Das sind die Momente, die Joseph Blatter über alles liebt: Im Oval Office zu sitzen und mit Barack Obama über Fußball zu plaudern. Das obige Foto entstand 2009, als sich die USA um die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 bewarben. FIFA-Boss Blatter wurde damals von seinem Vizepräsidenten und Stimmenbeschaffer Jack Warner begleitet, der rechts auf der Couch sitzt. Der Funktionär aus Trinidad & Tobago hat über Jahrzehnte Dutzende Millionen Dollar aus dem Fußballgeschäft abgezweigt, kassierte nachweislich auch Millionen aus Katar, und trat zwei Jahre nach dem Besuch bei Obama wegen schwerster Korruption zurück.
Warners Söhne wurden zwischenzeitlich vom FBI in Miami unter Hausarrest gesetzt. Mindestens einer der beiden kooperiert seither mit der amerikanischen Bundespolizei und der Steuerbehörde IRS, um einer langjährigen Haftstrafe zu entgehen. Es geht um Geldwäsche und andere schmutzige Fußballgeschäfte. Auch gegen einen anderen langjährigen Blatter-Vertrauten ermitteln FBI und IRS: Gegen den US-Amerikaner Chuck Blazer, der wie Warner eine halbe Ewigkeit Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees war.
Warum ich ausgerechnet mit Kriminalfällen und dem Obama-Foto in diese Geschichte einsteige? Vielleicht droht Joseph Blatter, dem Blazer und Warner stets sämtliche Stimmen der nordamerikanischen Nationalverbände zusicherten, aus den USA die größte (oder gar einzige) Gefahr, die seine vierte Wiederwahl verhindern könnte. Womöglich könnten die Ermittlungen gegen Blatters langjährige Handlanger Blazer und die Warner-Familie jenen Tsunami an Enthüllungen auslösen, den Warner 2011 in seinen letzten Tagen als FIFA-Vizepräsident versprochen hatte.
Vielleicht.
Sehr wahrscheinlich ist das nicht.
Sicher ist allenfalls, dass Blatter so schnell nicht wieder in Washington im Oval Office empfangen wird. Bei einem Besuch in den USA liefe er Gefahr, von Bundesagenten vorgeladen zu werden. Aber er hat ja jetzt andere mächtige Verbündete, urige Kameraden, die er regelmäßig besucht und denen er unentwegt seine unverbrüchliche Solidarität versichert: Russlands Präsident Wladimir Putin und Katars Emir Tamim Bin Hamad Al-Thani, die Gastgeber der unter schwer dubiosen Umständen vergebenen Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022.
Wer den bald 79 Jahre alten Joseph Blatter kennt, muss das Schlimmste befürchten. Seine Masche ist es ja, der Fußballfamilie alle vier Jahre zu erzählen, er wolle seine Mission (wahlweise fabuliert er über Visionen) schnell noch beenden und deshalb weiter machen. So brach er immer wieder seine Versprechen und trat weiter an. 2007 und 2011 hatte er zum Wahltag keinen Gegenkandidaten, stets in Zürich.
Da dichtete er in bester Blatter-Manier:
Wir müssen die Werte des Fußballs verteidigen gegen die Teufel, die es gibt. Wenn wir gegen die Dämonen kämpfen, müssen wir unsere eigenen Gesetze durchsetzen und nicht darauf warten, bis uns fremde Gerichte sagen, wo es lang geht.
FIFA-Kongress 2007
Da flötete er:
Ich bin bereit, ihr Urteil anzunehmen und mich der Verantwortung zu stellen. Ich bin ein Kapitän in turbulenten Zeiten. Wir haben die beste Transparenz von allen Sportorganisationen. Es muss ein für alle mal Schluss sein mit diesen hässlichen Kritiken, Vermutungen über Tricksereien. Ich stehe zu ihrer Verfügung, gemeinsam können wir es schaffen, gemeinsam werden wir ans Ziel gelangen. Gemeinsam können wir zur Glaubwürdigkeit zurück finden.
