-Mann-Zellen und keine Fenster, nix. Dort habe ich 200 Seiten pro Tag geschafft, ein Buch alle zwei oder drei Tage.
Und sonst so?
Ich bin der Anführer einer Gang von hauptsächlich weißen Gefangenen. Ich muss sicherstellen, dass die unterschiedlichen Gruppen hier – Weiße, Mexikaner, Schwarze – miteinander klarkommen. Wir nennen uns die „Bolivarische Republik der versauten Kätzchen“. (Brown schnurrt und miaut.). Ich bin ziemlich gut darin, Dingen Namen zu geben.
Ziemlich drollig für jemanden, der mal bei Anonymous war.
Das stimmt.
Offensichtlich haben Sie ein Problem mit Autoritäten. Andererseits klettern Sie die Hierarchieleiter ziemlich behende hoch. Wann hat das angefangen?
Schon zu Schulzeiten. Mit 13 habe ich die ersten Bücher von Anarchisten gelesen. Dadurch habe ich schon relativ früh diese Moral angenommen: ein Individuum, das allein die Autoritäten herausfordert und dann auch erklärt, warum es das getan hat. Das war immer das Leitmotiv. Wenn keiner meiner Meinung ist, wenn niemand mit mir mitzieht, muss ich zumindest ein Beispiel setzen.
Hat die Gefängniszeit Ihren Charakter verändert?
Oh ja. Das fängt damit an, dass ich keine Drogen mehr nehme, zum ersten Mal seit meiner Jugend. Heroin habe ich zwei Jahre lang genommen. Jetzt bin ich seit zweieinhalb Jahren clean. Ich hab den Lebensstil hier eigentlich ziemlich genossen.
Und was vermissen Sie im Knast am meisten?
Zigaretten.
Am Donnerstag wird nun das Urteil gegen Sie gesprochen. Was erwarten Sie?
Die Staatsanwaltschaft kann maximal 8,5 Jahre Haft fordern, aber ich bin recht zuversichtlich, dass ich meine Zeit schon abgesessen habe.
Was werden Sie denn tun, wenn Sie aus dem Gefängnis kommen?
Zigaretten rauchen. Ein paar Wochen lang Computer spielen. Und dann mache ich da weiter, wo ich aufgehört habe.
UPDATE 1, Freitag, 23. Januar 2015: Inzwischen wurde in Browns Prozess das Urteil gesprochen. Das Gericht in Dallas, Texas, verurteilte ihn am Donnerstag zu 63 Monaten Haft, seine bisher 28 Monate in Untersuchungshaft werden angerechnet. Barrett Brown hat bei der Urteilsverkündung selbst eine Statement abgegeben, das hier dokumentiert ist.
UPDATE 2, Freitag, 23. Januar 2015: Wir haben ein Update mit Fragen an Brown veröffentlicht, zu denen er sich vor der Urteilsverkündung noch nicht äußern durfte. Und wer das gesamte Interview mit Barrett Brown im englischen Original lesen will, kann das auf der Krautreporter-Seite bei Medium.com machen.
Die Recherche wurde mit Mitteln der Rudolf Augstein Stiftung gefördert.
Aufmacherbild: Brian Rinker - Flickr (CC BY 2.0)