FIFA-Kongress 2011
Am 29. Mai 2015 wählen die 209 Nationalverbände der FIFA auf dem Kongress erneut den Präsidenten, wieder in Zürich. Es wäre Blatters fünfte Amtszeit seit 1998. Bis 29. Januar um Mitternacht mussten Blatter und seine Herausforderer ihre Kandidaturen einreichen. Während alle Welt darüber debattiert, ob es eine Chance gibt, Blatter zum Rücktritt zu bewegen oder gar abzuwählen, darf man auch mal eine andere, sehr schräge Variante durchspielen:
Wenn die Gesundheit mitspielt, wickelt Blatter mit Putin nicht nur die WM 2018 in Russland ab, sondern er stellt sich 2019 erneut zur Wahl. Denn schließlich muss doch seine Missionvision vollendet werden: Die WM 2022 im Wunderland Katar.
Kann jemand Blatter aufhalten?
https://twitter.com/SeppBlatter/status/560711841081724929
Fünf der sechs Kontinentalverbände der FIFA haben ihm teilweise mehrfach ihre Unterstützung versichert: CONCACAF (Nordamerika), AFC (Asien), OFC (Ozeanien), CAF (Afrika), CONMEBOL (Südamerika) – nur die UEFA (Europa) schert aus. Vor allem auf exotischen Eilanden, wo teilweise nur wenige hundert Menschen Fußball spielen, und unter den korruptesten Regimen der Welt findet Blatter seine Unterstützer. All diese Nationen haben eine Stimme auf dem Kongress - so wie die Fußball-Großmächte. Man muss eigentlich nur diverse Demokratie-Indizes wie den Corruption Perceptions Index von Transparency International oder die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen von ganz hinten studieren, da findet man Blatters Unterstützer: Saudi-Arabien, Somalia, Nordkorea, Simbabwe, Russland, Usbekistan, China, Afghanistan und viele mehr.
Zur beschämenden Wahrheit gehört allerdings, dass nicht nur die korruptesten Fußballverbände Blatter wählten, sondern auch der selbst ernannte größte Verband der Welt, der Deutsche Fußball-Bund (DFB). Als vor vier Jahren die englische Football Association (FA) auf dem Kongress in Zürich eine Verlegung der Krönungsmesse Blatters forderte, bis alle Korruptionsvorwürfe zu Russland und Katar geklärt seien (lustig, daran mal wieder zu erinnern, denn geklärt ist gar nichts), da schwiegen die DFB-Vertreter auf geradezu schändliche Weise. Seither forderten nationale Fußballgrößen wie DFB-Präsident Wolfgang Niersbach oder Verantwortliche der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zwar immer mal wieder Reformen in der FIFA und manchmal sogar Blatters Rücktritt. Doch Konsequenzen hat bislang niemand gezogen. Außer billigen Schlagzeilen wurde nichts geliefert.
Im März will sich Niersbach nun als einer von neun europäischen Vertretern in das 25 Personen umfassende FIFA-Exekutivkomitee wählen lassen. Darüber entscheidet nicht etwa der FIFA-Kongress, sondern die Vollversammlung der Europäischen Fußball-Union (UEFA) in Wien. Mit Taten hält sich Niersbach zurück, unterstützt aber nach dem Motto „jeder außer Blatter“ als Mitglied des UEFA-Exekutivkomitees drei der Gegenkandidaten:
Den Holländer Michael van Praag (67), den ehemaligen Weltfußballer Luís Figo (42) aus Portugal und den jordanischen Prinzen Ali Bin Al-Hussein (39).
https://twitter.com/KNVB/status/559764240886923264
Diese drei behaupten, zum Meldeschluss die Kriterien der FIFA erfüllt zu haben: Sie mussten von einem der 209 Nationalverbände nominiert werden, mussten vier weitere Unterstützungsschreiben vorweisen und mussten in den vergangenen fünf Jahren mindestens zwei Jahre eine Funktion im FIFA-Reich ausgeübt haben. So steht es in den Electoral Regulations for the FIFA Presidency, die zusätzlich zu den FIFA-Statuten verabschiedet worden.
Bei Michael van Praag, Präsident des Koninklijke Nederlandse Voetbalbond KNVB, und dem amtierenden FIFA-Vizepräsidenten Prinz Ali sollte die Erfüllung der Kriterien unstrittig sein. Van Praag erklärt, er werde von den Verbänden aus Belgien, den Färöern, Rumänien, Schottland, Schweden und den Niederlanden schriftlich unterstützt und habe den moralischen Rückhalt des DFB.
https://twitter.com/AliForFIFA/status/561153517801721857
Prinz Ali hat zwar heute auf einer eilends gebastelten Webseite („The World’s Game“) erstmals ein rudimentäres Programm vorgestellt, erklärte aber bisher nicht, wer außer Jordanien, England und, angeblich, den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo er Heimvorteil genießt und seine Schwester Prinzessin Haya Bint Al-Hussein als Zweitgattin des Herrschers Scheich Mohammed residiert, die beiden anderen Begleitschreiben lieferte. Der arabische Raum stimmt ansonsten geschlossen für Blatter, das haben der mächtige IOC-Scheich und Stimmendealer Ahmad Al-Sabah aus Kuwait und Alis Todfeind Scheich Salman aus Bahrain, der Boss der asiatischen Konföderation AFC, mehrfach angekündigt. Aber die Araber sind sich in der Sportpolitik oft selbst die größten Feinde.
Da beide Kandidaturen, die von Michael van Praag und von Prinz Ali, vom UEFA-Präsidenten Michel Platini ersonnen worden sind, darf man davon ausgehen, dass die UEFA-Bosse einige europäische Nationen verpflichtet haben, Ali die nötigen Papiere auszustellen. Vielleicht präsentiert er die in der kommenden Woche auf einem Pressetermin in London. (Nachtrag, 3. Februar, 14.47 Uhr: Das hat Prinz Ali gerade getan. Er hat Briefe der Verbände aus Jordanien, Weißrussland, Georgien, Malta, England und, man staune, den USA. Nicht aber aus den VAE, wie oben falsch vermutet. Scheich Salman und Scheich Ahmad halten das Blatter-Stimmenpaket also beisammen.)
Bleibt ein dritter Kandidat mit UEFA-Ticket, die Überraschung dieser Woche, die schillerndste Figur im Ring: Weltstar Luís Figo, ehemals beim FC Barcelona und bei Real Madrid aktiv – diese Kombination ist selten und unter Fans schwer umstritten, was einiges über Figo verrät.
https://twitter.com/LuisFigo/status/560420199196012546
Auch Figo hat seit wenigen Stunden eine Webseite mit dürrer Botschaft („For Football“) und ließ heute mitteilen, dass ihn Portugal, Dänemark, Montenegro, Mazedonien, Luxemburg und Polen unterstützen. Ob Figo, Werbepartner des asiatischen Wettanbieters Dafabet, als Kandidat zugelassen wird, bleibt unklar. Die so genannte Ad-hoc-Wahlkommission der FIFA unter Leitung des Schweizers Domenico Scala wird sich frühestens in einer Woche erklären und die Kandidatenliste bestätigen. Man spricht von einem Integritätscheck, ein putziges Wort im FIFA-Umfeld.
Blatter wird diese Integritätsprüfung komischerweise bestehen, das ist klar. Sollte Dafabet-Testimonial Luís Figo aussortiert werden, wäre der Aufschrei groß.
Als Sportpolitiker war der elegante Figo bisher nicht aufgefallen. Plötzlich sorgt er sich um den schlechten Ruf der FIFA, redet über Transparenz und darüber, dass der hausinterne Ermittlungsbericht zu den Vorgängen bei den siegreichen WM-Bewerbungen von Russland und Katar veröffentlicht werden muss. Die weltweiten Diskussionen über diesen Bericht, den der ehemalige US-Bundesanwalt Michael Garcia erstellt hat, und die vielen bizarren Vorgänge in der FIFA hätten ihn dazu ermutigt anzutreten. Sagt Figo. Andererseits war er im Rahmen jener WM-Bewerbungen Botschafter der Offerte von Spanien und Portugal. Spanier und Portugiesen waren damals einen Stimmendeal mit Katar eingegangen. Auch hatten sie sich den Interviews des Ermittlers Garcia verweigert.
Das sind doch kleinere Schatten auf dem Image des Saubermannes Figo, das von den Campaignern der UEFA gepflegt wird.
Der Mann im Hintergrund: Michel Platini
UEFA-Präsident Michel Platini, unter der älteren Generation ebenfalls ein Weltstar, hat seine sportpolitische Grundausbildung einst als Berater von Joseph Blatter erhalten. Als Co-Präsident des WM-Organisationskomitees 1998 unterstützte Platini den damaligen FIFA-Generalsekretär Blatter bei seiner Kandidatur. Der französische Verband zählte zu jenen, die Blatter damals das geforderte Schreiben schickten. Nach gewonnener Wahl gegen den Schweden Lennart Johansson, über der ewig der Schatten der Korruption schweben wird, wie ein damaliger FIFA-Vizepräsident sagte, machte Blatter den Jung-Funktionär Platini zu seinem Berater – mit Büro in Paris. Neun Jahre später, im Januar 2007, kandidierte Platini erfolgreich für den UEFA-Vorsitz gegen Johansson, Blatters Unterstützung war wahlentscheidend.
Blatter wird Platini versprochen haben, ihn dereinst als FIFA-Präsident zu beerben. So wie er es dem inzwischen wegen Korruption lebenslang gesperrten Katari Mohamed Bin Hammam versprochen hatte, der ihm 1998 und 2002 bei den Wahlkämpfen half und Stimmen organisierte, vor allem in Afrika und Asien. Bin Hammam und Platini glaubten offenbar den Quatsch, den Blatter ihnen erzählte. Dabei hätten sie es besser wissen müssen.
Nun gegen Blatter anzutreten, hat sich der 59-jährige Platini nicht getraut. Stattdessen spielt er auf Zeit und hofft, 2019 die FIFA übernehmen zu können oder sogar früher, sollte Blatter gesundheitlich nicht durchhalten. Und er schickt Stellvertreter vor: Erst überredete er Prinz Ali zur Kandidatur. Dann stärkte er den Holländer van Praag. Platinis Leute haben auch Figo von einer Kandidatur überzeugt.
Propaganda-Schlacht zwischen FIFA und UEFA
Seit einem Jahr arbeitete der langjährige CNN-Sportmoderator Pedro Pinto als Sprecher Platinis und als UEFA-Pressechef. Pinto ist Portugiese. Sein Landsmann Figo gab seine Kandidatur nun ausgerechnet in Pintos ehemaligem Sender CNN bekannt. Das ist kein Zufall. Da werden Kampagnen gefahren.
Platini hat vor einem Jahr auch den Engländer Mike Lee als Berater verpflichtet. Lee war unter Johansson schon mal Pressechef der UEFA und hat 2002 einen FIFA-Wahlkampf krachend gegen Blatter verloren, als er in Johanssons Auftrag für Issa Hayatou aus Kamerun Stimmung machte. Später machte sich Lee mit seiner Agentur Vero Communications selbstständig, wurde lustigerweise wieder von Johansson verpflichtet, als dieser sich dem Angriff von Platini und Blatter erwehren musste. Und wieder versagte Lee als Campaigner jämmerlich. Wobei man zur Ehrenrettung von Lee sagen muss, dass er seither zahlreichen siegreichen Olympia- und WM-Bewerbungen angehörte, die seine Tagessätze in astronomische Höhen schnellen ließen: Er war mit London 2012 erfolgreich, Rio de Janeiro 2016 und PyeongChang 2018 – allesamt Olympia-Ausrichter – und er arbeitete für Katar 2022. In Katar hat er bis heute dicke Aufträge.
Man sieht also, jeder schläft mit jedem in diesem Family Business. Und jeder kämpft gegen jeden. Allianzen wechseln laufend. Mike Lee werkelt mit seinem Team von Vero Communications für die UEFA, für Katar, für Platini, für Prinz Ali und für Luís Figo. Die Handschrift ist unverkennbar. Ob er auch Michael van Praag berät, kann ich noch nicht sagen. Es könnte sein, dass sich van Prag verselbständigt.
Auf der anderen Seite ziehen für Blatter zahlreiche Propagandisten und Spin-Doktoren die Fäden: Kommunikationsdirektor Walter de Gregorio (Schweiz), einst Sportchef des Boulevardblatts Blick, der sich den Job später mit einem Gefälligkeitsinterview in der Weltwoche erschleimte; Blatters persönlicher Sprecher Bernd Fisa (Österreich), zuvor bei Ferrari und Red Bull aktiv; der Engländer Brian Alexander, ehemals Fußballreporter; und Typen wie der Hungaro-Schweizer Peter Hargitay, von denen man nie weiß, ob sie morgen schon wieder auf der Gegenseite sitzen oder ob sie vielleicht sogar für mehrere Geldgeber ihr Geschäft verrichten. Sie alle haben beste Kontakte in die wichtigsten Medienhäuser und beeinflussen mit ihrem Spin auch angesehene deutsche Qualitätsmedien.
Kaum war die Meldefrist gestern Mitternacht verstrichen, deutete Blatter im hauseigenen Propaganda-Magazin FIFA weekly schon ein Wahlversprechen an. In seiner Kolumne erklärte er: Australien, das gerade den Asian Cup ausrichtet, würde eine WM verdienen.
https://twitter.com/gdunbarap/status/561130634761228288
Ich werte das ja schon als Verstoß gegen die Wahlkampfregeln, denn es ist eine Art Versprechen, aber das werden die gestrengen FIFA-Ethiker sicher anders sehen. Es ist zweifelsfrei eine Botschaft an Australiens Verbandschef und Milliardär Frank Loy. Lowy und Australien waren bei der WM-Bewerbung 2022 mit einer Stimme jämmerlich in der ersten Runde gescheitert. Lowy hat seither oft die FIFA kritisiert und eine Neuvergabe der WM gefordert. (Übrigens hat Blatter Lowy 2010 erzählt, er habe für Australien gestimmt. Und noch ein anderer, ein Deutscher stimmte angeblich für Australien. Einer der beiden muss den Westfield-Milliardär also angeschwindelt haben.)
Es ist ein einziges großes Durcheinander, das dadurch eine weitere bizarre Note erhält, wonach sich einige Figuren aus Blatters engstem Umfeld nach neuen, noch besser dotierten Jobs in Katar umsehen sollen. Hier wird am ganz großen Rad gedreht. Es gibt weitere Absetzbewegungen in der FIFA. So ist es kein Zufall, dass in den vergangenen Monaten schon einige TV-Verträge für die WM 2022 in Katar abgeschlossen wurden, so etwa mit ARD und ZDF, die mehr als 200 Millionen Euro für das Turnier zahlen sollen, zu derlei finanziellen Details in guter alter öffentlich-rechtlicher Intransparenz aber nicht Stellung beziehen. Ein Grund für diese Abschlüsse soll sein, dass Vermittler und ranghohe FIFA-Manager über Provisionen und Tantiemen daran verdienen. Das ist legal. Sie wollten so schnell wie möglich diese Zusatzeinnahmen mitnehmen, weil sie fürchten, Mitte dieses Jahres ihre Jobs zu verlieren. Denn eins ist klar: Sollte ein neuer Chef in das Home of FIFA in Zürich einziehen, müsste eine komplette Führungsriege weichen. Der Trennung können diese Leute nur entgehen, wenn sie Blatter überreden, die weiße Fahne zu hissen. Wer das schafft, hat eine Zukunft unter dem neuen Machthaber. Derlei Versuche soll es gegeben haben. Doch Sepp blieb stur.
Er kann da sehr eigen sein.
Er, die FIFA.
Die Macht der Nationalverbände
Es scheint paradox, Blatter einerseits als haushohen Favoriten in diesem präsidialen Rennen zu bezeichnen, andererseits über Absetzbewegungen zu orakeln. Aber auch das gehört zum Stil dieser Branche. Jeder ist sich selbst der Nächste und will sich absichern. Ähnlich läuft das unter den Nationalverbänden, die am 29. Mai den Präsidenten wählen. Ja, eine Hundertschaft der kleinen Verbände ist Blatter ewig dankbar und sieht in ihm einen Heilsbringer, weil er das Entwicklungshilfeprogramm GOAL und das Programm Finanzielle Unterstützung (FAP) eingeführt hat. Allein in diesem Jahr kann jeder Verband, auch der kleinste irgendwo im Stillen Ozean ganz legal dies kassieren: 250.000 US-Dollar als jährliche Apanage, 500.000 Dollar als WM-Prämie 2014, zusätzliche 300.000 Dollar für das Versprechen, mit der Nationalmannschaft an der WM-Qualifikation 2018 teilzunehmen; im GOAL-Programm winken etlichen Dutzend Föderationen weitere 600.000 Dollar Mindestförderung.
Für die meisten Nationalverbände, die zwar Blatter ihre Unterstützung geschworen haben, ist es eine ganz einfache Rechnung. Sie werden die UEFA-Kandidaten fragen, was die in ihren Wahlprogrammen bieten. Figo und Michael van Praag müssen erst noch Programme basteln. Sie können kaum etwas sagen.
Es gibt noch einen Kandidaten, von dem man allerdings nicht wusste, ob er zum gestrigen Stichtag die erforderlichen fünf Briefe liefern konnte: der Franzose Jérôme Champagne (56). Er wollte diese Frage am Freitag nicht beantworten. Champagne ist der einzige Kandidat mit einem umfangreichen Programm („Hope for Football“), das er seit einem Jahr öffentlich diskutiert und verfeinert, und aus dem alle anderen nun fleißig kopieren und Ideen klauen. Hochinteressant ist ein Detail in diesem Manifesto: Champagne will die FIFA-Tantiemen an die 100 kleinsten Verbände verdoppeln. Für 50 weitere will er die Zuschläge erhöhen.
Nachtrag, 2. Februar, 12.48 Uhr: Inzwischen weiß man es. Champagne ist raus.
Champagne kennt das Geschäft.
Ja, das meiste Geld wird noch immer in Europa verdient. Die UEFA macht sogar mehr Umsatz als die FIFA. Aber die Stimmenmehrheit haben die anderen Kontinente. Und was in Europa gern vergessen wird: Der Anteil anderer Weltregionen am FIFA-Umsatz (5,2 Milliarden Schweizer Franken im WM-Zyklus 2011-2014) steigt kontinuierlich.
https://twitter.com/JChampagne2015/status/558583022724087808
Es gibt derzeit also einen Titelverteidiger und drei präsidiale Anwärter, die auf den Zwischenbericht der FIFA-Wahlkommission warten, nachdem zwei Jux-Kandidaten vorzeitig abgesagt haben: der von einem Wettanbieter (Paddy Power) unterstützte Franzose David Ginola und der holländische Spielerberater Mino Raiola. Und nachdem Champagne passen musste.
Joseph Blatter, Michael van Praag und Prinz Ali werden von der FIFA-Kommission als Kandidaten bestätigt. Bei Luís Figo mag seine Wett-Connection ein Problem sein, Tendenz aber auch hier: er wird akzeptiert. Champagne hatte vor vor Wochen schon monierte, wie schwer es sei, die fünf Briefe zu bekommen – unter Verbänden herrsche Angst, es werde Druck ausgeübt. Das hat er in seinem Brief an die Verbände noch einmal erläutert, ohne die Namen der verantwortlichen Funktionäre zu nennen. Druck wurde von der FIFA und den Kontinentalföderationen ausgeübt, vor allem von der UEFA:
I warmly thank the three federations that have endorsed me and the many presidents who explained with candor and friendship, that they could not do it despite their interest in my program. The reasons were numerous. Because they feared reprisals from their confederations having issued “recommendations”. Because their federations were candidates to host continental competitions. Because they relied too heavily on the financial support. Because they were committed to defend a united continental front. Because some of the presidents were themselves engaged in an election or simply preferred another candidate. The institutions have mobilized to eliminate the only independent candidate. The latest events orchestrated in secret with barely veiled intentions by one of them, distributing letters of support between candidates, made me lose sponsorships especially in Europe!
Schreiben von Jérôme Champagne vom 31. Januar 2015
Champagne ist ein überragender Stratege und FIFA-Insider. Er hat lange für Blatter gearbeitet, bis der ihn nach einer Palastrevolte im Exekutivkomitee opfern musste und entließ.
Champagne war für Blatter Trouble Shooter in vielen Dutzend Nationalverbänden und hat an der Basis viele Freunde. Zuvor arbeitete er auch für Platini als Protokollchef der WM 1998. Mit Platini verbindet ihn inzwischen eine herzhafte Feindschaft. Blatter verteidigt Champagne bis heute, weshalb manche glauben, er sei ein trojanisches Pferd des Präsidenten.
Michael van Praag, einst wie sein Vater Präsident von Ajax Amsterdam, der Vater in den goldenen siebziger Jahren, der Sohn Mitte der neunziger, ist eine seriöse Hoffnung für die FIFA. Er hat Blatter schon im vergangenen Jahr kurz vor der WM in Brasilien empfohlen, seine Sachen zu packen. Er hat Blatter vor wenigen Tagen im persönlichen Gespräch geraten, sich um seine Stiftung zu kümmern und das Amt endlich abzugeben: „Mach Dich unsterblich, trete zurück!“ Und er will nur vier Jahre FIFA-Präsident bleiben, ein Chef für eine Transformationsphase, 2019 würde van Praag die Präsidentschaft an einen Jüngeren übergeben. Es gibt keinen Grund, Michael van Praag nicht zu glauben. So einen Satz kann man guten Gewissens über sehr wenige Top-Funktionäre schreiben.
Ansonsten aber gilt: Jeder Versuch, diesen Wahlkampf als saubere UEFA gegen unsaubere FIFA und fünf weitere korrupte Kontinentalverbände zu beschreiben, wäre unredlich. Korruption und umfangreiches Geschacher gibt es auch in der UEFA und ihren Verbänden.
Kann es spannend werden in diesem Frühjahr in der FIFA?
Normalerweise nicht, aber es ist eine Rechnung mit zu vielen Unbekannten.
Da bleibt die Diskussion um Korruption bei der WM-Vergabe an Katar und Russland. Politiker des Europarats haben eine Neuvergabe gefordert und werden das weiter verlangen. Andere Parlamentarier, vor allem aus England, unterstützen die Kampagne New FIFA now, die klare Vorstellungen von einem Neubeginn ohne Blatter und der lückenlosen Aufklärung der Vergangenheit entwickelt. Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften kritisieren weiter vehement die Zustände auf WM-Baustellen in Russland und Katar. Die WM 2022 muss vom Sommer ins späte Frühjahr (Mai) oder den Winter (November/Dezember) verlegt werden. Das Image der FIFA ist weltweit im Boden. Unter Sponsoren gibt es zaghafte Distanzierungen, auch wenn die nicht so groß sind, wie die UEFA-Campaigner und viele Medien suggerieren. Können schließlich die FBI-Ermittlungen dem System Blatter schaden? Sind Medien in der Lage, weitere Skandale aufzudecken, die das Fass zum Sieden bringen?
All diese Entwicklungen beeinflussen die Wahl in der FIFA. Um Blatter zu stürzen, braucht es allerdings ein Erdbeben.
Eine Kombination aus Michael van Praag, dem Seriösen, und Luís Figo, dem Schönen, der die Unterstützung zahlreicher Stars bekäme, hätte schon etwas.
Das allein aber würde auch nicht reichen.
Ich habe am Donnerstagabend auf Twitter darum gebeten, mir Fragen zum Wahlkampf in der FIFA zu schicken.
https://twitter.com/jensweinreich/status/560897252970221568
Darüber haben wir auf Twitter ausgiebig diskutiert. Vielen Dank dafür. Klar ist, dass es wenige zufriedenstellend Antworten etwa auf die Fragen gibt, wer mit wem schläft und dealt und was gerade in den Suiten australischer Hotels besprochen wird, wo Blatter zum Finalwochenende des Asian Cups Hof hält. Das kann man nur einigermaßen verlässlich zu beschreiben und analysieren versuchen. Manche Themen habe ich im Beitrag nicht anreißen können, werde die Wünsche und Fragen aber nicht vergessen und in späteren Artikeln bedenken. Alles lässt sich nicht in einem Beitrag besprechen.
Ich bastle noch Tag und Nacht an einem neuen Ebook, „2022 - die WM in Katar, Sklavenarbeit, Korruption und die FIFA-Präsidentschaft“, darin werde ich zentral Fragen bespechen, die in derlei Diskussionen aufkommen. Als Fachidiot verliert man leicht die Übersicht. In „2022“ will ich deshalb eine Ordnung bieten, einen Führer durch den FIFA-Dschungel, inklusive Timeline und Index von Personen und Institutionen. Es wird in den kommenden Monaten bis nach der Wahl alle paar Wochen Updates geben. Jeweils mit neuen Kapiteln und aktualisierten/korrigierten/erweiterten Passagen. In der Produktion von Versionen einer großen Geschichte kann ich bestens auf die Anregungen, Wünsche, Fragen und Kritik eingehen.
Aufmacherbild: White House (Pete Souza)